Mi 19 Dez 2007
Während des Jahres bleibt mein Quartier pressemässig ziemlich vergessen. Es kann sein, dass wir in einer Statistik zu Jugendarbeitslosigkeit/Sozialhilfe auftauchen oder die Webcam von Westside erfasst uns in ihrem Auge am Rande. Auch wenn Mister Libeskind einfliegt, um bei der Geburt seines ersten Einkaufszentrums kurz dabei zu sein, kommt der Block meistens mit aufs Bild.
Meine Arbeitskolleginnen und -kollegen nehmen in der Kaffeepause die Zeitung zur Hand und sagen: „Merci schön, da möchte ich nicht wohnen.“
Wenn ich dann mit der Bleistiftspitze auf den 13. Stock zeige, schauen sie mich ungläubig an.
Alles wird schlagartig anders in der Adventszeit. Man möchte in der Zeitung etwas Weihnächtliches bringen, das einem kurz das Herz erwärmt, etwas über Leute, die sich vertragen und welche trotz ihrer „fremden Kulturen“ die christlichen Feiertage so gestalten, dass eben das „Fremdeandere“ darin Platz hat. Beliebt bei den Zeitungsleuten sind Muslime, die Weihnachten feiern, sogar bei den Vorbereitungen zum Fest tatkräftig mithelfen wie den Stern über der Bäckerei aufzuhängen, den besten Weihnachtsbaum in der ganzen Stadt zu suchen, am Morgen früh aufzustehen, weil das Kind ungeduldig vor dem Adventstörchen wartet.
Der kluge Journalist macht sich früh im Dezember auf die Socken, um mit den Bewohnerinnen und Bewohnern im Quartier Kontakt aufzunehmen. Er zeigt nicht, dass er in Eile ist, hört sich auch Geschichten an, die er im Moment nicht braucht und schreibt dann etwas, das für alle verständlich ist.
Es gibt aber auch solche, die versuchen, kurz vor dem Fest „passende“ Familien zu finden, die sich zur persönlichen Gestaltung des Christfestes interviewen lassen (mit Foto). Der Erfolg ist gleich null, niemand will etwas sagen, auch die freundlichen Tamilien nicht.
Als mein Handy mit einer unbekannten Nummer klingelt und sich eine Frau in Hochdeutsch vorstellt, denke ich an eine Lotto-Gesellschft in Frankfurt. Zuerst frage ich nach, wie die Anruferin zu meiner Nummer kommt. Aha, das ist die Journalistin, welche mich besuchen möchte. Ich bin ihre letzte Hoffnung. Ja, sie darf kommen. Allerdings wird meine Familie um diese Tageszeit nur klein sein, da alle berufstätig sind, aber zur grossen Erleichterung der Zeitungsfrau sind wir ein bisschen gemischt, dank meinem Schwiegersohn mit den kosovarischen Wurzeln.
Dezember 20th, 2007 at 22:09
Schade, wollte die Frau Journalistin weder die Leute im Kerzenziehen, noch die Leute im Adventsingen besuchen. So verabschiedeten wir sie aus der schönsten Wohnung (sagt 2nd2nd, male) im 13. Stock. Zusammen mit dem Fotografen ging sie weiter auf die Suche nach einer „ausländischen Familie“.
Dezember 21st, 2007 at 22:52
Es ist zum Kotzen. Nach solchen Journalistinnen-Besuchen weiss ich immer, weshalb meine Familie „Borat“ einen der besten Filme findet. Vorurteile in der Endlosschlaufe bestätigigen – das wird hier auf die Spitze getrieben und deswegen kann man sich krumm lachen darüber. (Das macht 3rd, male gerade – voller Freude, bis spät in die Nacht frei zu sein, weil er jetzt Ferien hat.)
Gut, bin ich nicht dabei gewesen. Aber 3rd, male hat kurz erzählt, die Journalistin wäre nett und bereit gewesen, euch vor den Büchern zu fotografieren und er und seine kleine Cousine hätten sich gut präsentiert.
Das Bild fand er repräsentativ für unser Leben und wenn der Artikel dazu auch gut würde, solle ich doch zufrieden sein. Na – die Hoffnung stirbt zuletzt.
Dezember 22nd, 2007 at 08:19
Bild scheint wirklich gut, allerdings will der Fotograf noch eine rote Kerze mitten in die Krippenfiguren montieren, da auf allen Bildern in diesem Artikel eine Kerze brennen müsse. Die Journalistin hat eine dicke rote Migroskerze in der Handtasche mitgebracht. Sie nimmt an, dass die pakistanischen Studenten, die sie nachher besucht, nichts derartiges haben. Der Text ist, milde gesagt, stümperhaft. 2nd2nd, female und ich versuchten, das Schlimmste auszubessern, aber wie es so ist bei derartigen „Korrekturen“, sie geben mehr zu tun, als wenn mans selber geschrieben hätte. Zum Glück liest niemand in meiner Bekanntschft dieses Blatt.
Januar 12th, 2008 at 20:20
ich weiss, ich weiss – ich bin spät dran… aber:
nachdem ich in der zweiten januarwoche nach ferien- und krankheitsabwesenheit im büro die berge von zeitungen (mehroderweniger) lesend abgetragen habe, bin ich auch noch über den oben beschriebenen artikel gestolpert (der auch in unserem käse-BL-zeitungsblatt erschienen ist, seitdem dieses in aargauer händen ist und somit dem „mittelland“ angeschlossen) und obwohl ich eure bedenken vor dem hintergrund eures blickes hinter die kulissen wohl verstehe, will ich euch an dieser stelle doch sagen, dass euer familienfoto sehr sympathisch rüberkommt und ich mich freue, hinter eurem blog nun auch ein paar gesichter zu kennen.
ausserdem haben 1st und ich den gleichen (gelernten) beruf, musste grad schmunzeln als ich es im artikel schwarz auf weiss gelesen haben.
und dann nur noch etwas: hab ich schon mal erwähnt, dass ich auf euren blog „nur“ dank eines tippfehlers gelandet bin? wollte eigenetlich auf eine allg. blog-community und irgendwie ist mir das k noch dahinter gerutscht und schwupps da war ich (und bin ich immer noch ;-)).
liebe grüsse aus dem krankenlager aus basel *hust.schnief.fieber*
Januar 13th, 2008 at 10:10
So etwas, liebe Baslerin! Ich weiss, dass man den Sonntag auch für anderes brauchen kann: Aber heute ist bei kranken Baslerinnen Gesundwerden angesagt: gute Besserung und herzliche Grüsse aus Bern!
Dass niemand aus unserem Bekanntenkreis das Foto sehen würde, war natürlich ein Trugschluss von mir. Es hing tagelang in meiner Bibliothek am Schwarzen Brett, bis ich von den Ferien zurück kam und es entfernte;-)