Um 3 Uhr morgens höre ich vor meinem Fenster eine Frau nach ‚William, William‘ rufen, wieder und wieder, in einem rauen, theatralischen Flüstern. Warum genau sie flüstert, ist mir schleierhaft, denn ihr Hämmern an Williams Haustür könnte Tote erwecken. Danach gebe ich den Versuch zu schlafen auf, gehe nach unten, schleiche mich auf Zehenspitzen an dem schlummernden Habicht vorbei, setze mich draussen auf einen umgedrehten Blumentopf und rauche eine Zigarette. Der Himmel ist tiefschwarz und sternenklar, …

Das bin natürlich nicht ich, sondern Helen Macdonald, u.a. Lyrikerin und Falknerin in „H wie Habicht“.

Ich erwache etwas nach sechs Uhr. Wie jeden Morgen seit 22 Jahren gilt ein erster Kontrollblick meinem rechten Fussgelenk. Was kann ich heute von ihm erwarten? Fuss durchstrecken, Zehen bewegen, aufstehen, Gelenk bewegen. Dann etwas „Pferdesalbe“ einmassieren. Der grüne Gelee heisst in der Schweiz „Sportbalsam“. „Die Leute sollen nicht glauben, darin würden Pferde verarbeitet“, erklärte mir die Apothekerin. Einen Moment lang riecht es stark nach Kampfer und Menthol. Auch Rosmarin und Arnika sollen darin enthalten sein.
Pfingstmontag ist bei mir ein praktischer „Aufschiebetag“: PostZeitungenWäscheSchuheGartenFenster …
Das Wetter ist bewölkt. Soll ich ein paar Runden schwimmen gehen? Seit Mitte Mai (bei 15,5°) bin ich in „meinem“ Hausbad angebadet.. Einige der Alten sind leider nicht mehr (noch nicht?) gekommen. Hermann mit dem Kunststoffbein, Käthi und Susann fehlen.
Auch Stammgast Aschi konnte die neue Saison nur kurz geniessen. In seiner Todesanzeige Ende Mai stand: Auf seiner geliebten Schwimmrunde hat sein Herz aufgehört zu schlagen.
Leider musste ich bis jetzt auf die Begleitung meiner Nachbarin verzichten. Sie hat Herzprobleme und muss sich im Moment schonen. Zahlreiche Vormittage verbrachten wir schwimmend und plaudernd im Wasser, tranken anschliessend eine Schale (Milchkaffee) auf der Terrasse und fuhren mit dem „Bössli“ (Bus Nr. 27) heim.

Eigentlich kommen Gratis-Gesundheitsmagazine bei mir ungelesen ins Altpapier, aber heute blättere ich doch im TopPharm-Ratgeber. Die ganze Woche hindurch erzählten mir die Leute über Krankheiten, sei es über die eigenen oder diejenigen von Angehörigen: Herzoperationen, Spitalkäfer, Aneurysmen, Alzheimer, Schulterbruch, künstliche Hüftgelenke, Knieprobleme, Magersucht, Grauer Star …
Das Ratgeber-Thema sind die Ferien: Schwitzen, Sonnenbräune, Fuss- und Venenpflege, Infektionen, Sicherheit im Wasser, Leberentzündung und ein Less-Sugar-Tortenrezept. Ich lese alles, hauptsächlich wegen der Enkelkinder. Anschliessend schlucke ich drei Kapseln Schwarzkümmelöl – nützt’s nüt, so schad’s nüt. (Die alten Ägypter schwörten darauf und Haddsch Boras hat das Wunderöl natürlich auch im Sortiment.). Abends trinke ich als Tee-Hasserin jetzt regelmässig einen Säuren-Basen-Kräutertee.


Ich beschliesse, den Kaffee im 12. Stock bei meiner Tochter und ihrer Familie zu trinken. Alle sind noch im Pyjama. Es herrscht sonntägliches Gewusel mit Bällen, Klavierspiel, Bananen, Kleidern. Sportsachen. Wir besprechen die Termine für Juni – ein „gedrängter“ Monat für Lehrerinnen, Schulkinder und Grossmütter.

Während ich auf die angekündigten Aufhellungen auf der Alpennordseite warte, räume ich meine Abstellkammer, „Kämmerli“ genannt, auf. Brauche ich so viele verschiedene Schrauben, Dübel, Nägel, Haken, Glühbirnen, Gummizüge, Verlängerungskabel? Den Katadyn-Wasserfilter, der uns vor beinahe 40 Jahren auf der Indienreise gute Dienste geleistet hat, behält sein altes Plätzchen.
Gegen Mittag esse ich zwei Salat-Eier-Brote und mache mir einen Kaffee – Achtung Säure!
Danach ziehe ich meine Gartenschuhe an und gehe in den Garten. Es fängt leicht an zu regnen -„täuderlen“ sagen wir diesem feinen Nass von oben. Im Garten ist man nie fertig. Immer will etwas gejätet, um- und eingetopft werden. Die Schnecken haben sich über den Dill hergemacht und wahrscheinlich auch schon die feinen Sprosse einiger Kapuzinerkressen zersägt, aber Zuckererbsen, Lattich und Kohlrabi sind prächtig.

Nach und nach gibt es doch noch die versprochenen Sonnenblicke. Der Schweiss rinnt mir von der Stirn in die Brille. Der Glockenturm spielt jede Stunde „Lustig ist das Zigeunerleben“ und ich bin noch lange nicht fertig. Gegen Abend pflücke ich mit unserer Jüngsten die Erdbeeren, dann schiebe ich die Kleine auf ihrem Dreirad über den Pausenplatz nach Hause.

Der Abend wird kurz mit Tomaten, Mozzarella, Brot und Tee, Duschen und noch ein bisschen dies und das lesen. Ich bin richtig müde nach einem so gesunden Tag.
Der beinahe volle Mond scheint hell auf mein Bett.

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