Mo 22 Nov 2004
Die Zwiebel-Zöpfe sind gefährdet! Der Nachwuchs fehlt. Die Jungen mögen die angebotenen Flechtkurse von Renate Probst nicht besuchen. Auch Frau Siegenthaler aus Mörigen sieht schwarz für die „Trütschlen“, denn immer häufiger werden diese von ausländischen Arbeitskräften im Akkord geflochten. Aber eben: ausländsch, qualitativ nicht das, was man von Bern erwartet. So etwas ist schlecht zu verkaufen.
„Der Sommer war sehr gross … “ Rilke konnte über eine so perfekte Saison dichten. Die Gemüsebauern überfällt das grosse Jammern, denn es gab viel zu viele Zwiebeln, mehr als doppelt so viele wie letztes Jahr: 18 500 Tonnen! Jeder Lappi pflanzte Zwiebeln, nachdem die Preise 2003 so gut waren. Da hat man nun den Dreck: die krumm gewachsenen Rüebli und die überschüssigen Zwiebeln werden im Märzen, wenn der Bauer die Rösslein einspannt und Felder und Wiesen setzet in Stand mit dem Mistzetter verteilt und „ungere gfahre“, möglichst nicht zu auffällig, damit die seelandwandernden Konsumentinnen und Konsumenten sich nicht etwa noch Gedanken machen.
Auf jeden Fall halten sich trotz reicher Ernte die Preise, denn gegenwärtig flechten Frau Probst (71) und Frau Siegenthaler (85) noch und liefern feste, regelmässige mit Strohröseli bekränzte Zwiebelzöpfe aus Spezialzwiebeln. Wenigstens der Zibelemärit 2004 ist gerettet!
Wer weiss, vielleicht steigen nächstes Jahr die Getreide- , Milch-, Fleischpreise? Da werden die Bauernschlauen umsteigen, nur weg von der Zwiebel. Die Preise werden beim Überangebot wieder fallen und die Produzenten werden nie nichts zum Weinen haben.
Auch die Konfetti sind nicht mehr wie früher. Die Farben sind leuchtender geworden, weg von diesem trüben Rosa, Türkis und schmutzigen Gelb. Es gibt sie neu auch in Dunkelschwarz und Leuchtendweiss.
Die Bahnhofhalle riecht, trotz heftigem Durchzug, nach Käse- und Zwiebelkuchen.
November 22nd, 2004 at 22:11
Zum Weinen, wenn frau ihren Mann an den Zibelemärit begleitet und einen heimeligen Spaziergang erwartet. Stattdessen bekommt sie am Loebegge einen auf den Kopf gehauen. Erschrocken schaut sie sich um, doch der Rotzbengel haut schon auf einen anderen Kopf. In der Spitalgasse stehen Kisten voller farbiger Konfetti zum Verkauf bereit, als wären die Pflastersteine noch nicht genug damit übersät. Als Schutz vor ihnen ist die Bratwurst am Waisenhausplatz kaum ein Genuss. Trotzdem, frau begleitet wacker weiter durch die Menge in der Marktgasse, wo lauter Teenes auf einem Dancing Car ihre Hinterteile schwenken. Frau entdeckt auch zwei ihrer Schülerinnen, die mit zu kurzen glänzenden Shirts das junge Publikum begeistern. Schulfrei sei dank… Bis dahin bekam frau schon eine Handvoll Hammerschläge auf ihre müde Rübe, zum Weinen. Der Bundesplatz war eine richtige Erholung. Obwohl äusserst kunstvoll angefertigt, kümmert sich kaum jemand um die verschiedensten Zwiebelzöpfe. Der Apfelpunsch erwärmt die Brust. In einer Stunde werden die Stände abgebaut. Was geschieht wohl mit diesen unverkauften Tonnen Zwiebeluhren, Zwiebeltieren und Zwiebelketten, die jetzt noch von der Sonne golden beleuchtet werden?
Zum Schluss kauft frau noch einen viel zu teuren Zwiebelkuchen, der nur gut aussieht. Zum Weinen. Wenigstens sind die Keulen abgeschafft worden.
November 22nd, 2004 at 23:25
Oft hört man, das Marketing der Stadt Bern sei so schwach, immerhin hält sich der Mythos vom Zibelemärit jetzt schon lange, jedenfalls bei den Auswärtigen. Ich hoffe, du bist nicht von allzuweit angereist?
November 23rd, 2004 at 01:31
@2nd2nd: Och, keine Keulen mehr? Also dafür gibt es jetzt Konfetti-Pistolen. Nichts gemerkt? Nachdem ich ein liebes Kind mit Cello und Mutter nur noch mit „grrr“ gegrüsst hatte, habe ich beschlossen, ein Taxi zu nehmen, trotz meines jungfräulichen Billetts für die wunderbare Umfahrung mit Bus. Loebeggen —> Kirchenfeld per Taxi via Monbijoubrücke kann ich sehr empfehlen. Entspannend und fördert die Volkswirtschaft mindestens so sehr wie überzahlter Zwiebel-Grusel-Kuchen.