Als Kind hatte ich wenig Ahnung vom „Ausland“. Das Ausländischste, das ich kannte, waren die zahlreichen Kinder des niederländischen Predigers Wim Malgo. Meine Tante, eine eifrige Jüngerin des Gottesmannes, brachte ein paar von ihnen manchmal zu uns auf den Bauernhof.
Anfangs der 60er Jahre wurde ich dann selber „Ausländerin“. Immer noch mit wenig Ahnung machte ich mich damals auf die Reise nach Israel, um als Volontärin in einem Kibbuz zu arbeiten. Ich hatte alles selber organisiert. (Es gab damals noch keine Anbieter für freiwillige Arbeitseinsätze in Kibbuzim.)
Im Hafen von Haifa wurde ich von einem Israeli abgeholt, der ursprünglich aus der Schweiz stammte. Dudel machte mir gleich klar, dass es morgen schon zu Ende sei mit Schweizerdeutsch und ich gleich jetzt mit der neuen Sprache anfangen könne: „Wosch e Miz tapussim, e Miz tapuchim oder lieber e Miz eschkolioth?“ fragte er im Restaurant. Ich entschied mich für den Miz tapussim und bekam Orangensaft.


Die Siedlung im Norden von Haifa auf sanften grünen Hügeln gelegen, machte mich sprachlos. Die Häuser waren umgeben von Gärten mit exotischen Sträuchern und Bäumen. Am Wegrand wuchsen Cyklamen und Geranien, die ich nur als Topfpflanzen kannte. Es gab sogar ein Schwimmbad. Beim Mittagessen im grossen Speisesaal (chadar ochel) lernte ich dann noch den Miz geser, den Rüeblisaft kennen. Dudel stellte mich einem Mann namens Akiva vor, der täglich die Arbeit an die Mitglieder der Gemeinschaftssiedlung verteilte. Wo ich arbeiten möchte, wurde ich gefragt. Ich sagte: „In den Obstgärten“. „Dazu bist du noch zu weiss“, übersetzte mir Dudel. „Du kommst vorerst in den Lul.“
So begann ich mein neues Leben in den Hühnerställen, welche beschattet wurden von ausladenden Maulbeerbäumen (Hühner können nicht schwitzen). Ich lernte, wie man sich im Hahnengehege Respekt verschafft, wie man die paartausend flaumigen Kükenbällchen ins Beinchen impft, wie man die paarhundert Eier einsammelt, das Futter aus den Silos richtig mischt, alles blitzsauber hält, so dass die gestrenge Chefin Eva zufrieden war.
Nach einigen Tagen war ich selber ein Huhn, das zutiefst bereute, in dieses Ausland gefahren zu sein.
Dann kam „Mischloach“ – das nächtliche Hühnerverschicken, an welchem in „meinem“ Kibbuz wirklich nur die Tüchtigen teilnehmen durften. Der absolute König hier war Mussa, und er wählte unter anderen auch mich aus! Mussa griff ruhig und gezielt in den Hühnerkäfig, fasste einen Vogel nach dem anderen an den Beinen und beförderte ihn in einen Gitterbehälter. War dieser voll, musste ich damit zum Lastwagen vor dem Hühnerstall fahren. Um das Federvieh nicht unnötig aufzuregen, wurde kaum gesprochen. Ab und zu kam der Nachtwächter auf seinem Weg zum Kuhstall (refet) vorbei. In der frühen Morgendämmerung fuhr der Lastwagen voll beladen Richtung Stadt davon. Das Mischloach-Frühstück war üppig. Nun, da die Hühner weg waren, wurde wieder laut geredet und viel geraucht – Nadiv ohne Filter.

Später, als ich braun war wie eine Haselnuss, durfte ich endlich in die Obstgärten (matajim), ausstaffiert mit Hut, hohen Schuhen, einer Felco-Baumschere und einem stetig wachsenden Wortschatz in Ivrith.
Ab und zu fuhr ich mit Mussa in den arabischen Ort Faradis, wo wir mit einem wichtigen Alten vor seinem Haus Tee tranken. Mussa sprach mit dem Mann arabisch und hatte nach geduldiger Verhandlung, besiegelt mit Handschlag, wieder einen Lastwagen Hühner verkauft.

Dudel, Eva, Akiva, Mussa (eigentlich Moshe) und all ihr anderen Chaverim und Chaverot, ich habe viel von euch gelernt und bin euch – wo ihr jetzt auch sein mögt – sehr dankbar für eure Freundschaft. Ihr seid unvergessen!

Juni 1967

Foto: Haas, Ende Mai 1967