Hanneli

Johanna Schenk, um ihren 5. Geburtstag, „Hungihüsli“ Biembach,
August 1927

Als Kind habe ich mich oft geärgert, wenn die Eltern uns z’Visite (zu Besuch) mitnahmen zu Leuten, bei denen wir einen guten Eindruck machen mussten und dadurch mit Sicherheit ein öder Sonntag bevor stand. Einer dieser Besuche führte uns – an Pfingst- oder Bettagen – von einer kleinen Bahnstation im Emmental zu Fuss hinein in ein enges Tal und dann steil hinauf über die Kuhweide, einer Haselhecke entlang zu einem Bauernhof. Vom finsteren Schopf trat man durch die Haustür in eine noch düsterere Rauchküche.. Der alte Bauer führte uns in die Stube, wo wir alle auf einer schmalen Wandbank Platz nahmen. Als nächste kam dann Frau Fankhauser, die alte Bäuerin, um uns zu begrüssen. Ihr Gesicht glich einem roten Herbstapfel und ihr Haar einem weissen zerzausten Vogelnest. Ihre Tochter Frida, die junge Bäuerin, sass meist auf dem Sandsteinofen uns gegenüber und sprach hauptsächlich mit meinem Vater, während sie mit einer Leidensmiene die mit schwarzer Salbe verklebten Stützverbände von ihren Beinen wickelte. Immer gab’s etwas zum Jammern: die Krampfadern, der nasse Frühling, die spät gesetzten Kartoffeln, das zugekaufte Heu, der Stall, der Mann, der Goggelüsche (Keuchhusten) vom Bub.
Vater hörte geduldig zu und Mutter machte einen zufriedenen Eindruck. Nach und nach drückten sich dann auch die schüchternen Kinder durchs Türgreis (Türrahmen), nuckelten an Schoppen, Schnullern oder Gungitüchern und schauten uns mit grossen Augen an. An den jungen Bauern, den angeheirateten, erinnere ich mich nicht. Wahrscheinlich war der Sonntag sein Vereinstag. Später holte die alte Frau Fankhauser mit einer Stange eine schwarze Wurst aus dem Rauch, brühte Kaffee auf und gab uns Zvieri. Dann machten wir uns wieder auf den Heimweg, rannten munter den Berg hinunter, traten in Kuhfladen und erreichten das Tal mit Grasflecken auf den hellgrauen Strümpfen oder weissen Kniesocken. Jetzt waren wir wieder frei.
Es sollte Jahre dauern, bis ich realisierte, weshalb meine Mutter solchen Wert auf diese Besuche legte und darauf achtete, dass die ganze Familie schön angezogen, gewaschen und gekämmt war.

Im Alter von kaum sieben Jahren kam sie als Verdingkind auf diesen Hof. Ihre beiden älteren Brüder waren bereits bei Bauern verdingt. Obwohl ihre Eltern fleissig arbeiteten, konnten sie mit zwei Hungerlöhnchen höchstens ein Kind ernähren. Schweren Herzens entschlossen sie sich, abwechslungsweise immer eines zu Hause zu behalten. Als dann noch ein viertes Kind, der Wernerli ankam, sollte auch er verdingt werden. Er weinte aber so bitterlich, dass seine drei Geschwister einverstanden waren, dass der kleine Bub zu Hause bleiben durfte. Meine Mutter blieb bis zum Ende ihrer Schulzeit bei Fankhausers verdingt. Neben zahlreichen harten Arbeiten auf dem Feld, einem beschwerlichen Käserei- und Schulweg musste sie auch noch für das Wohl der Bauerstochter Frida sorgen.

Kein Wunder, dass sich das ehemalige arme Tröpfli von Verdingkind gerne mit seiner eigenen (geputzten und gestrählten) Familie bei seinen alten Meistersleuten zeigte.

Ganzes Bild zum Ausschnitt oben, Sommer 1927

Puppe und Puppenwagen sind nur fürs Foto ausgeliehen.

Johanna Schenk als Konfirmandin, Frühling 1938

Meine Mutter wurde 1938 in der Kirche Krauchthal konfirmiert.
Von ihrem Meister Fankhauser erhielt sie eine neue Schürze. Das war mehr, als die meisten Verdingkinder zu erwarten hatten.