April 2009


Unser Ladenzentrum wurde rundum erneuert, aber die Mieterschaft lässt auf sich warten. Deshalb macht die Hausverwaltung bei allen Mietern eine schriftliche Umfrage, welche Geschäfte wir uns hier wünschten und welche wir regelmässig besuchen würden. Wir überlegen, debattieren, wägen ab.

Den „Optiker“ , den „Schuhmacher“ sowie den „Bücherladen“ könnten wir zwar gut gebrauchen, müssten aber dafür unsere angestammten Dienstleister für Schuh-, Seh- und Geisteswerk verlassen, was für genetisch veranlagt treue Kundschaft wie uns schwer vorstellbar ist.

„Drogerie“, „Reform“, „Teppichgeschäft“, „Kosmetik“, „Schüsselservice“, „Möbelgeschäft“, „Blumenladen“, „Computerladen“ und „CD- und Video-Shop“ weniger. Hingegen könnte dieser oder jener aus unserer Kleinstfamilie den „Sportartikeln“, der „Metzgerei“, dem „Brockenhaus“, dem „Fitness“ und der „Unterhaltungselektronik“ etwas abgewinnen. Auf den „Kiosk“ verzichten wir aus Gründen der Volksgesundheit.

Auf dem Formular gibt es vier Zeilen für eigene Vorschläge und hier überstürzen sich die Ideen: Ein kleines Ricardo-Bordell, wo jeder nach Belieben und Möglichkeit und Wirtschaftslage anbieten und kaufen könnte. Eine weitere Stelle für die kontrollierte Heroinabgabe, die Publikum aus dem ganzen Einzugsgebiet der Stadt ins Quartier bringen würde. Auch der Jagdbedarf und Bootsbau wird ja von der Innenstadt und den Shoppingzentren enorm vernachlässigt und könnte hier neu erblühen.

Wir einigen uns auf die Empfehlung für ein Geschäft, das Publikum von Auswärts anlockt, schliesslich geht es um Aufwertung und darum, der Ghettoisierung entgegen zu wirken. Wir schreiben „Pferde- und Reiterutensilien“ und „Tattoostudio“. 3rd, male besteht zusätzlich auf „Bowling- oder Billardcenter“.

Ganz klar benutzen wir das Wort, welches jüdische und muslimische Menschen beleidigen könnte, nicht! Ich bin sehr froh, dass wir für diese Grippe seit gestern einen newen Namen haben, welcher die Gläubigen nicht so in die Sätze bringt.
Kein Problem gibt es mit dem Schlämperlig „Schweinefleischfresser“. Das Wort darf unbedenklich weiterhin gebraucht werden. Wer sich beleidigt fühlt, ist selber schuld.

In der Institution, in welcher ich arbeite, kann man in diesen Tagen Seltsames beobachten. Frauen und Männer sitzen beim Kaffee und werfen dann plötzlich nacheinander die Arme hoch. Sie üben die „Welle“. Bis zum Spiel YB-Sion am 13. Mai sollte diese auch bei den Fusballgrünhörnern sitzen, so dass beim Cupfinal niemand mehr falsch „wellt“.
Mit einigem Bangen warten wir auf die angekündigten Konsequenzen, denn bei einem Ausschluss der Öffentlichkeit wärs auch mit der YB-Wurst Sense – ausser, wir würden uns in dieses Treppenhaus zurückziehen und auf die Bell-Männer warten.

Meine Eltern besassen nie ein Auto. Trotzdem machten sie mit uns so oft wie möglich ein Reisli. Sie reisten selber gerne und waren der Meinung, dass ein „Immer-in-das-gleiche-Loch-hinunter-Sch …“ dem Weitblick nicht förderlich sei. Sie liessen uns schon als Kinder alleine reisen, etwa zu einem Besuch bei Verwandten. Damit wir unterwegs nicht in den falschen Zug stiegen, avisierte unsere Mutter die Bahnhofhilfe.
Als wir Kinder erwachsen waren und nicht mehr nur ins Emmental, das Berner Oberland oder in den Tessin reisten, wurde es für Mutter schwieriger. Nur ungern liess sie uns in fremde Länder ziehen. Bei einem Schneesturm in der Toscana konnte sie ohne weiteres die Rettungsflugwacht losschicken, um ihre Tochter mit Kindern zu „evakuieren“. Haben wir uns damals oft genervt über unsere Mutter, die immer die Abwesenden am liebsten hatte und den Anwesenden mit ihrem Geklön das Leben schwer machte!
Nun reisen meine Kinder und Enkelkinder. Darüber freue ich mich sehr, reise in Gedanken mit, erhalte interessante „Post“, schicke keine Rettungsflugwacht bei Sand- und Schneestürmen in Texas und New Mexico oder Kosovo. Schliesslich will ich ja nicht sein wie meine Mutter.
Dass ich ein bisschen schlecht schlafe, die Tage zähle, bis alle wieder daheim sind und die Abwesenden henne vermisse ist natürlich etwas ganz anderes.

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Mit unseren zwei Kindern begleite ich meinen Mann zum sonntäglichen Abendrundgang, auf dem er jeweils Wasch- und Abfallraumtüren öffnet.

Im Erdgeschoss angekommen, treten sieben Männer, in „Bell“-Uniform ein. Da sich der Lift in den oberen Etagen befindet und sie nur in den 1.Stock wollen, steigen sie schwer beladen die Treppe hoch. „Sie bringen das Essen nach Hause, welches sie am heutigen Fussballmatch nicht verkaufen konnten“, klärte mich mein Mann auf.

Der Lift öffnete sich. Ein müder Tamile grüsst. Mein Mann stellt den Fuss in die Schiebetüre und informiert ihn kurz: „Morgen um 13:00 Uhr kommt der Storenmonteur.“ „Heute?“ „Nein, morgen.“ Der Tamile verwechselt Tag und Nacht, heute und morgen immer wieder. Er arbeitet Nachtschicht.

In den Waschküchen herrschte heute Ausnahmezustand. Einige AlbanerInnen durften ihre Teppiche reinigen, damit sie dafür nicht ständig den Autowaschplatz in der Garage in Beschlag nehmen und somit unzählige Schweizer verärgern.

Das Handy klingelt. Die Rufnummer unseres Lieblingsschwagers erscheint. Mein Neffe ist am Apparat. Zusammen mit seinen Eltern verlässt er in diesem Moment das Dead valley, das Tal des Todes. Es ist der tiefste Punkt der westlichen Hemisphäre und der im Sommer heisseste Ort auf der ganzen Welt. Zwischen Dünen, Büschen und Lava könne das Leben bis zurück zum Urknall erforscht werden, erzählt mir meine Schwester am Telefon. Nun reisen sie über Los Angeles weiter nach San Francisco. In einer Woche kehren sie zurück und wir feiern 3rd, male’s Geburtstag.

Vor dem Lift wünscht uns der türkische Taxichauffeur einen schönen Feierabend und eine gute Nacht.

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Ostereier auf Linsen in Langenthaler 1935

Dieses Jahr konnten die Osterhäsinnen aus dem 16. Stock zwischen Thun und Olten 150 Eier verteilen. (Die Osterhasen kümmerten sich geduldig um den Nachwuchs.) Dank der Unterstützung des Hausmeisters klappte es mit dem Färben auch am neuen Ort. Besonders die Espressomaschine auf dem Balkon war ein Hit. Herzlichen Dank für alle Geschenke, von denen einige schon vor dem Fotografieren verspeist wurden. Mit den warmen Handschuhen aus Bolivien bin ich für den nächsten Winter bestens ausgerüstet.
Mit herzlichen Grüssen über Bach, Fluss, See und Meer!

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Auf dem leeren Fusballfeld wird ein Film gedreht. Eine junge Frau in Schlabberhose und Turnschuhen läuft mit ihrem Hund, einem weissen Schnauzer, auf die Kamera zu. Noch einmal, nachdem der Regisseur ihr vorzeigte, wie er sich so etwas vorstellt. Wir bleiben ein bisschen stehen und ratiburgern, in welchem Sendegefäss des Schweizer Fernsehens so etwas gesendet wird. Wir sind auf Kräutersuche. Die paar sonnigen Tage liessen Gräser und Blätter spriessen, leider auch an den hintersten Borden zwischen Hundekot. Sogar auf den Spielplatz am Waldrand hat Hundchen seine Häufchen gesetzt – und weit und breit kein Frauchen oder Herrchen mit Gagisäcklein.
Ein Specht hackt auf einen Baumstamm. Wir können ihn nicht sehen und versprechen Kleinesmädchen, im Vogelbuch nachzuschauen. Obwohl es von Jahr zu Jahr schwieriger wird, haben wir genug kotlose Kräuter beisammen, um ins traditionelle Familien-Freunde-Nachbarn-Eierfärben einzusteigen.

Fast wie im Elsass

… in Castroville, Texas.
Meine Mutter musste sich immer lange gedulden, bis sie ein Föteli von ihren reisenden Kindern erhielt, schwarzweiss in einem „Aerogramm“.
Dank diesen ausgeklügelten SchwarzBeeren können die heutigen Mütter und Grossmütter beruhigt sehen, dass nicht alles wild ist in Texas.

Si hei ne am drüü am Morge us em Gfängnis greicht u si mit ihm uf Chlote gfahre. Verschnüert wie nes Päckli hei si ne zäme mit zwene angere Liberianer i ds Flügzüg verfrachtet. Dert het er ersch gmerkt, was mit ihm passiert, wiu er vorhär isch ruehig gschteut gsi. Einezwänzg Polizischte hei die drei gfesslete Afrikaner begleitet. Z’Monrovia (kaputteschti Houptschtatt vo dr Wäut) het ds Flugzüg kei Landeerloubnis übercho u het drum Gambia agschtüüret. Es het es rächts Bakschisch vo dr Schwizerpolizei bbrucht, dass die Behörde am Flughafe zwe vo dene dreine Schwarzafrikaner übernoh het. Mit nüt aus de Chleider uf ihrem Liib het me die Manne i däm frömde Land ihrem Schicksal überla.
Dr Trip isch no nid z’Änd gsi, mi het ja no eine gha zum Usschaffe. So isch me de uf Dakar gfloge u het dert probiert, die unliebsami Fracht los z’wärde. D’Senegalese hei de einezwänzg Polizische d’Päss abgno u gseit, die überchäme si ersch zrügg, we si dr Liberianer mitnähmi. Wius inzwüsche gäge Abe gange isch, het z’Flugzüg Kurs gäge Nordoschte gno u dr Übrigblibnig isch nach däm Tagesusflug wider i sim Schwizergfängnis glandet.

Heute traf ich die Bibliothekarin unserer Gefängnisses hier in der Stadt. Sie darf sechzig bezahlte Stunden pro Jahr arbeiten. Ihr Bücherkredit ist 0. Die Zelle, in welcher sich die Bibliothek befand, wurde vor einiger Zeit wieder ihrer ursprünglichen Bestimmung zugeführt und so versucht die Frau, auf jedem Stockwerk ein paar interessante Bücher aufzustellen. Das ist nicht einfach, da die Inhaftierten aus vielen verschiedenen Ländern stammen und bei den dem Gefängnis gespendeten Büchern selten etwas Passendes dabei ist. Ab und zu kauft die Bibliothekarin aus der eigenen Tasche ein Wörterbuch, z.B. Arabisch-Deutsch, was aber leider nur ein Tropfen auf den heissen Stein ist.