Er türmt sich in hohen Haufen in der Schauplatzgasse und vor dem Bundeshaus, versperrt den Zugang zu den „Lauben“. Der Verkehr muss umgeleitet werden, Verspätungen von Bus und Tram sind nicht auszuschliessen. Menschen stehen in Gruppen zusammen, reden und gestikulieren, lachen, wundern sich über die weisse Pracht. Durch Schauplatz-, Gurten- und Kochergasse weht ein kalter Wind, während es in der Spitalgasse heute frühlingshaft warm ist und man eigentlich die traditionellen lebendigen Osterhasen in den Loeb-Schaufenstern erwartet. Aber in den hinteren Gassen herrscht emsiges männliches Treiben. Lastwagen, beladen mit Schnee lassen diesen in die Gasse flutschen, Absperrgitter werden zusammengehakt, Tribünen und Brücken errichtet, Rohre verlegt, um das Schmelzwasser abzuleiten, Rivella-Zelte aufgebaut, Lautsprecher eingerichtet. Die Bundesgasse wird mit weissen Planen überdacht. Das Organisationskomitee, ernste, stämmige Herren in hellblauen Sportjacken, versprechen sich gegenseitig, dass die Temperatur bald sinken würde. Sie haben sonst nichts zu tun, alles läuft, generalstabsmässig, wie am Schnürchen. Bern steht ein Langlauf-Weltcup-Wochende bevor und die Arbeiter packen an, strahlen, machen ein Spässchen. Heute sind sie die Stars.
Ich nähere mich einer Gruppe von Buschauffeuren und frage:
„Woher kommt der viele Schnee?“
„Das isch dr Abriib vo öppe füfzäche Iischbahne i dr Schwyz“, wird mir erklärt.
Ich muss lachen, diese Schweizer verkaufen sogar den gleichen Schnee zweimal. Der eisige „Abfall“, der von den Bahnen gewischt wird, wird hier zur Langlauf-Schlaufe präpariert: Mit der Loipe zu den Zuschauern …
Cidhem, die Strumpfverkäuferin im Loeb, kann die Mittagspause kaum erwarten. Sie muss den Schnee sehen. Er gehört einfach zur Adventszeit. Es geht nichts über Bern im Schnee an Weihnachten.
Im Bus sitzen vor mir zwei albanische Frauen. Sie haben ein künstliche Weihnachtsgesteck gekauft und drapieren lachend die Blumen und Schlaufen neu. Die Jüngere trägt eine rote Umhängetasche mit Schweizerkreuz.
Dezember 2004
Sa 4 Dez 2004
Fr 3 Dez 2004
„Die Adventszeit ist für uns Lehrkräfte meistens eine unheilig schwierige Zeit.“ (November 04, aus einem Brief von der Schulleitung an alle SonderschullehrerInnen)
In der kleinen Pause beleidigt ein albanischer Nachbarsschüler die Mutter meines mazedonischen Schülers. Daraufhin bekommt der eine Halbwaise vom anderen Halbwaisen einen unheiligen „Bodycheck“, fliegt quer durch den Flur und bleibt liegen.
Die beschnittene Schülerin, 47kg, verprügelt den Katholiken. Nach meinem Einschreiten, taucht sie hinterrücks mit einem frisch gespitzten Bleistift auf und rammt ihn dem „Tsching“ in die Wange. Die Spitze musste im Spital entfernt werden. Der Italiener provoziert das Mädchen gerne, weil dieses immer unheilig spektakulär reagiert. Sie kann zwar nicht links und rechts unterscheiden, kämpft aber wie eine Tigerin, schreit wie die Vögel in „Ronja Räubertochter“, spuckt wie ein Cowboy und benutzt Wörter wie Nuttensohnscheidungskindhurensiechmongoloidbrillenschlangemissgeburtfiggdeinemutter.
Heute fand ein Elterngespräch statt. Ich war als erste im Schulzimmer, bemerkte nebenbei, dass schon die ersten drei Säckchen des Adventskalenders leer waren und zündete eine Kerze an.
Bisher hatten die Eltern jegliche Zusammenarbeit unterbunden und sind öfters umgezogen, wodurch die Töchter immer wieder den Schulkreis wechseln mussten. Mein Ziel war die heilige Unterschrift des Vaters für die Anmeldung seiner Tochter zur Abklärung auf der EB. Das Mädchen bereitet mir im ganzen Ghetto am meisten Kopfzerbrechen. Die schlaflose Nacht war jedoch umsonst, der Vater zeigte sich zur Zusammenarbeit bereit. War das das Ergebnis des Moduls „Gesprächsführung“ oder bewirkte der gestrige Bleistift-Vorfall die Kooperation des somalischen Vaters?
Mi 1 Dez 2004
Ich hatte einen Jacken-Wunsch aus dem Knabenheim zu verwirklichen. Habe ich gemacht und bin gestern mit dem Velo in die Abgeschiedenheit der Knabenheime gefahren (übertrieben, das Velo musste ich stossen, der Weg war definitv zu steil zum Fahren) und habe die Super-Jacke anprobiert. Aber sie war zu klein. Ich habe sie wieder mitgenommen und den Lauf zur richtigen Grösse in nützlicher Frist begonnen. Der Knabe geht nämlich am 15.12. in den Schnee und hat nicht etwa eine Alternative, nein, er hat eben nichts. Sondern als somalisch-kenyanischer Mensch einfach nur kalt.
Jedenfalls konnte ich die Sportgeschäftdame mit dieser Tränendrüsen-Geschichte, die nichts als die Wahrheit ist, davon überzeugen, mir die Jacke zu beschaffen, wo auch immer her. Direkt ab Händler muss ich aber 21.– CHF draufzahlen, deklarierte die Gute den „Haken“. Ich habe versichert, dass mir das nullundnix ausmachen würde (die Spende für die Minenkinder schrumpft zwar, mit denen verrechne ich das nämlich). Die nette Sportartikel-Dame hat aber noch einmal gefragt. Und ich habe noch einmal bestätigt und meinerseits gefragt, ob sie es schriftlich möchte? Worauf sie geantwortet hat: „Nein, nein. Hausfrauen glaube ich das.“
Yeah, ich bin eine Hausfrau. Sie hat den Nagel auf den Kopf getroffen. So fühle ich mich gerade und ich habe den Eindruck, dass es der Familie überhaupt nicht bekommt. Alle sind verdammt überllaunig.