Dezember 2005


Neben dem stattlichen Vorrat an Holzscheiten aus Tanne, Buche und Esche bestellt mein Vater jeden Herbst in der nahen Sägerei vier Tonnen Kugeln aus gepresstem Sägemehl. Meist braucht es im November, kurz vor dem ersten Schnee, noch einen zweiten ärgerlichen Anruf mit der Drohung, die Ware bei der Konkurrenz zu bestellen, bis die Ladung dann endlich eintrifft. Liefert der Chef persönlich, bezahlt mein Vater bar. Sonst wird das Geld in den nächsten Tagen per Post angewiesen. Auf keinen Fall wird mit unbezahlten Kugeln geheizt.
Auch der Kunstmaler im Dorf hält sein altes Bauernhaus mit solchen Kugeln warm. Er bezahlt mit Bildern. Die Kunstwerke werden im Haus des Sagermeisters ihrer Grösse wegen an an die Wände gelehnt und von der genervten Putzfrau ab und zu ein wenig verschoben. Sie passen auch sonst nicht zur Einrichtung im Heimatstil.
Vater ist der Meinung, man sollte aus den Bildern wieder Sägemehlkugeln herstellen …

Die Wochenteilung gestern war eine einsame Sache. Weit und breit kein Herr Hirsiger, der mir im Vorbeigehen schnell die neuesten Quartiernachrichten zurief, bekränzt mit guten Wünschen und der Frage, ob ich nichts vergessen hätte. Wie viele Nuss-Schokoladetafeln er im Laufe der Jahre für mich aus der Chuttebuese gezogen hatte, weiss ich nicht. Wie ein König thronte er sonst schon vor acht Uhr morgens auf einem Plastikstuhl vor dem „Denner“, streckte seine nackten Füsse in Turnschuhen wie kleine Schiffe von sich, umgeben von anderen Alten aus dem Quartier.
Diese Leere beunruhigte mich.
Heute traf ich eine der Frauen aus diesem Rentner-Kränzchen. Herr Hirsiger sei im Spital, er hätte eine Lungenentzündug. „Kein Wunder, wenn er sommers wie winters keine Socken trägt in diesem Durchzug. Selber schuld!“, sagt sie böse-besorgt.
Eben habe ich im Spital angerufen. Ich wurde mit der Schwester auf der Intensivstation verbunden. Da ich nur die Nachbarin sei, dürfe sie mir nicht sagen, wie es dem Mann gehe. Da müsse ich schon den Sohn fragen. Aber den Gruss richte sie ihm aus.
Den Christbaumschmuck seiner verstorbenen Frau hat Herr Hirsiger uns schon vor Jahren gegeben – damit er nicht verloren gehe.

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