Mai 2011


Er schnallt seine Beinprothese ab, legt sie neben die Treppe und deckt sie sorgfältig mit seinem braunen Badetuch zu. Nun sieht sie aus wie ein schlafendes Baby. Der Einbeinige macht einen leichten Hüpfer, taucht kurz ein ins kühle Wasser und schwimmt, nun unbehindert, zu seinen Freunden, die sich lachend über den gestrigen Jassabend unterhalten. So früh am Morgen gehört das Bad für einige Stunden den Alten. Seit ihrer Kindheit verbringen sie den Sommer im und um den Weiher. Ja, früher, da stieg man bei 16° ins Wasser, aber heute müssens, der alten Knochen wegen, schon 18 sein.
Ich vergesse meine Sandalen unter einer Bank, die inzwischen von drei zerbrechlichen alten Frauen in weissen Sonnenhüten besetzt ist. „Gerade wollte ich Ihnen die Schuhe bringen,“ sagt die mit der kecken Sonnenbrille. Einen Moment wundere ich mich, dass sie weiss, wem die Roten gehören, aber dann ist mir klar, dass sie die Schuhe der übrigen Badegäste alle kennt.

Am Zaun

Nie hätte ich geglaubt, dass man durch einen Maschendrahtzaun so viele Geschichten erzählt bekommt. Als ich im Frühling mit den Gartenarbeiten begann, gingen mir die ständigen Kommentare der Passanten ein bisschen auf die Nerven und ich nahm mir vor, den Zaun blickdicht zu begrünen. Die Schnecken taten sich dann aber an den Winden-, Reben- und Bohnensprösslingen gütlich und übrig blieb nur …

Geissblatt

… das Geissblatt – von Sichtschutz keine Spur. Die Leute gehen hin und her, von und zur Tramhaltestelle, bleiben weiterhin stehen und erzählen mir ihre Geschichten durch die Maschen. Sie erinnern sich an Gärten, die sie selber einmal hatten und verloren, von der Arbeit, die sie einmal hatten und verloren, von der Gesundheit, die sie hatten und verloren, von den Hunden, Katzen, Kindern, die sie hattent und verloren. Seitdem die Blätter und Stängel spriessen und wachsen gibt es keine Ratschläge mehr, sollte ich aber dann …

Rhabarber

… Rhabarber, Stangenbohnen oder Himbeeren zuviel haben,
man wäre dann schon Abnehmer.

Den diesjährigen Aprilscherz in meiner Tageszeitung habe ich nicht als solchen erkannt. (Die Familie durfte lachen: ha, ha). Manchmal kann ich Scherz nicht von Ernst untertscheiden, das stimmt. Gestern z.B. dachte ich zuerst an einen Scherz, bis ich verstand, dass es ernst …

Auch wenn der Briefträger gar keine Post dabeihat, erscheint er beim Kunden.

Was tut er denn ohne Post? Er schaut nach den Betagten und Gebrechlichen, checkt eine Befindlichkeitsliste für die Angehörigen ab (Fr. 4.90), um diesen dann Bericht zu erstatten. So ein beglückendes Winwin: die Einsamen sind nicht mehr einsam und freuen sich von Vormittag zu Vormittag auf den Besuch des Briefträgers. Für das unterbeschäftigte „Zustellpersonal“ sei das neue Tätigkeitsfeld ein „willkommenes Geschenk“, ausserdem müssten so wegen der neuen Sortiermaschine und den Mails statt Briefen und Postkarten nur 250 Stellen abgebaut weden.
Vorläufig sieht die Spitex in den Briefträgern noch keine Konkurrenz. Sollte die postalische Betreuung dann das Anziehen der Stützstrümpfe, das Einsetzen der Gebisse, den Gang zur Toilette, das Lüften der Wohnung, das Giessen der Blumen usw. überschreiten müsste man allerdings eiligst über die Bücher. Das Zielpublikum sei zwar zahlreich, aber so mirnichtsdirnichts überlasse man es nicht der Post.

Und was sagen die Boten und Botinnen zu diesen neuen Aufgaben?
Xaver Y.: „Ich hoffe, dass ich wieder Zeit haben werde, aufs Klo zu gehen, wenn ich muss, denn von oben wurde in den vergangenen Jahren verordnet, dass wir ausgeschissen zur Arbeit erscheinen.“

Artikel hier

Dä Chätzer het mi agfalle ohni Vorwarnig, het my Hals ine isige Ring gklemmt, über mim lingge Ohr e chalt brönnegi Flamme la läue u mer dr Chifer zuegschrubt. Dr Sidian het mi weder la lige no la hocke (stadtbärnisch „sitze“), verschwige de la schlaafe. Nüt hani me chönne mache. Im Garte het sech ds Gjät usbreitet u i dr Wohnig dr Stoub. Ke Wunger, das es mit däm Blog nid witer isch ggange.

Bevor ich an der Haltestelle aussteige, schaue ich verwundert meine linke Hand an. Sie trägt nichts! In der rechten schwenke ich mein zitronengelbes Spezial-Znünitäschchen, ein Geschenk von meiner fürsorglichen Schwester Rosy. Eine leere Hand mitten in der Woche, da ist doch etwas nicht in Ordnung! Es dauert einen Augenblick, bis ich weiss, dass meine schwarze Ledermappe fehlt. Habe ich sie in der Bank stehen gelassen? Nein, im abendlichen Gedränge stiess ich damit noch eine Frau im Tram – Exgüseeentschuldigung. Dann bin ich umgestiegen, schon mit genügend Händen. Die Papiere, die Listen und Notizen zu „meinem“ Lexikon, wenn die nun alle futsch wären.
„Es besteht eine Chance“, beruhigt mich Herr Fasel von Bernmobil. Er gehe der Sache nach, wolle mir in einer halben Stunde berichten.
Nun ist alles gut, die Mappe übernachtet wohlverwahrt im Tramdepot. Herr Fasel schaut persönlich, dass ich sie morgen um Neun im Infocenter von Bernmobil abholen kann. Dieser nette Mensch!

Zwerge mit Ziege

Die Alphorndrechsler, -fräser, -schmirgler lasse ich rechts liegen, werfe nur einen kurzen Blick auf die silbernen Rosenbroschen für die Bernertracht, verweile auch nicht bei der Trachtenschneiderei, wo das Bügeleisen dampft und gehe direkt zu den Platzgern. Nicht weit gefehlt, und der Senior aus Steffisburg (Verein Berner Oberland) hätte mich mit seiner Leidenschaft für diesen archaischen Sport, es braucht dazu Lehm, Holz, Eisen und vollste Konzentration, zum neuen Vereinsmitglied gemacht. Nur mein volles Altersprogramm hindert mich an einem Beitritt. Aber nun raus aus der Traditions-Halle hinüber zum Grossvieh.
Auf ein Gastland an der BEA wird heuer verzichtet, man hat ja so wunderschöne eigenen Gegenden wie das Emmental, da muss man doch nicht in die Ferne schweifen.
Um so erstaunter bin ich, beim Grossvieh etwas Ausländisches anzutreffen: das Texas Longhorn. Diese, in der Schweiz noch einzigen Rinder (irgendwo gibt es noch ein Kuhkalb) samt Besitzer (Cowboy mit Hut) aus dem baslerischen Buus sind bei uns zu Gast. Mir gefallen die Tiere ausnehmend gut, immer besser, je mehr der Cowboy ins Schwärmen gerät. Die Texas-Longhorn-Kuh ist eine „freine“ Mutter, lernfähig, intelligent, zutraulich, anpassungsfähig, widerstandsfähig, genügsam, langlebig, leichtkalbig, schaut wunderbar zum Kalb, ihr Fleisch ist fett- und kolesterinarm und sie hat wunderschöne, bis zu 2 Meter lange Beine Hörner. Der Cowboy ist zusammen mit mir, von so viel Qualität hingerissen. Ich hätte sehen sollen, erzählt er, wie geduldig und lieb dieses hier ausgestellte Muttertier beim Fotoshooting für den Bauern-Erotikkalender mitgemacht hatte. Stundenlang habe sich das Model in den verschiedensten Posen angelehnt. Die Texanerin habe es gelassen genommen. Nur meine begrenzten Platzverhältnisse hindern mich daran, das nächste Kuhkalb zu bestellen. Geschlachtet werden die Reinrassigen noch nicht, denn dafür sind es noch viel zu wenige hier im Land. Aber mit dem Texas-Muni werden natürlich andere Rassen gekreuzt und das gibt dann das Leckere für den Teller.

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