September 2011


„Sie können sich nicht vorstellen, wie eng wir durchmussten. Zu viert in einem Bett schlafen, erst mit 15 ein eigenes, sommers barfuss laufen, samstags Steine auflesen und jäten. Weils nichts kostete, bei den Pfadfindern mitmachen.“
Eigentlich war er schon als Kind ein Sammler, aber was der Bub vorne ins enge Armeleutewohnigli herein trug, warf seine Mutter hinten wieder hinaus. Wenn die Bereitermusik am Haus vorbei zog, war er zur Stelle. An ein eigenes Instrument war nicht zu denken. Der einzige Anzug, den ihm sein Vater unter Abwägen und Werweisen kaufen konnte, war der zur Konfirmation. Kurz darauf war’s dann auch die Trauerkleidung zu Vaters Begräbnis. Die Familie wurde noch ärmer, sollte sogar bevormundet werden. Ab nun war sein Motto: „Ich will!“, was bedeutete, weg aus dem Armeleutemief, weg von der endlosen Rappenspalterei, dem Verzichten und am Mundabsparen.

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Itz isch ds Sylvie o gange, het sech am Abe i ds Bett gleit u isch für gäng igschlafe. Will es ds Telefon vo Fründe nid het abgnoh, hei die am Huswart aglütet. Dä het de schliesslech d Polizei mit em Ma vom Schlüssudienscht la cho. Es het duuret, bis me d Tür het chönne uftue. Ds Sylvie het drum es Sicherheitsschloss la montiere. „Schad, hani nid no chönne ga Adieu säge“, het dr Huswart gseit, „es het halt alles dr polizeilech Wäg gno, die hei niemere me inegla. Schad, dass die Frou so schnäll isch gstorbe, si isch so ne Nätti gsi.“ „E bessere Tod cha me sech ömu nid wünsche,“ meint d Frou Huswart.
I ha ds Sylvie nid guet kennt. Vor zwöine Jahr het’s mer amene Feschtli ds Du atreit u gseit, i sölls doch einisch cho bsueche, äs würd sech fröie. I has versproche, has würklech im Sinn gha, gäng isch öppis drzwüsche cho. Drby hätte mer viel z rede gha, über Büecher, Kunst u Chouf u Louf z Bärn. I wirde ds Sylvie vermisse. Niemer isch meh wien äs, immer guet frisiert, mit emene wisse Blusli, drüber es hellblaus Jäggli u o am Wärchtig e schöne Guldschmuck – u obwohl e Bärnburgere – nie isch es von oben herab gsy.

Im vergangene Jahr sy es paar für gäng gange wo me vermisst.

Stopnichtrechtzeitig!!

(Pippilothek??? ISBN 978-3-7152-0620-2)

Die Heilpädagogin besucht die öffentliche Mediathek ihres Schulkreises, mit dem Ansinnen, sich eine Lehrerinnen-Bibliothekskarte ausstellen zu lassen. Auf dem Weg zur Theke nimmt sie ein Buch über tibetische Kinder, die über den Himalaya nach Indien flüchten vom Regal. Sie legt der Bibliothekarin ihren Wunsch nach einer Karte vor. „Ist das ein Buch für die Schule, welches Sie hier ausleihen möchten?“ „Nicht unbedingt, aber mein Wissen, wenn ich das Buch gelesen habe, wird sicher früher oder später in den Unterricht einfliessen.“ „Wenn das Buch nicht für die Schule ist, dürfen Sie es nicht mit der Lehrerinnen-Karte ausleihen, dann müssen Sie eine private Karte lösen.“ Ups! Auf eine zweite Karte wird in diesem Fall verzichtet.
Nun hat die vorwitzige Heilpädagogin noch einen weiteren Wunsch. Sie begleitet nächste Woche über 200 Kinder in ein Herbstlager in den Tessin. Da sämtliche Unterhaltungselektronik nicht erlaubt ist, plant die Lehrerin eine Bücher-Plauder-Treff-Ecke. Obwohl im Kollegium schon ausgiebig über ihr Vorhaben gespottet wurde, steht sie nun in der Mediathek, um für die 230 Kinder eine Kiste Bücher zusammenzustellen.
„An wie viele Bücher haben Sie denn gedacht?“, fragt die Bibliothekarin. „Ja, mindestens an hundert für so viele Kinder unterschiedlichen Alters.“ „Das darf ich nicht machen. Ich kann Ihnen höchstens vierzig geben.“ Die Bibliothekarin hat schliesslich Vorschriften zu befolgen.

(Die Mediathek gehört einer Gemeinde, in welcher vor einigen Tagen ein Kinderbuchfestival statt fand.)

„Ihnen muss ich es ja nicht sagen, dass Sie zu den Büchern Sorge tragen müssen,“ verabschiedet sich die Bibliothekarin.

Zu Hause packt die Heilpädagogin ihre eigenen Comics in eine Kiste.

aufunddavon

Dass Ramadan vorbei ist, ist wirklich ein Grund zum Feiern, ich bin jedes Mal erleichtert. Nie habe ich einen Fastenmonat ohne hochhergehende Emotionen und ohne zerdeppertes Geschirr erlebt, ganz egal ob die Leute um mich herum gläubig sind, ganz egal ob sie wirklich fasten. Zu Beginn dieses Fastenmonats ist der Vater meines Schwagers (2nd2nd, male) gestorben. Auch wenn er kaum ein Wort mit seinem verstossenen Sohn gewechselt hat, war sein Tod für diesen traurig, er machte Reisen und schwierige Begnungen nötig, es war ein gefühlsmässiges Minenfeld. Mitten im Fastenmonat hatten wir hier ja auch noch das eine oder andere rassistisch verwertbare Verbrechen, was der Grundstimmung nicht gerade zuträglich war.

Der ältere Bruder meines Schwagers hat die ganze Familie Blogk ja seit jeher abgeschrieben. Inzwischen ist es soweit, dass er seine Kinder aus dem x-ten Stockwerk anschreit, wenn sie mit ihrem Cousin und ihrer Cousine, also mit meiner Nichte und meinem Neffen, draussen vor dem Block spielen. Aus dem Hochhaus muss man ziemlich laut schreien und drohen, um die eigenen Kinder dazu zu bringen, sich auf dem Spielplatz unter einen Baum zu setzen und nicht mehr zu bewegen. Aber es funktioniert. Er ist nun das Familienoberhaupt und befehligt neben seiner Frau, seinen Geschwistern und Kindern nun auch die verwitwete Mutter. Der jüngere Bruder meines Schwagers hat seine Lehre erfolgreich abgeschlossen und nun eine Braut aus dem Heimatland bekommen. Mit der Schwester meines Schwagers hatte unsere Familie bisher ein gutes Einvernehmen. Aber nun hab ich sie am 5. Geburtstag unserer gemeinsamen Nichte beleidigt und erzürnt. Ohne Absicht, aber das spielt keine Rolle. Da war noch Ramadan.

Bitte, Allah, schaff ihn ab.