Alles oder nichts


Ich komme

Sommernotizen aus der geheizten Stube

Schon immer war er da, der Mann mit dem Früchtestand hinter den Dünen. Pfirsiche, Tomaten, Melonen, Aprikosen, alles Früchte aus der Region. Die Bilder, welche ihn mit verschiedenen Filmstars zusammen zeigen, hat er inzwischen von seinen Autoscheiben entfernt. Etwas Flottes hat er immer noch mit seiner Mütze und dem Ringelshirt, welches er bei besonders heissen Temperaturen bis über die Brustwarzen aufkrempelt. Mit einem Fischmesser putzt er die angeschlagenen Früchte und verteilt die saftigen Schnitze an die Kundschaft.

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Beim Einkaufen treffe ich meine ehemalige Schülerin Aliva. Sie wohne nicht mehr im Quartier, sei ans andere Ende der Stadt gezogen, um Distanz zu Familie und Verwandtschaft zu bekommen. Vor dem Umzug habe sie den Eltern noch die Arzttermine organisiert, ihnen die Bus- und Bahnabonnemente erneuert und Winterkleidung eingekauft. Sie habe Vater und Mutter auch gezeigt, wie sie mit dem Postauto Alivas Bruder auf dem Land besuchen können. Ahmed sei mit Frau und Kindern in ein Dorf gezogen. Er wolle nicht, dass seine Kinder mit lauter Ausländern in den Kindergarten gehen müssten. Auf dem Land seis in dieser Hinsicht besser, wenig Ausländer und im Gegensatz zur Stadt, alte erfahrene Kindergärtnerinnen.
Aliva habe sich zurück gehalten und dazu nichts gesagt. Es sei dann aber doch noch zu einer Auseinandersetzung gekommen, als sie sich weigerte, ein Papier für Verwandte zu unterschreiben. Demnach wäre sie die Tagemutter der verwandten Kinder, und ihr „Gehalt“ könnte von den Steuern abgezogen werden. So etwas möge sie nicht machen, habe sie nie gemacht und sei damit gut gefahren. Nie hätte sie die geringsten Probleme mit Behörden gehabt. Nun brauche sie, Aliva, etwas Ruhe. Im Heim, wo sie arbeitet, waren in den letzten Wochen viele Pflegekräfte krank und sie hatte als ausgebildeten Fachfrau einige Zusatzdienste zu leisten.
Im Sommer waren ihre beiden Söhne zu Besuch in der Schweiz, zum ersten Mal nach ihrer Entführung. Es gefiel ihnen nicht besonders hier. Sie waren die vielen Regeln nicht gewohnt, die es hier zu befolgen gibt. Dagegen sei das Leben in einer Hauptstadt im Nahen Osten unendlich viel freier. Auf dem Gymnasium lernen sie neben Arabisch auch Französisch. Aliva möchte, dass sie später einmal in der Suisse romande studieren können, einer Musik, der andere Mathematik.
Sie selber macht immer wieder Weiterbildung in ihrem Beruf. Sie wird von den Kollegen und den Patienten geschätzt – mehr, als von der eigenen Familie.

Eine von mir hoch geschätzte, oft gekaufte und verschenkte Zeitschrift wie das Lettre International liess den Bankvorsteher Herr Sarrazin eine Vorlesung halten, anstatt ihn kritisch zu interviewen. Damit nicht genug, die Redaktion stellte den Ausführungen im ganzen übrigen Themenheft „Berlin“ auch nichts Brauchbares entgegen. Keinen Bericht zum Beispiel über die grenzenlose, niederschwellige und wegweisende Jugendarbeit, die in Berlin häufig und mit geringen Mitteln gemacht wird. (Unser Quartier profitiert von der Einwanderung berlinerischer Sozialarbeiter „mit Migrationshintergrund“, die verdammt gut mit Rückschlägen umgehen können und die hier bei den Indigenen des Quartiers wie auch den Migrantinnen und Migranten hohe Akzeptanz geniessen.) Nun muss ich also auch noch damit leben, dass offenbar viele Sarrazins Äusserungen gut fanden.

Ich bin die erste, die Probleme in der Integration anspricht, die sich unbeliebt macht bei den Zugewanderten, die mehr Sonderbehandlung möchten, bei den Alt-Sozialisten, die so manche Verordnung für ungerecht oder gar rassistisch halten, bei den Stammtischgängern, die einfach mal draufhauen wollen, beim Steuerzahler, der sich vom Fremden und Anderen immer und ewig geplündert fühlt.

Aber Pauschalisierungen schaffen Ungerechtigkeit. Und Pauschalisierungen in den Medien sind Gift. Nur gehört das heute offenbar zum Geschäft, immer mit der Begründung, dass es gefragt und alles Differenzierte so teuer sei. Medien, die Gegensteuer geben, werden wenig beachtet. Nun braucht also sogar die von der Intelligenzia der Friedensbewegung mit Elan, Herzblut und Gemeinsinn gegründete Kulturzeitschrift den „Kampf der Kulturen“ für ihre Auflage.

Als Antwort der pauschal Verurteilten können wir den Tastaturschlag in die Fresse lesen (danke, kaltmamsell). Gegen den moralischen Zerfall der Politik und Medien in Integrationsfragen müssen wir jedoch alle selber argumentieren und schreiben und – in der Schweiz – auch abstimmen:

Nein zur Volksinitiative für ein Minarettverbot, nein zur Diskriminierung, nein zum Eingriff in die Grundrechte. Nein.

Dafür jeden Tag wieder ja zur Bildung für alle, ja zur Aufklärung, ja zur Chancengleichheit, ja zu unserer Verfassung.

Integration ist schwierig. Für jeden und beidseitig. Danke für die Kenntnisnahme.

Zuerst bügle ich den festen Saum der buckligen Plane. Als Markierung habe ich vor der Wäsche einen grünen Faden angebracht. Dieser Teil kommt seitlich rechts. Anspannen und auch seitlich links und vorne überziehen, Kante auf Kante in die Falze streichen, Rückenteil hinunter ziehen, anschliessend die Falten mit dem Dampfbügeleisen ausbügeln. Dann die Befestigungsrohre in die Vertiefungen drücken – je eins seitlich und eines hinten und an den unteren Kanten die Klettbänder festdrücken. Darüber lege ich ein handgewobenes Leintuch mit gesticktem Monogramm aus der Aussteuer von Albert.

Fertig!
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Herbstfarben

Nicht oft, aber in der vergangenen Woche wieder einmal, fragte ich mich etwas havariert und ausser Atem: „Wie habe ich das früher gemacht?“ „Da warst du ja auch noch jung,“ meinte mein älterer Enkel (3rd, male). Gerade hatte er den beiden Kleinen mit der Musik „Once upon a time in the west“ zum mittäglichen Schlafen gebracht. Hm, am Alter soll es liegen, dass ich nach ungezählten „Der standhafte Zinnsoldat“ und „Die Torte ist weg„, einigen Memory-Runden mit anschliessender Kärtchensuche zwischen Sofakissen und unter Teppichen, Salat, Gemüse, Huhn im Ofen, Apfelmus, Füttern, Wickeln, 2 Maschinen Wäsche, Händchen-, Mündchen, Zähnchenreinigung, Unterstützung der Gehversuche von Kleinesbübchen, Frisieren von Kleinesmädchen undsofort ein bisschen zerknautscht aussehe? Schon möglich.
Kleinesbübchen kann zwar noch nicht gehen, aber auf den Deckel der Abwaschmaschine und in das drehbare „Ei“ klettern. Kleinesmädchen wird von ihrem Cousin (3rd, male) nach und nach in die Geheimnisse des Fussballspiels eingeführt und ich finde mich damit ab, an solchen „Kindertagen“ nicht perfekt zu sein.

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95% seien begeistert von der Oper im Quartier. Der Rest fühle sich besonders von der Spider-Kamera in der Privatsphäre gestört. Die glänzende Spinne hängt an zwischen den Blöcken verankerten Tauen und blinzelt rot, wenn sie daran auf und ab kraxelt und filmt. Seit Juni wird mit den einheimischen Statisten gearbeitet. Frau Schneider und Frau Burger wurden aus einem grossen Angebot als Waschfrauen ausgewählt. In der Waschküche waschen sie ihre echte Schmutzwäsche, während daneben in den höchsten Tönen gesungen wird. Frau Schneider hat noch einen weiteren Auftritt in einer Szene vor der Pizzeria. Dazu musste sie sich einen Partner suchen, um mit ihm untergehakt über den Platz zu gehen. (Die Suche erwies sich als schwierig, da einige der angefragten Männer das Gerede fürchteten). Nun träppelet der Mann einer Nachbarin mit der „Waschfrau“ Arm in Arm durchs Bild – kein Problem. Unter der bunt beleuchteten Brücke singt die schwindsüchtige Mimi herzzerreissend. „Sicher stirbt sie bald.“ „Nein, nein, nicht hier in der Öffentlichkeit“, meint eine Frau mit Rucksack. „Sie stirbt zu Hause in der WG.“

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Rosen Orchideen.
Bei Herrn Feldmann steht ein Blumentopf auf dem Schreibtisch. „Wenn du nicht bald blühst, werfe ich dich weg!“ Jahrelang droht der Mann der verselbelten Pflanze. Endlich, nach fünf Jahren, entschliesst sich diese zu neuem Blühen. Herr Feldmann, ein pensionierter Kinderarzt, ist glücklich und erzählt es dem Hauswart.

Als ich zur Bushaltestelle komme, ist der Streit schon in vollem Gange.
„Du schwarze Aff, gang zrugg uf Afrika, am beschte imene Flugzüg mitere Bombe drin!“ wettert die ältere Frau, und weicht keinen Schritt zurück, als der Beschimpfte auf sie zukommt: „Du Schlange mit Gift, pass uuf, wotjusei!“
Ich stelle mich neben die Frau, nehme sie leicht am Arm: „Chömet, löt ne la si, das bringt doch nüt.“ Frau schaut mich freundlich an und beruhigt sich erstaunlich schnell. Der schwarze Mann gehört zu einem kleinen Jungen und einer Frau mit schweren Koffern. Er ist immer noch zornig und verlangt, dass die Giftschlange das mit dem schwarzen Affen und der Bombe wiederholt. „I ha gseit, was i gseit ha“, zischt diese halb hinter meinem Rücken. Der Junge kommt, schlägt mit kleinen Fäusten auf Vaters Beine und versucht, ihn weg zu zerren. Die schwarze Frau, die sich bis jetzt nicht eingemischt hatte, öffnet eines der Gepäckstücke und nimmt ein Buch hervor. Es ist in Leder gebunden und mit zahlreichen Merkzetteln versehen. „Das ist die Bibel und hier drin steht, dass wir einander mit Liebe begegnen sollen“. „Isch mir egau, was dert steit, i ga nie id Chiuche.“ Die Bibelfrau sagt, dass die Erde allen gehöre und die Hautfarbe bei der Liebe Jesu zu den Menschen keine Rolle spiele. Ein junger hünenhafter Tamile nimmt seine Ohrstöpsel raus und versucht der Predigerin klar zu machen, dass es sich hier um einen hoffnungslosen Fall handle. Der Tamile und ich entschuldigen uns, schon wegen des Jungen. Wir helfen das Gepäck im Bus verstauen. Auf dem Rollkoffer steht „Jesus.com“

Endlich kommt ein „Auswärtiger“ und sagt über das sonst so geschmähte Quartier etwas Nettes.
Das wird sicher wunderbar. Ausserdem lernen wir nach den begabten Rappern mit albanischen Wurzeln, einmal einen albanischen Tenor kennen.
Ja, ja, ich weiss, dass die Moderatorin Sandra S. es schafft, einem die beste Sendung zu vermiesen

Lesemaus

Ein grosses Kompliment an die Stadtbibliothek Winterthur.
Dort liess man den ganzen Sommer über die Lesemäuse fliegen
und heute gibts das grosse Schlussfest.
Nach einem Ende mit Lesen siehts aber an diesem Tag nicht aus.
Im Untergeschoss der Stadtbibliothek wird emsig neuer Lesestoff ausgesucht.

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Traumzeiten für die Gnädigen Herren von Bern, als „Letsche“ und „Ribanden“ an „Schlüpffen“ ein Sitzungstraktandum waren:

Ins gemein
Von sammetigem und seidigem Zeug
Soll männiglichen ohne Unterscheid zu allen Zeiten und an allen Orthen zu tragen verbotten seyn aller glatter und blümter Sammet, Atlas, Procatels und Brocards, auch Caffe, von was Farb und Gattung das immer sein mag.

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Wenn die Waschküche geöffnet sei, müsse er als Hauswart „ume si“, denn es gebe immer irgendwelche Probleme. Etwa mit den Schlüsseln zu den Trockenräumen. Jemand nehme die Wäsche nicht zur Zeit ab, behalte den Schlüssel in der Wohnung und habe sich womöglich nicht eingeschrieben. So wisse man nicht, wo läuten und suchen.

Einer, dem der Waschküchenschlüssel nicht zu gering war, um diesem ein literarisches Kränzchen zu winden:
Am 18. August hat er ihn auf immer weitergegeben.

Heute früh habe ich in meinen Ferienfotos nach einem passenden Bild zum anbrechenden heissen Tag gesucht.

Salzernte

Bald wird dieser Salzberg gereinigt, verpackt und mit dem Walfisch geschmückt in die Küchen rund um die Welt verschickt.
Die „Fleur de Sel“ ist handgepflückt (cueillie) und der Salzmann (saunier) klebt ein Etikett mit seinem Namen auf die Dose.

Heute schwitzen wir halt wie die Ankenbettler, was besonders für die Ankenbettlerinnen nicht so vornehm ist, aber es ist Sommer, und ich will jetzt kein Gejammer über die Hitze hören, bitte.
(Kranke natürlich ausgenommen)

Der Bus sucht sich seinen langen, holprigen und kurvenreichen Weg zwischen den Baustellen des Trams Bern West. Es stinkt indisch. Aber vielleicht denke ich das nur, weil meine geruchsinnige Erinnerung an Indien so weit weg ist. Die Pomade der Afrikaner, die Deos der Halbstarken, die angebissenen Kebabs, die halbvollen Windeln der unzähligen Bébés, das Sandelholzparfüm der Frau aus der Lorraine, die neu ein GA hat und nun die Stadt erkundet und meine eigene Ausdünstung drohen mir beinahe den Rest zu geben.

Da sticht eine saubere Gemeinderätin durch den schmalen Gang im Bus und fragt das ältere Paar in meinem Rücken, wo sie austeigen müsse, um in ein bestimmtes Altersheim zu kommen. Das Paar fragt nach der Adresse und die Gemeinderätin zieht einen tadellosen Ausdruck eines Outlook-Termins (auf Umweltpapier) aus einem Mäppchen und nennt die Strasse samt Nummer.

Da wird es komplizert. Zuerst sagt der ältere Herr sie solle „bei Stöckacker“ raus – andererseits, gibt es diese Station überhaupt noch? Nein, meinen die einen, ja, die anderen, die Station heisse bloss anders. Eine dritte Gruppe erklärt entschieden, nicht der Name, sondern die Lage der Station habe gändert, sie liege neu 200 Meter weiter in einer Seitenstrasse. Aha, dann müsste die Gemeinderätin einfach von dort auf die Hauptstrasse und dann Richtung Brücke laufen. Oder nein, nein, die Brücke, die gebe ja gar nicht mehr. Also, dann solle sie einfach Richtung der nächsten – im Moment nicht angefahrenen Busstation „Säge“ (sie wisse doch welche, oder?) gehen, dann komme sie automatisch am gewünschten Altersheim vorbei. Die Gemeinderätin bedankt sich freundlich, die Problematik fällt in ihr Fachgebiet. Sie studiert im Stehen ihre Sitzungsunterlagen und streicht die Hälfte mit Stabiloboss an. Ich versuche herauszufinden nach welchem Schema sie vorgeht und vergesse einen Moment den indischen Bus-Koller. Gemäss den Papieren ist die Gemeinderätin unterweg zu einer Sitzung eines Komittees für ein Baufest fürs Tram Bern West „TBW“.

Aber dieses Altersheim, meint der alte Mann viele Busstationen später, dieses Altersheim sei dann ein Block.

Ausser den Bratwürsten gebe es alles noch, was auf der Karte stehe. Der „Gnuschsalat“ sei ein gemischter, aber eben nicht „getischelt“, sondern durcheinander. Die „Annebäbi-Meringue“ sei auch als halbe Portion zu haben, und die Käseschnitte gebe es auf Wunsch mit Spiegelei, Schinken, Birne, einzeln oder alles zusammen. Die einheimische Kellnerin erklärt die Speisekarte, welche mit einem Alpenpanorama verziert ist, jeder Gipfel mit Höhenangabe. „Die Gäste fragen mich immer nach den Namen der Berge und ich sehe so schlecht, deshalb haben wir das Panorama auf die Karte gedruckt. Wem das zu klein ist, der kann ins Säli, wo die grosse Karte hängt.“
Durch das Fenster mit den weissen Vorhängen sieht man über Hügel, Täler und Wälder auf die Bergketten. Hier auf der Egg ist es eine Kutte kälter als in der Stadt, und eine Käseschnitte aus dem Ofen ist an diesem Augustabend gerade richtig.
Zwischen Kuhglocken mit gestickten Riemen, altmodischen Postkarten und Vereinspokalen, dort wo der Wirt sagt „Exgüsee, darf-i störe“, wenn er das köstliche Essen selber serviert, fühle ich mich in einer völlig anderen Welt. Man erwartet jeden Moment, dass Ueli, der Knecht mit der Glunggenbäuerin auf dem Pferdewägeli … Nein, es sind ein paar Pensionierte, die Wolfskin-Jacken aus dem Kofferraum ihres Autos nehmen.
Der Heimweg durch den Wald ist „finster wie in einer Kuh“.
Aber ich habe nicht verlernt, im Dunkeln zu sehen – zum Glück!

In den 90er Jahren wurde in der Stadt Bern besonders viel geküsst. Das lag daran, dass wir eine Gemeinderätin hatten, die beinahe allen – linksrechtslinks vor das Ohr – einen Kuss verpasste. Durch ihren legendären Mann kannte sie Krethi und Plethi, und gehörte man bei irgendeiner Gelegenheit zu ihrer Entourage, ging das Geküsse los. Man wurde von den fremdesten Frauen und Männern geküsst. Einige unterbrachen dabei ihren Redeschwall vor meiner Nase nur kurz. Heute muss ich natürlich schmunzeln, wenn ich an diese aufgezwungene Nähe denke. Ich habe keine Ahnung, ob solche Kusskultur im jetzigen Gemeinderat weiter gepflegt wird. So oder so machen sich Berner und Bernerinnen in Erwartung der nahenden Schweinegrippe über neue Begrüssungsrituale Gedanken. Mein Bürokollege trägt in einer extra seitlich auf die Hosenbeine genähten Tasche ein Metermass bei sich. Ein Familienmitglied ist überzeugt, dass man grussmässig das Rad nicht neu erfinden werde und z.B. mit dem ausgestreckten rechten Arm der vom BAG empfohlene Abstand … Nein!!
Das Notszenario in meinem Betrieb steht, die Hygienemasken, drei pro Tag und Person, sind bestellt. Wenn wir Informationsflut zur Schweinegrippe überleben, haben wir noch eine Chance, davonzukommen und halt wieder geküsst zu werden.

Also die Blöcke stehen noch, auch der neue Garten ist noch da. Seit unserer Rückkehr füllen wir Kaffeekrüge und Waschmaschinen gleichermassen und sind bald soweit und ganz aufgeräumt. Die Kinder – beim Grössten müssen wir das Wort schon fast in Anführungsstriche setzen – sind gern wieder daheim. Sie trommeln ihre Freunde zusammen, holen Legos und Weetos aus den Schränken und freuen sich, ihre Muttersprache zu sprechen und zu hören. Auf dem Spielplatz wurden beide Schaukeln gestohlen und die Bewohner, die vor den Ferien entsprechende Drohungen ausgestossen hatten, wurden bereits von der Hauswartsfrau zur Rede gestellt. (Sobald ein Spielplatz seinen Zweck erfüllt, ist er nicht mehr ruhig und macht sich Feinde.)

Wir gewöhnen uns alle langsam wieder Kleider und ein eiliges Tempo an und die Flip-Flops ab.

Für Block-Kinder, die sich Häuschen nicht gewöhnt sind, ist sogar die Umstellung auf ein Mobilehome gross. Es klingt ja alles anders da drin und darum herum so nah am Boden.

3rd, female war erst überrascht, beim Rauslehnen aus dem Fenster nicht gerügt zu werden. Sie drehte sich zu uns um und stellte trocken fest:

„Block höch, Hüsli nid höch. Bim Usegheie nid tot.“

Kraut am Stiel

Die Handys sind ausgestiegen, ebenso die Fotoapparate und die Elektronik des Autos, das Bein des Hockers im Wohnzimmer ist kaputt, die Zuglinie über Lyon in den Süden ist durch Baustellen unterbrochen, so dass Züge ausfallen oder sich um Stunden verspäten, ich habe zwei verschieden grosse Schuhe gekauft und es nicht bemerkt und Marwa, die mit uns in die Ferien fahren wollte, ist leider krank geworden. Soll man da überhaupt verreisen?
Wir versuchens.
Für die Balkonpflanzen ist gesorgt und der *Garten wird auch gegossen, wenn das der Regen nicht erledigt.
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Bluemlisalp

Heute winde ich meinen Arbeitskolleginnen und -kollegen ein Kränzchen. In der Regel kommen sie in blogk nicht vor, auf keinen Fall ungefragt. Aber heute mache ich eine Ausnahme, denn sie haben mich zu meinem Geburtstag auf den Thunersee eingeladen. Auf der „Blümlisalp“, meinem Lieblingsschiff (Minititanic), ist eine Feierabendfahrt bei jedem Wetter wunderschön. Es gibt ein kurzes, heftiges Gewitter mit nervös blinkenden Warnlichtern dem Seeufer entlang. Der putzige Dampfer stampft tapfer von Merligen nach Spiez, schlägt dort etwas brüsk an den Landesteg. Aber schon in Hilterfingen lässt der Regen nach und die an der Ländte versammelten Trachtenfrauen und Alphornbläser jodeln und blasen übers aufgewühlte Wasser, bis sich der Wolkenhut über dem Niesen verzieht.
Touristen, die wir sind, bitten wir einen Passanten, von uns ein Foto zu machen. Der tut das lachend und gerne, denn wir hatten ihn erkannt und mit Namen angesprochen (Mathias Tromp, verlinkt am 12.09.2019), den früheren Politiker und Direktor der BLS.

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