Alles oder nichts


Sobald das Postauto das schattige Tal hinter sich gelassen und den Hügelrücken erreicht hat, ist der Himmel blau und die Alpen- und Voralpenkette ragen gestochen scharf aus einem wattigen Nebelmeer. Die Bauernhäuser sehen warm und gemütlich aus. Auf den Feldern liegt Schnee. So stellt man sich die Heile Welt vor, wenn man hier nicht zu Hause ist.
Vorsichtig steige ich zusammen mit meiner Schwester aus dem Postauto, denn der ganze Platz ist vereist, auf den ersten Blick nicht sichtbar – Schwarzeis eben. Auswärtige erkennt man daran, dass sie zu Fuss durchs Dorf tappen, während die Einheimischen mit dem Auto, dem Töff, dem Traktor vor jede Türe fahren.
In Mutters Krankenstube steht ein Gerät auf Rädern. Die Spitex-Schwester habe den bestellten Vernebler gebracht. Er stehe auf dem dicken Tuch weil er undicht sei, überlaufe und tropfe, venebelt habe er nur sehr kurz. Sie habe der Kranken die Lippen mit dem Schwämmchen befeuchtet, raportiert die Nachtwächterin.
Donner und Doria, muss man denn immer uns die ramponierten Dinge vor die Nase stellen? Gibt es denn nichts, das einfach funktioniert, wenn man es braucht? Rosy macht sich ans Werk, während ich die Gebrauchsanweisung von „Kendall Ultraschallvernebler Aerodyne“ vorlese. Der Bakterienfilter ist nass geworden. Ganz klar, wenn das Überleitungssystem „Respiflo Un“ nicht steuerbar ist und die Klemmen nicht klemmen, läuft zu viel Wasser durch. Ich trockne das Vlies mit dem Haarföhn. Der Gebläseauslass ist auch nur mangelhaft beschriftet. Rosy schaut ins Rohr hinein um zu prüfen, auf welche Seite man den Knopf drehen muss. Aus dem Silikonschlauch, auch Patientenschlauch genannt, fällt nun ein sehr feiner Sprühnebel auf Mutters eingefallenes Gesicht. Dass es aus dem Schlauch auf die Bettdecke tropft, ist nicht ideal. Also noch einmal zum Gebläseauslass. Nun hört das Tropfen auf und Mutters Gesicht entspannt sich in der wohltuenden Feuchtigkeit.
Später kommt der Hausarzt. Er bringt seine kleine Tochter mit, die sich in der Küche auf den Arztkoffer setzt, während ihr Vater mit uns den nächsten Pflegeschritt bespricht. Obwohl meine Mutter kaum mehr sprechen kann, sagt sie, dass sie das Kind sehen möchte. Der Arzt hebt seine Tochter hoch und Mutter ist zufrieden. Der „Kedall“ spendet feuchten Nebel, Vater hütet das Feuer, Rosy dreht die Bratkartoffeln, ich hänge die Wäsche auf. Ein Duft nach Sauerrüben zieht durch das alte Holzhaus.
Am Abend lese ich Rinaas Eintrag

Ich war ganz überrascht ob diesen Unmengen von Leuten, die uns grüssen gekommen sind. Es kamen mehr als 130 Personen. Der Jüngste war zwei Jahre und der Älteste 80 Jahre alt. Ich habe 16 Jahre in diesem Block gewohnt und erst jetzt vielen MitbewohnerInnen die Hand geschüttelt. Einige Leute wohnen über 30 Jahren in diesem Block, der 1972 gebaut wurde, und waren noch nie im Gemeinschaftsraum. Wir waren die Ersten, die die Türe für alle aufgemacht haben. Die MieterInnen hatten grosse Freude und hiessen uns herzlich willkommen. Auch der Verwalter, der sich kurzfristig einladen liess, war begeistert von der Idee des Begrüssungsapéros, von den vielen Gästen und unserer gut durchdachten Organisation.

Die Begegnung war nicht nur für uns wichtig. Die BewohnerInnen unter sich haben die Gelegenheit auch genutzt, um sich Zeit für einander zu nehmen. Es wachten alte Erinnerungen auf und es wurden beinahe unglaubliche Geschichten erzählt.

Die Königskuchen waren ein wahnsinns Erfolg. Der Bäcker, 2nd male, und die Bäckerin, 2nd2nd female, bekamen unzählige Komplimente. Nächstes Jahr wollen sie noch mehr Kuchen backen.

Liebe Blogk-Familie, aller herzlichsten Dank für eure Hilfe!

Dreikoenigstag mit Hauswart

… kann vorbeikommen. Mein Mann hat angefangen. Als Hauswart im Block.

Die Ladenstrasse war vor dreissig Jahren unser ganzer Stolz. Kein anderes Quartier besass so etwas. Es gab einen Schuhmacher, eine Kleiderreinigung, einen tunesischen Laden, dessen Besitzer einem magrebinischen Spezialitäten besorgen konnte. Milch, Gemüse, Eier, Fleisch und Blumen brachten die Bauern aus der Umgebung in den Lebensmittelladen. Die Kioskfrau kannte alle Kinder, und die Apothekerin bereitete bei Bedarf Warzensalbe oder Läuseshampoo zu. Das Ganze war einem orientalischen Bazar nicht unähnlich. Abends kam dann der mürrische Hauswart von Block C mit seiner schweren Putzmaschine, spritzte Seifenlauge hektoliterweise, saugte sie mit dem Ungetüm wieder ein. Für eine Weile konnte man nur sehr vorsichtig und unter strengen Blicken passieren.
Die Ladenstrasse hat ihren Glanz längst verloren. Letzhin schloss auch der Kiosk. Ich vermisse die Frauen und Männer in ihren Regenmänteln, Pyjama- und Trainigshosen, die in der Frühe ihre Romanheftchen, Zeitungen und Zigaretten kaufen.
Das Putzen wird nun von einer Frau erledigt. Sie kommt immer vor acht am Morgen. Ich kenne sie nicht. Sie trägt einen langen Rock und ein Kopftuch und schaut niemanden an. Ich grüsse trotzdem. Bis jetzt putzte sie den Boden mit einem feuchten Wischer, aber heute schiebt sie das alte Ungetüm vor sich her, spritzt Seifenwasser und saugt es hinterher auf. Ich sehe, dass sie eigentlich noch ein Mädchen ist. Die Maschine ist viel zu schwer, dreht sich ein bisschen im Kreis. Trotzig schaut die junge Frau unter dem Kopftuch hervor, versucht das Ungetüm zu zügeln wie ein Pferd.
Ich kann mit gut vorstellen, dass sie das schafft und bald auch so streng schaut wie der alte König Hauswart.

So ein Kräutchen der besonderen Art, welches die Lebensgeister weckt, die Gedanken belebt, das Herz erwärmt und einen verzaubert ist das Buch von Irene Dische „Grossmama packt aus„. Ich lese jetzt noch die letzten 65 Seiten.
Gute Nacht – Laila tow – Bonne nuit!

Gerade ist mir „parat“ wieder eingefallen, ein Wort aus dem Lateinischen ins Berndeutsch gerutscht, das ich lange nicht mehr benutzt habe. In meiner Kindheit war es die Steigerung von „fertig“, vollste Aufmerksamkeit war angesagt. Kein Trödeln, die Schuhe gebunden, das Taschentuch sauber, Schnur und Messer im Sack.
Man war für den Tag, ja, fürs Leben gerüstet.
Ich bin sicher, ihr seid alle parat für den Start ins neue Jahr. Viel Glück!

„Lieber ein kleiner, harmloser Vorsatz als ein grossartiger Plan, der sich nicht einhalten lässt“, rät der Berner Psychologe August Flammer.
Deshalb habe ich beschlossen, im neuen Jahr beim Gehen immer von der Ferse über den äusseren Rand der Fussohle hin zur grossen Zehe abzurollen.
Ein gutes neues Jahr!

Es ist Nacht und wir halten Wacht:

1st über ihre Mutter, die Pflege braucht, auch wenn sie nicht immer will.

2nd2nd über einen kleinen Jungen, dessen Künstler-Eltern gegen kollidierende Termine kämpfen.

Ich und 2nd, male, wachen über den hustenden 3rd und arbeiten noch ein wenig, bevor das Jahr zu Ende ist.

Deshalb die Ruhe hier im Blogk.

und zieht man dran, kommt ein ganzer Berg von Restenstoff Geschichte(n) gerollt.

Zum Beispiel bei Kaltmamsells „Ich hab‘ nichts gegen..“

Und im heutigen Bund zu den Roma, die dem Teufel ab dem Karren gefallen, aber doch noch Menschen mit Rechten sind.

Danke Herr Pfarrerssohn, dass Sie endlich die „exzessiven Rechtschutz“ in der Asylpolitik dieses unseres Landes angehen.

Wir hatten jetzt wirklich genügend Zeit, die Kerzlein anzuzünden vor dem Bundeshaus. Und das Apfelbäumchen, das lächerliche, das sollen andere pflanzen. Aber ganz sicher nicht in Ihr Gehege.

Nein, nein, es handelt sich hier nicht um eine Mohnsorte aus der Region am Hindukush. Es ist die neueste Création aus 2nd males weihnächtlicher Balkon-Backstube. Das Gebäck in Blumenform schmeckt leicht nach Schokolade und Orange und ist bestreut mit sehr fein geriebenen Mandeln. „Fleurs de Kaboul“ sind eine würdige und wie ich finde auch aussergewöhnliche Hommage an diese Stadt.
1978 ging man in der Chicken Street über dunkelrote Afghan-Teppiche. Die Händler wollten damit zeigen, dass ihre Ware jeder Strapaze Stand hielt, selbst derjenigen von Eselskarren und Pferdetaxis. Man konnte einfach alles kaufen. Meine Tochter wurde von einem Restaurantbesitzer mit einer dicken Scheibe Emmentalerkäse beschenkt. Mir wurde empfohlen, als Frau einen Füllfederhalter dabei zu haben, aus welchem man im Notfall zwei Schuss Munition abgeben könnte. Wie bereits in Peshawar, lehnte ich diese Angebot auch in Kabul freundlich ab, obwohl der Händler den erstgenannten Preis massiv senkte.
1979 schien die Stadt wie ausgestorben. Im Guesthouse hörten die Leute unter einer Wolldecke BBC. Kabul hatte eine Ausgangssperre, und die Hunde frassen die zurückgelassenen Hühnchen aus den Gefriertruhen der ausländischen Botschaften. In einem Innenhof mit Garten schaute der Besitzer mir zu, wie ich die Zweige seiner kostbaren Apfelbäumchen schnitt. Ich hatte ihm vorher erzählt, dass ich dasselbe bei tausenden von israelischen Bäumen getan hätte und diese wunderbar wuchsen. Er fand dann, was für die Israelis gut sei, könne ihm auch nicht schaden.

Nicht nur die Jahreszeit sei daran schuld, dass das Frühstücksei heute tief in den Eierbecher versinke. Auch das Eingesperrtsein führe dazu, dass die Eier so klein seien, meint meine Freundin C.

Obwohl die schweizerischen Hühner am Freitag wieder in die Freiheit entlassen wurden, habe ich bei der gestrigen Fahrt über Land kein Huhn gesehen. Wahrscheinlich wars für einen ersten Ausgang zu kalt.

Gerade habe ich den interessanten WOZ-Geflügel-Artikel gelesen. Die Ethologin Esther Zeltner hat herausgefunden, dass Hühner klug sind! Sie sind fähig, gemeinsam eine Maus zu jagen und einen Körnerspender durch Drauftreten in Gang zu setzen! Ähnlich den Menschen übernehmen sie voneinander aber auch schlechtes Verhalten wie z.B. das Federpicken (Bei den Menschen „Hickhack“ genannt.) Das Schimpfwort „Dummes Huhn“, ist also irreführend.

Das Leben einer Legehenne ist nur kurz und männliche Küken werden jährlich millionenweise in den CO2-Bottich geworfen. Verbesserungen sind, dank Esther Zeltners Mauser-Forschung in Sicht.

Wenigstens das Leben als Huhn ist in der Schweiz besser als anderswo.

Mit ihm hab ich mich schon lange nicht mehr befasst, bis letzten Donnerstag. Da hatte ich ein Vorstellungsgespräch.
Die Personalverantwortliche: „Nehmen wir einmal an, wir würden Sie anstellen. Da müssten Sie dann den Vertrag selber kündigen, wenn Sie einmal in Pension gehen möchten.“
Wie es gelaufen sei und was ich so für ein Gefühl hätte, wurde ich anschliessend von Bekannten gefragt. Ich konnte dazu nicht viel sagen, denn ich war schon am Überlegen, wie und wann ich die Arbeitsstelle kündigen müsste, falls ich sie bekäme …

Eigentlich wollte ich heute nur vor dem Regen flüchten. Deshalb tauchte ich im West-Zugang des Bahnhofs mit dem Glaslift in der Welle unter. Auf Gleis sechs warteten Frauen in Daunenjacken auf die Einfahrt des Zuges nach Interlaken. Heute hatte ich keine Eile. Deshalb fiel mir wahrscheinlich auch zum ersten Mal auf, wie viele Leute im Bahnhof Selbstgespräche führen. Sie kommentierten Reklamen, lasen laut die Anzeigetafeln, wiederholten Abfahrtszeiten, pfiffen oder sangen. Schön, dass sie sich hier so sicher fühlen konnten. Ich holte mir einen Becher Kaffee und stellte mich an den Treffpunkt in der Halle, schaute zu, wie der angekündigte Wind in die Weihnachtsdekoration fuhr und sie zum Pendeln brachte. Auf den neuen „Rauchfrei“-Plakaten verpasste Camel den Zug und auch Malboroman paffte sein Zigarettli im Sattel.
Zu dieser für mich ungewohnten Stunde sah ich kein einziges bekanntes Gesicht und ich hatte einen Moment das Gefühl, auf der Durchreise zu sein.
Trocken Hauptes erreichte ich später den Zytglogge, wo unter den Lauben ein alter Heilsarmeeoffizier den Topf am Kochen hielt, leider ganz ohne Musik.

Den Alten und Neuen, den Kleinen und Grossen habe ich zum Abschied den Rücken getätschelt und ihnen alles Gute gewünscht. Sie stehen, mit einem sauberen Signaturschild versehen, auf abgestaubten Tablaren oder liegen wohlverwahrt in säurefreien Archivschachteln – ein bisschen traurig?
Jedes der Bücher habe ich in den letzten vier Jahren mindestens ein Mal zur Hand genommen und davon eine Aufnahme im elektronsichen Katalog gemacht.
Berühmten, aber noch mehr „vergessenen Frauen“ der Geschichte bin ich bei meiner Arbeit begegnet, und ich habe ihre Namen mit Lebensdaten in einem Index zusammengeführt. Hier 13 von über 1000:

Aberdeen, Ishbel Maria Marjoribanks of (1845-1930)
Baader, Ottilie (1847-1925)
Calame, Marie-Anne (1775-1834)
D’Acierno, Petronella (1877-1962)
Eberhardt, Isabelle (1877-1904)
Fallscheer-Zürcher, Josephine Therese (1866-1932)
Gamond, Blanche (1664-1718)
Hanhart, Dorette (1890-1943)
Ihrer, Emma (1857-1911)
Jeanne d’Arc (1412-1431)
Kern, Elga (1888-1955)
Lefaucheux, Marie-Hélène (1904-1964)
MacGill, Helen Gregory (1864-1947) …

Feuerwehr frei. Endlich. Weniger Staat! Felxibilität und Eigenverantwortung, wer bin ich denn. Natürlich habe ich alle 15 Anbieter auf meinem Handy gespeichert und bekomme regelmässig informative SMS und kann bei Wettbewerben Südseereisen gewinnen. Es gibt einen Super-Brand-Bonus, ab einem Brand pro Monat einen Extra-Fire-Discount beim einen, beim anderen kann ich Grossbrände im Jahr darauf als Joker einsetzen, beim dritten – ach das habe ich noch nicht ganz vestanden, Hauptsache, ich kann wählen und das Angebot stimmt. Im Moment mag ich besonders die „MobiFire“, wegen des netten oberländer Bauern aus der Werbung: „Die sy schnäu da gsy, nid meh aus zwänzg Minute hei die Giele ghaa. MobiFire: die wähle-n-ig wider!“

Eben. Aber jetzt muss ich, soeben wurde als letzte Einrichtung noch die Ambulanz privatisiert. Dank dem monatlichen Digest von Comparis bin ich auch immer auf dem Laufenden, obwohl, die Mitteilung lautet seit über einem Jahr immer noch „Mit ihren Suchkriterien (max. Einsatzzeit <= 30 Minuten) wurde in Ihrem Wohngebiet kein Anbieter gefunden". Vielleicht zuwenig Familiendramen und Rasenmäherunfälle in unserem Quartier, ich weiss es nicht. Herr S., Taxifahrer, 6. Stock rechts, hat an seinem Lüti jedenfalls nun diesen weissen Kleber mit dem roten Kreuz platziert. Wir dürfen jederzeit klingeln sagt er, immer, auch nachts. Wir hoffen er ist da, wenn wir ihn mal brauchen.

Die Leute sind brav und halten sich seit gestern an das Rauchverbot im Bahnhof. Schon heute war die Luft ein Stockwerk unter der Erde so rein und klar, dass einige, die gestern mit dem Rauchen aufgehört hatten, ihre Liegestühle zum „Treffpunkt“ mitbrachten. Sie wickelten sich nach der Zauberberg-Methode in Wolldecken ein, atmeten tief und entspannt durch und begannen in aller Öffentlichkeit ein neues gesundes Leben.
Ich bin sicher, dass bald ein Run auf Liegestühle und Decken … Auf der Tafel vor dem Reisebüro steht: „Warum in die Ferne schweifen?“

Die Bewohnerin von Hemel Hempstead war erleichtert, als sich der Wind drehte und die grauenhafte Rauchwolke hinter ihrer Siedlung langsam Richtung Frankreich abzog. Obwohl sie das Haus nur kurz verlassen hatte, lag auf ihrem Gesicht schon eine Schicht von schwarzem Russ.

Die Steuern sind bezahlt, die Augen untersucht: keine neue Brille nötig, und der nächste Termin erst in fünf Jahren. Die Zähne sind tiptop in Ordnung, und wenn ich nicht, wie auch schon, in einen Stein im Kartoffelgratin beisse, sehe ich den Zahnarzt erst in einem Jahr wieder. Nina, die Coiffeuse im Ladenzentrum gewährte mir für meine asymmetrische Kurzhaarfrisur einen Spezialpreis, weil ich ihrem Sohn eine Internetadresse für seine Lehrstellensuche gab. Mein Bus-Abo habe ich eben für zwei Jahre vorbezahlt und das vergünstigte Halbtaxabonnement für drei Jahre gekauft. Die Tageszeitung, vor lauter Sparen schon sehr dünn geworden, wird bis im August 2006 in meinem Briefkasten liegen – falls sie’s bis dahin noch schafft.
Zur neuen Krankenkassenprämie habe ich einige Korrespondenz geführt, um ja nichts Unnützes zu bezahlen.
Kehrichtmarken-, Waschpulver-, Sonnenmilch-, Zahnbürstenvorrat wurden ergänzt, wie auch derjenige der schwarzen Winterstrumphosen. Sicherheitshalber habe ich von den rot-schwarzen Schuhen, die mir so gut, und zu allem, passen, noch einmal ein Paar gekauft.
Mit der lebenslänglich gültigen Bibliothekskarte, einer Mitgliedschaft bei der Erklärung von Bern und den zahlreichen zum Glück noch ungelesenen Büchern auf den eigenen Tablaren bin ich kulturell über Monate versorgt. Das Geld für die Campingferien am Meer liegt auf der Bank. Sollten Wasch- oder Geschirrspülmaschine im nächsten Jahr sich irgendeine Unregelmässigkeit erlauben: ich habe die Versicherung erneuert. Die Barchentbettwäsche ist von bester Qualität und blogk ist dank 2nd male und 2nd female neu gewartet.
Eigentlich kann ich gelassen erwerbslos werden, denn ich bin gut gerüstet, und was ich tun konnte, habe ich getan.

Mutter ist kein bisschen dankbar, dass man sie pflegt. Sie schimpft und trotzt, lässt sich nicht waschen, nicht kämmen, verweigert Essen und Trinken. Die Spitex-Frauen verlassen das Haus meist frustriert und rein verrichteter Dinge – aber nicht ohne ein freundliches Wort von Vater.
Letzte Nacht hat meine Schwester Rosy bei der Zornigen gewacht. Sie ist eine erfahrene Altersbetreuerin, lässt sich nicht leicht aus der Fassung bringen und nimmt starrsinnige Menschen als kreative Herausforderung.

Folgendes SMS habe ich um 01:32 von der Nachtwächterin erhalten:

Es geht gut
Müeti ist friedlich
gesungen
getrunken
gesalbt
gelacht
gebiselt
geflucht
gedankt
gekämmt
Vielleicht kommt jetzt der Schlaf.

Aber nein, während es draussen in eine dunkle Nacht schneit, sagt Mutter ein Frühlingsgedicht auf, das sie in der zweiten Klasse gelernt hat:

„D’Amsle uf em düre Ascht
het kei Rueh me u kei Rascht
Eismal isch se-re um ds Singe:
„Cha-n-is äch no füre bringe?

Liisli, liisli faht si a,
Zerscht e Ton – es Schlänggerli dra.
Z’letscht, da gits e ganze Satz
u itz blibt si nümm am Platz.

Flügt mit ihrem junge Gsang
z’oberscht uf e-n-e Wättertann‘.
Rüefts am Himel und de Bärge:
„Loset, es wott Früehlig wärde.“

Also 1st ist noch nicht ganz depressiv, aber hat leider den in die Bibliothek kotzenden Hund ihrer Madame Vorgesetzten wieder nicht schnell genug mit der neuen Kamera eingefangen. Nun, der wird vor Jahresende noch ein paarmal kotzen.

Mein guter Freund, der Kammerjäger, war wieder einmal bei mir. Und weil der Mann ohne Socken von unten dran immer noch im Spital ist, muss man jetzt abklären, ob man trotzdem seine Kammern jagen darf, denn im Block ist Kammerjägerei nur sinnvoll, wenn man sie auf allen Ebenen betreibt.

Die albanische Schwiegerfamilie von 2nd2nd bleibt höchst skeptisch was den gemeinsamen Haushalt der beiden betrifft, aber 2nd2nds Mann hat dafür eine gute Arbeit gefunden, er wird Abwart, zwar nicht in diesem, aber in einem Block in der Nähe. Nächstes Jahr wird er der sein, der den berühmten Stern von Bethlehem ganz oben auf „seinem“ Block montiert und wir schlottern ja jetzt schon ein bisschen deswegen.

Erfreuliches gibt es von 3rd zu erzählen, er hat den ersten Bericht aus der neuen Schule bekommen. Die Lehrerin schreibt (ich habe 3rd gefragt, ob ich zitieren dürfe):

Schön ist es auch, wenn du dich meldest und eigene Beiträge einbringst. Wage das noch mehr! (…) Ich wünsche dir noch viele herausfordernde Stunden, in welchen du zeigen kannst, was alles in dir steckt!

3rd war nach 4 Jahren mehr oder weniger Redeverbot und Fremdwörterverbot und Gute-Bücher-ausleih-Verbot ziemlich erstaunt über dieses Feedback. Ich ja auch. Vielleicht hat diese Lehrerin einfach nie Canetti gelesen und ahnt nicht, was für ein schreckliches Kapital es ist, sich in der Schule zu engagieren und zu melden.

Neben dem stattlichen Vorrat an Holzscheiten aus Tanne, Buche und Esche bestellt mein Vater jeden Herbst in der nahen Sägerei vier Tonnen Kugeln aus gepresstem Sägemehl. Meist braucht es im November, kurz vor dem ersten Schnee, noch einen zweiten ärgerlichen Anruf mit der Drohung, die Ware bei der Konkurrenz zu bestellen, bis die Ladung dann endlich eintrifft. Liefert der Chef persönlich, bezahlt mein Vater bar. Sonst wird das Geld in den nächsten Tagen per Post angewiesen. Auf keinen Fall wird mit unbezahlten Kugeln geheizt.
Auch der Kunstmaler im Dorf hält sein altes Bauernhaus mit solchen Kugeln warm. Er bezahlt mit Bildern. Die Kunstwerke werden im Haus des Sagermeisters ihrer Grösse wegen an an die Wände gelehnt und von der genervten Putzfrau ab und zu ein wenig verschoben. Sie passen auch sonst nicht zur Einrichtung im Heimatstil.
Vater ist der Meinung, man sollte aus den Bildern wieder Sägemehlkugeln herstellen …

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