Februar 2008


Im Schulbuch nennt man sie „Schildbürger“. In meiner Gegend heissen sie „Hinterfultiger“, „Freiburger“ oder „Appenzeller“, diejenigen, welche das Pulver nicht erfunden und Mehl am Ärmel haben. Sie „merligen“, wie die Merliger von Merligen. Beim Bau des Gemeindehauses vergassen diese die Fenster und fuhren des nachts mit Boot und Netz auf den See hinaus, um den Mond als Lampe einzuholen.
Auf dem Balkan, lasse ich mir erzählen, stünden die Kroaten zuoberst auf der Bildungsleiter und ganz unten, sozusagen unter dem ersten Seigel, finde man ihre „Merliger“, die Albaner.
Meine Freundin Marwa, Bücherfrau durch und durch, ist einer ganz besonderen Publikation begegnet.
Es handelt sich um die Festschrift zum 60jährigen Bestehen der „Biblioteka Kombëtare dhe Universitare e Kosovës“ – „National and University Library of Kosova“.
Die Bibliothek wurde 1944 in Prizren als „Provincial Library“ gegründet und 1946 nach Prishtina verlegt. Dort musste sie fünfmal umziehen, bis sie 1982 ein eigenes, eigenwilliges Gebäude bekam. In den Jahren 1980-1999 vertrieben die Serben alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und in der „Biblioteka“ wurden serbische Flüchtlinge aus Kroatien und Bosnien untergebracht. Während des NATO-Angriffs im Jahr 1999 diente der Kuppelbau der serbischen Armee als sicheres Hauptquartier. Endlich, nach vielen Jahren Krieg, konnte das Team wieder in die Bibliothek, einem Ort der Zerstörung, einziehen. Zusammen mit Kenneth J. Oberembt, einem amerikanischen Bibliotheksexperten, wurde die „Biblioteka Kombëtare dhe Universitare e Kosovës“ wieder aufgebaut und auf den neusten Stand gebracht. 2003 übernahm Dr. Sali Bashota die Leitung.
Täglich wird die Bibliothek von 2000 Menschen genutzt. Jährlich schreiben sich 4000 Benutzerinnen und Benutzer neu ein. Der Bestand an Büchern, Manuskripten, Karten, Sammlungen und Nonbooks beträgt 2 Mio.
Wie in Bern, Zürich, Basel und vielen anderen Universitätsbibliotheken im In- und Ausland, wird in Prishtina mit dem israelischen
Bibliotheksverwaltungssystem Aleph 500 gearbeitet.

99 Kuppeln

Die Kuppeln sind die Fenster! Und wenn der Mond will, kann er hindurch scheinen.

Quelle:
Biblioteka Kombëtare dhe Universitare e Kosovës, Prishtinë, 2004,
ISBN 9951-13-010-0

… und das ist der letzte Rest vom Gastgeschenk des Weltmeister-Pâtissiers in unserer Sippe. (Auf die fertige Création können wir leider vor der Koch-Olympiade nächsten Oktober nicht eingehen, danke fürs Verständnis.)

Weltmeisterlich

Ein jeder Künstler erinnert sich, wann er die Lust an der Kunst gefunden hat, auch er. Der Elft-Geborene liebte den Aufbruch zu Neuem schon als Junge sehr. Obwohl die Eltern das verboten hatten, nahm er nachmittags sein Velo und fuhr mit Blick nach vorn weg vom Familienhorst.

Er wusste genau, wie lange er fahren musste, bis das Haus in seinem Rücken hinter den Hügeln verschwunden war und er sich umdrehen konnte, ohne gesehen zu werden.

Er fuhr zum Fussballtraining.

Mein Mann ist mit der Sehnsucht nach der Unabhängigkeit zur Welt gekommen. Nun ist diese gestillt. Er ist überglücklich über den heutigen Tag. Wie lange das Kosovo auf die Unabhängigkeit von Serbien gewartet hat, darüber gehen die Meinungen auseinander. Die Antworten liegen lustigerweise zwischen 9 und 500 Jahre. Was allerdings heute alle Menschen mit kosovarischen Wurzeln gleich gemacht haben: gefeiert, getanzt, fein gegessen, mit vielen Verwandten und Bekannten telefoniert und Nachrichten geschaut.

Ich wünsche allen Kosovarinnen und Kosovaren, dass sie ihre Zukunft nun aktiv in die Hand nehmen und das Bildungs-, Gesundheits- und Wirtschaftssystem ihres demokratischen multiethnischen Landes verbessern. Auf dass dafür ein friedlicher Weg ermöglicht wird.

Ein Pfarrsohn erzählte, wie er als sechster, als Nachzügler zur Welt gekommen sei. Alles war schon weggegeben, Kleider und Stubenwagen mussten vom peinlich berührten Pfarrer bei Hunkelers – die mit neun Kindern wahrlich bedürftig waren – zurückgeholt werden.

Später dann fand der Junge das dicke Buch über „Das Geschlechtsleben der Menschen“ hinter der Kollektenkasse versteckt, an die sich weissgott niemand herantrauen sollte.

Und noch später lud der Pfarrer seinen sechsten Sohn ein, darüber zu sprechen.

Bei den Tannen machts der Wind. Hast du noch Fragen?

Nein, nein, es war alles klar.

Zum Valentinstag

Ein netter Kollege, der nicht weiss,
dass ich eine totale Valentinsmuffelin bin,
schenkte mir heute diese Rosen. Ich muss zugeben:
auch Rosen machen sich gut vor meinem Bürofenster.
Auf jeden Fall kam ich mir auf dem Nachhauseweg nicht so
ausgestossen vor, denn auch ich trug eine „Blumentüte“
und versuchte diese im voll besetzten Bus heil nach Hause zu bringen.
Ohne eigenen wären mir die anderen Sträusse auf die Nerven gegangen.
Manchmal ist es einfacher (und in diesem Fall schön) mit dem Strom …
oder nid?

Ein Junge im Bus zu seinem Kollegen:
„Wen-i-nid Peacemaker wär, würd i jede Tag zähmal eine verbrätsche. Aber als Peacemaker chasch das vergässe.“

Mein Lieblingswort seit vierundvierzig Jahren teile ich mit dem mir unbekannten Etgar Keret (*1967). Es ist das jiddische und auch im Ivrith benutzte Wort „Balagan“. Steht bei mir alles aufgetürmt in Gängen, Zimmern und auf Tischen, muss ich diesem Zustand nur den liebevollen Namen „Balagan“ geben. Ich sehe dann einen Besen „Balai“ und einen Garten „Gan“ vor mir und das Chaos ist bereits gebändigt. Falsch zu denken, man würde nach drei Stunden etwas von meiner Aufräumerei sehen, denn ich habe für jedes fremde Auge unzugängliche Ecken geputzt. Die Reisetaschen im hintersten Kämmerli sind nun abgestaubt, die Wollknäuel der Farbe nach sortiert und mit einem Sandelholzherz gegen Motten versorgt. Das Putzmittel fürs Bad ist nachgefüllt und die Musikdose von Kleinesmädchen geleimt. Auch der Filter zuoberst im Dampfabzug der Küche ist ausgewechselt. In einer Schuhschachtel treffe ich auf alte Musikkassetten, muss ein bisschen probieren, bis ich einige davon abspielen kann: Mercury/Caballé Barcelona – laut. Dann „Andorra“ als Hörspiel und zwischen Tom Paxton, Nama Hendel und Franz Hohler „Der Unfall von Kehrsatz“ in drei Teilen. Also auch in der Schachtel herrscht ein grosser Balagan.
Zum Verzweifeln, gäbe es mein Lieblingswort nicht.

(Der französische „balai“ und der hebräische „gan“ ist meine persönliche Kombination. Das Wort „Balagan“ komme ursprünglich aus dem Russischen.)

… ohne Lippenstift, man weiss niiii!“ ermahnt mich meine kroatische Kollegin und hält mir ihr schickes Spiegelchen unter die Nase. „Du kannst niiii wissen wem begegnest du heute noch, vielleicht ein ehemalige Freund oder noch schliiimmer eine Freundin und sie wird dich fragen:´Bist du krank?´“
Zwar ist es in der Gasse schon finster und die Beleuchtung im Bus lässt auch die Geschminkten blass aussehen, aber ich krame trotzdem in meiner prallen Tasche nach dem Lippenstift. Man weiss wirklich nie …

Dorfkern Schneebesen Schneebesen2 Pflaumenbaum

Heute müssen wir uns den Weg zum Haus selber bahnen, aber Vater hat ja dazu die geeigneten Besen und Schaufeln hinterlassen. Sogar Kleinesmädchen stochert und kratzt mit dem roten Kinderschäufelchen eifrig im Schnee.
Wir haben uns gegen die Sperrmüllmulde für ein langsames Räumen der elterlichen Wohnung entschieden. Es ist unser letzter Winter im alten Haus.

Auf dem Heimweg vom Einkaufen begegnet mir Frau Wahlen. Sie zeigt auf meinen ballonartig eingewickelten Blumenstrauss, den ich nur mit Mühe in der Hand halten kann, ohne dass der Wind ihn mir entreisst:
„So, haben Sie sich ein Blüemli gekauft?“
„Heute nicht, ich habe den Strauss geschenkt bekommen.“
„Er wird nicht lange halten, das sag ich Ihnen, und diese Pülverchen fürs Wasser sind für gar nichts.“ Sie nützten ebensowenig wie der Gutsch Öl im Kochwasser der Teigwaren. Nun habe sie doch mehr als fünfzig Jahre lang Öl ins Wasser gegossen, bis sie vor einigen Tagen vom Fernsehkoch eines andern belehrt wurde. Sie möge gar nicht ausrechnen, wie viele Liter da bei fünf Kindern verschwendet worden seien.
„Mein Öl können Sie auch noch dazu zählen.“
Wir beiden Frauen stehen unter den Nachkömmlingen der Eichen Napoleons und lachen gegen den Wind.
„Das hätte einige Wochen Mallorca gegeben,“ meinte Frau Wahlen, die mit 65 zum ersten Mal das Meer sah. Sie teilt die Rente so ein, dass es jeden zweiten Sommer für einen Kurzurlaub auf der Insel reicht.

habe die Morgenstund´ und die Axt im Haus erspare den Zimmermann. Also stehe ich heute früh auf. Ein beissend kalter Wind rüttelt an den Storen. Zuerst erledige ich die monatlichen Zahlungen. Jupii, das Abo 08 für die FRAZ habe ich gewonnen! Die Antwort lautete: Else und Frieda von Richthofen.
Dann bündle ich die Zeitungen, reinige den Filter der Abwaschmaschine und schreibe einen Einkaufszettel. Anschliessend stelle ich fest, dass die Basler Läckerli, denen ich ein Rübli beigelegt hatte, nicht nur weich, sondern auch saftig geworden sind, gruusig. Den Rat, das Gebäck mit einer Kartoffel oder einer Karotte aufzubewahren, habe ich von erfahrenen Hausfrauen erhalten. Das waren die letzten Läckerli in diesem Haus. Sie bleiben einem, ob mit oder ohne Kartoffel gelagert, ohnehin im Hals stecken, wegen der Assoziation.
Es reicht, noch schnell in einem Büchlein mit 500 praktischen Ratschlägen für Haus und Familie zu blättern. Ratschlag Nr. 101 gefällt mir besonders, wahrscheinlich, weil heute Freitag ist:
Fische lebendig versenden.
Man tauche eine Brotkrume in Branntwein, stecke sie dem Fisch in den Mund und umwickle ihn mit frischem, nassen Stroh und Leinwand. Am Bestimmungsort angelangt, muss der Fisch sofort in frisches Wasser gelegt werden.

Aus:
Raaflaub, Elsa: Wo fehlt’s? Praktische Ratschläge für Haus und Familie. Bern, Hallwag, o.J., ca. 1925.