Alles oder nichts


In der Gotthelftracht, 1960

Ich binde Sträusschen für die Bundesräte, 1. Berner Graniummärit 1960

Herrlich, einfach unbeschreiblich!! Endlich darf man sich wieder einmal ungehemmt so richtig eidgenössisch, ja, emmentalisch fühlen, bodenständig verwurzelt in der engsten, urchigen Heimat, wo man allen Du sagt und es „nüt vo Komplimänte“ gibt. Neben den gierigen, ungezählten Sponsoren hat jeder x-beliebige Heini in meinem Bekanntenkreis eine Karte fürs Eidgenössische, entweder bei einem Milch-, Käse-, Bahn-, Bier-, Salben-, Kraftfutter-, Bauhaus-, Landmaschinen-, Sportuhren-, Unterwäsche-, Ovomaltinen-, Duschgelwettbewerb gewonnen oder als Kunden-, Geburtstags-, Kadermitgliedgeschenk. Hauptsache, man ist live dabei. Stadtpräsidenten und -präsidentinnen landauf und -ab in Designerbrillen, mit modischem Haarschnitt tun in Interviews ergriffen kund, dass sie selbstverständlich in Chüejermutz und Tracht erscheinen würden. Zu Tränen gerührt seien sie, wenn irgendwo ein Juz oder ein Alphorn ertöne. Ob der vielen Arbeit, der allgemeinen Hektik, den täglichen Anforderungen hätten sie ihre Wurzeln aus den Augen verloren, was eigentlich schade sei,

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Solange ich mich erinnern kann, versuchte man in meiner Familie neben den gesenkten Rücken auch mit „Nasenlümpen“ und Schnüren die täglichen Herausforderungen einigermassen „in Egi“ (im Gleichgewicht) zu halten. Aus Taschentüchern gabs mit vier Knoten den Sonnenhut, jegliche Art von Verbänden, Armschlingen, Wickel, Beutelchen für am Wegrand Gesammeltes, in einen Zipfel wurde der Sonntagsschulbatzen eingebunden, ein Knoten im Tuch hiess: du darfst etwas nicht vergessen, mit etwas Spuke angefeuchtet liessen sich Kindermäulchen abreiben, bevor irgend eine Verwandtentür aufging, nichts trocknet Tränen weicher, als ein hundert Mal gewaschen und gebügeltes Grossvatertaschentuch. Bis heute ist es mir unentbehrlich. „Aber die muss man immer waschen und bügeln im Gegensatz zu denen aus Papier.“ Stimmt. In der Zeit, in welcher ich die Fussel eines gewaschenen Papiertuches von meinen schwarzen Seidenleibchen rolle/zupfe, bügle ich „im Schwick“ (im Nu) ein paar Dutzend aus Stoff.
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U wüsst i, wohär dass i chume,
u wär mir dert gseit het: Chasch gah!
De seit ig ihm Danke für alls, won i sider
erläbt un erfahre ha.

U wüsst i, wohi dass i fahre
u was dert alls wartet uf mi,
de fragt i mi glych, isch das ds Ändi oder
geit’s wyter, no anderswo hi?

(Aus: Wohär u wohi? von Heinrich Boxler)

Wir trauern um

Christoph H.
geboren am Freitag, 4. März 1977,
verunglückt am Montag, 22. Juli 2013.

Schon wieder bin ich unpassend angezogen. Kaum aus dem Haus, bläst mir ein kalter Wind um die Ohren und über dem Gurten hängen schwere Schneewolken. In kurzärmligen Shirt, Seidenjupe und Riemchensandalen sitze ich im Tram neben Leuten in Fleece-, Wind- und Strickjacken und passe auf, dass sie mir mit den schweren Stiefeln nicht auf meine rot lackierten Zehnenägel treten. Beim Ängelibeck in der Schwanengasse ist Grossansturm auf den dampfenden Mittagssuppentopf. Ich kaufe einen kleinen Schoggikuchen und hoffe, dass der Nieselregen die Tüte nicht total einweicht. In der Langen Gasse steige ich aus dem Bus und eile ins Beaulieu. Der Kastaniengarten ist verwaist. Drinnen sind alle Tische besetzt oder reserviert. Ein grosser Teil des Berner Business scheint hier zu speisen. Unglaublich, wie laut es in Stuben und Kleinen Sälen wird, wenn sie mit Männern gefüllt sind. Mit einer Freundin esse ich in der Erlachstube unter dem Ölgemälde, welches eine blasse namenlose Frau aus der Patrizierfamilie darstellt. Die Karottensuppe lässt nicht lange auf sich warten und passt wunderbar zu dem kühlen Herbsttag vor dem Fenster.
Auf der Heimfahrt bricht die Sonne durch die Wolken, so dass ich noch ganz schnell einen Abstecher in den Garten mache, um den Pflanzen gut zuzureden, ein bisschen zu wachsen. Die Braven tun ihr Bestes und sind dankbar für jeden Hühneraugenblick von Sommer.

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Wir sitzen bei Rindfleischsalat nach Vorhersuppe und Appenzeller Bier auf der Terrasse. Sie nimmt ein paar Lottoscheine aus ihrer unergründlichen Tasche. „Die müssen wir unbedingt heute ausfüllen, es sind Millionen im Jackpot. Sag sechs Zahlen von 1 bis 42.“ Ich habe so keine Ahnung von Lotto. Nie hätte ich nur die geringste Hoffnung, einen Fünfliber zu gewinnen, geschweige denn ein paar Millionen in meinem Kopf zu verteilen. Nicht so die grosse Optimistin in meiner Familie. Sie rechnet mit 5 Millionen. Eine Million behält sie für sich, kauft damit eine Eigentumswohnung mit See- und Bergblick, voraus planend natürlich Rollstuhl gängig. Das Geld würde noch für einen „Camper“, ein Wohnmobil, reichen – ein Lebenstraum der Reiselustigen ohne Fahrausweis. Die zweite Million bekäme ihre geliebte und vernünftige Tochter Sanne. Die wüsste etwas Gutes damit anzufangen. In den Genuss der dritten Million käme die arbeitslose Nachbarin Iris mit ihren zwei gefitzten Buben, beide von afrikanischen Vätern. Mutter und Söhne wären dann einige Zukunftssorgen los. Dazu hat die Frau einen Fahrausweis und könnte, wenn sie möchte, die Sponsorin im Camper ausfahren. Die vierte Million wäre für Käthi und Fred. Einfach, weil sie langjährige liebe und zuverlässige Freunde sind und mit der Lottospielerin die Begeisterung für die Insel Elba teilen. Ausserdem haben Käthi und Fred einen Fahrausweis und würden den Camper auf jeden Fall chauffieren. Die fünfte Million – ich war einen Augenblick baff – sollte an mich gehen. Kaum zu glauben, wie schnell man eine Million ungeübt verteilen kann! Meine ist im Nu ausgegeben.
Während der Bauer Stöffu neben der Beizenterrasse sein Heu wendet, wähle ich niesend die nötigen Zahlen aus. Meine Schwester Rosy macht die Kreuzchen, entschliesst sich, der grösseren Gewinnchancen wegen, für zwei Ziehungen.
Am Mittwoch hats nicht geklappt, aber morgen wartet uns allen sicher das Glück.

Draussen schlafen
Nach Norden

Süeden
Nach Süden

Die vergangene Woche verbrachte ich hauptsächlich im Garten. Ich legte die Beete neu an, band die Himbeeren an die Stöcke, verteilte Kompost, rückte dem Unkraut zuleibe, trug Schnecken hinters Gartenhaus, zügelte die Dahlien vom Frühbeet ins Freie, pflanzte Fenchel, Lattich, Lauch, Kohlrabi und redete, wie jeden Frühling, mit den Leuten durch den Zaun. Das Hauptthema war das Wetter, über welches man nicht klagen wolle angesichts der schrecklichen Überschwemmungen in unserem Nachbarland.
Schon lange hatte ich vor, den Balkon, eigentlich nur ein Balkönchen, zu streichen und so einzurichten, dass ich draussen schlafen kann. Obwohl es keine Dachterrasse mehr ist, wurde es dann doch richtig schön, dank der tatkräftigen Unterstützung durch die Innenarchitektin der Familie. Das frühere Grau der Mauern kommt nur noch als Streifen vor. Bald sollte das Rosenbümchen voller Blüten sein und so bestens zum Bettbezug passen. Noch ein paar Tage Sonne und Glockenreben und Efeu werden sich ranken und winden. Ich liebe es, hässliche Plätze zu verschönern, vergesse dann oft, das Verschönerte zu geniessen. Heute habe ich den „neuen“ Balkon der Liegewiese im Schwimmbad vorgezogen. Danke aber für die zahlreichen lieben Grüsse, die mir meine angebadete Familie von dort mitbrachte.

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Nicht nur wilde Kerle

Gesammelt ab 1969

„Du hast alles“, wiederholte die Pflanze.
Jennie nickte nur, die Schnauze voller Blätter.
„Warum gehst du fort?“
„Weil ich unzufrieden bin,“ sagte Jennie und biss den Stengel mit der Blüte ab.
„Ich wünsche mir etwas, was ich nicht habe.
Es muss im Leben noch mehr als alles geben!“
Die Pflanze sagte nichts mehr.
Es war ihr kein Blatt geblieben, mit dem sie etwas hätte sagen können.

Aus: Sendak, Maurice: Higgelti Piggelti Pop!, Zürich : Diogenes Verlag, 1969

In Venice Beach verliert man einfach vornehmer:

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A long way from home

Hinter Bern-West sei der Westen nicht zu Ende …

Ich fliege mal los und schaue nach, ob Jolly Jumper ein Pfädchen für mich getrampelt hat.

Die Aussicht von der Terrasse aufs Meer ist traumhaft, der Salon marocain stilecht und gemütlich, die Küche gross, der Innenhof kühl. Alle Räume sind hell, die Fenster sturmfest. Dieses Bijou von Haus hat nur den einen Makel: kein fliessendes Wasser. Das Fischerdorf an der malerischen Bucht, bis jetzt ein Geheimtipp für Surfer, entwickelt sich rasant. Hotels, neue Wohnhäuser, seit Kurzem gibts eine Apotheke mit blinkendem grünen Kreuz. Von den seit vielen Jahren versprochenen Wasserleitungen ist allerdings noch nichts zu sehen. Deshalb schleppt meine Nachbarin, die jedes Jahr einige Monate im magrebinischen Dorf am Meer verbringt, das Wasser vom weit entfernten Brunnen Kanister weise ins Haus. Nun hat sie die Geduld verloren. Bei der örtlichen Behörde vorzusprechen ist für die Katz‘. Das haben Einheimische auch schon vergeblich versucht.

Es ergab sich, dass der Schwager meiner Nachbarin einen kurzen Besuch in der Schweiz machte. Er ist Botschafter und residiert im Moment in einer fernöstlichen Millionenstadt. Jetzt oder nie, dachte sich die unmutige Wasserträgerin: „Könntest du nicht einmal bei einem deiner gesellschaftlichen Anlässe dem marokkanischen Botschafter mitteilen, dass man im Fischerdorf auf eine Wasserleitung wartet?“

Vor zwei Wochen sind Lastwagen mit Rohren und allerlei Werkzeug in den Bergen hinter dem Dorf angefahren. Männer mit Bauplänen und Vermessungsgeräten sind mit Einheimischen zwischen den Häusern unterwegs.
Zu früh freuen will meine Nachbarin sich nicht, aber es kann doch sein, dass ihre Nachricht den Weg von der Schweiz über die fernöstliche Weltstadt zurück ins marokkanische Fischerdorf gefunden hat und es endlich – Inshallah – Wasser gibt.

Ostereier 2013

Rucola und Dill auf Ei

Am Karfreitag, 29.03.2013 notiert:
Draussen schneits nasse Flocken. Im Gemeinschaftsraum des Blocks, einem Relikt aus den Siebzigern, geht es lebhaft zu und her: Butterzöpfe, Kuchen, Käse, Eier, Kinder auspacken, Regenjacken und -hosen über den Ofen legen. Hallo zusammen (Muntschmuntschmuntsch), schon wieder ein Jahr einszweidrei im Sauseschritt vorbei. Die Kinder sind gewachsen. Wer letztes Jahr noch im Bauch war, ist heute ein blitzschneller Krabbler und Büchleinschmeisser. Bis in den frühen Abend hinein Eierfärberei. Dazu über Gott und die Welt diskutieren: Müssen letzte Wünsche ausnahmslos von den Hinterbliebenen erfüllt werden? Sind Stützstrümpfe bei Langstreckenflügen nötig oder verursachen sie beim Sitzen einen Blutstau. Beleidigt man zypriotischen Freunde im Moment mit kritischen Fragen zur Wirtschaftskrise? Was war eigentlich am Palmsonntag mit Jesus? Sind Steuergelder für abgewiesene Asylbewerber nicht chrützfalsch eingesetzt? Kann ein 10-Minuten-Ei „schlüddrig“ genannt werden? Fragen über Fragen. Schnee von Fahrrädern und Autos wischen und schleunigst der nächsten warmen Stube zu. Auf Wiedersehn am nächsten Karfreitag. (So wies aussieht, wird dann wieder ein Krabbelkind dabei sein – das Leben ist Wiederholung.)

Als damals unser über 90 Jahre alten Vater zum Altersnachmittage im „Bären“ eingeladen wurde, winkte er dankend ab und meinte, dass diese Veranstaltungen nur für Senioren seien.
Vor einigen Jahren habe ich meine Probenummern der Senioren Zeitung ungelesen in die Papiersammlung geworfen und sie dann nachdrücklich abbestellt.
Heute kann ich mir nicht mehr vormachen, nicht zu den Alten zu gehören. Wohl oder übel befasse ich mich wenigstens am Rande mit diesem Lebensabschnitt, in welchem die Leute, statistisch gesehen, am zufriedensten, entspanntesten sind. Wenn ich Zeit habe, lese ich auch, was über „die Alten“ geschrieben wird. Es gibt die „reichen Alten“, die Alten, welche immense Pflegekosten verursachen, die Alten, die in zu grossen Wohnungen leben, die Alten, welche jetzt noch das Glück haben, eine AHV zu erhalten, die Alten, die an Sesseln kleben, die Papst werden, in Verwaltungsräten sitzen, Vitaminpräparate „Für Senioren“ einnehmen, die „jungen Alten“, welche Marco Polos Routen und Pilger- und Wanderwege bevölkern und ganz am Rand die Alten, welche mit knapper Not jeden Tag so durch kommen. Natürlich ist bei so viel Altem die „Überalterung“ nicht zu verhindern. Bern z.B. ist überaltert. So sehe ich im Museum, in den Läden, beim Kinderarzt, vor Schulen und Kindergärten, in den Parkanlagen, dem Dählhölzli, im Schwimmbad, auf der Eisbahn und dem Markt, auf Spielplätzen, in Zug, Postauto und Schiff fast nur Alte. Nicht wenige von ihnen werden zum Glück von kleinen und kleinsten Kindern begleitet.
Ein Wort habe ich neu gelernt, es heisst „Tagesfreizeit“. Wer Tagesfreizeit habe, solle sich doch bitte melden, um dieses und jenes zu verteilen, zu organisieren, zu verfassen, verpacken, abzuholen, bringen, hiess es an der letzten Vorstandssitzung meiner Partei. Erst da wurde mir bewusst, dass hier die Alten gemeint sind.

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Zaffaraya

Freies Land Zaffaraya

So wi ni das geseh, het d’Stadt Bärn im Momänt weni grossi Problem, abgseh vom Spare, was ja nüt Nöis isch. Öppis gits, wo bsungersch hie im Bärn-Weschte d’Gmüeter erhitzt, ds Bluet i ds Walle bringt, di Freinschte (Sanftesten) toube macht u wahrschinlech no ds Bundesgricht wird beschäftige. Das Problem het eigentlech e ganz harmlose Name: Alternativi Wohnforme.
Geschter hani e Vortrag ghört über die Lüt, dr Redner het se „Randschtändegi“ gnennt, wo äbe i alternativi Wohnforme wei läbe, sigs i Wäge oder Hütte, mit eigete Regle u zäme mit Gliichgsinnte. Eigentlech si settegi Wohnforme i dr Gmeind Bärn nid gschtattet, aber irgendwie duldet, u nach so lange Jahr het mes afe bis obe use, das Gschtürm mit dene „Stadttube“, „Stadtnomade“ u „Zaffarayaner“. Mi wett ändlech e Zone, wo settegi Lüt legal chöi wohne. Das isch verständlech. Lang het me gsuecht, berate u prüeft – drüü Mal dörft dr rate, wo die Zone söll igrichtet wärde. Ja, genau: im Bärn-Weschte, e chli absits, uf Landwirtschaftsland. Die betroffene Pure si stärnsverruckt über e Gmeindrat, wo ne settegi Nachbare wott ufhalse. Jungi Pure weigere sech, unger dene Umschtäng dr elterlech Hof z’übernäh. E Purefamilie het sech im Louf vor Zyt „Bed and breakfest auf dem Bauernhof“ ufbout u förchtet itz, dass Dräck, Lärme u Verchehr vo dene Chaote d’Gescht vertribe. Usserdäm sig e Bode, wo d’Hüng gäng druf schiissi, verlore für ds Bepflanze.
Der Redner, sälber Puur us dr Gägend, betont, dass die Tube u Nomade Mitmönsche sigi u me se nid chönn so eifach wäg zoubere. Mi chönn o guet mit ne rede, nume nützi das gar nüt. Si heigi ihm es alts Velogstell i si Mäidröscher inegheit. D‘ Reparatur heigi 20 Tuusig Franke gkoschtet – nume so als Bischpiel. U zletscht am Änd frage sech nid nume d’Pure, warum grad si die verschidene Nomade sölli ufnäh, schliesslech sig ja unger ihne Kene u Keni vo üsem Stadtteil. Äs sig ja typisch, dass grad die us de bessere Quartier, d’Eltere vo dene Alternative, sech weigeri, näbe ihne alternativi Wohnforme zue z’la. Mi söll nid vergässe, dass me ja scho sit mängem Jahr dr Standplatz „Buech“ für di Fahrende heig.
Im Juni 2013 gits e Abstimmig. Sötti die Umzonig für das Wohnexperimänt agno wärde, landet dä Fall, ghoue oder gschtoche, vor em Bundesgricht.

Die SP Stadt unterstützt die Umzonung und somit das „Wohnexperiment“ in Berns Westen. Klar, denn den Befürwortern sind die nomadisierenden Tauben dann aus den Augen.
Die SP in Berns Westen konnte sich offiziell noch nicht zu einem Ja durchringen. Einerseits sei hier schliesslich ein Entwicklungsschwerpunkt und das bedeute auch solche Entwicklungen.
Andererseits sei das Problem mit dieser „Zone“ nicht gelöst, da es verschiedene alternative Wohngruppen gebe, die sich auf einer Fläche von 6000 Quadratmetern in die Quere kommen könnten. Einige machen die Faust im Sack und finden auch, dass es sich der Gemeinderat einfach macht, immer alles, was andere nicht wollen, in den Westen zu verschieben.

Schritt für Schritt werde ich von Frau F. am Schalter durch die Erstellung eines neuen Passes geführt. Sie müsse den alten entwerten, lochen und hoffe, dass sich kein noch gültiges Visum darin befände. Adresse und Personalien werden geprüft. Stimmt die Grösse von 168 cm noch? Möchte ich zum Pass auch eine Identitätskarte? Gleich könne ich in die Kabine, indem ich den Vorhang in der Mitte (gekennzeichnet mit schwarzen Streifen) öffnete. Ich sähe dann einen Bildschirm mit meinen Daten, könne diese kontrollieren und dann linker Hand auf dem Kästchendisplay wie gewohnt unterschreiben.
Beim Eintritt ins Kabäuschen finde ich alles wie eingeführt säuberlich vor. Ich kontrolliere, unterschreibe und werde von aussen angewiesen, nun beide Zeigefinger auf das Kästchen mit dem grünen Licht zu halten. Scheint einfach, aber die Lämpchen am Apparätchen zwinkern abwechselnd orange und rot. Gebe ich zuviel, zuwenig Druck? Das Fingerauflegen muss ein paar Mal wiederholt werden, bis Frau F. endlich den linken Zeigefinger einscannen kann. Der rechte ist zu abgewetzt vom vielen, vielen Buchseiten umblättern, ein spurensicherungssicherer Finger also. Der rechte Mittelfinger, obwohl vom jahrelangen Schreiben ein bisschen verzworgelt, liefert dann den vorgeschriebenen Abdruck. Frau F. versichert mir, dass genau hinterlegt sei, dass es sich bei der rechten Hand um den Mittelfinger handle. So hätte ich dann sicher keine Probleme bei einer eventuellen Einreise in die USA. Mit falsch registrierten Fingern gehe da gar nichts. Nun noch das Foto ohne die Zähne zu zeigen. Ich muss auf die roten Punkte vor mir schauen und – schwipp – erscheint mein Gesicht auf dem Bildschirm vor mir: grauenhaft, richtig depressiv schaue ich aus. Wahrscheinlich von den zahlreichen vergeblichen Fingerscannversuchen – was solls. Frau F. ist zufrieden. Beinahe sind wir Freundinnen geworden. In zehn Tagen würde ich das Dokument eingeschrieben zugeschickt erhalten.
Mit einem handgeschriebenen Zettel mache ich mich auf zur Kasse, bezahle Fr. 145.- und lasse mich vom Lift (Achtung, Türe öffnet sich auf der Rückseite) hinunter ins Schneegestöber tragen.

Sonnenaufgang 16.01.2013

Vom Bett aus fotografiert, 18.01.2013 (Foto: 3rd, female)

Als Kind hatte ichs meistens stotzig (steil). Die Häuser, welche meine Familie bewohnte – wir zogen oft um – lagen entweder an einem Hang oder auf einem Hügelrücken. Während der ganzen Schulzeit gings wegmässig jeden Tag bergauf und bergab. Auch auf Schulreisen und Maibummel, Ferien- und Schilagern wurden die heimischen Gipfel gestürmt, meist in unpassendem Schuhwerk, zu langen Schiern, ausgeliehenen Jacken und nicht ideal verpacktem Proviant. So öffnete ich einmal nach einem langen Wackel auf einen bündnerischen Piz meinen Rucksack, in welchen mir Mutter ein gekochtes Huhn – Freiland vom eigenen Hof – eingepackt hatte. Das Dumme war, dass die blecherne Honigbüchse, in welche Beinchen, Flügelchen, Brüstchen liebevoll geschichtet waren, während der Wanderung so heiss geworden war, dass das Fleisch darin verdarb. Dank den wärmeresistenten Apfel- und Birnenschnitzen erreichte ich den Malojapass ohne zu hungern.
Als junge Erzieherin verschlug es mich in den Jura und das Berner Oberland, und ich kam aus den Wanderschuhen kaum mehr heraus. Inzwischen hatte ich mir ein kariertes Hemd, gestrickte Socken mit Zopfmuster und selbstverständlich Manchesterhosen mit verstellbarem Kniebund angeschafft.
Auch in späteren Jahren blieben mir Eggen, Höger und Grate nicht erspart, versuchte ich doch eine Zeit lang – in nun eingetragenen Wanderschuhen – mit einem Bergsteiger Schritt zu halten. Dabei lernte ich einige SAC-Hütten kennen, war immer froh, beim nächtlichen Toilettengang nicht ins Tobel abzustürzen, und Massenlager mit Militärdecken fand ich so richtig hussuse. Einige eindrückliche, ja, überwältigende Orte sind mir in Erinnerung geblieben.
Heute nehme ich sogar auf den Berner Hausberg die Bahn, kanns aber nicht lassen, ab und zu die Berge zu fotografieren, die ich von meiner Wohnung aus sehe. Verschneit vor klarblauem Himmel sind sie einfach wunderschön. (Fotos vom 23.01.2013)

Jungfrau hinter Gurten

Jungfrau hinter Gurten mit Blümlisalp

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Bei mildem Wetter wurden die letzten Spuren der Adventsfenster im Quartier beseitigt, Lichterketten, kletternde Chläuse und Sterne abgehängt, Krippen, Lichterbäume, Rentiergespanne und Kugeln wieder eingepackt. Besonders üppig wird jedes Jahr der Glöggliweg geschmückt. Die Reihenhäuschen: ein einziger Outdoor-Adventskalender, der strahlt, blinkt und glitzert bis zum Dreikönigstag. Nun ist der Weg des nachts wieder dunkel. Der Stern über dem 20. Stock wurde vom Hausmeister und seinem muslimischen Freund eingeholt.

Auch unser Baumschmuck liegt wieder verpackt in Seidenpapier im Keller.

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Von Plichten

In diesen heilgen Hallen

Heute ist der 6. Todestag meiner Mutter. Sie hat uns Kinder mit ihrer Fürsorge oft fast zur Verzweiflung gebracht. Erst in ihren letzten Lebensjahren fing ich an zu begreifen, dass sie, aufgewachsen als Verdingkind, sich vor nichts mehr fürchtete, als vor Trennungen. Daneben war sie eine tapfere Frau, die sich nicht scheute, sich mit den „Oberen“ anzulegen. Ihre Fantasie war grenzenlos. Mit beinahe nichts verschönte sie unser meist sehr bescheidenes Heim. So hing lange Zeit eine Blumenzeichnung, rote Ölkreide auf gebrauchtem Packpapier, in unserer finsteren Küche und ihre Geranien, so gegen 200 an der Zahl, schmückten Sommer für Sommer Fensterbänke und Laubenlehnen. Unvergessen sind Mutters Bemühungen, uns Mädchen auch ab und zu etwas Modisches zu kaufen. Als ich mit der Schule in die Oper gehen durfte, lieh sie mir ihre Sonntagsstrümpfe, flickte die Naht an meinen besten Schuhen mit feinem Bratenzwirn, schwärzte diesen mit Schuhwichse ein und ich trug Sorge, dass ich einigermassen gestrählt und poliert in der Stadt ankam. Die Zauberflöte wurde aufgeführt. Leider mussten wir bei „Wir wandelten durch Feuersgluten“ das Theater verlassen, da das letzte Postauto auf den Langen Berg den Schlusschor der Priester nicht abwarten mochte. Es sollte noch viele Jahre dauern, bis ich die Zauberflöte in eigenen Strümpfen, ungeflickten Schuhen und in voller Länge geniessen konnte.

Heute fand ich in Mutters Notizen den oben abgebildeten Zettel. Sie war nie in der Oper, besass nie einen Fernseher und hörte kaum Radio.

Baum 2012 (Nobilis)

Den Baum im Forsthaus gekauft, in den 16. Stock getragen von 2nd2nd, male, mit den Kindern geschmückt. Wieder keine Diskussion geführt über gegenseitiges Nichts-Schenken der Erwachsenen, deshalb viiiele Päckli unter und neben dem Baum, davon über 30 Bücher. Weihnachtslieder aus Zeitmangel nicht geübt, aber trotzdem gesungen. (Die mit dem absoluten Gehör haben sich liebenswürdigerweise nicht beklagt). Die Männer haben fein gekocht, gebacken und aufgeräumt – richtig harmonischfriedlich.

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Martina Zabaione

Was lange währte (74 h), wurde hier nume guet!

In der Heiligen Zeit erhalten nicht nur Eselein und Ochs, Hündchen, Täubchen, Schneeflocken, ja oft sogar Heuundstroh eine Stimme, nein, auch die Panettone Zabaione Martina aus der Boella Dolciaria in Torino, Puderzucker auf dem luftigen Haupt, verkündet sie uns ihre weihnächtliche Botschaft. Sie spricht neben italienisch und französisch auch deutsch. Ich habe, ganz im Trend der Zeit, alles „uf Bärndütsch“ übersetzt. Zugegeben, dazu hätte ich eigentlich keine Zeit gehabt, aber, wie Pfarrer Philipp Kohli aus Köniz ganz richtig sieht: „Grosse Emotionen lassen sich eben nur in der Umgangssprache der Gegenwart ausdrücken“.

Da bini wider!
Sit 1885 wirdeni vo mire Familie im Härze vo Turin erschaffe. I bi nes natürlechs Produkt us Muetterteig, Anke un e Huufe Eigälb, wo mir e prächtige guldige Farbton git. Drei bis vier Tag duurets, bis i vollkomme bi. Mini Fründinne verpacke mi no hüt vo Hang. We du Fröid wosch ha a mir, muesch uf Folgendes luege:
Mini optimale Qualitäte chani bire Umgäbigstämperatur vo 21 bis 23 Grad entfalte. Stell mi bitte nid ine chüehle Chäller, sondern i Chuchischaft.
Nimm mi use us der Bachform u verschnid mi sorgfältig mit em Brotmässer.
Sött no öppis vo mir übrig bliibe, leg mi bitte wider zrugg i glich Bütu u tue dä guet zue. Aber i dr Regu wird jedes Brösmeli vo mir mit Gnuss verspise.
Danke vilmal u uf Widerluege!
Grazie mille e arrivederci!
Merci et à bientôt!
Vielen Dank und auf Wiedersehn!

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Wie kann es sein, frage ich mich, dass ich die Ankündigung erst gestern abend mitbekommen habe? Wäre die Welt untergegangen, hätte mich dieses Ereignis ziemlich unvorbereitet getroffen. Um sechs Uhr steige ich heute aus dem Bett, um doch noch minimale Vorkehrungen für den Ernstfall zu treffen: saubere Kleider anziehen, Pflanze giessen, Brosamen von den Stuhlkissen schütteln, Geschirr aus der Maschine räumen, Körner im Vogelhaus nachfüllen, den Artikel übers Schneeräumen im Magazin lesen, Petflaschen und Glas zum Entsorgen bereit machen, Zahnbürste aufladen und Spiegel polieren. Danach trete ich auf den Balkon, auf welchem die über zwei Meter lange Weihnachtstanne (einheimisch, Nobilis) liegt und sehe die alte Sonne …

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