Alles oder nichts


Bern - Mudumalai retour

Vor dreissig Jahren war im Quartier die wadenlangen Fränseli-Hose in. Allerdings erlaubten die Mütter den Kindern das Ab- und Einschneiden der Hosenbeine erst, wenn auch die geflickten „Knie“ durchgescheuert waren. Fransen mussten verdient werden und diejenige, welche mit dem Verschleiss schon einige Stufen weiter waren, wurden von denen mit den neuen Hosen beneidet. Damals gab es noch das Warenhaus ABM. Dort einzukaufen war etwa so, wie in Berns Westen wohnen: einfach unchic, etwas für Prolos. Ich liebte diesen Laden. Die Kinderkleider der Marke „Milou“ waren modern, praktisch, preigünstig – so richtige Lieblingskleider.
Diese Hose hat Fr. 13.95 gekostet. (Nein, den Kassenzettel habe ich nicht aufbewahrt. Ich habe hier nachgeschaut.)
Die Jeans war schon nicht mehr ganz neu, als meine Tochter sich mit ihren Eltern auf den Weg Richtung Osten machte, auf eine Reise, die über Stock und Stein ein ganzes Jahr dauerte.
Nun könne ich die Fränseli-Hose entsorgen, meint mein vernünftiges Kind.
Ja wie denn und wohin?

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„Guete Tag, was darf si?“
„I hätti gärn es Pousebrötli“.
„Es Pousebrötli, gärn, danke. Darf süsch no öppis si?“
„Danke, das wär’s“.
„Danke öich, merci, uf Widerluege“.
„Adieu!“
„Adieu, danke!“

Heute am Morgen im Bus habe ich einen Apfel gegessen und gelesen. Es stieg ein älterer Herr zu, der sich neben mich setzte. Er hatte ein Umweltschutzcouvert in der Hand, welches an einen Albaner adressiert war und auf dem handschriftlich „IFAU“stand.

Wir sassen eng und dachten uns Geschichten übereinander aus. Ich dachte mir, dass ihm seine Tochter das Wort aufgeschrieben hat, welches er auf irgend einer Beratungsstelle können muss: „IV“. Er dachte sich vermutlich, dass ich eine schweizer Lehrerin sei, die ihr Gröibschi entsorgen möchte.

Schliesslich bat er mich um das Apfelgröibschi und warf es für mich im Abfall neben dem Buschauffeur. Er öffnete das Couvert und fragte „du Schweiz?“, was ich bejahte. Er drückte mir den Brief in den Hand. Es war ein Schreiben mit dem neuen AHV/IV-Ausweis. Ich zeigte ihm, wie er diesen ablösen konnte und riet, den Ausweis zu seinen Papieren zu legen. „Papiere“ verstehen alle und eigentlich hat jeder ältere Ausländer immer seinen Ausweis dabei. Auch Herr Ameti schob den neuen AHV/IV- Ausweis sorgfältig hinten ins abgegriffene Mäppchen seines C-Ausweises.

Aber er glaubte mir nicht, dass in dem Schreiben nichts anderes stand, es war viel zu lang. Bestimmt hätte es mit seiner Pensionierung zu tun, er sei jetzt 65 geworden. 15 Jahre „IFAU“ und 15 „Bau“ hätte er in der Schweiz gemacht. Seine Frau sei eine kranke Frau, die nur im Haus arbeite. Er fragte nach der Höhe seiner Pension, nach der Höhe ihrer Pension und wann er das Geld bekommen würde. Er konnte sehr, sehr wenige Worte Deutsch und verstand nicht viel von dem, was ich zu sagen versuchte.

Wir sind so verblieben:

Er wendet sich an sein Kind, welches in der Schweiz wohnt (andere Kinder sind im Kosovo). Wenn das nicht klappt, wendet er sich an den Briefkopf, von dem der AHV-Ausweis gekommen ist; ich habe ihm die Adresse eingekreist. Er kann sie im Notfall der nächsten lesenden Schweizerin im Bus zeigen und kommt dann – Inshalla! – zu einer Bundesstelle, die albanische Azubis hat.

Ich wünschte schönen Bairam noch Herr Ameti und stieg betrübt aus.

Vielleicht ist er einer Schweizer Schwiegertochter ein so gemeiner Schwiegervater, wie 2nd2nd einen hat, vielleicht ist er ein hilfloser, freundlicher Mann, vielleicht nichts von beidem. Aber wenn jemand nicht lesen und sprechen kann in dem Land, in dem er sein Leben verbracht hat, ist es immer falsch und immer zum Heulen.

Wir haben zwischen den Blöcken, in die unsere Familie verteilt ist, herumtelefoniert, diskutiert, einander Vorschläge gemacht und wieder verworfen… Es ging darum, wieder einen optimistischeren Tonfall ins Weblog zu bringen. Aber leider sehen wir uns im Moment nicht in der Lage.

Wir sind alle mehr oder weniger gesund, haben Arbeit und kennen viele liebe Leute, doch das positive Denken ist uns temporär abhanden gekommen.

Am Schlimmsten trifft es 1st mit ihrer Wohnsituation. Aber fast ebenso übel läuft es bei Familie 2nd2nd, deren Block von einem gemeingefährlichen Irren drangsaliert wird und die ständig allen Gefahren ausgesetzt sind, die von unbetreuten Psychopathen ausgehen, welche ihre Medikamentierung und ihren Drogenkonsum selber bestimmen. 2nd2nd, male, der Hauswart, kann seine Wohnung nur noch mit dem Hammer in der einen, und dem Pefferspray in der anderen Hosentasche verlassen.

Stammgast auf dem Polizeiposten zu sein, ist das eine, unsere Familie hat sich daran gewöhnt. Aber schwanger wie 2nd2nd, female und mit einem kleinen Kind in ständiger Bedrohung zu leben, ist das andere. Wir bemühen uns seit Jahrzehnten, die Ghettoisierung hier zu vermeiden, wir rennen an gegen Selbstjustiz, Clanwirtschaft und Ignoranz und wir fühlen uns echt vernachlässigt. Wir hätten den Arm des Gesetzes nämlich bisweilen bitter nötig.

Die Hausverwaltungen sind mit der „nachhaltigen Aufwertung“ unserer Quartiere absorbiert; sie arbeiten nicht für die Gegenwart, sondern nur noch für eine Vision der Zukunft. Die Polizei ist permanent überlastet (man weiss, wenn man drankommt, lassen sie dafür drei andere stehen), die Quartierarbeit ist völlig unterdotiert und die eigene Partei wird vielleicht auch noch die letzten für uns wichtigen Massnahmen aus dem Papier „Öffentliche Sicherheit für alle“ radieren. Noch ist es nicht soweit und wir hoffen auf den Blick unserer Genossinnen und Genossen über den Teller an den Rand. Überall dorthin, wo mit dem Status Quo hauptsächlich „Sicherheit für die Starken“ und „Freiheit für die Durchgeknallten“ erreicht werden.

Auch wenn wir die Nase gerade gestrichen voll haben: Gemessen an Platz und Einwohnerzahl haben wir hier in Berns Westen wenig Knatsch, Kriminalität und Schäden an Leib und Leben. Und wir wissen sehr wohl, dass es an uns ist, etwas zu ändern und auch, dass es nicht irgendwo ein anderes Leben gibt, in dem alles immer gut läuft.

Deswegen bloggen wir weiter und sicher auch wieder einmal positiver.

Bis heute früh wusste ich nicht, was eine Environmental Failure Notice ist. Es könnte aber die knappe Rettung vor einem noch riesigeren Riesenschaden bedeuten. Bereits Mitte der 90er Jahre flüchteten kurdische Familien „weil Wasser kommt“ in die Schweiz. Hier habe ich darüber berichtet.
Nun werden die zuständigen Verantwortlichen „nervös“. Ich bin gespannt, ob die Schweiz, Deutschland und Österreich sich dazu durchringen können, der Türkei die Unterstützung bei diesem grössenwahnsinnigen Projekt zu kündigen, indem sofort oder no ender eine EFN erlassen wird. „Better late than never“ könnte man sagen, wenn nicht die Falschen schon längst die Rechnung bezahlt hätten.
(Link ergänzt: 31.07.2018)

2nd, male, und 2nd, female, machen ihren Sonntagsspaziergang nun neuerdings durch das Brünnenquartier.

Wir versprechen uns davon Kraftpunkte. So wie in den Games, in welchen man mit seinem Toggel an besonderen Orten vorbeigehen muss, um ihn genesen oder wiederaufladen zu lassen. Unser kleines Leben, endlich aufgewertet. Ein Gefühl wie ein neuer PSP.

Schon fast wehmütig erinnern wir uns an die erste Informationsveranstaltung zum Nachbarquartier. Damals noch mit dem selten begabten Gemeinderat Guggisberg, der uns einleitend und zum Abschied sagte:

„Brünne wird öich Läbe bringe.“

Geordnet

Für meine Eltern gab es immer etwas, worüber sie sich Sorgen machen mussten. Als Kleinpächter in den Hügeln des Langen Berges waren es besonders Geldsorgen, welche sie plagten. Dazu kam die bedrückende Vorstellung, sie müssten einmal mit Schulden von dieser Welt.
Nun sind sie gestorben, alle Rechnungen sind bezahlt und für die Grabpflege ist ein Betrag zurückgelegt worden.
Man kann ruhig sagen, es ging gerade auf, mit 45 Rappen Minus.
Heute hätten die beiden Geburtstag.
In den vergangenen Monaten habe ich ihren schriftlichen Nachlass geordnet, in säurefreie Umschläge verpackt und ein Register angefertigt.

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Sagen darf mans ja nicht zu laut, denn wer will schon als Sommer-Muffel abgestemperlt werden? Aber für unsereins ist das nichts, dieses Essen auf der Gasse und in den Lauben, mit den Stuhlbeinen zwanzig Zentimeter von der Tramschiene entfernt oder verkeilt ins Kopfsteinpflaster. Die Wirte sind ganz wild darauf, die Gastig im öffentlichen Raum zu platzieren. Es wird bestuhlt, betischt, besonnenschirmt was das Zeug hält, damit alle, alle. alle draussen speisen können – möglichst nahe beieinander. Leute, die nie, nie, nie in einem Block wohnen möchten, quetschen sich zwischen Riesenblumenkübeln an enge Tischchen in den Laubenbogen und es scheint sie nicht zu stören, dass ich ihre Gespräche über Ferien, Geschäft, Krankheiten, Beziehungen, Trainings mit bekomme. Ich sitze nämlich – den ganzen Sommer über konnte ichs vermeiden – auch an so einer Minitafel aus Kunstschiefer. Hier fällt die Gasse ab, hin zur Aare. Ich rutsche auf dem Stuhl, die Knie tapfer unter der Tischplatte, nach hintunten. Würde es mir möglich sein, die Spaghetti con aglio, olio e peperoncino, falls sie dann kämen, aus dieser Rücklage zu erreichen? Zum Glück bleibt mir zum Grübeln keine Zeit, denn an meinem Freiluftplatz werde ich dauernd angestossen mit Rücksäcken, Geigenkästen, huckegepackten Kleinkindern, Schultertaschen, Kameras usw. Tropft hier sogar eine Glace auf die Serviette?
„Hauptsache, man ist draussen und geniesst den Sommer.“ „Wer weiss, wie lange er noch dauert? “ „Der Winter ist immer lang.“
Drinnen in der Beiz ist es jetzt besonders ruhig, mit viel Platz, ohne Wespen und schön kühl.

Einer ist neu zugezogen. Er wird von den alt Eingesessenen geplagt und verspottet. Eine Nachbarin, Mutter von zwei kräftigen jungen Geierlein, ist aufgebracht. Dieser ewige Streit vor Fenster und Nachtessen schlägt ihr auf den Magen. Sie hat schon versucht, ihre beiden Buben zurecht zu weisen – ohne Erfolg. Wenn sie es sich genau überlegt, sind die Eltern des Opfers an allem Schuld. Wie konnten sie ihren Jungen nur „Ash“ nennen? Das provoziert doch die Hiesigen, goppeletti!

Wahrscheinlich ist es schon zu spät für eine (Völker verbindende) iranische Gulaschsuppe, und den Blick über den Tellerrand verlangt man von den andern.

Das Faszinierende an unserem zum Ghetto gestempelten Quartier ist, dass man abends nach der Arbeit noch schnell in ein anderes Land „verreisen“ kann, z.B. in den Magreb. Frau Nachbarin, beste Tajine-Köchin in ganz Bethlehem, hat ein paar Frauen aus den umliegenden Häusern zum Essen eingeladen. Wieder ist’s der beste Eintopf aller Zeiten, der laut Gastgeberin, ausser dem, was man sehe nichts enthalte, als ein bisschen PfefferSalzKümmel. Wers glaubt;-)
Nach einem Abstecher zu Kräutern und Gewürzen im Allgemeinen wenden wir uns der lokalen Politik zu, machen quartiermässig einen Rück- und Ausblick, erinnern uns einiger der bösen Buben und oberflächlichen Mädchen, die trotz Bedenken unsererseits nicht enttäuscht haben und zu verantwortungsvollen Erwachsenen heran gereift sind. Dazwischen führen wir ohne Eile in Brot eingepackte Bissen zum Mund. Wir erzählen einander von früheren Bergtouren, heiklen Situationen und Unverstand wie durchhängende Seile und Rutschpartien in Geröll- und Schneehängen, (am meisten beobachtet bei italienischen Berglern … tschuldigung).
Nun weiss ich auch, wie man für vier Wochen in der Einöde des finnischen Hochmoors vorsorgt, ohne unter dem Gewicht des Rucksacks zusammen zu brechen. Nicht, dass ich einen Abstecher in Moor und Kieferwälder vor hätte, aber ich liiiebe „unnützes“ Wissen!
Nach zwei Stunden gemächlichen Taginierens, überrascht uns Frau Nachbarin mit einem karamelisierten Birnenkuchen auf feinstem Blätterteig – natürlich auch sehr einfach zu backen.
Gegen Mitternacht brechen wir auf, abzuwaschen gibts kaum etwas. Den Heimweg finden wir blindlings.
Als Supplement mitgenommen habe ich den Tipp, bei Mückenattacken einen Birkenzweig abzubrechen und stetig, aber nicht hastig damit zu wedeln. Ein nützlicher Hinweis, den ich als ehemalige Bremsen-Abwehrerin bei den Pferden meiner Kindheit schon beinahe vergessen hatte.
Leichtes Fächeln, in Ermangelung eines Birkenzweigs mit der Speisekarte, hilft auch gegen die Fliegen in der „Bären“-Gaststube.

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In zahlreichen Geschäften, Verwaltungen, Spitälern, Banken, Versicherungen arbeiten ehemalige Schülerinnen und Schüler von mir. Die meisten von ihnen sind nicht in der Schweiz geboren und hatten beim Schuleintritt nur dreivier Wörter Deutsch zur Verfügung: Arschlog, Mongu, Haudschnure. Aus allen, die über die Jahre regelmässig zum Lernen kamen, ist etwas geworden. Sie verkaufen Kleider und Schuhe von günstig bis Gucci, Ferragamo & Co, pflegen Kranke und Räume, lackieren Autos und Nägel, verlegen Kabel und Platten, montieren Förderbänder oder Lifte, streichen Wohnungen, führen Restaurants, beraten in Banken. Umi kümmert sich bei einem grossen Versicherungsunternehmen um die Probleme der italienischen und spanischen Bauarbeiter. (Seine Diss. hat er über Kafka geschrieben). Beim Orangen Riesen im Quartiers macht Miz die Durchsagen für die laufenden Aktionen – in bestem Berndeutsch mit albanischem Akzent. Martin, der Schiffsnarr, ist Kapitän auf einem unserer Seen geworden.
Vor einiger Zeit stiess ich im Bibliothekskatalog auf eine Doktorarbeit über Kieferorthopädie. Wie wenn’s gestern gewesen wäre, erinnerte ich mich an ein Telefongespräch mit dem Vater eines Schülers. Er beklagte sich freundlich darüber, dass sein Sohn gern in meine Stunde käme. Das könne doch nur bedeuten, dass der bequeme Sprössling bei mir machen könne, was er wolle. Der sei nämlich sehr geschickt darin, Lehrpersonen abzulenken und mit seinen unnützen Ideen zu bequatschen. Es müsse mir klar sein, dass aus ihm so nichts werde. Sohn Pavel setzte sich durch und blieb, denn er hatte mir noch lange nicht alles über die Schwarzen Löcher erzählt.
Und aus ihm ist doch etwas geworden. Ich schrieb gleich ein Mail ins Institut und gratulierte ihm zum Doktor. Umgehend winkte er bescheiden ab, das sei nicht seine erste Hochschularbeit. Er habe auch in den USA und in Deutschland studiert. Er freue sich sehr darauf, mir bald seine Frau und die beiden Töchter vorzustellen.

So heisst die neue Werbung für Bernmobil. Natürlich fahren nicht alle Sparenden (vom 11.8. bis 12.9.2008) gratis, sondern nur diejenigen, welche im Tram oder Bus ein BERNMOBIL-T-Shirt tragen – „gut sichtbar“ ist die Bedingung. Die Leibchen waren alle im Nu vergeben. Wer keins gekriegt hat, darf mit dem Handy ein Föteli von jemandem knipsen, der eins trägt. Mit dem Bildli kann man an einem Wettbewerb teilnehmen, bei dem ein „Libero“-Jahresabo zu gewinnen ist.
Seit zehn Tagen halte ich in Bus und Tram Ausschau nach einem entsprechend gekleideten Model – vergebens. Heute endlich sehe ich etwas Rotes in dem Gedränge. Es ist eine ältere Frau, vielleicht eine Südamerikanerin, die „Grün fährt Rot“ trägt. Im Hirschengraben steigt sie aus, stellt ihre zwei Taschen auf den Boden und zieht sich eine schwarze Jacke über das grellrote Shirt.

An der Manege

Kleinesmädchen besucht zum ersten Mal eine Tierprobe

kalë

Geburtstag

Wird Kleinesmädchen hier gerade geschlechtsspezifisch sozialisiert?

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… wohnt ein Zauber inne“
Ich weiss nicht, ob Hesse, die gelben Sicherheitsmützen oder die bunten Plakate Müttern und Vätern den Schulanfang ein bisschen erleichtern. Ist alles bereit, gespitzt, eingefasst, -gepackt, Memorystick endlich aufgeräumt, passen die Turnschuhe noch, welches Znüni oder keines bitte, Rübli statt Schoggi, gehts mit knapp versetzt, weil zu alt zum Wiederholen, früh zu Bett oder lieber früh aufstehen?
Das alles habe ich hinter mir. Meine Töchter, die ich an ihren ersten Schultagen mit meiner Sorge und besonders der Begleitung vor die Schulzimmertür nervte, haben mir „verziehen“ – glaube ich wenigstens.
Heute begleite ich meine Schwester bis ins 3. OG vor das Zimmer 301. Nach vierzig Jahren „Feldarbeit“ beginnt sie ein Studium an einer Fachhochschule. Das finde ich super!

Himmel ueber Bern-West

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Ich gehöre dazu. Ich erinnere mich an eine sehr angenehme Mahlzeit meiner Kindheit, besonders wenn das Apfelmuss süss und der Zimtzucker reichlich vorhanden war. Und das Beste: Wir wurden altes Brot los! (Denn in meiner Kindheit machte man die Fotzelschnitten aus altem Brot und nicht aus neuem Zopf.) Meine Mutter sagt, der Tick sei von meinem (damals noch vorhandenen) Vater gekommen, aber als Kind erschien es mir eher so, als herrsche bei Eltern wie Grosseltern beiderseits ein heiliger Konsens darüber, dass das alte Brot aufgegessen wird, bevor man das Neue anschneidet. Eine Anweisung, die dazu führte, dass das Brot nur dann frisch war, wenn man zu wenig davon hatte, was glücklicherweise höchst selten vorkam. Zuviel Brot führte zu hartem Brot und hartes Brot führte zu Verzögerung des Verzehrs frischen Brotes, worauf auch dieses nicht mehr frisch war.

Trotz tiefer Überzeugung von Fotzelschnitten gelang es mir in den Jahren des Mutterseins nie, 3rd die Vorteile selbiger (Worterklärung bei Blogwiese) beliebt zu machen. Er hält das Gericht für pervers und würde weder Wort noch Schnitte je in den Mund nehmen.

Ich halte dagegen, dass ich das sehr beliebte „Schwängerle“ (dt. schwängern) auch nicht gerade für ein salonfähiges Fussballspiel halte, aber das wiederum findet er harmlos: Einer steht im Tor, ein anderer davor, der Rest im Hintergrund. Wenn der im Tor einen reinlässt verliert er ein Leben, wer er einen hält, gewinnt er ein Leben, wenn er einen so abprallen lässt, dass ein anderer aus dem Hintergrund zum Schuss kommt, zählt alles doppelt. WoischProblemMann?

Ich werfe drei Franken ein und drücke 100, 100, 100. Es fallen nur zwei Briefmarken in die verdreckte Auffangschale des Automaten am Zytglogge. Diese klaube ich unter der trüben Klappe hervor, schlecke sie angewidert ab – grosses Pfui – und klebe sie auf die Umschläge. Der abscheulicher Leim bleibt auf meiner Zunge haften.
Längst gibt es zahlreiche Sammler dieser schmucklosen Automatenmarken „ATM“. Denen mag ich die Freude am Hobby ja gönnen, dass aber noch niemand daran gedacht hat, ein selbstklebendes Papierchen auf die Rolle zu bringen, erstaunt mich. Besonders wenn ich lese, dass die Schweiz, wenns um Patente geht, an der Weltspitze mit erfindet.

Ich nehme den Plüschtiger von Kleinesmädchen aus der Waschmaschine. Die Familie ist begeistert, wie sauber dieser geworden ist.
3rd, male: „Sie hat eben einen weissen Daumen.“

Am Flughafen Zürich im Check-in warten sie, die frischgebackenen jungen Mütter, mager, hoch gestöckelt oder in zarten Ballerinas, in knitterfreien Zweiteilern, farblich passend geschminkt, Stufenschnitt oder Dauerwelle, aber auf keinen Fall kürzere Haare als Schulterlänge, alle ihr Baby im „Römer“. Diese Frauen reisen, gestylt bis zum letzten, hierhin, „nach Hause“ an tausend Hochzeiten.
Für mich sehen sie alle gleich aus. In ihrem leichten Schuhwerk werden sie in den kommenden Wochen über schlammige Wege und unasphaltierte Strassen gehen, Turn-oder Wanderschuhe wären eine Schande.
Auch wir verbringen zwei Wochen auf dem Land, bei Onkeln, Tanten, Cousinen, Cousins, Nichten und Neffen.
Kleinesmädchen erwacht jeden Morgen beim ersten Muhen der Kuh und will sofort in den Stall gebracht werden. Sie wird von allen verwöhnt, meine „Erziehung“ greift hier nicht, sie darf alles: Mit Sachen um sich werfen, Pflanzen abreissen, Kinder schlagen, spucken.
Ich frag mich, wie lange ich brauchen werde, bis sie mir wieder gehorcht.
Die Tage auf dem Land gefallen uns. Die Gastfreundschaft der einfachen Leute ist rührend.
Ich habe Glück, nur einmal muss ich ein Püppchen-Kostüm anlegen, eine „Maske“ auftragen und meine Haare in eine Betonskulptur verwandeln lassen, um einer knapp volljährigen Verlobten, die in die Schweiz eingeflogen werden soll, zu gratulieren.
Auch bei diesem Anlass sehe ich sie wieder, die Hochgestöckelten und Gestylten vom Flughafen.

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