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Zuoberst die Unterhosen, dann Socken, Hemd, Hosen, Jacke und die Schuhe griffbereit, so mussten wir als Kinder die Kleider ablegen, wenn ein Gewitter im Anzug war. Donner-Bigeli nannte meine Schwester diese Kleiderhäufchen bei ihren eigenen Kindern. Das gab Sicherheit und nahm ein wenig die Angst.

Albert und Vater sitzen in der kühlen Küche während über dem Thunersee „ein Wetter“ aufkommt. Sie haben in ihrem Leben unzählige „Wetter“ erlebt. Eine heikle Sache war es mit den Sensen. Diese durften dann nicht auf der Schulter getragen werden. Die Spitze nach unten zog man d’Sägesse über die Erde nach Hause, hängte sie keinesfalls an die Hauswand, bis das Gewitter vorüber war. Ungern denkt Albert daran, wie ihm das Pferd Lotti mit dem Graswagen durchbrannte, weil es das aufkommende Gewitter durch die Hufeisen spürte. Manchmal sprangen blaue Funken aus den Steckdosen, Zaunpfähle wurden gespalten und blaue Flämmchen leckten dem Viehdraht entlang. Einmal wurden zwei Rinder, die unter einer Linde Schutz gesucht hatten, vom Blitz erschlagen. Alberts Vater stach sie, damit man das Fleisch noch „auswägen“, den Bauern verkaufen konnte.
In schwülen Sommernächten tat man oft kein Auge zu, wachte im Stall, war bereit, im Notfall Mensch und Tier zu retten und das Haus den Flammen zu überlassen. Alte Berner Bauernhäuser brennen wie Zunder.
Wie wohl die verschiedenen Blitze und der Donner entstehen? Bis jetzt hatte man gar keine Zeit, sich mit diesen Naturereignissen gründlich zu befassen. Weiss Albert als ehemaliger Feuerwehrmann Genaueres? Leider nicht, obwohl der Kommandant bei einer der Feuerwehrübungen mit einem Gerät ankam, mit dem er den Mannen die Entstehung eines Blitzes demonstrieren wollte. Der Versuch misslang. „Zu feucht,“ meinte der Kommandant, der lange an einem Blechrad gedreht hatte. Als junger Mann stand Vater einmal auf der Grossen Scheidegg, hatte über sich einen strahlend blauen Himmel und zu seinen Füssen ein Gewitterwolkenmeer, aus dem unzählige Blitze aufstiegen: „Wie eine Bürste – unvergesslich“.
Nächsten Samstag bringe ich ein Buch mit, damit wenigstens diese Frage den beiden Neuzigjährigen beantwortet werden kann.

Hier ist das Gedicht, welches der Soldat Albert im Januar 1942 auf die leere hintere Seite des hier erwähnten Briefes notiert hat. Er hat es für seine oder mit seinen Kameraden gedichtet und mit ihnen im „Réduit“ rezitiert:

Hört, ihr deutschen Michel,
ihr sieget euch zu Tod.
Der Hammer und die Sichel,
die bleiben ewig rot.
Hitler, Goebbels, Goehring
werden dann verbannt.
Schickt sie nach Sibirien,
so habt ihr Ruh im Land.
Ihr werdet Moskau niemals sehn,
vielmehr daran zu Grunde gehn
wie einst Napoleon.

Ziehet dann der Frühling
über Engeland,
hält der britsche Löwe
das Szepter in der Hand.
Ein ganzes Volk in Scharen fleht:
„Ihr werdet England niemals sehn
wie einst Napoleon.“

Es ist ein Hess entsprungen
aus einer Messerschmitt.
Er hat ein Lied gesungen:
„Ich mache nicht mehr mit.“

Begeistert brüllt ein ganzes Volk:
„Wir fahren gegen Engeland!“
Und wenn mal wirklich einer fährt,
dann wird er für verrückt erklärt
wie einst der Ruedi Hess.

Albertli

Albert, hier auf dem Arm seiner Mutter, hat mir die „Trucke“ mit seinen Fotos gebracht. Er ist der Letzte aus seiner Familie, geht auf die Neunzig zu und weiss nicht, wer sich für Bilder, Briefe und Postkarten interessieren könnte. Am liebsten erzählt er vom Aktivdienst, zeigt mir einen Brief, den ihm die Mutter 1942 zum Geburtstag ins Militär geschickt hat. Das Papier ist voller Weinflecke. Die Mutter bedauert, dass es im Dorf keine Schokolade zu kaufen gibt. Auf der hinteren leeren Seite hat Soldat Albert ein Gedicht gegen Hitler aufgeschrieben.
Er kanns noch heute, nach mehr als 60 Jahren auswendig.

Die Einstein-Leckerli mit Honig, Nüssen und einem Marzipanbild des Meisters verdienen sicher grosses Lob. Ausser den Konditoren haben sich noch zahlreiche andere -oren und -orinnen angestrengt, aus dem Einstein-Jahr ein Event für Jung und Alt, Eilige, Sportliche, Wissensdurstige aus nah und fern und für jeden Geldbeutel zu machen – Physik für den kleinen und den grossen Hunger. Ende 2005 müsste jedes Kind wissen, wer da für Versicherungen, Privatschulen, Computer, Hustensirup, Haargel die Zunge rausstreckt. Solltet ihr samstags Männer antreffen, die in Filzpantoffeln auf dem Markt einkaufen, kann es sich nur um Einstein-Fans handeln.
Neben dem „Popstar der Physik“ wurde seine intelligente, musikalische, originelle und sozial kompetente Schwester Maja, wie so viele Schwestern berühmter Männer, völlig vergessen.
1908 schloss diese an der Universität Bern ihr Studium der romanischen Philologie, italienischen und französischen Sprache und der Literatur magna cum laude (lat. mit grossem Lob) ab.
Maja war ihr ganzes Leben lang innig mit ihrem Bruder verbunden, war seine Sonne und er die ihre. Von den Faschisten vertrieben, fand sie bis zum Tod Unterschlupf bei Albert in Princeton/USA.
Mehr über dieses ungewöhnliche Frauenleben in einer schwierigen Zeit könnt ihr in folgendem Buch lesen. Eine Frau, Historikerin und Archivarin der Universität Bern, hat beharrlich und mit grossem Engagement für uns geforscht:
Rogger, Franziska : Einsteins Schwester

In Alberts Familie bekamen die Männer zu Ostern ein Dutzend mit Zwiebelschalen gefärbte Eier. Für die Frauen waren deren acht vorgesehen. Die Schulkinder aus den Weilern der Sonnseite hatten mehr Eier in ihren Körbchen als die Dorfkinder von der Schattseite, wo die Hühner noch im letzten Schnee scharrten. Jedes Familienmitglied passte auf seine Eier auf wie ein „Häftlimacher„, damit ja keines in einem falschen Magen verschwand. Lieber liess man eines verfaulen, als dass man eins verschenkte.
Seit dreissig Jahren gibt es bei mir im Hochhaus einen Karfreitag der offenen Tür. Wer Zeit und Lust hat, kann zum Eierfärben, Plaudern und Essen kommen. Mindestens zwei Dutzend der Ostereier werden an die Nachbarn verschenkt.

Albert hört gerne die Verkehrsmeldungen. Heute, mit fast 89 Jahren, macht er seine Reisen nur noch im Kopf, sieht man von den vorsichtigen Fahrten ab, die er jeden Samstag vom Hof ins Dorf unternimmt. „Lukmanier gesperrt“ löst bei ihm ein verhaltenes Lachen aus. Ha, der Lukmanier …
Während der 2. Mobilmachung 1940 wurde der Bauernsohn mit einigen anderen Landbernern in den Kanton Tessin nach Malvaglia verlegt. Als sie am Ort ankamen, stand bereits eine Panzeratrappe auf dem Platz. Obenauf sass einer, der funkte wichtig in der Gegend herum, es war der Krebs vom Rütteli. Dieser hatte den Posten wahrscheinlich bekommen, weil er mit dem Traktor ähnlichen Motor der Atrappe umzugehen wusste.
Obwohl Albert und seine Kameraden eigentlich der Kavallerie angehörten, wurden ihnen bei der Ankunft nur alte Drahtesel zugeteilt. Dann hiess es:
„Ab, auf den Lukmanier, zur Beobachtung“.
Mein Vater kramt nun auch in seinen Erinnerungen, erzählt, dass das Aufgebot ins Militär für die Bauernsöhne ein willkommener Anlass war, heraus zu kommen und etwas Neues zu sehen. Im Gegensatz zu Albert wurde der junge Bauer „nur“ nach Burgdorf, wenig Kilometer von seinem Hof entfernt, zur sogenannten Spahi-Wache beordert. Was er da vom Krieg zu sehen bekam, war für den „Rösseler“ grauenhaft. Eisenbahnwagen, beladen mit Pferden, alle Tiere in schlechtem Zustand davon viele bereits tot, verhungert, mussten ausgeladen werden. Dazu gehörte ein Teil der 12000 polnischen Soldaten, die sich von Frankreich her über die Grenze in die Schweiz abgesetzt hatten und nun in Internierungslager unter gebracht werden mussten.
Ich merke, dass Vater mehr den verhungerten Pferden nach trauert, als den Polen, die auch ziemlich fertig gewesen sein mussten, so ohne Waffen in einem fremden Land.
Die Spahis, nein, die mussten sich keine Sorgen machen, die Burgdorferinnen kamen mit Kindskörben voller Chram und Schokolade zum Bahnhof, wollten die Fremden fast zu Tode füttern, waren völlig vernarrt in sie. Kaum ein polnischer Internierter, der auf der Pritsche übernachten musste. Der Nüchternste schaffte es ins beste Bett. Albert kann das bezeugen. Überall, wo diese Polen hin kamen, wurden die Frauen zu Närrinnen, hatten kaum mehr Augen für die Schweizer. Das machte diese böse und verzweifelt. Sie fragten die uralte Frage: „Was haben die, was wir nicht haben?“ Die Frauen hatten eine Antwort darauf. Albert weiss sie, will sie aber „ums Verroden“ nicht preis geben – nicht an diesem Tisch.
Es gibt ein Foto von meiner Mutter. Jung, lächelnd steht sie auf einer abgemähten Wiese, umringt von braungebrannten polnischen Internierten, die bei der Ernte helfen. Sie kann über diese Spahi-Weiberhelden bis heute nur Gutes sagen: freundlich, lustig, hilfsbereit und fleissig waren sie, sahen sofort, dass da schon einer war, der ein Auge auf die junge Frau geworfen hatte – mein Vater.

Wie der Begriff „Spahi“, den ich bis gestern noch nie gehört hatte, von Persien bis zu uns ins Bernerland gekommen ist, weiss ich nicht.
Wahrscheinlich mit den Handelsleuten über den Lukmanier … ?

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Heute bringt Albert seine Gedichte mit. Die Blätter liegen in einem trüben Sichtmäppchen. Sie sind vergilbt, fleckig, aber die Zeilen sind regelmässig, die Buchstaben schwungvoll. „Halt meine junge Schrift“, meint der alte Mann.
Vor 70 Jahren hat er alle Gedichte aufgeschrieben, „so zur Sicherheit“. Eigentlich braucht er die Blätter nicht, denn er weiss noch alle auswendig: Claudius, Schiller, Uhland, Lenau. Der Kaffee wird kalt. Albert hat die Augen zugekniffen und rezitiert Strophe für Strophe. Im Ofen knacken die Eibenscheite, meine alten Eltern hören zu, nicken ein bisschen mit den Köpfen: „Ja, ja, früher musste man schon als kleines Kind immer nur wärchen, aber die Gedichte kamen in den Kopf und blieben da. Weiss der Gugger wie.“ Sie gingen auch im Mitlitärdienst nicht verloren, als Albert im Jura des Nachts Wache stand und „am Morgen den Rauhreif aus den Stiefeln schüttelte“.
Aus dem blinden Mäppchen nimmt er einen Brief vom 27. Januar 1939. Seine Mutter schreibt ihm, dass sie zum Geburtstag leider keine Schokolade schicken könne, denn es gäbe im Dorf keine zu kaufen. Auf der hinteren leeren Seite, hat der junge Soldat ein Schmähgedicht auf Hitler und seine Entourage notiert, welches er auf einem holländischen Radiosender gehört hatte.
Dieser brachte auch „Lili Marleen“. Gerne hätte er nach dem Krieg einmal das
„Hotel de la Gare“
aufgesucht. Das hat leider nicht geklappt.
Übrigens: die zahlreichen Medaillen, Pokale, Urkunden, die er sich in all den Jahren an den Schützenfesten landauf landab „herausgeschossen“ hat, sind ihm heute richtig zuwider.
So, jetzt will er sich auf den Heimweg machen. Die Katzen müssen gefüttert werden und ausserdem sollte er noch ein bisschen darüber nachstudieren, welches Gedicht er nächste Woche vortragen könnte.

Die „vordere“ Nacht träumte Albert schon wieder von ihr. Sie mähten zusammen Gras – stillschweigend, Marie mit ihren unverwechselbaren Bewegungen, so wie sie auch in anderen Träumen an ihm vorbei ging, in denen er in einer fremden Wirtschaft sass und den tanzenden Paaren zusah.

So war es auch im wirklichen Leben. Marie tanzte jeden Tanz, nur einmal bei der Damenwahl auf der Bütschelegg blieb sie sitzen, holte keinen auf den Tanzboden. Beim Feldschiessen machte Albert den Kranz und Marie gratulierte ihm, der nur stumm da stand. In den vergangenen 65 Jahren sprach er nur einmal mit Marie. Das war an der Landesausstellung 39, als die Theatergruppe des Männerchors nach Zürich reiste. „Veillon“ hatte in der oberen Etage einer Halle eine Musterwohnung eingerichtet.
Marie rief von unten: „Was isch dert obe?“
Albert von oben: “ Es Himmelbett.“
Mit den Frauen hat’s nie so recht geklappt, obwohl Albert ein flotter Reiter war auf seinem Kohli „Basilisk“. Einer hatte er eine Karte geschrieben und ein Buch geschickt. Das Buch kam wieder zurück mit dem Bescheid, sie fühle sich noch zu jung für eine Bekanntschaft.

Marie hat dann einen Hummel aus dem Guggisbergerland geheiratet und Albert ist ledig geblieben. An der Grebt von Beyeler Gödu vor ungefähr 15 Jahren sass sie ihm schräg gegenüber. Er konnte sie nur anschauen, fand keine Worte.
Letzhin hat er ihre Telefonnummer haraus geschrieben. Nein, heute möchte er keinen Kaffee, auch kein „Stückli vom Beck“.
Etwas gebückt, den Kopf zwischen den hochgezogenen Schultern, macht sich der alte Mann vor dem Einnachten auf den Heimweg. Die Katzen müssen gefüttert werden, und wer weiss, vielleicht ist heute d e r Abend, an dem er Marie anrufen wird.