September 2004


Wochenthema: Wie lebt es sich im Westen?
Blogk: Manchmal.
Wochenthema: Warum?
Blogk: Ist nicht so einfach.
Wochenthema: Ach so.
Blogk: [hustet, krümmt sich, ringt nach Atem]
Wochenthema: Vielen Dank für das Gespräch.

[E-Mail von 2nd an 1st]

Liebe Erste

Könntest du fragen, ob das Zitat „alea iacta est“ in Kurdisch (welchem auch immer) bekannt ist? „Richtig“ übersetzt heisst es: „Der Würfel ist geworfen“ – wir brauchen es in Deutsch so wie im Subject. Vielleicht auch Ch. noch fragen, für die Version in Iwrith? M.R. macht ein kleines Forschungsprojekt an der Uni, ihr Mail sende ich dir apart.

In Albanisch scheint man nicht so zu würfeln, hatte gestern ein langes Gespräch mit der Familie S. vom 2. Stock, die haben andere Sprichwörter. Es war sehr amüsant, Mutter S. ist wirklich rhetorisch unerreicht.

Falls ihr Mann seinen Schwiegervater in die Wohnung bringt, wird sie mit der jüngsten Tochter ausziehen. Sie will nicht wieder diese „schreckliche Touriste“ bedienen, es reicht! Hoffentlich gibt die Schweiz dem Schwiegervater kein „B“ – sie betet jeden Tag zu Allah (er ist gross), dass die Schweiz noch strenger werde mit „B“ – schon „funfzig“ B-Ausweise hat ihr Mann irgendwelchen Unnützen verschafft und deshalb liebt und verehrt ihn die albanische Gemeinde. Aber Gottseidank Schweiz ist nun wirklich streng! Und sie schwört, dass sie mit diesem Schwiegervater und „seine Mädchen“ (???) fürsorgeabhängig und den Schweizern auf der Tasche sitzen würde. Ich habe eingewendet, ihre Kinder seien ja so gut integriert, dass sie nun auch Steuern bezahlen und Sozialfälle mittragen können und es vielleicht nicht ein Problem zwischen Schweizern und Ausländern sei, sondern eher ein Problem zwischen Deppen und Nicht-Deppen. Ja, das stimmt schon (seeeeehrrrrrrr, seeeeeehrrrrr Recht, liebe, liebe Zweite), sie läuft jetzt nicht mehr mit Freudinnen, die ihren Ghüder im öffentlichen Ghüder deponieren, nein, nein, das ist Unrecht, sehr, sehr schlimm. Aber dass die Nachbarin H. immer die Ghüdermarken der Familie S. kontrolliert hat, hat sie ihr noch nicht verziehen – Gotthabsieseelig. (Aber AAAALLLLE haben sie gehasst und der Sohn kommt nicht gut, weil er nie abgeschnitten war von der Mutter und jetzt wo sie tot ist, trinkt er jeeeeede Nacht.) Und zwei schweizer Frauen, die für einen Korb voller Tulpen beim Selber-Schneid-Feld nur drei winzige Münzen eingeworfen haben (tschigg – tschigg – tschigg), denen hat sie auch gesagt, dass Gott sie sehen und es ihnen mehrfach heimzahlen werde. Wer keine 80 Rappen pro Tulpe zahlen will, soll keine Tulpe haben. Von 80 Rappen kauft sie ein halbes Pfund Reis und ohne Tulpen kann man leben – obwohl Tulpen von unglaublicher Schönheit sind.

Liebe Grüsse

die Zweite

Ich bin krank. Aber ich bin trotzdem in die Stadt gegangen. Und ich habe einen neuen, teuren, Freitag-Fussball bekommen. Auf der Website von Freitag finde ich ihn nicht, aber Mama sagt, dass man dort sowieso nichts findet und dass Websites nicht nur cool aussehen sollen. Sie sollen freundlich aufgebaut sein.

Ich beschreibe jetzt halt den Ball:

Der Fussball ist weiss, manche der Fünfecke sind sibern. Auf einem steht: 100% ANIMAL FREE / REAL USED TRUCK TARP SUPERIOR HAND SEWN QUALITY. Und die Schachtel ist auch witzig, es sind Dinge zum Ausschneiden drauf, die mit Fussball zu tun haben. Und es steht noch F Prolo Sport drauf und „Dieser qualitativ hochstehende Fussball besteht aus gebrauchten LKW-Planen, ist garantiert kinderfrei hergestellt und nicht an Tieren getestet. Für jedes Wetter und Klima.“

Mein letzter Freitag-Fussball war rot und hielt sehr lange.

[31. Januar 2004: Email „aus schwersten zeiten von einem optimisten mit lebenserfahrung“. C.D. geb. in Budapest, ist Musiker und Computerfachmann, lebt seit 30 Jahren in der Nähe von Haifa]

…schon lange zeit habe ich nicht geschrieben, weil ich sehr beschaeftigt war mit arbeitssuche, die beinahe hoffnungslos war. es ist ein wunder, dass ich einen arbeitsplatz gefunden habe, wenigstens fuer kurze zeit. nicht durch annonce oder zeitung, nur von mund zu ohr – so geht das hier im heiligen land. natuerlich ist das gehalt nur 1/3 von dem was ich bisher verdient habe, aber ich muss zufrieden sein, dass ich ueberhaupt lebe. meine freunde, die professoren von der computerbranche, suchen noch immer, schon 1 jahr und 7 monate. leider ist hier eine unmoegliche situation. die leute werden schon mit 40 zu „alten sachen“ degradiert. das habe ich am eigenen koerper gespuert. die sorge für andere ist nicht in mode. hier ist es jetzt zu dem zustand gekommen: ausbeuter und ausgebeutete. die arbeitgeber verdienen 1500!!! mal mehr als die einfachen arbeitnehmer. in jeder branche dasselbe. wir halten den weltrekord. eines tages wird das explodieren. die gesellschaftliche spannung ist hier so gefaehrlich, dass die ganzen arabischen armeen zusammen nicht gefaehrlicher sein koennen als die gegenwaertige lage.
sonst ist alles in ordnung – relativ, wie es hier moeglich ist. Nur gestern war wieder ein selbstmordanschlag, 10 tote und 50-60 verletzte. das zaehlt hier schon zum grauen alltag.
jetzt zu den guten ereignissen. vor einer woche habe ich mit meinem orchester in Mishmar haEmek ein konzert gegeben. es war ein grosser erfolg, und wir haben viele einladungen bekommen. mein spiel auf dem waldhorn ist viel besser als vor 30 jahren (bin ich reifer geworden??) zur zeit arbeite ich an einem projekt in Hod haSharon, wo sehr viele hitech-musiker leben. wir sind nur 15-20 leute, aber langsam waechst unser orchester weiter. das spielen ist wichtig für die Seele …

1994 – In fremden Dörfern, erzählt von L. (Jg. 1986) am 10. August 2003, gesammelt von 1st

Meine Eltern hatten sich wieder einmal getrennt. Meine drei älternen Schwestern blieben bei meinem Vater in Süleimanja. Mein kleiner Bruder und ich zogen mit der Mutter weit weg von der Stadt in ein Dorf, seinen Namen weiss ich nicht mehr, in die Nähe von Halabja. (Diese Gegend ist bekannt für ihre Mäuse und Malariamücken.)

Die Menschen dort lebten von den Kühen, dem Federvieh, den Früchten der Bäume, dem wilden Honig und dem Arrak, in welchem noch die Blättchen des süssen Kümmels schwammen.
Wir fanden ein Zimmer bei einer alten Frau, die ich „Chanm“, Madame, nannte. Um ihren Hals verlief eine hässliche Narbe. Zwei Einbrecher hatten sie einmal hinterrücks überfallen und ihr beinahe die Kehle durchgeschnitten. Einer der beiden verlor beim Überfall seinen Ausweis und so kamen die Diebe ins Gefängnis.

Meine Mutter stand immer sehr früh auf, um auf dem Markt Frühstück zu kaufen. Sie war sehr schön, mit ihrer hellen Haut, den braungrünen Augen und den rosaroten Wangen. Die Männer waren verrückt nach ihr, tuschelten hinter ihrem Rücken und starrten sie an. Das machte mich sehr eifersüchtig und ich war oft wütend deswegen. Der Joghurtmann war richtig verliebt in sie und gab uns oft die Waren umsonst. Meine Mutter war ganz anders als die Dorffrauen, welche schon mit 13 Jahren Falten bekamen, mit den Hühnern zu Bett gingen und mit den Hähnen aufstanden. Bei der Arbeit rollten sie ihre Röcke hoch und zeigten ausgemergelte Beine. Diese gross gewachsenen Frauen fanden meine Mutter dumm, denn sie war nur eine kleine Lehrerin und hatte keine Ahnung vom Melken und Käsen. Dabei konnte meine Mutter Wein machen und auch ein feines Essen, das „Trchena“ genannt und auch als Wintervorrat zubereitet wird. (Ich weiss leider nicht mehr, woraus diese Trchena gemacht wird. Ich muss unbedingt meine Kusine fragen).

Plötzlich, eines Tages, tauchten mein Vater und die Schwestern auf. Nun wohnte die ganze Familie in dem kleinen Zimmer. Mein Vater und die Schwestern haben sehr über die rückständigen Leute gelacht. Lachend hat mein Vater angefangen, für das ganze Dorf nützliche Sachen zu bauen: einen Tauchsieder aus einem mit Draht umwickelten Stein, damit man das Badewasser wärmen konnte, er flickte das Radio aus den 70er Jahren, fertigte aus einem Ölfass einen Ofen an, auf dem man Brot backen und Fleisch braten konnte. Die Leute haben uns dafür geliebt. Wir wurden immer eingeladen und mussten nie mehr kochen. Als die Schule im Herbst wieder anfing, zogen wir nach Bakrajo, denn in Süleimanja waren die Wohnungen zu teuer.

Zum Dorf Bakrajo, das heisst „Gerstenernte“, führte nur ein schlechter Weg, welcher bei nassem Wetter schlammig wurde. Kein Bus fuhr in dieses abgelegene Dorf. Die Wohnung war billig. Die Leute wohnten mit Mäusen und Ratten zusammen, welche aus den Schränken heraussprangen, wenn man die Türen öffnete. Wir kannten fast alle Probleme der Bewohnerinnen und Bewohner, und meine Mutter hat fast alle gelöst. Die Menschen von Bakrajo hatten nicht viel Ahnung von der Welt ausserhalb ihres Dorfes. Sie leben von den Sonnenblumen und ihren Kernen, vom Reis und der Gerste (Jo). Aber diese Menschen hatten ein grosses Herz und waren bekannt für ihre wunderbare Gastfreundschaft. Zu unserem Einzug haben sie uns königlich beschenkt mit allem, was sie hatten.

[Eine Nachbarin bittet um Internet-Zugang, für dringenden Aufruf]:

ja trazim svog bratica gorana c.,31 godinu starog,koji se nalazi
negdje u njemackoj. goran dolazi iz zagreba i ima dva brata i roditelje
koji zive u zagrebu. molim gorana ili osobe koje mi mogu pomoci da mi se jave . hvala lijepa.

[Heute vor drei Jahren abgeschickt (Leibachertag), Anfang Oktober 2001 publiziert. ]

In dieser Welt gibt es Menschen, die sterben wollen. Männer, geschickt, körperlich gesund und jung. Auch in der Schweiz. Die Zahl der Selbsttötungen bei uns bleibt hoch, Rentner springen in den Fluss, Kinder aus dem Fenster, Frauen nehmen Tabletten oder den Weg dem TGV entgegen.

Vielleicht ist es an der Zeit, den Robinsonspielplatz aus meiner Kindheit in Stand zu setzen. Vielleicht ist es an der Zeit, im Heimatmuseum zu Bern „Taburettli“ anzuschaffen, damit auch die Kinder unter zehn Jahren die Marder und Meisen anschauen können. Vielleicht ist es an der Zeit, die Bibliotheken in diesem Land einen Tag in der Woche mehr zu öffnen, als einen Tag mehr zu schliessen. Vielleicht ist es an der Zeit, die Menschen an sonnigen Abenden im Gratis-Freibad ins Gespräch vertieft sein zu lassen, anstatt sie mit Durchsagen von müdem Personal zu verjagen. Vielleicht ist es an der Zeit, in jedem Schulhaus einen Mittagstisch zu haben und genügend Brot für jedes Zvieri in jedem Kinderhort dieses zivilisierten Landes.

Denn in dieser Welt gibt es Menschen, die sterben wollen. Aber nicht mehr allein.

Das Taburettliproblem ist gelöst, es hat jetzt eine Stange, an der sich die Kinder hochziehen können. Das Freibad schliesst noch immer früh, am wunderbarsten Sonnentag – dem 1. August 2004 – schon um 18.00 Uhr, halt einfach, weils der 1. August war (und viele frei hatten). Es hat ca. zehn Aufrufe („Mir schliesse ds Bad am Sächsi, chömet usem Wasser, leget nech a. Mir schliesse!!!“) und handgreifliche Bademeister gebraucht, um die Leute rauszuwerfen.

Hey! Wollt ihr nicht in Lecce heiraten? Hier können beide ihren eigenen Familiennamen behalten, ohne Anhängsel. Olala una matrimonia italiana …
Nein, liebe Schwester (2nd2nd) das Glück wäre von kurzer Dauer. Denn für Menschen mit Schweizer Pass gilt das Schweizer Gesetz. (Da kommen dann die Masseneingebürgerten noch auf die Welt! Jawohl und „wenn jede so wett, “ aber das nur am Rande.) Die Leccener müssten also unsere Eheschliessung der Schweiz melden und die beharrt dann auf ihren vier Möglichkeiten. Aber zuerst der Jetzt-Zustand:

Variante Konkubinat:
Mann: Rindlisbacher
Frau: Tschan
Kind: Tschan

… kann keinesfalls beibehalten werden, selbst wenn die Frau beriet ist, einen Doppelnamen zu tragen. Für die Ehe gibt es vier Varianten:

Variante 1 (ohne vorgängige Bewilligung)
Mann: Rindlisbacher
Frau: Rindlisbacher geb. Tschan
Kind: Rindlisbacher

Variante 2 (ohne vorgängige Bewilligung)
Mann: Rindlisbacher
Frau: Tschan Rindlisbacher geb. Tschan
Kind: Rindlisbacher

Variante 3 vorgängige Bewilligung notwendig
Mann: Tschan geb. Rindlisbacher
Frau: Tschan
Kind: Tschan

Variante 4 vorgängige Bewilligung notwendig
Mann: Rindlisbacher Tschan geb. Rindlisbacher
Frau: Tschan
Kind: Tschan

… und die sind bis ins siebte Glied zu berücksichtigen. Die einzige Hintertür wäre ein starke Benachteiligung des Kindes durch den neuen Familiennamen. Also wenn Simone Niggli-Luder und ihr Mann jetzt den Namen wechseln müssten, weil Simones bisher in wilder Ehe lebenden Eltern beschlossen haben zu heiraten, wäre das unter Umständen als solche zu werten, eventuell.

… Und warum will der Mann nicht den Doppelnamen? Weil es im Moment in etwa drei Ameisen kosten würde, überall seine rechtsgültige Unterschrift zu ändern.

Ja, ja, es ist nicht so leicht wie in Lecce. (Wobei aus dem SMS nicht klar hervorgeht, was mit dem Kinder-Nachnamen passiert? Darf man auswählen? Das stand ja hierzulande auch zur Debatte, aber die CVP – das stolze Zünglein an der Waage – wollte nicht. Sie fürchtete die Eltern würden sich darüber streiten. Amen.)

An die Betreuerinnen und Betreuer

17. Dezember 2001

Liebe Betreuerinnen und Betreuer von M. M.

Ich bin mir nicht sicher, ob dies ein gutes Geschenk ist. Aber ich dachte mir, vielleicht könnte die Hampel-Piratenschiff-Bastelei in eine Freizeitgestaltung eingebaut werden? M.M. hat von seinem Umzug erzählt und eine witzige Dekoration für ein neues Zimmer wäre das schon.

Wenn Sie das Basteln zu mühsam finden, rufen Sie mich doch rasch an, dann schicke ich etwas anderes.

Mit freundlichen Grüssen & besten Wünschen

[Brief meiner Freundin und Deutschlehrerin A. ]

Frau S senior und Frau S junior

Sehr geehrte Frau X,

Ich gestatte mir, mich in Sachen der obgenannten Frauen an Sie zu wenden:

Frau S senior besucht bei mir einen Deutschkurs (Modul X). Sie selbst ist anerkannt und besitzt einen B-Ausweis für anerk. Flüchtlinge. Ihre 25 Jahre alte Tochter hingegen ist vorläufig aufgenommen und hat einen F-Ausweis. Wie mir die beiden Frauen darlegten, hat die Tochter S junior ihre Stadt zwei Tage vor ihrer Mutter verlassen, weil nämlich die jungen Leute zuerst gingen resp. sich in Sicherheit brachten und die Älteren noch zurückblieben (das ist ja nicht an den Haaren herbei gerissen, dass es sich meist so abspielt, liest man in verschiedenen Berichten über Kriegsgebiete immer wieder). In die Schweiz eingereist sind sie jedoch zusammen. Es wurde vermutlich bei der Befragung ein Widerspruch ausgemacht und die Aussagen der Tochter offenbar als unglaubwürdig qualifiziert. S senior wollte einen Rekurs einreichen, begab sich zur Rechtsberatungsstelle und bekam von dort die Antwort per Post, dass man in ihrer Situation nichts machen könne. Allerdings kam der Brief, als die Ein-sprachefrist schon abgelaufen war, gemäss Aussagen von S senior. Nun ist das nicht das Problem ihres Amtes, die Frist ist abgelaufen, die Sache fix. Mutter anerkannt, Tochter vorläufig aufgenommen.

Wie realistisch ist es, dass die Tochter je wieder, ohne nahe Verwandte (Vater verschleppt, verschollen, gestorben…. bis heute ungeklärt), in ihrem Land Fuss fassen wird? Erst recht nicht, wenn ihre Mutter hier bleiben kann als anerkannte Flüchtlings-frau. Das ist doch ziemlich absurd. Wichtig ist mir, dass Sie wissen:

Beide Frauen arbeiten in Billiglohnjobs (Küchenhilfe, Reinigungsdienst). Ich könnte auch sagen, sie rackern sich ab, sie machen beide einen gesundheitlich angeschlagenen Eindruck. Sie sind sehr darauf bedacht, möglichst selbstständig zu leben. Die Tochter ist vollkommen fürsorgeunabhängig, arbeitet an ihrer Arbeitsstelle unregelmässig und auf Abruf, springt jederzeit ein, wenn sie dazu aufgefordert wird. Darum aber kann sie keinen Deutschkurs besuchen: Weil sie erstens vorher nie genau weiss, wann sie frei hat und zweitens, weil ihr, wenn sie nicht mehr jederzeit verfügbar wäre, die Stelle gekündigt würde, zumindest hat sie Angst davor. Und ein Deutschkurs darf sie auch nicht zu viel kosten, weil ihr eben an Geld mangelt (ihr Gehalt reicht gerade für die monatl. Fixkosten). Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass S junior in ihrer Heimat das Gymnasium besucht und ein Studium der Jurisprudenz angefangen hat. Sie wirkt sehr intelligent (spricht deutsch, obwohl sie nur einen Monat einen Kurs besuchte) und ich bin mir sicher, dass sie als anerkannter Flüchtling das Beste aus ihren Möglichkeiten machen würde. Seit 4 Jahren ist sie vollkommen blockiert.

Ist es sinnvoll und wünschenswert, dass ihr Potential derart brachliegt? Ich kann mir nicht erklären, warum solche Situationen geschaffen werden. Können Sie mir dies erklären? Es kann doch nicht das Ziel sein, dass eine junge intelligente Frau, die nicht mehr von der Fürsorge lebt und sich für eine Arbeit bemüht hat, derart vor sich hin dämmt und ihre Intelligenz nicht brauchen kann. Es wirkt auf mich so, als wäre sie doppelt bestraft: Der Krieg, die Flucht (die Mutter ist anerkannt, also muss es doch Asylgründe geben!) und dann eine festgefahrene Situation wegen ihres Ausweises, in der ihr eine Weiterentwicklung total verweigert wird. Es ist meiner Meinung nach eine unhaltbare Situation und ich fühle mich als Bürgerin dieses Landes dazu berechtigt, Sie darauf aufmerksam zu machen.

Natürlich habe ich den Frauen auch geraten, einen anständigen Anwalt zu beauftragen. Allerdings: Wie sollen sie sich den finanzieren?

Ich bitte Sie mit Nachdruck um Stellungnahme.

Stellungnahme des Amtes (Auszug) zu Fragen der Namenswahl nach der Heirat der Eltern:

Ihre Gesetzesinterpretation ist richtig. Auch ein volljähriges Kind erhält bei Heirat seiner Eltern den gemeinsamen Familiennamen. Es ist auch richtig, dass sich dies auf seine eigene Familie (Ehefrau und Kinder) auswirken würde. Alle Namen müssten angepasst werden.

Read twice. Wenn der Sohn dann selbst verheiratet ist (und Doppelnamen trägt)? Und die Frau vielleicht aus Portugal stammt oder aus Spanien und selbst schon zwei oder drei Familiennamen mitbringt? Deren Kinder? Ogottogott. Da habens selbst die Zwillingsphotonen leichter.

Die Familiengarderobe im Schwimmbad ist geräumt, in den Medien wird wieder Rilke zitiert, im Mailverkehr der Sektion wünscht man den Genossinnen und Genossen ein schönes Wochenende zum Kräftesammeln u.a. auch für den Wintereinbruch, die Guschti (Rinder) kommen nächsten Donnerstag von der Alp, schön geschmückt, alle die, welche die sommerlichen Unwetter und die abschüssigen Weiden heil überstanden haben. Die Bettagsblumen verdecken manch lottrigen Gartenzaun, und eigentlich müsste man zum Nussen „den Hecken nach“. Die Geranien auf Lauben und Fensterbänken haben sich in ihrem Hängen und Ranken erst jetzt, wo’s dem ersten Reif zu geht, ihren Standorten angepasst. Zu meinem Erstaunen lese ich zwischen der Blütenpracht auf Leintücher gemalte Botschaften: „Anita und Urs heiraten“, „Wir haben geheiratet: Sonja und Ernst“, „Just married: Katharina und René“, „Florian ist da! Dr Papi isch stolz!“ Möchte auch im 21. Jahrhundert j e t z t niemand alleine bleiben? In den Baugruben vor dem Dorf wird gebaut, denn wer j e t z t kein Haus hat, baut sich keines mehr? All diese Zeichen des nahenden Winters könnten übersehen werden, wäre da nicht die Flut der Herbst/Winter Modekataloge. Routiniert trennt frau alle Modelle mit floralen Applikationen, aufgestickten Pandabären, Schneemännern, Paillettenpanthern, Imitat-Perlen, Ajourmustern, Zierknöpfen, abgesteppten Biesen, akzentuierenden Kontraststreifen und aparten Strickmustern, von den unifarbenen Shirts, Röcken und Jacken – wahrlich, eine aufwändige (endlich habe ich Gelegenheit, dieses Wort passend zu benutzen) Arbeit! Kein Körperteil wird aber in den Katalogen behutsamer behandelt, als die weibliche Brust. Dafür gibt es vorgeformte Cups, doppelt unterlegt, mit Stäbchen an den Seiten. BHs haben bequeme gepolsterte Träger mit Frottee und verstärktem Gummizug aus Fiberlfill, die für sicheren Beschwerde freien Halt sorgen, als „Stossdämpfer“ wirken und nicht einschneiden. Formbügel bieten optimalen Halt. Nicht fehlen dürfen die exquisiten schmückenden Details wie ausdrucksstarke feminine Spitze oder Silberlyrexprint geflockt mit kleinen Schleifen und Strasssteinen. Natürlich weden wir lesen, wenn die Blätter treiben und auch ab und zu ein bisschen schreiben …

Der Wellensittich ist der Falsche. Die Falsche: abgängig ist ein Männchen, das eingefangene ein Weibchen. Das sitzt also jetzt bei zwei Männchen im Käfig, gedeihe, so sagt die Mamma, sei sehr zutraulich und lasse sich gerne duschen. Und sie könnten sich jetzt vermehren, wenn man noch einen Brutkasten hätte. Der Kalauer lauert (wie v* V*? Ich habe keine Vorstellung.)

Das alles am Rande eines Elternabends.

Es ist nicht unbedingt wegen seiner Simme, auch nicht nur wegen der Musik oder dem Takt, es ist weil er alles so echt machen kann, dass ich Johnny Cash liebe.

Ich höre gerade MURDER.
Er sagte darüber in Englisch:

Here is my personal selection of my recordings of songs of robbers, liars and murderers. These songs are just for listerning and singing. Don’t go out an do it.

Gelesen vor 14 Tagen:

  • Entfolgen: Wellesittich, grün/gelb. Hört auf den Namen „Neon“. Hinweise bitte melden unter Telefon. Finderlohn!
  • Kind, Suggar Puffs essend, vor dem Fenster: Kuck mal, Lucas Wellensittich ist auf unserem Balkon.

    Mutter: Das stimmt.Wirft dem Vogel Suggar Puffs hin, versteht sich nicht auf Wellensittiche, ruft dem Vater, der sich auch nicht versteht darauf.

    Mutter/Kind: Komm, Neon, komm. Wir bringen dich nach Hause, komm du lieber kleiner Vogel, tschtschtsch.

    Vater: Ein Wellensittich hört nicht.

    Mutter/Kind: Das weiss man nie – woher überhaupt?

    Vater: Etwas zum Fangen. Kein Netz, etwas Hebliges. Hält den Sittich mit Sonnenblumenkernen in Schach.

    Mutter: Der IKEA-Papierkorb!

    Vater/Mutter/Kind: Komm, Neon, komm. Wir tun dir nichts, tschtschtsch. Komm nach Hause, komm zu Kräften, komm zu Luca, tschtschtsch…Vater schleicht sich mit DOKUMENT-Modell von hinten an, Mutter hält den Vietnam-Bildband fürs Drunterschieben bereit, Kind hüft wie verrückt auf und ab.

    Und voilà, geschafft! Vogel ist im DOKUMENT und frisst Sesamkörner und badet in der Porzellanschale. Wartet bis Mamma Luca mit dem Käfig kommt und lässt sich anstandslos neben seinen Ersatz-Sittich setzen.

    Den Finderlohn kriegt das Kind.

    Ende gut, alles gut. Immerhin etwas.

    Vor drei Jahren war der „Blocksturz“. So habe ich den Einsturz des World Trade Center damals genannt.

    Ich habe meine erste Fanpost erhalten! Für einen Flamenco-Auftritt. Von einer alten Dame im Rollstuhl. Mein Vater sagt zwar, dass Fanpost von 19-jährigen am besten ist. 9-jährige sind zu klein, 50-jähre zu langweilig und 90-jährige zu alt. Aber das Alter ist mir egal, denn ich bin ja selber noch nicht einmal 10.

    Diesen Artikel extra herausgerissen und rumgeschleppt und heute endlich gelesen:

    Wen meint Frau Hauck mit „wir“? Wer macht, dass die Väter beim Familiennachzug wissen, wie die Rechtslage hier ist? (Brauchen wir eine Integrationsstelle, um Jugendlichen bei der 1. Steuererklärung zu helfen?) Wer räumt die Hindernisse weg und überlegt und schaut, dass die Gegenseitigkeit funktioniert auch neben dem Papier?

    Dass man bei fehlenden Sprachkenntnissen in der heutigen Zeit „nicht die Mängel hervorheben, sondern die Potenziale nutzen“ solle, ist abstrus. Ich frage mich, wie das geht, wenn ein Kind hauptsächlich mündlich einen albanischen Bergdialekt oder eine somalische Stammessprache im Familienkreis „beherrscht“. Was soll das heissen, die Migrantinnen hätten mehr Kinder, „das gleiche sich auf die Dauer aber an“? Wie lange dauert denn „die Dauer“ und wie kann sie überlebt werden? Diese Antworten sind so etwas von ignorant und so etwas von überheblich distanziert.

    „Kinder gelten als Ausländer, obschon sie sich nicht von Schweizer Kindern unterscheiden“, meint sie. Das ist auch so eine verwässerte „Tatsache“, denn – wie Frau Hauck richtig bemerkt – kennen viele Leute die Gesetzte nicht, auch nicht die zu ihren Gunsten, wenn sie längst eingebürgert sind.

    Jupiiii … Das einzige Schweizer Kind in der Klasse soll chancengleich behandelt werden, auch jupiii … von wem? Von „wir“. „Wir hier“ sind Tag und Nacht damit beschäftigt, über unsere Werte nachzudenken, besonders dann am Intensivsten, wenn mein Enkel (3rd) angespuckt und mit nassen Tüchern geschlagen, ihm schwuler Streber nachgerufen oder die Nase (mit dem Knie) eingetreten wird. Ich bin beruhigt, denn „wir“ sollten ja nach Gründen und Hilfsmöglichkeiten bei Männergewalt suchen und uns auch an den afrikanischen Erfolgsgeschichten, die nun wieder nicht bis zu mir vorgedrungen sind, laben.

    Es ist auch deplaziert, immer die Italiener zum Vergleich ins Feld zu führen. Diese kamen sicher aus bitterer Armut, litten mit ihren Familien hie und da unter der Mafia. Aber meines Wissens kamen sie nicht aus ausgebombten Dörfern, mit massakrierten Familienmitgliedern, vergewaltigten Frauen, verminten Feldern, vergifteten Bächen, mit Verfassungen aus grauen Vorzeiten, Sippenfehden…

    Ich will hier enden, denn wenn „wir“ an diesen Fragen arbeiten wollen, dürfen „wir“ nicht so tun, als ob das alles bei den nun 15 Jahre andauernden Sparmassnahmen nur ansatzweise zu bewältigen sei. Ich denke auch nicht, dass es heute genügt, Caritas-Erfahrungen, die ja auch schon eine Zeit lang hinter „wir“ liegen oder solche mit kirchenfelder Botschaftsangestellten, zu haben. So ein Scheissartikel.

    Zum sechzigsten Mal Geburtstag und endlich ein Blog. Ab und zu werden sich auch die Nachkommen melden. In den Blog gehören Freude und Trauer, echte Leidenschaften und gerechter Zorn der Hochhausgenerationen. Nach tausenden von Besichtigungen, Analysen, Überheblichkeiten, Entwicklungshilfen, „Aufwertungs-Ideen“ und baulichem Fehlpässen von Menschen, die über den Block urteilen aber im Häuschen wohnen, ist es Zeit für Stimmen aus dem Innern.