2005


sei das Quartier, meint Sabine Schärrer, Tochter der Quartierarchitekten Hans und Gret Reinhard im heutigen Interview (noch nicht online). In architektonischen Fragen bin ich mit ihr zu 70% einverstanden, in sozialen zu 5%. Aber wie sollte es anders sein? Schliesslich wohne ich hier und sie in der Elfenau.

Nein, nein, „von einem Ghetto zu reden wäre eindeutig verfehlt“, sagt sie. „Allen, die das sagen, würde ich das Quartier ganz gerne mal zeigen.“ Tja:

Quartierrundgänge
sind eben
nicht
das Leben.

Und die Vereinigung für Beratung, Integrationshilfe und Gemeinwesenarbeit (VBG), deren Präsidentin sie ist, finde ich, gemessen an Geld und Auftrag, die unprofessionellste Institution, die wir hier in Bern haben. Aber ich möchte unserem Quartierverein, der im Vergleich ein Ausbund an Professionalität und abhängig von eben dieser VBG ist, keine Probleme machen, indem ich hier zu viele Müsterchen loswerde. Vielleicht später einmal. So manches ist zu gut, um nicht gebloggt zu werden. Oft wünsche ich mir, alle hier hätten eine andere Sprache und Schrift auf ihrem Internet, wie bei Lila, die gelassen über die Kibbuz-Vollversammlungen bloggen kann.

Damit schliessen wir die Serie: „Unser Quartier von aussen betrachtet,“ mit – sagen wir mal – gemischten Gefühlen.

…schon wieder Leute aus dem Block C befragen. So gemein. Es gibt noch zwei weitere Blöcke hier, genau! A und B.

Ich bin mit den Damen immerhin einig, dass das Warnpiepen der Baulastwagen unsäglich penetrant ist. Es ähnelt dem Timer, den ich bei McDonald’s im Griff behalten musste, Fritten, Fishmac, Nuggets, ApplePie. Das hat mich dann auch immer so schön in den Schlaf begleitet.

Endlich. Die Schädlingsbekämpfung kommt. Der Kammerjäger hat einen starken Befall von Pharaoameisen und Schaben diagnostiziert und will nun in zwei Tagen alle 38 Wohnungen zwischen Erdgeschoss und 13. Stock behandeln.

Ameisen kennen wir aus unserer Wohnung nicht, aber Kakerlaken (Küchenschaben, Schwabenkäfer). Mit schöner Regelmässigkeit, alle zwei Jahre jeweils im Herbst, melden sie sich zurück und fallen zu Hunderten über unsere Küche her. Traditionellerweise wird die Saison eingeläutet von einem sehr lauten, morgendlichen ‚Ääääääääääääääähhhhhhhhh‘ von 2nd, female, aus der Küche.

Die Kaffeemaschine und -mühle sind dann ihre bevorzugten Brutplätze, bei einer Stossbehandlung mit der grünen Spraydose stieben jeweils einige Dutzend ganz kleine (1mm) bis ziemlich grosse (15mm) raus und verschwinden, einige verenden.

Das reicht natürlich nicht, und alle zwei Jahre lässt die Vermieterschaft auf unseren Wunsch hin den Kammerjäger kommen, unterlässt es aber auch nicht, uns die Schuld zuzuschieben. Das machen sie – ausser bei uns – offenbar sehr effektiv, denn es hat natürlich schon immer in allen Wohnungen solche Viecher, aber kaum jemand wagte sich es zu melden. In diesem Herbst wäre wieder eine Invasion fällig gewesen. Vielleicht bleiben wir jetzt drei, vier Jahre schabenfrei?

Nächste Woche, Montag und Dienstag, ab 8 Uhr kommen die Männer der Schädlingsbekämpfung, mit Gasmasken.

Wer nicht da ist, gibt bitte den Schlüssel beim Hausabwart oder bei den Nachbarn ab.

Wir freuen uns

Weniger Arbeitslose

Im Gäbelbachquartier leben weniger Arbeitslose als im restlichen Kantonsgebiet: Hier beträgt die Quote 2,2 Prozent, während auf die ganze Stadt gesehen 2,6 Prozent der Bevölkerung arbeitslos sind. Auf Stadtgebiet sind 2 Prozent der Schweizer ohne Erwerbsarbeit, im Gäbelbach 1,6 Prozent. 4,8 Prozent der Ausländer sind im Berner Schnitt arbeitslos, im Gäbelbach sind es 3,1 Prozent. [Quelle, der Bund vom 16.8.]

Nachdem wir vorgestern also in der Zeitung lesen konnten, dass wir seltener arbeitslos sind als die andern, müssen wir uns heute schon wieder mit einem Korrigendum abfinden (wer hätte das gedacht):

7,2 Prozent Arbeitslose

In der Dienstagsausgabe vermeldete der «Bund» eine Arbeitslosenquote von 2,2 Prozent für das Quartier. Diese Quote bezog sich auf die Gesamtbevölkerung. Die offizielle Arbeitslosenquote hingegen bezieht sich auf die Anzahl Erwerbspersonen. So berechnet, liegt die Arbeitslosenquote im Gäbelbach deutlich höher: Ende 2004 betrug sie 7,2 Prozent. 5,4 Prozent der Schweizer und 9,5 Prozent der ausländischen Erwerbspersonen waren ohne Arbeit. Im Stadtberner Schnitt betrug die Arbeitslosenquote Ende 2004 4,4 Prozent –3,5 Prozent bei den Schweizern, 7,1 Prozent bei den Ausländern. [Quelle: Der Bund von heute]

Das ist wunderbar, weil so exemplarisch für den Umgang Berns (Unesco Weltkulturerbe) mit seinem Stadtrand. Zuerst findet man das Quartier noch cool (leCorbusier abgeguckt, erster Elementbau Europas), dann kommen die Zurück-zur-Natur-Fritzen und verdammen die „Kaninchenställe“, parallel dazu beginnt der Eigenheim-Tick von Ottonormalverbraucher, der die ganze Peripherie verbaut und den Pendlerverkehr zu einem der grössten Probleme Berns macht. So wird weggeschaut und gespart und einfach ignoriert. Und weils dann in einer Art zerfällt, die für alle in der Stadt etwas peinlich wird, beginnt die Beschönigungsrunde.

Den übrigen Platz widmet die Serie heute unserem Tierpark, der gelinde gesagt Geschmacksache ist und auch immer mal wieder militante Tierschützer anzieht. (Die schneiden das Gehege durch und lassen die Viecher frei, die man dann am nächsten und übernächsten Tag irgendwo tot zussammenschaufelt oder ersoffen aus dem Bach hievt. Und beim letzten Mal haben sie sogar ihr Repertoire erweitert und ein Bekennerschrieben hinterlassen.)

Am Mittwoch ist das leidige Thema Hauswartschaft dran und der Artikel entspricht dem, was ich hier erlebe. Die Hauswarte entscheiden über das Quartierbild, sind mal kreuzblöd, mal engagiert, haben aber immer ein unerfüllbar überfrachtetes Pflichtenheft.

Auch die Kurzfassung über das Verhältnis zwischen Leuten aus der Schweiz, Eingebürgerten und Leuten aus dem Ausland trifft zu. Nicht die Tatsachen, sondern die Empfindungen. (Nicht nur Leute aus Ex-Jugoslawien fahren zu schnell, der hier ist ein waschechter Schweizer, dem Namen nach seit mindestens 10 Generationen.)

Völliger Mist ist das Gesülze von der Aufwertung des Quartiers durch Zusammenbauerei mit einer neuen Siedlung, in der Eigentumswohnungen entstehen, welche nach meiner Einschätzung hauptsächlich von Rentnern und Dinks gekauft werden. Was wir brauchen, um das Quartier aufzuwerten, ist in erster Linie mehr Präsenz von Leuten, die Quartierarbeit machen. Und eine bessere Schule und alle anderen Massnahmen, die eine schnellere Reaktion auf Gewaltprobleme unter Kindern ermöglichen.

Ebenfalls enerviert bin ich vom ewig gleichen Turn der Chefs bei Polizei und Quartierverwaltung, die in die Statistik blicken und sagen, nöö, hier ist es nicht schlimmer als anderswo. Dass die Latte viel höher hängt, dass es viel länger dauert bis irgend etwas kritisiert oder ein Delikt angezeigt wird, verschweigen sie. Dass es hier einen Riesenanteil Menschen gibt, die sich nicht ausdrücken können, die ihre Rechte und Möglichkeiten wie auch die Behörden nicht kennen, ist kein Thema.

Ausser mir wusste niemand von den Eltern in 3rd Ex-Klasse, dass die Schule während der Schulzeit eine Aufsichtspflicht hat, selbst wenn eine Lehrperson krank ist. Niemand wusste, dass jedes Kind ein Recht auf ein Mathematikbuch und ein eigenes Lesebuch hat, weil wir das mit den Steuern bezahlen. Auch die Schweizer Eltern hatten keine Ahnung. Die wissen aber immerhin meistens, dass es hierzulande verboten ist, Frau und Kinder mit einem Stock zu verprügeln.

Die Bund – Serie über unser Quartier hat Halbzeit. Gemessen an den (Selbst-)Lügen, die sonst darüber kursieren, ist sie erstaunlich gut.

Und so geht es weiter. Das HipHopMusical „Block A Dream“ haben 1st, 2nd2nd und 3rd bereits gesehen, ich gucke am Mittwoch, 3rd kommt noch einmal mit, vollcoolgeil fand er das.

All the world’s a stage – wird hier gut sichtbar. Ich kann das Freilichttheater nur von der Realität unterscheiden, weil’s abgesperrt ist. Ob man als Darsteller ins Publikum schaut oder als Publikum zu den Darstellern: alles eins. Wir kennen einander, der Hauptdarsteller war bei 1st im Hort, die Familie hat vor wenigen Wochen ihr 5. Kind bekommen. Sein Vater war (und ist) als Eingebürgerter überzeugter Gegner der erleichterten Einbürgerung, weshalb ich vor einem Jahr im Bus mit ihm herumgestritten und die Abstimmung natürlich trotzdem verloren habe.

Doch das Zentralste, was ein Aussenstehender diesem Bericht über unser Quartier entnehmen kann, ist: Eine Frau anderer Nationaliät zu lieben ist hier eine Million mal schwieriger, als an die Drogen der Welt zu kommen.

Und zum Schluss: Herr Rau erklärt die Cricket-Regeln (nicht dass ich sie jetzt verstehen würde, ist aber trotzdem schön). Wir haben neben bekifftem Jungvolk auch eine Gruppe strammer Inder und Pakistani die jeden Sonntag – zusammen! Peace now! – Cricket spielen. Und weil der Rasen nicht ganz so gross und freistehend ist, wie er sollte, sieht man sie hauptsächlich auf dem Schulhausdach ihre Bälle suchen. Aber Cricket eilt auch nie.

1. Die Serie über unser Quartier hat begonnen. Optimistisch wie sich das gehört.

2. Israel zieht sich zurück. Ob hier Konfliktpotenzial aufweicht, vermögen nur die vor Ort zu sagen. Und die vielleicht.

3. Die Personenfreizügigkeit Ost: Der Abstimmungskampf hat begonnen, ignoranz.ch fasst wie gewohnt akribisch zusammen.

hasse ich dieses Quartier. Das ist im Grunde ein gutes Zeichen. Mein allerliebster Nachbar ist aus dem Knast zurück. Ja, der, der die 4 1/2-Zimmer-Wohnung gekriegt hat, für die viele Familien Schlagen standen, keine Ahnung weshalb. Es wäre im scheissegal gewesen in eine kleinere Wohnung zu ziehen. Eben, jetzt ist er aus dem Knast raus und zieht schon wieder Volk an, das man während er drin war, hier nie mehr gesichtet hat. Dafür sieht er wesentlich besser aus als vorher, geföhnt anstatt strähnig, genährt anstatt klapprig. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, dass wir wieder aneinandergeraten (er war über mir im Kindergarten), weil er mit seinen Dealerkumpanen rumzofft und mit 60 km/h durch die „Zone 30“ blocht. Kleinkriminielle dürfen gerne hier wohnen, aber ihre Kleinkriminalität sollen sie gefälligst irgendwo anders ablassen. Zum Beispiel in Muri.

Die Flügel hält es ausgebreitet, das Mövenmädchen. Aber aus der Glasschale kann es nicht wegfliegen, obwohl es ernsthaft den Anweisungen von aussen zu lauschen scheint.

Herr K. aus Frutigen findet es nicht richtig, dass das Kunstwerk aus dem Museum entfernt wurde. Auch Frau R. aus Rohrbach ist darüber nicht glücklich, denn sie hat damit gerechnet, dass es in der Ausstellung etwas Unbekanntes zu sehen gäbe, und ausserdem hätte sich vorher auch niemand um den weiblichen Fötus gekümmert. Empört ist Herr I. aus Naters über die Erzkonservativen im Wallis, die einem vorschreiben wollen, wie Kunst auszusehen hat.

Foto: Driss Manchoube, 1983

Vor zwei Jahren ist meine Freundin gestorben.
Sie war Lektorin und Kummermutter zahlreicher schreibender und malender KünstlerInnen. „Rosmarin“, wie sie von einem bekannten Maler genannt wurde, hasste selbst im kältesten Winter warme Jacken, Mäntel und Schuhe. Als ich ihr einen Schal aus pistaziengrüner Alpakawolle strickte, legte sie diesen in den Kofferraum ihres Autos zu den Büchern, dem Hundefutter, den Sämereien aus ganz Europa, der Ralf-König-Uhr, den Süssigkeiten und den Spielsachen für die Kinder ihrer Freundinnen.
Rosmarin liebte Tiere über alles und konnte keines leiden sehen. Als sie auf der Strasse einen Bauern seinen jungen Esel schlagen sah, kaufte sie ihm das Tier ab, besorgte eine Milchflasche, stellte den putzigen Grauen mit den Hinterbeinen auf den Notsitz des Sportwagens, legte sich seine Vorderbeine über die Schultern und fuhr, unbehelligt von sämtlichen Grenzwächtern, von Kroatien in die Schweiz.
(Der Esel wurde von Dorfpfarrer aufgenommen.)

Für den zugelaufenen Hund „Nablus“ (genannt nach der 1967 verdunkelten westjordanischen Stadt), bezahlte sie die teure Reise von Israel in den Aargau.
Auf einer nebligen südfranzösischen Nebenstrasse hielt sie einmal an, um einem Familienzirkus, dessen Kamele, Zebras und Lamas in einem Obstgarten weideten, eine Futter-für-die-Tiere-Geldnote und einen Kilosack Früchtebonbons (aus dem Kofferraum) für die Kinder zu geben.
Neben den Vierbeinern wurden auch Bücher von Rosmarin gerettet. Diese türmten sich an den Wänden in ihrer Wohnung, umrahmten das Bett, wurden auch zu „Möbeln“, und jedes hatte seine eigene Geschichte.
Kurz vor ihrem Tod bat sie mich, für die Bücher zu sorgen, denn die Verwandten wollten nichts von dieser „Morerei“ wissen, hatten damit gedroht, alles in den Müllcontainer zu schmeissen.
Zusammen mit meinen Kindern versprach ich, dies zu verhindern.
Kaum war Rosmarin beerdigt, kamen die Leute vom Dorf mit Wäschekörben und schleppten die Bücher, die ihnen gefielen ab. Die Verwandten hatten sich so den Container erspart.
Aus dem Rest habe ich mit meiner Familie eine Rosmarin-Gedenk-Bibliothek zusammengestellt.
Manchmal greife ich ein Buch heraus, eines mit Hundekratzspuren oder einem verblassten Kaffeefleck und merke, wie sehr sie uns fehlt.

Frau K. kommt mit schmerzenden Beinen an die Bushaltestelle. Obwohl sie Gesundheitssandalen trägt, sind die Füsse aufgeschwollen. Seit einigen Monaten arbeitet sie in einer mit Taschen und Schirmen vollgestopften Lederboutique in der Altstadt. Das Schlimme ist, dass man sich darin die Beine nicht vertreten kann. Alle Arbeiten muss Frau K. im Nachstellschritt erledigen. Dazu kommt noch, dass sie den Detailhandel in Leder nicht gelernt hat. Die KundInnen stellen oft Fragen, die sie nicht beantworten kann. Sie gibt es offen zu, wenn sie etwas nicht weiss. Ist der Chef telefonisch zu erreichen, fragt sie ihn.
Eigentlich kommt sie aus der Textilbranche „Schweizer Spitzen“, aber seitdem die Leute keine Blusen mit Spitzeneinsätzen mehr tragen und der Handel mit Spitzentaschentüchern rasant zurück gegangen ist, braucht man keine Spitzenverkäuferinnen mehr. Eine königliche Hochzeit gibt es ja auch nicht jeden Tag, an der Sankt Galler Stickerei gefragt ist. Die sexy Unterwäsche wird übers Internet verkauft.
Heute hatte Frau K. den ganzen Nachmittag nur eine Kundin, eine Schwedin, die in den Laden kam, um ihr ein bisschen von ihren schweizer Verwandten zu erzählen.
„Eigentlich arbeite ich nicht, es ist mehr ein Ladenhüten,“ meint Frau K. Sie geht gerne nach Hause. Der Bauplatz vor der Wohnung stört sie nicht.
Ihr „Bub“ ist dort Bauführer. So einen ordentlichen Bauplatz findet man kaum, da hat alles seinen Platz und die Erdwälle sind akkurat aufgeschüttet.
„Der Bub baut nicht für heute, er baut für die kommende Generation.“
Eins ist sicher: Libeskind ist als Architekt kein Mann des Nachstellschritts.

Albert hat seine Hosen zum Waschen gebracht. Bei der Arbeit mit den Bienenvölkern gab es einen Fleck auf ein Hosenbein. Dieser hob sich, weil neuesten Datums, von den anderen ineinander übergreifenden Flecken deutlich ab.
Ich liebe Probleme, die ich gleich lösen kann. Juppii, die Hose ist eigentlich hellbraun mit einem feinen Fischgrätemuster, kann aber nach der Wäsche nun nicht mehr in die Ecke gestellt werden, eher kann man nun durch den Stoff Zeitung lesen. Albert will sich, gutes Zureden hin oder her, von den lützlen Beinkleidern nicht trennen.

Was liegt eigentlich für alte Menschen nach all den Sparrunden heute noch drinn? „Satt und sauber“ ist die Devise in den Altersheimen. Zu mehr reichts nicht.
Während der Ausbildung lernen die PflegerInnen zwar noch etwas über weitere Bedüfnisse dieser Altersgruppe, schreiben Diplomarbeiten wie: „Nicht-materielle Aspekte der Betreuung von Betagten“, „Gruppenarbeit mit älteren Menschen“, „Soziologie für die Altenarbeit – soziale Gerontologie“, „Das Recht der Alten auf Eigensinn“. Schon im ersten Praktikum kommt die Ernüchterung. Wenns für etwas nicht reicht, dann ist es sicher der Eigensinn.
(Will sich meine Mutter in aller Herrgottsfrühe von der Spitex-Schwester nicht waschen lassen, macht die Schwester der über Achzigjährigen „zur Strafe“ das Bett nicht. )
Man könnte sagen: Die Altersbetreuung steckt noch in den Kinderschuhen, und in solchen ist man schlecht gerüstet für anstehende Aufgaben.
Eine aufmerksame Blog- und Zeitungsleserin aus Deutschland hat mir diesen Zeitungsartikel zugeschickt. Danke, liebe Kristine. (neu verlinkt)
In der ganzen Pflegeheim-Tristesse wirkt das Dienstbotenheim in Koppigen, Kanton Bern wie ein helles Licht. Vor einiger Zeit wollte die Kantonale Gesundheitsdirektion das beinahe 100 Jahre alte Heim den neuesten Vorschriften anpassen. Die engen Stuben der betagten Knechte und Mägde sollten vergrössert und die sanitären Einrichtungen modernisiert werden. Erfolgreich wehrte man sich gegen diese Veränderung. Man brauche sie nicht. Die Alten seien nur zum Schlafen und Nachdenken im Stübli, sonst in Stall, Wald, Garten, auf dem Feld oder in der Küche. Gewaschen hätten sie sich ein Leben lang am Brunnen.
„Für viele ist das Heim nicht die letzte Station, sondern nur ein Stellenwechsel“, meint der Heimleiter Alexander Nägeli. Könnte man etwas Respektvolleres über alte Menschen sagen?

ein lustiges Wort, wenn’s einem zu so später und stiller Stunde in die Tasten rollt. Sie sind das Letzte und am schwierigsten zu stricken, und können, wenn’s nicht hinhaut, den schönsten Pulli verderben. In der Unterschule brauchten wir Überärmel, aus Resten genäht, am Handgelenk und in der Mitte des Oberarms mit einem Gummizug versehen. Viele hatten Blümchenstoff, ich dunkelblauen Barchent, denn der Stoff mit Blümchen wurde in meiner Jugend knapp abgemessen. Ärmel sollen die Kinder nicht in den Teller hängen lassen und daran keinesfalls die Schnudernase abputzen. Manchmal nimmts einem den Ärmel rein. Das sagt man so, wenn man von etwas nicht mehr lassen kann – Mensch, Tier oder Sache.
Der Ärmel als Bild wird heute auch gerne von den ArbeitgeberInnen gebraucht. Sie können nämlich keine Stellen aus dem Ärmel schütteln, so gerne sie das täten, sorry. Aber gerade das ist es, was ich mir unter einer guten Betriebsleitung vorstelle: dass sie die Kunst des Aus-dem-Ärmel-Schüttelns versteht. Viele haben eben Mehl am Ärmel – nüt für unguet.

Im neuen SPIEGEL (Nr. 31 vom 1.8.) schreibt Dirk Kurbjuweit einen ausgezeichneten Artikel über Afghanistan, die Bundeswehr, deren Selbstschutz („ist das Grösste“) und Hilflosigkeit im Angesicht der Mohnfelder. Und er wechselt – wie es ja eine SPIEGEL-Spezialität ist – immer wieder den Schauplatz nach Deutschland:

Wer im Büro der Oberstaatsanwältin Karin Engert sitzt, sitzt mitten im hilflosen Krieg gegen Drogen. Es ist ein ärmliches Büro. Die Wände sind fleckig, die Möbel alt und abgestossen. Wie fast überall bei Justiz und Polizei zeigt sich der Staat als Hungerleider.

Und weil das bei uns nicht viel anders ist, empfand ich die Antwort der Oberstaatsanwältin auf die Frage nach dem Sinn ihrer Arbeit so tröstend, als wäre sie vom Dalai Lama:

„Ich mag es nicht, dass ich vom Wedding bis Moabit an sechs Gruppierungen vorbeifahre, die offen Drogen verkaufen. Die Allgemeinheit hat einen Anspruch darauf, dass die Spielplätze sauber sind von Spritzen. Die Allgemeinheit hat einen Anspruch darauf, dass Kinder auf Schulen gehen können, wo sie nicht von Dealern unter massiven Druck gesetzt werden. Wir kriegen Berlin nicht händlerfrei. Wir können nur so viel Sand ins Getriebe streuen wie eben möglich. Dafür kämpfen wir jeden Tag.“

Und wie ich kommt der Journalist zum Schluss, dass dies ein weiser Ansatz ist und schreibt:

Bei Karin Engert im Büro kann man verstehen, dass der Kampf gegen Drogen nicht geführt wird, um zu siegen. Weder sie, noch die Zollbeamten, noch die Sozialarbeiter, noch die Süchtigen können Drogen besiegen. Es ist ein Kampf, der die Vergeblichkeit nicht scheut. Es geht nicht um einen grossen Sieg, es geht um viele kleine.

Jupii, WIR haben geputzt!!!
Der kleine FC Thun hat gegen Dynamo Kiew 1:0 gewonnnen! Wie sie sich freuen, die verschwitzten Lausbuben im Frutiger-Dress, sie purzeln übereinander, fliegen dem Schönenberger an die Brust, drücken und streicheln einander übers triefende Haar, schoppen die blauen Leibchen der Besiegten in den Hosenbund, werfen sich mit Anlauf auf den Rasen. Das Stade de Suisse Wankdorf brodelt, tost. Die Meckerer, welche so ihre Zweifel hatten zum neuen Stadion müssen sich beim Anblick der 25000 Fans ganz stillschnell nach hinten verziehen – husch, husch. Die Sportreporter werden die Namen der Spieler schon noch kennen lernen, und bei den nächsten Toren gegen die Schweden (Malmö) weiss man dann auch, dass einer der Spieler Tiago Bernardi heisst – oder nicht doch Bernhardini? Könnte man sich in der Schweiz besser merken.
Den Thunerinnen und Thunern sei eine Freinacht gegönnt – und alle Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber in der Hauptstadt sollen morgen dem 2. Wunder von Bern zuliebe ein Auge zudrücken, wenn die aus dem „Tor zum Oberland“ noch etwas schlafsturm und heiser ins Büro schlarpen.
Wohl, wohll – eine Winnermentälität braust durchs alte Zähringerstädtli – sensationell!

Übrigens noch ein kluges Wort von Ballack: „Ich entscheide mich, wenn ich eine Entscheidung treffe.“ Hab ich heute am TV gehört und mirs gleich hinter die Ohren geschrieben zu späterem Gebrauch.

Dank den Ausländern! Hier im Quartier würde sonst plötzlich unser Nationalfeiertag vergessen gehen.

Nichts für Ungut, ABER kaum habe ich etwas Abstand von meinen mitstudierenden HeilpädagogInnen und sonstigen KollegInnen gewonnen, entwickle ich richtig böse Gedanken: so wie ich mir gestern wünschte, am Schweizer Nationalfeiertag, dass sich die Rakete eines kleinen Italieners als Bumerang entpuppen würde, habe ich mir in der Arena während des „Torro piscine“ gewünscht, dass die Kuh einen Zigeunerbuben überrennt. Die Sirene der Feuerwehr schreckte mich aus meinen Gedanken. Auf dem Fleckchen Rasen zwischen den Häusern verflog das Feindbild des kleinen Macho, als ich eine Sippe Sri Lankaner den 1. August feiern sah. Meine Schwester sagt zwar, Leiden ist nicht messbar. Dennoch sind mir vorpubertierende Bestien lieber als der Tsunami. Ich habe niemanden verloren. Im Gegenteil.

Ich hoffe, auch ihr könnt gesund, entspannt und braungebrannt eure Arbeit wieder aufnehmen, die 1000 E-Mails bearbeiten und das Trinkwasser schätzen. Welcome home!

Den Sommer von oben, erleben und loben!

…ist weg und hat die Kommentarfunktion mitgenommen. Gruss, Kuss, Genuss und Schluss (aber nur vorläufig).

Aus flachen Körben verteilen Krankenschwestern schon um 7 Uhr früh lustige Pfuschi-Karten. Ich erhalte eine mit „NO SMOKING – Ersatzmöglichkeit No 38“, dazu eine Papierpfeife und einen weissen Bleistift mit der Aufschrift „Rauchfreie Insel
Auf den Treppen zum Bettenhochhaus stehen bereits einige Patientinnen, Nachtschwestern und Notfallärztinnen, die an den weissen Stiften kauen und in die bunten Papierpfeifen blasen – lautlos, damit die NichtraucherInnen noch ein bisschen schlafen können. Die KettenraucherInnen haben sich zur Sicherheit noch einen Bleistift hinter beide Ohren geklemmt, falls die Lust auf einen Glimmstengel sie überkommen sollte. Im Lift ist es eng und man verzichtet rücksichtsvoll auf den genussvollen Biss ins weiche Holz, lässt es in den Kitteltaschen stecken.
Ich höre, dass sich die Pfleger geweigert hätten, mit den Karten auf die Strasse zu gehen. Sie finden, dass man den Menschen die Selbstverantwortung lassen und nicht aus dem ganzen Kanton eine Erziehungsanstalt machen solle, besonders nicht mit solchen Holzhammermethoden wie den Pfuschi-Karten. (Klick aufs Bild)
Ich entscheide mich heute für die Papierpfeife, trete ungeniert blasend damit ins Krankenzimmer meiner widerspenstigen Mutter.
„Was isch de das für-ne Schissdräck?“ fragt sie.

Meine Grossmutter ist im Spital, den „Gummäng“ (Berndeutsch für „Benehmen“, abgeleitet von „comment“, französich „wie“) hat sie längst hinter sich gelassen. Seit zwei Tagen tobt sie laut oder flucht leise im Spitalbett. Sie weiss nicht recht, wo sie ist, aber sie weiss, dass sie dort nicht bleiben will, entsprechend schwer haben es die Kanülen in und an ihrem Körper.

Zum Ausgleich habe ich ihr gestern ein paar moralische Sätze und heroische Lieder zum fertig machen gegeben, die sie mir als Kind beigebracht hat.

Du sollst den Namen [Gottes nicht verunehren] (macht sie immer noch nicht, sie flucht anders.)
Geben ist [seliger denn Nehmen]
Hartes Brot ist [nicht hart, kein Brot ist hart]
Lass nie die Sonne [untergehn über deinem Zorn]

Unser Leben [gleicht der Reise…] (Sie war überrascht und glücklich, dass wir zusammen alle Strophe hinbekommen haben)

Lueget vo Bärge u Tal [flieht scho der Sunnestrahl]
Lueget vo Oue u Matte [wachse die dunkele Schatte]
D’Sunn‘ [ade Bärge no stooht]
O, wie sie [d’Gletscher so rooot]

(Von da weg hatte ich meine liebe Mühe und hab mich auf das Summen verlegt.)

Nachher

Unsere Zuversicht war Naivität in Reinkultur. Bereits wenige Stunden nach der Installation der Blumenkübel nach allen Regeln der Partizipation, wurde einer davon nicht nur gekippt, sondern in hohem Bogen über eine Terrassen hinausgeworfen.

Was ist das für ein Quartier, in dem wir leben?
Wer macht so etwas Destruktives, Unsinniges, Hirnloses?
Da waren sie, unsere dummen, dummen Fragen.

„Die Nachtbuben,“ sagte ein alter Mann. „Die Nachtbuben, die gab es schon immer.“

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