2006


Erstes Rendez-vous

Gestern Nachmittag:
Hier kommen sich Sommer- und Winterschmuck erstmals nahe

Ohne Handschuhe

Gestern Abend:
Zum ersten Mal Sterne aufhängen ohne Handschuhe

Münstergasse im November

Im November so, im Juli so (Bild 5) – und immer noch viele Flip-Flops in der Gasse

Normalerweise verstecke ich die Geschenke, für die es Gutscheine im Türchen-Adventskalender haben wird in der Kiste, in welcher ich die Mützen und Handschuhe eingemottet habe, deren Inbetriebnahme jedoch nach wie vor unnötig erscheint.

Ja, die Klimaveränderung hat Auswirkungen. Bis in den hintersten hausfräulichen Alltag.

Nachdem sich der Orange Riese an Halloween so ins Zeug gelegt hatte mit grinsenden Kürbissen und Totenkopfgirlanden, gabs heute im Laden kein Anzeichen von Zibelemärit. Nicht ganz korrekt – der Kuchenteig war um 12:30 total ausverkauft. Vor dem Eingang hütete eine Verkäuferin einen Bauchladen mit einigen blassen Käsekuchenstücken. Vergebens suchte ich nach den bunten Zucker-Zwiebelketten, welche in Bern-West hergestellt werden und bis nach Süddeutschland und Amerika berliebt sind.
Als ich an der Kasse nach einem Zwiebelzopf fragte, hiess es, man habe heuer noch keinen gesehen, die Zwiebeln seien eben rar.

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Der Verwalter hat meinem Mann mitgeteilt, dass 90% aller MieterInnen, die an der Umfrage teilgenommen haben, zufrieden mit ihm sind. 65% der Bogen wurden übrigens von SchweizerInnen ausgefüllt.

In dem Schreiben, das alle BlockbewohnerInnen Mitte Oktober erhalten haben, steht, der Hauswart „führe die ihm übertragenen Aufgaben gut aus“ und sei auch „als Mensch angenehm“. Ausserdem wird darin zu Recht hin gewiesen, dass „es absolut unnötig ist, hinter vorgehaltener Hand über die Umstände zu klagen und zu versuchen andere Mitbewohner negativ zu beeinflussen“.

Viele MieterInnen nutzten den Umfrage-Bogen, um den Vorgänger zu kritisieren. Jetzt sei es viel sauberer als je zuvor, man könne endlich mit dem Hauswart sprechen und auch die Kinder hätten keine Angst vor ihm! Die früheren zwei Hauswarte hätten niemals Menschen die Türe aufgehalten, geschweige denn, Leute mit Stock am Arm geführt.

So hat sich die Situation doch noch zum Guten gewendet. Leute, die meinem Mann vorher so frech und respektlos begegnet sind, halten jetzt ihren Mund. Auch die Verwaltung steht nun endlich hinter ihm, denn jetzt kennt sie eben diese wenigen Namen der „unzufriedenen SchweizerInnen“ und weiss, wie sehr seine Arbeit von der grossen Mehrheit geschätzt wird.

Was für ein Tag. Am morgen begannen wir mit unserer persönlichen Putzerei und wurden ständig unterbrochen, so dass wir erst jetzt (fast) fertig sind. Am Vormittag klingelte zuerst die Mazedonierin. Sie hatte verweinte und von Make-up verschmierte Augen und hielt mir einen positiven Schwangerschaftstest unter die Nase. Zwischen Staubsauger und hungrigem Baby tröstete ich die Arme und rief erneut der Polizei an. Ich wollte mich informieren, was mit einer erneut vergewaltigten, geschlagenen, schwangeren, arbeitslosen Mazedonierin passieren würde, wenn sie die Polizei kommen lässt und sich von ihrem „Papiirli-Schweizer“ trennt. Trotz vielen Vorschlägen kehrte sie zurück in die Ein-Zimmer-Wohnung und liess sich von ihrer Familie aus Mazedonien Anweisungen geben, ihren Mann nicht zu verlassen, da ihr Vater sonst sofort sterben würde und sie niemals wieder zu ihnen kommen dürfe.

Seit einer Stunde warte ich nun auf Block-Besuch, der vielleicht nicht eintrifft, weil der Lift stecken geblieben ist. Darin befinden sich mehrere Kinder, die ich heute Nachmittag zu Recht gewiesen habe, nicht aus dem Balkon zu spucken. Sie sind Vietnamesen und wohnen erst seit diesem Monat im Haus. Ein Kenner hat vor längerer Zeit ein Schloss im Lift kaputt gemacht. Mein Mann hat dieses Loch jetzt überklebt,

Lift heute

aber jemand ein Tramgegner hat den Karton-Kleber wieder durchstochen und die Kinder haben jetzt wahrscheinlich was hineingestopft.

Mein Mann wartet jetzt auf den Liftmonteur und ich auf den Besuch. Zum Glück ist Kleines Mädchen so lieb, deshalb kann ich nämlich heute zum ersten Mal wieder in den Ausgang, wenn ich nicht auch irgendwo stecken bleibe.

Vor einem Jahr berichteten wir hier über die Schliessung des Keramikateliers. Interessierten Bogk-LeserInnen, die nachgefragt haben, berichte ich gerne über den neuesten Stand in dieser Sache.
Die triste Situation hat sich zum Guten gewendet! Dank der Superidee eines Bewohners und dem Engagement einiger „Verbündeter“ konnte in den verwaisten Räumen eine neue Tagesschule eingerichtet weden, nachdem die alte schon seit Jahren zu klein geworden war. Das Quartier erbrachte eine grosse finanzielle Eigenleistung. Hier gibt es nämlich den „Mieterfranken“: Aus den monatlichen Mietzinsen fliessen je 2 Franken als Solidaritätsbeitrag in die Gemeinschaftskasse. Über fünfzig Kinder kommen zum Lernen und Spielen ins Tagi. Die ehemalige Leiterin des Ateliers hat eine Arbeit als Werklehrerin gefunden.
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Es war tiefe Samstagnacht, als auf dem Bauplatz plötzlich Licht über schlafende Kranenbeine, Barackenwände, gezahnten Baggerschaufel und Bypss-Strasse flutete. Dann begann ein stumpfes rasches Hämmern.
Frau C., spundwanderprobt, stieg aus dem warmen Bett und liess eine mitternächtliche Kochwäsche durch laufen: Lärm zu Lärm.
Frau T., knappe hundert Meter von der bearbeiteten Baugrube entfernt, versuchte gar nicht erst zu schlafen, aber das Beste aus der Situation zu machen: im Gratisflutlicht Hefte korrigieren. Frau S. fuhr auf aus leichtem Schlaf und fragte sich, was sich die MieterInnen denn jetzt wieder Fieses gegen ihren Ehemann, den Hauswart ausgedacht hatten: bumm,bumm,bumm …
Zu sagen ist, dass das Hämmern auch in der folgenden Nacht weiterging.
Heute endlich lag ein Infoblatt im Briefkasten, welches uns für weitere 34 Hammernächte dankt, die wir mit Verständnis und Geduld ertragen sollen.
Man habe auf dem Tiefbauamt nicht mit „starken Lärmemissionen gerechnet, die im ganzen Raum Bern-West hörbar sind“, steht da.
Tortelloninonemau und Tonnerschiess, sind das denn die ersten Spundwände, die sie ungespitzt in den Boden rein däppern?

Heute Morgen kreuzte ich im Treppenhaus meine Schwiegereltern. Da wir nahe aneinander vorbei gehen mussten, drängte ich dem Vater meines Mannes die Frage auf, ob er denn sein Grosskind gar nicht anschauen wolle. „Mou schon schauen. Aber nichts schauen, wenn ich habe nichts im Sack.“ war seine Ausrede. „Schauen Sie nur!“ zwang ich ihn. Und ich gewann zwischen den Briefkästen einmal mehr eines meiner heimlichen Duelle. Doch bevor er sich zu seiner Enkelin bückte, befahl er seiner Frau, ihm 50.- zu reichen. Er nahm sie, hauchte dem schlafenden kleinen Mädchen ein „Mashallah“ aufs Bäckchen, steckte ihr den Geldschein in ihren flauschigen Anzug und hatte tatsächlich feuchte Augen: „Kinder, Kinder…“ stammelte er. Frau Schwiegermutter weint normalerweise auch bei solchen Begegnungen, aber heute hatte sie ganz rote Wangen und lachte. Endlich durfte sie sich vor den Augen ihres Mannes in den Kinderwagen hängen und ihr Grosskind küssen. Der Grittibänz, der darauf lag, war danach verdrückt und Kleines Mädchen wach.

Ich simselte die Neuigkeit sofort meinem Mann: „Dein Vater schenkte unserem kleinen Mädchen soeben 50.-.“ Er schrieb umgehend zurück: „Ja was. Das ist ja was besonderes. Endlich hat Kleines Mädchen einen Grossvater.“ Ich musste lachen, weil ich beim „Ja was.“ den Tonfall meiner Mutter im Ohr habe. Mein Mann findet alle „Sprüchli“ von 1st so gut. E dr Tonnerschiess und schnorzeporze gefallen ihm besonders.

„Hast du zufällig eine Baumschere und eine Spitzzange bei dir?“
Ich bin gerade damit beschäftigt, die Farmakopea Polska, das amtliche Arzneibuch Polens zu katalogisieren, als mich diese ernst gemeinte Frage vom Nachbarschreibtisch erreicht. Frau Dr. Rieder, eben von einem Kongress im Ausland zurück, wundert sich über mein Nein: „Wirklich nicht?“
Ich verspreche, ihr morgen selbiges zu bringen, damit sie am Abend den Adventskranzkurs gut ausgerüstet besuchen kann.
„Hast du zufällig eine Briefmarke oder sowas?“
Sowas hatte ich. Und ich wusste erst noch in echt den schnellsten Weg nach Worb.

Nachdem ich dreissig Jahre lang Berge von Jacken mit Kapuzen, gezipfelten Mützen mit und ohne Ohrenklappen, Finger- und Fausthandschuhen, gezopften Klettersocken, Seelenwärmern mit Rentieren, Esslätzchen im Piquémuster gestrickt hatte, begegnete ich Ende der achziger Jahre dem Computer und schlug statt der Maschen die Tasten an.
Als ich mich letzthin zum Kauf von einigen Knäueln Wolle entschloss, musste ich dafür eine Bestellung aufgeben, Adresse und Handynummer hinterlasssen, denn man hatte nicht genug am Lager für ein Jäckli der Grösse 36. Endlich, nach fünfzehn Tagen durfte ich die Ware abholen. Stricken schien völlig out zu sein. Das hätte mir eigentlich auffallen müssen, findet man in den Zeitungen doch keine Bilder mehr von strickenden Regierungsmitgliedern.
Der langen Abstinez zum Trotz läuft mir der Faden noch wie früher leicht über den Finger und seit heute weiss ich, ich bin voll im Trend.
An diesem Wochenende findet die CH-Strickmeisterschaft in Kirchberg statt.
1600 SchülerInnen strickten am Samstag um die Wette. Und wer denkt, es handle sich hier nur um langweilige Mädchen und ausgestossene Jungs, täuscht sich.
„Es macht Spass und ist voll Fääschn!“ schwärmt der Organisator Stephan Arnold.
Am Sonntag sind die Erwachsenen dran.

Während 3rd, male, 11, sich dank clever-schenkenden Politgefährtinnen einer Kindheit und Jugend auf einem Tripp Trapp erfreut, kann 3rd, female, 0, bereits im Säuglingsalter vom Stokke-Wagen profitieren, weil die den inzwischen erfunden haben.

Was die Firma bei allen Argumenten noch zu wenig herausstreicht, ist die Block-Kompatibilität dieses Machins. Wenn sie das täten, könnten sie ihr Produkt viel allgemeiner placen. „Treppen fahren leicht gemacht“ oder international: „The easy stair-way“ brauchen nicht nur Bébé-Eltern.

High on Stokke

Will ich im Alter nicht abseits stehen? Halte ich etwas von lebenslangem Lernen? Dann sollte ich jetzt für Pro Senectute spenden.
Selbstverständlich muss der arbeitslose Familienvater seine Zähne sanieren können. Auch die schwangere Mutter von zweijährigen Zwillingen sollte eine Praktikantin erhalten. Dafür bittet die Winterhilfe um eine Spende.
Ich liebe Bergvögel und weiss, wie verletzlich die Bergwelt ist. Mit dem Kauf des Adventskalenders von der Schweizerischen Vogelwarte, helfe ich mit, die Natur im Engadin und im Wallis zu schützen.
(Die Sekretärinnen der regionalen Bauunternehmer haben diesen Spende-Brief ungeöffnet entsorgt.)
Die Kinderspitex Bern ist auf meine Unterstützung angewiesen. Ihre Arbeit in der häuslichen Kinderkrankenpflege ist wertvoll und hilft mit, dass der Spitalaufenthalt von kranken Kindern verkürzt werden kann.
Es ist sinnvoll, GönnerInnen der Rega zu sein und den Fairshop von Helvetas zu berücksichtigen.
Sie sehen, es gibt viel zu tun – klicken wir es wenigstens an!

Was täte ich ohne den Orangen Riesen – besonders in den acht Wochen vor Weihnachten? Hat der KundInnenfreund doch gemerkt, dass ich da besonders im Druck und dankbar bin für originelle Geschenkvorschläge. Im „Più“ finde ich das besonders praktische Wunsch Buch mit je einer Doppelseite „Was sie sich wünscht“, „Was er sich wünscht“, „Was Mädchen sich wünschen“, „Was Jungen sich wünschen“, „Was Haustiere sich wünschen“. Ich habe nun Kopien gemacht und sie in meinem Familien-, Freundes- und Haustierkreis verteilt. Neben jedem Geschenk stehen drei Smileys: super, einigermassen, pfui. In aller Ruhe können meine Lieben nun ihre ganz persönliche Wunschliste zusammenstellen. Rückgabe bis 24.12. 12:00, damit ich dann zwischen 14:00 und 16:00 gezielt einkaufen und mit guten Gefühl das Richtige unter den Baum legen kann. Dieser wird heuer geschmückt mit der thüringischen Schmuck-Linie „Peacock“ (S. 10).
Einige Listen wurden bereits zurückgeschickt. Die Haustiere waren die schnellsten. Sie kreuzten an: die Selina Kurzhaarfellmaus, den Max Igel, die Selina Softpflegebürste und das Max Kuschelbett. Bei den Frauen erhielt der Sigg Metro Mugs dreimal, der Weihnachtsstern aus regionalem Anbau einmal, die Boots Apricot Olive Honey Body Butter zweimal und der Business-Trolley (von den Männerseiten) siebenmal den Lachsmiley. Einige Mädchen haben bei sämtlichen Geschenkvorschlägen den Scheisse-Smiley angekreuzt. Sie wollen weder die Ariella-DVD noch den Polly Pocket Filmstar Themenpark, noch die Barbie Kutsche für 12 Prinzessinnen. Gespannt bin ich, ob sich ein Junge für den blau-grauen Pyjama aus Biobaumwolle begeistern kann. Wahrscheinlich gefallen ihm die Bellcolor-Farbstifte besser oder der Scott Helm Shadow II. Hoffentlich wünschen sich die Männer nicht alle einen Elite Hometrainer 06, Crono HydroMag Elastogel (459.-).
Von ihnen ist noch keine Wunschliste eingegangen.
Auf jeden Fall besorge ich mir schon ein paar vorgefertigte Hohlkörper aus heller und dunkler Schokolade mit dem praktischen Pralinenset für den kreativen Chocolatier (S. 25). Denn alle, die im vorweihnächtlichen Trubel die Liste vergessen, bekommen von mir etwas Selbstgemachtes.

Spinning

Manchmal fliehe ich vor den Selecta-Automaten und Kollegen ins echte Caffè und dank Notebook geht das ja heute. Vier nicht mehr ganz Jugendliche haben mich allerdings so gut unterhalten, dass ich dann doch wieder zurück ins Büro musste, um richtig zu arbeiten. Sie redeten über Neuseeland, das neue hippe Reiseland der nichtmehrganzjungen Schweizer. Den genauen Dialog habe ich nicht mitgekriegt, weil sie durcheinander redeten und in einer Nische sassen. Hab trotzdem etwas aufgeschrieben:

  • Hey, Mann, cool, jetz isch Australie out, und Neuseeland in, hey.
  • Ou ja, wieder so-ne-geili Destination: „Ou, Mann, ig bi ja soooo cool, muess nume es Jahr voll und äxtra bügle für zwe Monet i de abgfackischte Hotäl von Neuseeland abzhänge. Soooooo geil. Wüu die Lüt, ig meine, die Lüt, wode da triffsch, die sie so öppis vo besser und cooler! Ig würd zwar mit dene z’Bärn nie feiwillig abhänge, aber ds’Neuseeland, Mann, dört isches eifach nume guet.“
  • Hey, bis doch froh, wenn serergi Type mal zwe Monet wäg sind.
  • Ou, ig finde die Reiserei nume semi-geil, nume us eim Rucksck läbe für Wuchene isch doch einfach müesam.
  • Nein, das isch cool, das isch ds’Coolschte, hie bruuchsch tuusig Sache, e Sound-Maschine, Sound, es Näscht mit der richtige Matratze, e Frou, Klamotte, ächti Chuchi, hesch di Lade füre Chäs, für ds’Gmües für alles. U dört isches när geil nume mitemne Rucksack, immer Gummi-Cheese und Chili wüu sie ja ds ächte guetä Fleisch hie häre exportiere, d’Neuseeländer, und wüu de sowieso ab-brönnt bisch i dämm tüüre Schissland, bevor de überhoupt bisch a-choo.
  • Frau mit Baby hat ja sooo viel Zeit für Nachbarn und Nachbarinnen…

    Heute war ich mit einer mazedonischen Nachbarin auf Stellensuche. Leider kam uns der marrokanische Ehemann der Tochter einer Freundin von 1st zuvor. Er verkauft jetzt die fein duftenden Waffeln vor dem Globus. Die Mazedonierin tröstete ich damit, dass es sowieso ein Sch…job sei, frierend ein viel zu teures Gebäck zu verkaufen.

    Ich weiss ihr nicht mehr zu helfen. Deshalb zeigte ich ihr noch die Beratungsstelle, wo sie nächsten Montag ohne Termin einen Termin bei einer Albanisch sprechenden Fachfrau bekommt.

    Meine mazedonische Nachbarin ist seit sechs Monaten in der Schweiz. Sie spricht erstaunlich gut Deutsch, weil sie immer zuhause vor dem TV sitzt und „Gute Zeiten Schlechte Zeiten“ und all die Verliebt-in-Berlin-Serien guckt. Ihr Mann hat sie hergeheiratet, weil er eine Frau braucht, die für ihn den Haushalt schmeisst und Essen kocht. Er selbst vergnügt sich mit einer Beatrice, die einen sechsjährigen Sohn von ihm hat. Dass meine Nachbarin das weiss, weiss ihr Mann nicht. Aber letzte Woche hat sie endlich der Polizei angerufen, als er sie wieder geschlagen hat. Tatsächlich sind Uniformierte gekommen, die ihn aber erst das nächste Mal mitnehmen werden. Seither schläft das Ehepaar getrennt und die Mazedonierin darf nach draussen.

    Leider weiss sie schon, was ihr die Frau Beraterin mitteilen wird, nämlich dass die Aufenthaltbewilligung nicht verlängert wird, wenn sie eine Trennung von ihrem Mann in Betracht zieht. Was jetzt? Zurück in das perspektivlose Mazedonien oder noch weitere Male spitalreif geprügelt werden?

    Als ich am Mittag immer noch nichts gegessen hatte, schon richtig stank vor lauter schwitzen vom ewigen Kleinen-Mädchen-Herumtragen und vom Keine-Zeit-Haben-zum-Duschen, da kam mir eine Idee. Meine Schwiegerfamilie wohnt zwar sieben Stockwerke unter uns, aber geholfen haben sie uns noch nichts, im Gegenteil. Also erklärte ich dem kleinen Mädchen, ich bräuchte kurz Zeit um mich frisch zu machen und anzuziehen. Ich würde sie jetzt zur albanischen Grossmutter bringen. Nein, das sei keine Strafe. Nach zwanzig Minuten würde ich sie wieder abholen, versprochen.

    Bevor wir den Lift zu meinen unfreiwilligen Verwandten nahmen, versicherte ich mich, dass der tyrannische grosse Bruder nicht zu Hause war. Ich klingelte. Meine Schwiegermutter öffnete barfuss und verschlafen die Tür. Ich streckte ihr Kleines Mädchen entgegen. Sie nahm es ohne zu zögern. Ich erklärte in gebrochenem Albanisch: „Bitte, zwanzig Minuten. Mädchen weint ganzer Vormittag. Ich, duschen, anziehen. Ich, schnell. Zwanzig Minuten. Danke. Tschüss.“
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    Verbindungen 3

    Jeden Samstag, seit neun Jahren, fährt 1st am Morgen früh aufs Dorf zu ihren Eltern. Seit Grossmutter gestorben ist, fährt sie zu Grossvater. Und später – das schwört sie jeden darauf folgenden Sonntag – wenn er auch nicht mehr da ist, dann wird sie nichts, aber auch gar nichts mehr mit dem Dorf verbinden.

    Trotzdem abgestellt

    Bei so ordentlich Abgestelltem gibt es nur dankbare FussgängerInnen

    Ordentlich Abgestelltes

    Sie trägt alte, dick gefütterte Herrenhandschuhe, einen ärmellosen Blümchenrock und zu grosse Wanderstiefel, als sie Brett für Brett des sehr alten Kinderbettes zu den Tischtennistischen stellt. Langsam, ganz langsam bewegt sie sich von ihrem Eingang, den Block entlang, die Treppe hoch und zu dem Platz auf dem die Tische stehen.

    Ich frage, was sie tut und sie lächelt milde und erzählt:

    Meinem Sohn hat sein Bett nicht mehr gefallen, ich habe auseinander genommen und die liebe Leute in der Werkstatt werden etwas Neues davon machen. Schauen Sie mein Gesicht, ich bin jetzt achzig und heisse Schmutz. Ich hatte einen lieben, ganz, ganz lieben Mann, er war Schweizer und lebt nicht mehr. Jeden morgen um vier Uhr hat er ein Wecker gestellt, sich schön rasiert und gesagt: „Mein Liebchen, die Karriere wartet. Ich bin früh aufgestanden, damit du das Badezimmer für dich alleine hast.“ Ich musste nie kämpfen für meine Rechte bei diesem lieben Mann. Ich habe ihn aus Vernunft geheiratet, erst mit vierzig, weil fünf Schwestern mir gesagt haben, du musst heiraten. Und was ist besser wenn du aus der Slowakei bist als ein so lieber Mann? Und mein lieber Sohn!

    Ich gratuliere zum zweiten Grosskind, denn ich kenne den Sohn, er ist gleichzeitig wie ich hier aufgewachsen.

    Ja, ja, er hat auch liebe Kinder aber ich bin alt. Und gestern hat er mich zum Mittagessen geladen und gefragt: „Willst du einen Kaffee?“ und er hat mir Kaffee gebracht. Und dann noch einmal gefragt „willst du Kaffee?“ und noch einmal gebracht mit einem Stück Schwarzwäldertorte. Und dann hat er meine Hand genommen – so! – und gesagt „Jetzt habe ich auch so eine Alte, die ich sehr liebe“. Hihi, „…auch so eine Alte…“ – und das hat meinem Herz so gut getan. Ich habe mich erinnert, an die Tschudogriffe, die ich ihm gezeigt habe, als er sehr klein war, damit er alle diese grosse Kerle am Boden legen kann. Und er ist jetzt selber so gross und stark und so ein lieber Mensch.

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