Der Heimleiter, von allen „Vater“ genannt, verteilt das Taschengeld.
Die Buben dürfen auf das Jahresende für ein paar Tage „nach Hause“ fahren.
Anfangs der 60er Jahre heissen diese Institutionen zwar nicht mehr „Erziehungsanstalt“, sondern „Erziehungsheim“. Es wird aber immer noch mit harter Hand geführt. Fürs Ausreissen fasst bub sich im Büro des „Vaters“ eine Tracht Prügel, von Hand oder mit dem „Hälslig“. Als junge Erzieherin versuche ich, den mir anvertrauten Knaben eine Art Heim zu geben, wenigstens den 16 in meiner Gruppe. Immer wieder muss ich vom „Vater“ ermahnt werden, dass ich es hier mit Schwererziehbaren zu tun habe und wir verantwortlich dafür sind, aus 64 hoffnungslosen Fällen nützliche Glieder der Gesellschaft zu machen.
Vor Weihnachten kommt der Beauftragte des Kantons ins Heim, um vor Ort zu kontrollieren, ob alles gut läuft. Vorher muss das ganze Haus auf Hochglanz gebracht werden. Die Zöglinge schleppen Kübel mit Seifenwasser und fegen zusammen mit den Erzieherinnen Treppen und Gänge. Die „Mutter“, Ehefrau des Heimleiters, dirigiert die Untergebenen, heisst den Gärtner Gestecke und Türkränze anzufertigen, die Hausbeamtin das Leinen auf den Tisch zu breiten, die Köchin die Bernerplatte anzurichten, denn der Beamte kommt jedes Jahr pünktlich nach dem Schlachten und hat nichts gegen Speckseiten- und Bratwurstgeschenke. Schliesslich setzt er sich in seinem Büro in Bern das ganze Jahr hindurch für das Heim ein. Der Kontrollbeamte kann zufrieden sein: Das Essen ist gut, das Schlachtpaket üppig, die Jahresabrechnung vom Heim, zu dem ein grosser Landwirtschaftsbetrieb und eine Gärtnerei gehören, sieht nach erfreulichem Gewinn aus. Kein Wunder, denn vierundsechzig Buben im Alter von 7 bis 15 Jahren haben geackert, gesät, Kartoffeln gepflanzt, Kühe und Schweine gehütet, Beete und Felder gejätet, Beeren und Obst gepflückt, Ställe ausgemistet, Gras, Getreide und Heu eingebracht, Jauche ausgebracht, gekocht, Wäsche aufgehängt, geputzt und die Kinder des „Vaters“ und der „Mutter“ bedient.
Nach der Weihnachtsfeier im Heim mit Züpfe, Hamme, Kartoffelsalat und einem Geschenk (Socken, Unterhosen, Leibchen, Nastücher, 1 Tafel Schokolade), dürfen die Buben für ein paar Tage nach Hause fahren, meist in ein Zuhause, das ihnen fremd geworden ist, denn die Familien werden kaum in die Erziehung der „versorgten“ Kinder einbezogen.
Multikulturell lesbare Weihnachtswünsche laminieren und im Blogk-Eingang platzieren
Eine Liste über die Geschenke an den Hausmeister führen, damit kein Dank untergehe
Geschenke und Weihnachtskonfekt zwischen den Blöcken hin- und her transportieren
Dinge, um die der Haushalt vor dem Umzug reduziert werden muss, online verkaufen
Kräuter zu Pesto verarbeiten (der weisse Trüffel war am Ende doch zu teuer)
Leute via Liftschacht beruhigen, wenn der Aufzug stecken geblieben ist
Weihnachtslieder und deren Noten zusammensuchen
mit den kleineren Kindern spazieren gehen
Den Weihnachtsbaum schmücken
Die Kerzen anzünden
singen und danken
1st, head of this blog, steht vor einer Phase, die andere „Pensionierung“ nennen würden.
Damit alle Bücher und Daten zu Autorinnen und Autoren, die ihr (und vielen aus der Region) am Herzen liegen, wirklich und wahrhaftig noch vor diesem Termin vollständig und umfassend zugänglich werden, arbeitet sie jede (Familien-freie) Minute an diesem digitalen Projekt.
Es folgen aber hier auch wieder beitragsreichere Zeiten.
Alles Gute und Schöne zum ersten Advent allerseits!
Der Familie Blogk wird diese Zeit Veränderungen bringen. Zum ersten Mal seit 20 Jahren wird ein Familienzweig das Hochhaus und diese Postleitzahl verlassen. 2nd, female, 2nd, male und 3rd, male werden umziehen. Seit 3rd vor zehn Jahren den Engel oben gemacht hat, wohnen wir auf einer Baustelle, unsere Umgebung ist ein Provisorium und täglich erleben wir, wie der Einsatz der Bewohner für ihr Quartier mindert – auch unserer eigener.
Man hört ja als sozial und politisch engagierter Mensch immer von anderen Menschen, die sich weniger aufregen, gesünder leben und ganz allgemein gelassener sind, dass man die Welt nicht ändern könne, nur sich selbst. Nun machen wir das.
Wir kommen im Moment nicht so zum Bloggen, weil wir halt anderes zuerst machen: Aktiv und passiv in die Schule und Bibliothek gehen, hausmeistern, Schnittstellen in Garten und IT pflegen, eine Menge Ehrenämter, was gemäss neustem SPIEGEL recht positiven Einfluss auf die Lernfähigkeit einer Region hat. Besonders die Vereinsmeierei, woran wir auch gar nie gezweifelt haben.
Generationenübergreifend lacht Familie Blogk über die wunder- und sehr gut memorierbare Übersetzung eines türkischen Heulers. Voilà: „Keks, alter Keks“:
Damit auch in diesem Jahr alles klappt mit der Zukunft, durfte ich unter der strengen Anleitung der Fachfrau (als Versuchskaninchen) einen Probelauf in der
hauseigenen Buchbinderei starten.
Die elf Jugendlichen, Kinder von Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern, hantierten heute geschickt mit Stechzirkel,
Leinenband und Weissleim. Es war ein anstrengender, aber lustiger
Tag. Die Bücher in den Gestellen freuten sich auch über so viel fröhlichen
und ungewohnten Betrieb.
Unglaublich, was man alles „falsch“ machen kann in einem Leben. Schon die Kleinigkeiten, nichts Lebenswichtiges, füllen elektronische Kuhhäute.
Daran dachte ich heute, als mein Schwiegersohn (mit südosteuropäischen Wurzeln) das Grosse-Bajram-Fleisch in die Pfanne haute und hoffte, mit wenig Öl und viel Hitze den Goût der Kindheit darin wieder zu finden. Aussichtlos, nichts schmeckt mehr genau so, wie in der Kindheit. Die nötigen Zutaten bringt man nie mehr zusammen, was auch ein Glück sein kann.
Ich erinnerte mich an meine Apfelrösti. Jahrelang versuchte ich als tüchtige Haus- und andere Frau, die Öpfurösti meiner Schwiegermutter nachzukochen. Aussichtslos. Einmal war das Brot zu weiss, zuwenig altbacken, zu ruch, zu dick oder zu dünn geschnitten, in zuviel Butter geröstet statt im Ofen nur angetrocknet. Ein anderes Mal die Äpfel zu süss, zu wenig gefallen (unbedingt Fallobst) zu wenig weich, zu saftig oder das Verhältnis Äpfel-Brot nicht passend, dann alles zu heiss oder zu lau.
Item – Nun wieder zum Opferfest-Fleisch von heute. Das war Rind! Was den Koch nicht störte, war doch in seiner Kindheit die Hauptsache „Fleisch“. Man legte es direkt auf die heisse Ofenplatte, verzehrte es gemeinsam restlos und ohne erzväterliche Geschichtsgarnitur. (Streng genommen müsste es Schaf sein, denn damals, als Vater Abraham das Messer ansetzte, um seinen geliebten Sohn Isaak zu opfern, war im allerletztem Bruchteil der Sekunde ein Widder da und kein Rind.)
Nicht nur in der „Küche“, auch in der „Kirche“ kann man so vieles falsch machen. Eine Kollegin, schon sehr lange konvertiert, hat sich beim Kleinen Bajram furchtbar aufgeregt über die oberflächlichen Gläubigen, die sich nicht an den Mondkalender halten und aus irgend einem weltlichen Grund das Fasten ein paar Minuten zu früh brechen.
Und jetzt noch Rind, statt Schaf – wo soll das noch enden?
Jetzt falled d’Blettli wieder
de Summer isch verbii
und d’Schwälbli flüged alli furt
mir wüssed nüd wohii.
Leb wohl, du schöne Summer
du söttischt nonig gah
wenn d’über s Jahr denn wider chunnscht
denn simer alli froh.
Ein letzter milder Abend zum Zusammensitzen und Essen im Garten,
letztes Bad im Freien, Sommerschuhe und Kleider „einwintern“,
wieder öfters im Haus spielen,
sich Frisur mässig vom neuesten Baumschnitt am Bundesplatz inspirieren lassen,
einmal eine Kuh in der Stadt fotografieren (leider nur Teilansicht),
mit den Jungkrähen durch die Stadt flattern, damit sie sich auskennen, wenn sie gross sind,
Laub rechen, rechen, rechen, die Melodie mit summen, wenn der Glockenturm
Herbstlieder spielt und ein bisschen in die Sommerfötis klicken …
Und zu der Idylle noch etwas Schwarzes: Das LikeaBike von Kleinesbübchen wurde gestohlen,
vor meiner Wohnungstür, und wir denken, dass das Velo
schon in Mazedonien ist – wir Wüsten!
Als Frau Schnyder ins Altersheim übersiedelte, nahm sie die Kasperli-Figuren mit. Ihr Mann, ein Grafiker, hatte diese als frischgebackener Vater modelliert und Frau Schnyder hatte die Kostüme genäht. Eigentlich wollten die erwachsenen Kinder die Figuren schon lange entsorgen und verstanden nicht, dass ihre Mutter solch unnötigen Kram ins Heim mitnahm. Wenn ich der alten Frau eine Auswahl Bibliotheksbücher vorbei brachte, kochte sie mir Tee, nahm dann den Kasper, das Grittli, den Polizisten hervor und erzählte von früher. Als Frau Schnyder gestorben war, erhielt ich Bescheid, dass sie mir die Kasperlifiguren hinterlassen hatte. Aber aus dem Erbe wurde nichts. Die Söhne wollten die Puppen nun unbedingt haben, riefen mich ständig an, versuchten mir auf die Tränendrüsen zu drücken. Schliesslich seien die Handpuppen von Papa, einem Künstler, gemacht, ein wichtiges Andenken und wertvoll. Es sei doch seltsam, dass Mama sie nun einer wildfremden Person … Ganz klar, dass ich nicht auf meinem verbrieften Recht beharrte.
Vor 32 Jahren kaufte meine Nachbarin aus Mitleid mit ihnen, drei Stecklinge in einem Sonderangebot des Orangen Riesen. ‚Bonsai‘ stand auf dem Preisschild. Hedi pflanzte die drei Winzlinge in der Nähe des Küchenfensters in ihren Reihenhausgarten.
Granatamphibolit mit Begleitsteinen:
hinten: Smaragdit
vorne: Vallorcine-Konglomerat (Bachmätteli, Bern-Bümpliz)
Vor hundert Millionen Jahren vom Rhonegletscher (nicht der Aare-)
hier in der Nähe abgelagert,
vor mehr als hundert Jahren von der Holzgemeinde Bümpliz
dem Naturhistorischen Musum Bern geschenkt,
seit 60 Jahren staatlich geschützt. (Steht auf der Info-Tafel)
5 Minuten persönliche Geologie, während ich aufs Tram warte:
Stein auf dem Herzen,
Stein vom Herzen,
Stein fürs Herz
Stein zum Stolpern
Stein für den heissen Tropfen
Stein im Brett
Stein zum in den Garten Werfen
Stein zum zuerst Werfen
Stein vom steten Tropfen gehöhlt
Stein fürs Glashaus
Stein auf dem Surchabis (Sauerkraut)
Stein mit Bein gefroren
Stein zum Umdrehen
Stein zum Anstossen
Stein mit Stock zum Überspringen
Stein, der nicht auf dem andern bleibt
Stein zum Erweichen
Ich werfe noch einen Stein ins Wasser des Stadtbachs,
dann kommt das Sibni-Tram.
„Sie können sich nicht vorstellen, wie eng wir durchmussten. Zu viert in einem Bett schlafen, erst mit 15 ein eigenes, sommers barfuss laufen, samstags Steine auflesen und jäten. Weils nichts kostete, bei den Pfadfindern mitmachen.“
Eigentlich war er schon als Kind ein Sammler, aber was der Bub vorne ins enge Armeleutewohnigli herein trug, warf seine Mutter hinten wieder hinaus. Wenn die Bereitermusik am Haus vorbei zog, war er zur Stelle. An ein eigenes Instrument war nicht zu denken. Der einzige Anzug, den ihm sein Vater unter Abwägen und Werweisen kaufen konnte, war der zur Konfirmation. Kurz darauf war’s dann auch die Trauerkleidung zu Vaters Begräbnis. Die Familie wurde noch ärmer, sollte sogar bevormundet werden. Ab nun war sein Motto: „Ich will!“, was bedeutete, weg aus dem Armeleutemief, weg von der endlosen Rappenspalterei, dem Verzichten und am Mundabsparen.
Itz isch ds Sylvie o gange, het sech am Abe i ds Bett gleit u isch für gäng igschlafe. Will es ds Telefon vo Fründe nid het abgnoh, hei die am Huswart aglütet. Dä het de schliesslech d Polizei mit em Ma vom Schlüssudienscht la cho. Es het duuret, bis me d Tür het chönne uftue. Ds Sylvie het drum es Sicherheitsschloss la montiere. „Schad, hani nid no chönne ga Adieu säge“, het dr Huswart gseit, „es het halt alles dr polizeilech Wäg gno, die hei niemere me inegla. Schad, dass die Frou so schnäll isch gstorbe, si isch so ne Nätti gsi.“ „E bessere Tod cha me sech ömu nid wünsche,“ meint d Frou Huswart.
I ha ds Sylvie nid guet kennt. Vor zwöine Jahr het’s mer amene Feschtli ds Du atreit u gseit, i sölls doch einisch cho bsueche, äs würd sech fröie. I has versproche, has würklech im Sinn gha, gäng isch öppis drzwüsche cho. Drby hätte mer viel z rede gha, über Büecher, Kunst u Chouf u Louf z Bärn. I wirde ds Sylvie vermisse. Niemer isch meh wien äs, immer guet frisiert, mit emene wisse Blusli, drüber es hellblaus Jäggli u o am Wärchtig e schöne Guldschmuck – u obwohl e Bärnburgere – nie isch es von oben herab gsy.
Im vergangene Jahr sy es paar für gäng gange wo me vermisst.
Die Heilpädagogin besucht die öffentliche Mediathek ihres Schulkreises, mit dem Ansinnen, sich eine Lehrerinnen-Bibliothekskarte ausstellen zu lassen. Auf dem Weg zur Theke nimmt sie ein Buch über tibetische Kinder, die über den Himalaya nach Indien flüchten vom Regal. Sie legt der Bibliothekarin ihren Wunsch nach einer Karte vor. „Ist das ein Buch für die Schule, welches Sie hier ausleihen möchten?“ „Nicht unbedingt, aber mein Wissen, wenn ich das Buch gelesen habe, wird sicher früher oder später in den Unterricht einfliessen.“ „Wenn das Buch nicht für die Schule ist, dürfen Sie es nicht mit der Lehrerinnen-Karte ausleihen, dann müssen Sie eine private Karte lösen.“ Ups! Auf eine zweite Karte wird in diesem Fall verzichtet.
Nun hat die vorwitzige Heilpädagogin noch einen weiteren Wunsch. Sie begleitet nächste Woche über 200 Kinder in ein Herbstlager in den Tessin. Da sämtliche Unterhaltungselektronik nicht erlaubt ist, plant die Lehrerin eine Bücher-Plauder-Treff-Ecke. Obwohl im Kollegium schon ausgiebig über ihr Vorhaben gespottet wurde, steht sie nun in der Mediathek, um für die 230 Kinder eine Kiste Bücher zusammenzustellen.
„An wie viele Bücher haben Sie denn gedacht?“, fragt die Bibliothekarin. „Ja, mindestens an hundert für so viele Kinder unterschiedlichen Alters.“ „Das darf ich nicht machen. Ich kann Ihnen höchstens vierzig geben.“ Die Bibliothekarin hat schliesslich Vorschriften zu befolgen.
(Die Mediathek gehört einer Gemeinde, in welcher vor einigen Tagen ein Kinderbuchfestival statt fand.)
„Ihnen muss ich es ja nicht sagen, dass Sie zu den Büchern Sorge tragen müssen,“ verabschiedet sich die Bibliothekarin.
Zu Hause packt die Heilpädagogin ihre eigenen Comics in eine Kiste.
Dass Ramadan vorbei ist, ist wirklich ein Grund zum Feiern, ich bin jedes Mal erleichtert. Nie habe ich einen Fastenmonat ohne hochhergehende Emotionen und ohne zerdeppertes Geschirr erlebt, ganz egal ob die Leute um mich herum gläubig sind, ganz egal ob sie wirklich fasten. Zu Beginn dieses Fastenmonats ist der Vater meines Schwagers (2nd2nd, male) gestorben. Auch wenn er kaum ein Wort mit seinem verstossenen Sohn gewechselt hat, war sein Tod für diesen traurig, er machte Reisen und schwierige Begnungen nötig, es war ein gefühlsmässiges Minenfeld. Mitten im Fastenmonat hatten wir hier ja auch noch das eine oder andere rassistisch verwertbare Verbrechen, was der Grundstimmung nicht gerade zuträglich war.
Der ältere Bruder meines Schwagers hat die ganze Familie Blogk ja seit jeher abgeschrieben. Inzwischen ist es soweit, dass er seine Kinder aus dem x-ten Stockwerk anschreit, wenn sie mit ihrem Cousin und ihrer Cousine, also mit meiner Nichte und meinem Neffen, draussen vor dem Block spielen. Aus dem Hochhaus muss man ziemlich laut schreien und drohen, um die eigenen Kinder dazu zu bringen, sich auf dem Spielplatz unter einen Baum zu setzen und nicht mehr zu bewegen. Aber es funktioniert. Er ist nun das Familienoberhaupt und befehligt neben seiner Frau, seinen Geschwistern und Kindern nun auch die verwitwete Mutter. Der jüngere Bruder meines Schwagers hat seine Lehre erfolgreich abgeschlossen und nun eine Braut aus dem Heimatland bekommen. Mit der Schwester meines Schwagers hatte unsere Familie bisher ein gutes Einvernehmen. Aber nun hab ich sie am 5. Geburtstag unserer gemeinsamen Nichte beleidigt und erzürnt. Ohne Absicht, aber das spielt keine Rolle. Da war noch Ramadan.
Wenn ich das Bajram-Fleisch vom Türken auspacke, bin ich froh, dass ich eine Bauerntochter bin. Ich wetze das Messer und schneide das blutige Fleisch quer zur Faser in Stücke, brate es an, lege es in eine feuerfeste Form, würze provençalisch, spicke mit roten Zwiebeln, gebe ein wenig Jus bei und schmore alles bei mässiger Hitze im Ofen. Dazu gibts nach dem grünen Salat die letzten Buschbohnen aus dem Garten mit frischen Kartoffeln. Die ganze Familie kommt festlich angezogen zum Essen. Der Tisch ist mit Blumen geschmückt, die kleinen Kinder erhalten – juppi – Schleckzeug, wie gäggiblaue Zucker-Haifische, rote Geleeherzen, saure Schlangen, gelbe Chätschi-Tennisbälle, Sugus und neue Kleider. Das grosse Kind, der Gymeler, bekommt ein Badetuch mit Bajram-Batzen.
Zum Dessert gibts Baklava mit Kaffee. Alle sind zufrieden. Die Integration funktioniert – heute.
Und weil der traditionelle Milchreis bei den Orangen Riesen in Berns Westen total ausverkauft ist, besinne ich mich an meine Kindheit, koche eine Pfanne Milchreis, fülle ihn auf Apfelmus (von Tante Hanni) ab, bestreue mit Zimt und Zucker nach Gotthelfs Küche.
Das tue ich, weil mein Schwiegersohn mir immer so zuverlässig mit dem Weihnachtsbaum hilft.
Jetzt, wo wir endlich wissen, was wir gegen die Wespen auf dem Freiluft-Zwetschgenkuchen tun können, soll das warme Wetter – für die mit dem halbleeren Glas sogar der Sommer – vorbei sein – bald.
So wars gestern Abend höchste Zeit, die Feierabendfahrt mit einigen meiner Freundinnen und Freunden zu unternehmen. (Denn, wie gesagt, wie Onkel Ernst G. soll es mir nicht ergehen. Jahrelang schob dieser eine Schifffahrt auf dem 20 km entfernten Thunersee auf, dann lag er auf dem Sterbebett mit dem unerfüllten Wunsch nach Schiff und See. Sein Lebensmotto bis zum Grab: „Wer zahlt, befiehlt“). Wieder zuckten die Blitze, grollte der Donner entlang der Stockhornkette, schlug die „Blümlisalp“ an den Ländtesteg in Merligen. Kurz fragten wir uns, ob ein Schiff nach dem Faradayschen Prinzip …, überliessen alles dann dem Kapitän mit seinen einheimischen Mannen. Der Regen prasselte aufs Deck, einige Tropfen fielen auf Riesencremschnitten, Panna Cotta mit Minze und spritzten in den Aperol-Spriz, was keine Schmiere ist für die Räder des Dampfers, sondern ein anscheinend beliebtes Getränk von Italien bis Deutschland. Es war schon dunkel, als wir 21:21 Uhr das Schiff verliessen. Auch die mit dem halbvollen Glas mussten zugeben: die Tage sind tatsächlich kürzer geworden.
Ach ja, der Tipp mit gegen die Wespen. Man lege eine Reihe goldglänzende Fünfrappenstücke auf den Esstisch. Die Wespen werden nur noch an den Nachbarstischen nerven. Achtung, es geht nur mit Schweizer „Füfi“! (Mein Wespen-Gewährsmann ist ein enger Freund von Erich von Däniken. Ich nehme an, dass die ausserirdischen Besucher unseres Planeten sich beim Kuchen- und Hammeschnitze essen entsprechend schützten).
Laut Hausordnung
ist es nicht gestattet, Pflanzen
in den Bereich von benachbarten Wohnungen
wachsen zu lassen. Diese hier winden und prunken sich
die Fassade hoch, ohne Rücksicht auf Regeln – bis jetzt noch ungestört,
sind sie jeden Morgen eine kühle Augenweide.
Ganz anders die Zaunwinde, die als Unkraut der Albtraum des Stadtgärtners ist.
Mit mahnenden Erklärungen versucht er uns Gärtnerinnen und Gärtner im Schulgarten
von diesem Übel zu warnen. Wir haben darauf zu achten, dass aus dem von uns beackerten Erdreich keine Ableger übergreifen auf „seine“ Berberitzensträucher
um sie zu umklammern, zu ersticken.
Ich verspreche es hochundheilig und mache dem mickrigsten Gewinde den Garaus – und ab ins Feuer.
Denn wo kämen wir hin ohne Berberitzenhäge? Vielleicht würde der Garten, alle Schulpavillons, LehrerInnen (all ihre Autos auf dem Parkplatz) samt Schulkindern eingewunden …
Sie putzt ihre Brille, schüttelt die Federn, schüchtert die Hausmaus ein und flattert, trippelt, wischt und schnipselt so vor sich hin bis zum letzten Tram und noch ein bisschen in die Ruhe hinein, lässt den Regen rauschen und die Blitze über dem Weissenstein zucken.