Es ist 23 Uhr. Zusammen mit einer Nachbarin, die gerade ihren Spätdienst im Pflegeheim beendet hat, steige ich aus dem Bus. An der Haltestelle wird sie von Ehemann und Schwägerin abgeholt. Als ich zu meinem Block abbiege, bietet sich der Mann an, mich zu begleiten, denn um diese Zeit sei es nicht mehr angebracht, als Frau allein unterwegs zu sein. Als „Mosslem“ könne er das nicht akzeptieren. Ich bekomme einen Lachanfall und sage, dass ich in meinem Leben schon Schwierigeres bewältigt hätte, als hundert Meter allein zu gehen, z.B. einige Kinder gross ziehen. Das gefällt ihm gar nicht. Ich müsse wissen, dass bei den „Mosslems“ die Sache umgekehrt sei. Da habe man Respekt gegen oben zu den Alten. Er hebt den Arm über seinen Kopf. Wir hier in der Schweiz hätten Respekt nur gegen unten zu den Kindern. Er geht in die Knie: so tief unten sei unser Respekt. Das ist mir dann doch zuviel, und auch ich beginne zu zeigen, wohin mein Respekt reiche: nach oben, nach unten, zu ihm und zu mir.
„Ausserdem bin ich schon zu Hause. Das hier ist mein Vorzimmer.“ Ich zeige auf die Strasse mit den Herbstblättern und den zerfledderten Gratiszeitungen:
„Zwar ein bisschen schmutzig, aber ich warte auf den nächsten Windstoss.“
Endlich gibt der Mann auf, denn verrückte Frauen muss ein „Mosslem“ wirklich nicht begleiten.

Sie vertrauen Dr. Blumenthal voll und ganz, obwohl er alt und ein Jude ist und an einem Stock durch seine Praxis tappt. In den vergangenen zwanzig Jahren hat der Arzt die zahlreichen Mitglieder der kurdischen Sippe durch Kinderkrankheiten, Geburten, Arbeitsunfälle, Magengeschwüre, Tumore und Depressionen begleitet, ohne je einmal die Geduld oder den Humor zu verlieren. Sein junger türkischer Kollege aus der Praxisgemeinschaft ist da ganz anders, fertigt er doch in der gleichen Zeit das Mehrfache an Patienten ab. „Haide, haide – los, auf gehts“ treibt er die Leute an. Er kann sich verständlicherweise einen Offroader leisten, dieser „Dr. Haide“, während Dr. Blumenthal eine alte Karre fährt. Grossmutter, die sich vor einem Besuch bei ihrem Arzt immer sorgfältig einkremt und frisiert, hat ihm letzthin ein Hemd geschenkt. Der Doktor wollte es zuerst nicht annehmen. Erst, als die alte Frau drohte, dann werde sie halt wieder depressiv und sei dazu erst noch beleidigt, liess er sich erweichen.
Nächste Woche bekommt Grossvater Hasan eine neue Herzklappe. Dr. Blumenthal hat zu einer biologischen geraten, vom Schwein oder vom Rind. In diesem Falle aus religiösen Gründen wohl besser vom Rind?
„Egal, ob Schwein oder Rind, wenns um die Gesundheit geht,“ meint Tochter Aliva resolut,“wer heimlich Schinkenbrote verputzt, kanns auch mit einer Herzklappe vom Schwein!“

Wort

Vorsorglich hatten wir Wasser, Schokolade, Wäsche zum Wechseln und genug Lesestoff eingepackt, aber der ICE brachte uns wohlbehalten und pünktlich nach Frankfurt;-)

Um das Podiumsgespräch „Katalnische Frauen (be)schreiben die Welt“ nicht zu verpassen, begab ich mich früh ins Lesezelt. Ich bekam also noch die letzte Viertelstunde der Diskussion „Lust statt Frust – Meine Wohlfühlformel“ mit. Auf dem Podium sass Erika Berger zusammen mit ihrem Verleger oder wars doch Oswald Kolle? Obwohl die abgeschabten Klappstühle nur spärlich von älteren MesseläuferInnen in sportlichem Schuhwerk besetzt waren, gab die Sexberaterin und Autorin von Lebenshilfe-Büchern jedem ein bisschen von ihrem Strahlen ab. Hier war ein Vollweibprofi am Werk. Das fand ich cool. Es ging um die Wechseljahre. Darüber erzählte Frau Berger nichts Neues, aber sie tat dies frisch, temperamentvoll, schlagfertig und mit Humor – eine Traumautorin für den Verlag . Ein weisshaariger Herr fotografiert begeistert. Erika Berger macht ihm ein Kompliment für seien kanariengelben Pulli, welcher ihm sehr gut stehe und ihn von den Heerscharen der grauen Mäuseriche abhebe. Sie selber pflege Kleider- wie Hautfalten liebevoll und halte sich von Schönheitschirurgen fern. Überhaupt sei Schönheit, entgegen anderer Behauptungen, keine Frage des Geldes, denn eine Gurke und ein Ei wirkten Wunder. Ihre 68 Jahre verschweigt sie keineswegs, auch nicht das Enkelkind, was leider viele Frauen täten. Natürlich kann die Fachfrau aus einem reichen persönlichen Fundus schöpfen und zögert auch bei der kecken Frage des Moderators, ob sie schon einmal eine Beziehung zu einer Frau … , keine Sekunde, was diesen dann schon ein bisschen verunsichert und ihn zu dem Witzchen verleitet: „Ich gestehe, dass auch ich schon mal eine sehr schöne Beziehung zu einer Frau hatte.“

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Eigentlich wollte er an diesem Samstag das Herbstlaub im Garten zusammen rechen, gemütlich eine Zigarre rauchen und nach getaner Arbeit eine Flasche Twanner Frauenkopf aufmachen, als das bundesrätliche SMS ihn aus seiner Ruhe riss. Ohne lange zu überlegen pfiff er den Hunden, legte ihnen die Sonntagsleinen an und machte sich, noch in der Gartenschürze auf Richtung Klösterlistutz. Übermütig beinelten seine drei treuen Gefährten neben ihm her, dem Geruch nach Bär, dem Klang der Kuhglocken und der lüpfigen Volksmusik entgegen.
Er wusste, das war sein ganz persönlicher Gang nach Canossa, aber als Stadtpräsident blieb ihm keine andere Wahl. Er war jetzt ganz auf sich allein gestellt! Ehrlich gesagt, hatte er schon sein ganzes Leben lang nach einer solchen Herausforderung gelechzt und sich gewünscht, endlich aus dem Schatten seines Vaters zu treten. Obwohl es einen Moment der Überwindung brauchte, sich vom Herbstlaub zu trennen, wusste er sogleich:
D a s war die Gelegenheit auch ein „Stadtvater“ zu werden: die übrigen Gemeinderatsmitglieder weilten in den wohlverdienten Herbstferien, Bunderat Schmied konnte das Parlamentsgebäude der Chaoten wegen nicht verlassen und Regierungsrat Luginbühl hatte sich vor den Tränengasschwaden in der Altstadt auf leisen Sohlen davon gemacht.
In wenigen Sekunden zogen die Konsequenzen, welche ihn erwarteten, an seinem inneren Auge vorbei: Die lustigen Teilnehmer an der Kundgebung für eine sichere und saubere Schweiz dort unten an der Aare würden ihn auslachen, ja, mit ihren Kuhglocken ausschwengeln. Der dazugehörige Bundesrat würde eventuell höhnisch lächeln und ihm und den Hunden den Gratis-Festschüblig verweigern, die JUSOs würden ihn hassen und als Verräter anprangern und seine ausgeruhten Ratskollegen kämenn mit den schärfsten Vorwürfen, er habe eigenmächtig gehandelt und viele seiner Parteigenossen würden ihn ab heute nicht mehr kennen.
Aber nun musste, ghoue oder gschtoche, gehandelt werden. An seine politische und private Zukunft wollte er jetzt, wo Bern in Not war und Ehre und guten Ruf zu verlieren hatte, nicht denken.
Das Geläute dröhnte in seinen Ohren. Seine Hunde zogen ihn durch einen Wald von Schweizerfahnen. Vor dem mit Geranien bekränzten Rednerpult beugte er Knie und Haupt, schaute dann aber entschlossen auf und sagte laut und deutlich aus ehrlichem Herzen: „Es tut mir Leid. So etwas sollte in meiner Stadt, der schönsten der ganzen Welt, nicht passieren!“

Nur schade, dass keiner der zahlreich anwesenden Reporter diese ergreifende und mutige Szene im Bild fest gehalten hat. Aber das ist wahrscheinlich das Los der stillen Helden im Herbst.

Heute im Bus liess ich die andern reden und schaute statt dessen auf ein Plakat, welches mich fragte: Kennen Sie Ihren Augeninnendruck?
Ein Mann, der vor mir sass, mochte auch nichts dazu sagen und las in „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“.

Stängel

Wenn ich an dieser städtischen Anlage vorbei gehe, kommt mir Traugott in den Sinn. Dass die Zeiten, wenigstens lebensmittelversorgungsmässig besser sind als damals, kann man daran sehen, dass Lauchstängel, Fenchel und Randen nicht gestohlen werden, ja, sogar der Kardy von ennet dem Röstigraben wird in Ruhe gelassen. Es kann ja sein, dass kaum jemand mehr das Chrutt im Originalzustand kennt.
Ein Kompliment an die Stadtgärtnerei!

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Noch nie seien so viele Wahlplakate „vandalisiert“ worden, wie in diesem Herbst 2007. Die „Vandalisierung“ würde hauptsächlich die Partei A betreffen, während die Parteien B und C kaum „vandalisierte“ Plakate zu beklagen hätten (Aus: Nachrichten TeleBärn vom 30. Sept. 2007).
Die Wandaale ihrerseits huldigten, wie ihr Sprecher dem regionalen Fernsehen gestern mitteilte, mit der intensiven Arbeit im öffentlichen Raum nur dem Culture Jamming.

Zu meinen frühsten Kindheitserinnerungen gehört die Emme. Meine Grossmutter trug mich über den „Däntsch“ durch das Gebüsch hinunter an den Fluss. Blätter, die sich wie Wolle anfühlten, streiften mein Gesicht. Unten am Flussbord setzte sie mich in den feuchten Sand. Es gab eine Schaufel, blau oder grün, mit welcher ich darin grub, bis kleine „Glunggen“ entstanden. Das Wasser rauschte hinter einem Wall von blank geschliffenen Kieseln. Die Holzbrücke spannte sich in kühnem Bogen über den Fluss. Dem einzig existierenden Foto nach musste ich gegen zwei Jahre alt gewesen sein. Ein paar Jahre später sass ich oft auf einem Balken in der Brücke und schaute durch ein Astloch im Geländer auf das Wasser hinunter, bis ich meinte zu fahren. An heissen Tagen war es hier drinnen kühl und das Sonnenlicht drang durch die Fensterläden. Obwohl ich noch klein war, fürchtete ich mich nicht. Sollte zufällig ein Löwe vorbei kommen, würde ich ihm, wie Grossmutter mir für diese brenzlige Situation geraten hatte, ein Lied singen.
60 Jahre später entnehme ich dem NZZ-Folio „Sicherheit“ Sept. 2007, S. 29, dass diese Anweisung absolut richtig war.

Akropolis Bern West

Als ich diese Säulen heute früh so wunderstolz im Morgenlicht empor ragen sah, dachte ich: hurra, nun wohne ich bald in einer A-Stadt, denn hier entsteht die Akro-Polis Bern-West!
Meine Begeisterung liess aber nach, als ich in der Zeitung las, dass Wirtschaftswissenschaftler „A-Städte“, auch Berns Westen, als solche bezeichnen, wenn darin hauptsächlich

Alte
Arme
Arbeitslose
Auszubildende
Ausländerinnen und
Ausländer

wohnen.
Ehrlich gesagt weiss ich gar nicht, was nun aus diesen Säulen werden soll. Am besten werden sie möglichst schnell alt.

Obwohl es morgens schon recht kühl ist, schiebe ich die Socken- und Strumpfzeit noch hinaus. Deshalb stehe ich ein bisschen fröstelnd an den Bushaltestelle und schaue, wie meine Mitmenschen die Übergangszeit meistern. Ein Sommer-Winter-Mischmasch vom Flip-Flop bis zum Pelzstiefel, vom Trägershirt bis zum Daunenmantel ist alles da. Man friert am Morgen oder schwitzt am Nachmittag.
Ich erinnere mich an die Kullu Dussehra in Nordindien. Dieses Fest dauert eine gute Woche und wird von den Bergbewohnern aus den hintersten abgelegensten Krächen besucht. Es ist die Gelegenheit, sich mit Waren fürs Überwintern einzudecken, sich segnen, wahrsagen und den hohlen Zahn ziehen zu lassen, ein bisschen Spass an Tanzbären, Schlangenbeschwörern, Blasmusik zu haben und als wichtige Sache sich an einem bestimmten Tag zusammen mit tausend anderen Mitmenschen ins Wintergewand zu stürzen.
Erst an der Frühlings-Dussehra wird wieder auf Sommerkleidung umgestellt.

Eigentlich wollte ich zu diesem Wahlplakat nichts schreiben, obwohl ich täglich von Leuten jeden Alters nach meiner Meinung darüber gefragt werde.
In der ganzen Stadt wurde das unsägliche Werk (zu den eidgenössischen Wahlen 2007) an den zugänglichen Stellen meist „abgeändert“. Hier eine gelungene Variante, welche 2nd2nd, female entdeckt und fotografiert hat.

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Im Stephansdom stehen magere Putzmänner auf hohen Leitern und saugen den Staub von der Decke. Sie sind aus dem Osten, wahrscheinlich aus Polen, und sie tragen keine SUVA-Schuhe (CH-Sicherheitsschuhe). Möglich, dass bei dieser Gott gefälligen Arbeit in luftiger Höhe auch gar keine Unfallgefahr besteht. Mit dem Pinsel müssen die Heiligenfiguren vom Russ der Kerzen befreit werden. Wenn Benedikt XVI vom 7.-9. September Wien besucht, muss die Reinigung vollzogen sein. Nicht, dass der Papst Zeit hätte, jedes steinerne oder hölzerne Kuttenfältchen zu inspizieren, aber den Videowalls wird nichts entgehen!
(Aus einem Telefongespräch mit meiner Schwester Rosy in Wien.)

Gereinigt wird übrigens jedes Jahr, nur heuer aus besonderem Anlass, vorgezogen. So gerne ich in Wien Heilige mit Pinsel putzen würde, ich wäre zu schwer. In der Regel wird man ja in diesen Kreisen nach dem Wägen als zu leicht befunden, aber es gibt auch hier Ausnahmen 😉

Eine von vielen

Nachdem Vater schweren Herzens und mit Tränen in den Augen die Holzerei den Jungen übergab, musste er im Frühling auch von der Gartenarbeit Abschied nehmen. Das war hart und er wünschte sich, noch einmal Stangenbohnen und Sonnenblumen blühen zu sehen. Familie und Zugewandte taten ihr Bestes, um dem alten Mann diesen Wunsch zu erfüllen. Die ersten Bohnen konnten bereits geerntet werden, süüferli mit der Schere abgeschnitten, damit die feuerrot blühenden, eine reiche Ernte versprechenden Ranken nicht zu Schaden kamen.
Die Sonnenblumen stehen inzwischen auf meterhohen dicken Stängeln (endlich kann ich dieses Wort einmal passend anwenden) und sind die Prächtigsten weit und breit.
„Telekom-Sonnenblumen“ nennt sie 2nd, male. „Was habt ihr ihnen gegeben?“
Natürlich nichts, kein Gramm Dünger – völlig ungedopt jede einzelne Pflanze!

Vater sitzt jeden Tag auf der Laube und schaut in den Garten hinaus. Die „Uhr“ mit dem roten Alarmknopf trägt er nicht mehr. Er nimmt’s wie’s kommt.

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Wohl, wohl, auch ich bin zurück vom Rhonedelta. Den Rank zum Blogk habe ich bis heute nicht gefunden, und ich zweifle daran, dass ich ihn vor dem Fahrplanwechsel am 9. Dezember finden werde. Vergangene Woche bin ich 68 Mal bei Bernmobil ein- und ausgestiegen, da alle Tram- und Buslinien durch den Bahnhofplatzumbau unterbrochen sind.
Aber wir dürfen hoffen, denn bis zum 7. Juni 2008 wird alles gut!
Bis dahin muss ich nur noch 2992 Mal ein- und aussteigen.

Auf der dürren Pinie treffen sich die Wildtauben und gurren in den beginnenden Tag hinein. Eine wohlgenährte Zuchttaube gesellt sich zu ihren unscheinbaren Verwandten, schlägt mit weissen Schwanzfedern ein vornehmes Rad. Der Ast biegt sich unter ihrem Gewicht.
(2nd, male nennt den Vogel „Truthahn“).
Das morgendliche Gruu-Gruu-Konzert wird vom Elsternpaar gestört, welches die umstehenden Pappeln, Oliven- und Eukalyptusbäume krächzend und schnatternd beherrscht und nebenbei auch Anspruch auf den dürren Taubenbaum erhebt. Beide Vögel schiessen auf die Pinie zu, mit schnellen Flügelschlägen machen sich die Tauben davon. Nur die Spatzen lassen sich nicht aus der Ruhe bringen und bleiben wie kleine Kerzen auf den Zweigen sitzen.
Aufmerksam beobachtet Kleinesmädchen den Vogelspektakel und sagt dazu begeistert: „Määh!“

Südlich von Montélimar sind die Franzosen faul, richtige Faulenzer, die nichts können ausser Geld zählen und Sonne und Meer verkaufen. Wenn er „nichts“ sagt, dann meint er mehr als nichts, „zéro, zéro“.

Joseph, „Gärtner-Elektriker-Mauerer-Schreiner-Monteur“ auf dem Campingplatz, formt mit Daumen und Zeigefingern zwei Nullen. Diese Faulpelze wollen sich in drei Monaten ein gutes Leben für ein ganzes Jahr verdienen. Sie fahren deutsche Autos, weil ihnen die einheimischen Erzeugnisse nicht gut genug sind und scheuen jede Arbeit wie der Teufel das Weihwasser. Deswegen stellen sie die Landsleute von nördlich von Montélimar an. Ohne diese Frauen und Männer – ja, oft ganze Famlien samt Grossmüttern – würde der Tourismus hier zusammenbrechen.

Und ohne den Tourismus wären die Südfranzosen aufgeschmissen, weil sie nichts können, weder backen noch kochen und auch sonst kein Handwerk. Nimm ihnen die Gastarbeiter und Nordfranzosen weg und sie werden verhungern oder schneller noch verdursten. Aber so lange die Nachfrage nach Sonne und Meer besteht, müssen sie halt selber niemals einen Finger rühren.

„Aber die Pferde- und Stierzucht, die können sie doch?“ wende ich ein. „Nein, auch davon verstehen sie nichts,“ ein Touristenmärchen sei das, meint Joseph.

Joseph weiss, was Arbeit ist. Als eines von zehn Kindern einer lothringischen Familie stieg er mit sechzehn Jahren erstmals in die Grube, kam dann als Holzfäller und Bauarbeiter Richtung Süden. Nun arbeitet er seit sieben Jahre auf dem Campingplatz für 1500 Euro im Monat. In der Hochsaison hat er 12-15 Stunden täglich zu tun, aber im Winter ist es ein Halbtagsjob. Er hat keine Frau, ist ein freier Vogel, aber sicher nicht vom anderen Ufer – Gott bewahre! Der Bordellbesuch ist budgetiert, immer 200 Euro, das klappt einwandfrei, und niemanden muss er anrufen oder gar anlügen. Das Leben ist schön!

Nun macht er das noch zwei Jahre bis zur Pension, dann kauft er sich einen Camper. Sein restliches Leben will er an warmen Orten verbringen, nie mehr zurück in die Grube, sondern „immer der Sonne nach“.

Le dragon; France du Sud 2006

Die Blogk-Familie fährt nach Süden und wünscht sich wie letztes Jahr viel hellen Himmel über den verrauchten Köpfen. Allen anderen wünscht sie ebendies!

Zum Abschied noch Schönes aus der letzten Arbeitswoche:

  • Ich hatte wie gesagt, einen wunderbaren Geburtstag. Wie schön, so liebe Leute zu kennen!
  • 2nd, male hatte grosse Freude am Zeugnis seines Sohnes und hat natürlich fein gekocht an meinem Geburtstag.
  • 2nd, female hatte ein schönes Abschiedsfest an ihrer Arbeitsstelle (sie fängt nach den Ferien neu an).
  • 2nd2nd, female hat ihre Masterarbeit „Der frühe Beitrag von Frauen an die Heilpädagogik in der Schweiz – eine Spurensuche“ abgeschlossen und eingereicht.
  • 2nd2nd, male ist für die eidgenössische Ausbildung zum Hauswart angenommen worden. Es ist ein Lehrgang mit viel mehr Anmeldungen als Plätzen und eine Riesenleistung von ihm. Besonderer Dank gilt unserer lieben Freundin Anna, die mit ihrem ausgezeichneten individuellen Deutschunterricht einen grossen Beitrag dazu geleistet hat.
  • 3rd, male freut sich noch mehr als über sein Zeugnis, über die Rückmeldungen der Mitschülerinnen und Mitschüler. Jeder hat für jeden etwas Positives geschrieben. Zum Beispiel:
  • Lieber 3rd

    Ich finde es mega gut das du in wirklich fast allen Fächern mega gut bist! Ich bewundere das du eigendlich keine Rechtschreibefeler hast das möchte ich auch können! Was du auch gut kannst ist Fussballspielen!!!! Ich finde dich sehr nett!

  • 3rd, female kann jetzt neu „O“ sagen, ein passender Buchstabe für ihre vielen Entdeckungsreisen.
  • Heute früh um sieben gabs ein mächtiges Donnern im Treppenhaus, dann begann ein Bohrer mächtig zu bohren, so dass ich dachte, er durchbohre meine Waschmaschine oder mein Duschbecken, vielleicht sogar mich an meinem Schreibtisch. Der Lift wurde, wie gestern angekündigt, gewartet. Bei solchen Arbeiten können die Handwerker mit viel Goodwill seitens der HausbewohnerInnen rechnen, denn wer möchte schon im Aufzug stecken bleiben? Die Chancen, mit einem interessanten Mann oder einer wunderschönen Frau zusammen in der engen Kabine eingesperrt zu bleiben, sind bei uns gleich null. Solche prickelde Situationen kennen wir nur vom Film.
    Am Nachmittag packte ich Altglas, Petflaschen, Hauskehricht, Kleider und Schuhe fürs Brockenhaus, Post und Bibliotheksbücher zusammen, um damit in die Tiefe zu steigen. Klar hatte ich eine Hand zuwenig, um auch noch die Wohnungstür abzuschliessen. Da kam der Liftmonteur, nicht der von Zürich, packte meinen Einkaufswagen, begleitete mich zu Fuss bis ins Parterre und versprach, mit den Wartungsarbeiten fertig zu sein, bis ich nach Hause käme. Er verzichte heute sogar auf die Mittagspause und somit auf die Superpizza beim Griechen, (der eigentlich ein türkischer Kurde ist) und der mit den Pizzaauflagen nicht geize.
    Eigentlich sollten die Arbeiten schon abgeschlossen sein, aber als sie heute früh angefangen hätten mit Bohren, sei der Aufzug drei Eingänge weiter vorne stehen geblieben, und das sei ihm ein Rätsel.

    Keine Bodenvase

    keine Lampe, kein Finessgerät, etwas, das für die heutigen Wohnungen in einer anderen Form hergestellt wird und deshalb schwierig zu finden war. Etwas Wichtiges, das es immer geben wird, weil man es jeden Tag braucht, dazu etwas, das ich mir schon lange heimlich gewünscht habe. Das Paket ist schwer und scheint im Innern gepolstert zu sein.
    ?????

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    Er schenkte seiner albanischen Nachbarin einen Tisch. Sie stellte den Tisch in den Veloraum vor die Tür zur Waschküche. Die Leute reklamierten, aber sie verstand nicht, was diese von ihr wollten. Der Verwalter rief bei ihm an und verlangte, dass er den Tisch wegräume. Er sagte, dass das gar nicht mehr sein Tisch sei, ging zu ihr und erklärte ihr in Albanisch, warum der Tisch nicht vor der Waschküchentür und dem Fahrradständer stehen bleiben könne. Daraufhin schleppte sie drei Matratzen in den Keller und legte sie zusammen mit anderem Gerümpel auf den Tisch. Nun hat er den Tisch mit eigenen Händen in die Sperrmüllsammlung getragen, so dass seine Finger ganz blau wurden. Er bezahlte auch die fünf Franken Entsorgungsgebühr. Das machte ihm nichts aus, aber mit den Matratzen will er nichts zu tun haben.
    Er will nur, dass sie endlich Deutsch lernt!

    Fallbeispiel am Podiumsgespräch „Forum Bethlehem“ von heute Abend, dargelegt von einem jungen Albaner. Es ging darum, Ideen zu entwickeln, wie das schlechte Image von Bern-West verbessert werden könnte. Mit in der Runde dikutierte auch 2nd2nd, female, während 2n2nd, male Kleinesmädchen mit Zahnschmerzen geduldig betreute.

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