Alles oder nichts


Nach mehr als zwei Jahren erhielt Vater wieder einmal Besuch von „Bruder“ Hopf. Weil der Gottesmann nur eiskaltes Rivella trank, stellte mein Vater damals gleich eine Flasche für die nächste hopfsche Visite kalt. Monate vergingen, in welchen Vater die Flasche Rivella Blau vom grossen in den kleinen Kühlschrank umplaziert und schliesslich wegräumte. Nun war der „Bruder in Christo“ da, zusammen mit seiner schweigsamen Frau. Die beiden hatten inzwischen dem Rivella entsagt und baten um Hahnenwasser. Hopf, der früher Vertreter für Tierfutter war und am Sonntag in Vereinshäusern und Bauernstuben Bibelstunden abhielt, las auch am Küchentisch zwei Verse aus einer Bibel vor, die seit Jahren unter alten Zeitungen und Landwirtschaftkatalogen liegt. Nach der Lesung sprach Evangelist Hopf über den Siebten Himmel, die Ewige Heimat für „Brüder“, welche ein ganz besonders frommes und gottgefälliges Leben geführt hatten. Ergriffen zählte er Namen auf, verlor sich in Erinnerungen an diese Grossen und Guten, während seine Frau immer wieder auf die Uhr schaute und ihren Mann daran erinnerte, dass sie ja heute auch für den Schwager kochen müsse und die Zeit sowieso nur noch für Café complet reiche.

Inzwischen hat Vater, dem schon ein einziger Himmel ein Rätsel ist, über den Siebenten nachgedacht und ist zum Schluss gekommen, dass Hopf einst enttäuscht sein würde ob der geringen Zahl an „Chemberen“ (Bekannten) dort oben.

Seitdem 2nd2nd, male Hauswart im Grossen Block ist, dürften die Kinder auch am Sonntag auf den Spielplätzen spielen.
Nicht, dass sie sich solches Tun nach der langen Herrschaft des alten Hauswarts jetzt plötzlich erlaubten. Wie in all den vergangenen Jahren bleiben sonntags die Rasenplätze, Sandkästen, Schaukeln und Rutschbahnen meistens leer. Das „Kinderspielverbot“ greift immer noch, hat sich sogar auf den Fussballplatz des benachbarten Schulhauses ausgedehnt. Sonntags finden die fremden- und kinderfeindlichen PensionärInnen noch viel besser Zeit, von ihren Balkonen herab durch Pfeifen und Brüllen ihre Sonntagsruhe durchzusetzten.
So hat denn 2nd2nd, male vorgestern schon den zweiten Mahnbrief der Hausverwaltung erhalten. Es träfen jeden Tag Klagen über den „Sittenzerfall“ im Block ein. Der junge Mann wird morgen vom Verwalter persönlich zur Rede gestellt, denn „so könne es nicht weiter gehen“.
2nd2nd, male kennt jeden Winkel des Grossen Blocks, hat in den letzten Monaten vom Keller bis zum Dach alle, auch diejenigen in luftiger Höhe, gereinigt, ist freundlich, fleissig, hilfsbereit und jederzeit auf seinem Handy erreichbar. Einer seiner zwei „Nachteile“: er wird von den HausbewohnerInnen nicht gefürchtet.
Nun hat er hat eine Höllenwut im Bauch. Wir sehen es an seinem blassen unbeweglichen Gesicht. Wir versuchen, ihn auf das morgige Gespräch vorzubereiten.
Es kann gut sein, dass die junge Familie weiter ziehen muss. Dann wäre ein Experiment Integration in unserem Quartier an einer Gruppe missgünstiger Leute gescheitert, für die „Jugo“ kein Schimpfwort ist.

Grossmutters Korb
(Dein Bett bei der Grossmutter)

herzlich willkommen in unserer Familie. Ich hoffe, es wird dir bei uns gefallen!

… meinte meine Mutter immer, wenn wir über etwas klagten, das, verglichen mit dem Elend in der Welt, kaum ein Fliegendreck war.
Recht hatte sie.
Trotzdem habe ich anderthalb schlaflose Nächte und einen absolut nicht erholsamen Sonntag hinter mir. Alles nur wegen Fehler 678 – keine Verbindung ins Internet. Ich kroch unter den Schreibtisch, testete Anschlüsse, putzte bei dieser Gelegenheit den Staub unter den Gestellen weg, startete unzählige Male neu, steckte Kabel um, bat 2nd, male per SMS um Rat – es half alles nichts. Während der Regen an die Fenster schlug, machte ich mich entnervt ans Bügeln der restlichen Ferienwäsche, rauchte die Zigarette, die ich für „Notfälle“ aufgehoben hatte und verplemperte meine Zeit mit dem Schluss eines TV-Films, in welchem sich eine Pastorin in einen Restaurator namens Patrik verliebt, der eigentlich Paul heisst und einen weissen Schlittenhund besitzt.
Der „behobene“ Fehler 678 bleibt mir ein Rätsel.

Juppi, meine Familie ist wieder zuhause!

Sobald alles ausgepackt und die Hängematte fürs nächste Jahr verräumt ist, veröffentlicht vielleicht auch 3rd eines seiner vielen Ferienerlebnisse für den Blogk. Aber die Erwachsenen stürzen sich bestimmt sofort wieder ins Arbeitsleben.

Mein Kopf ist fast nur noch bei meinem Bauchkindlein. Deshalb wird es für Blogk höchste Zeit, dass die Blogk-Familie wieder nach Hause kommt. Schliesslich schreiben wir übers Block-Leben und führen keinen Baby-Blog.

Also, eine kurze Szene, die sich gestern Abend vor dem Block abspielte, wo ich Bekanntschaft mit der aufdringlichsten Nachbarin gemacht habe, die mir bisher über den Weg gekrochen gelaufen ist. Diese kam rauchend daher als mein Mann, der Hauswart, gerade einem Geburtstagskind (2 J.) einen goldenen Zuckerstock geschenkt und angezündet hatte. Sie grüsste, duzte mich, fasste mir ungefragt an meinen kugelrunden Bauch und tat, als würde sie mich schon die längste Zeit kennen. Vor sieben Wochen hätte sie eine Fehlgeburt zur Welt gebracht. Aha. Die Frau stank nach Alkohol und Zigaretten und erinnerte mich an eine langbeinige Spinne. Ein weiterer Schritt zurück nützte nichts, sie kam immer näher und erzählte von ihrem besiegten Lymphdrüsenkrebs und der Muttermilch, die sie gezwungenermassen abpumpen und wegwerfen musste. Der Zuckerstock war längst ausgebrannt. Die Frau zündete sich eine neue Gauloise an und teilte mir mit, wie schrecklich das Leben und wie alleine sie hier sei. Ich flehte meinen Mann mit verdrehenden Augen um Hilfe, woraufhin er mich aufforderte, auch nach Hause zu kommen. Zum Abschied streckte ich der fremden Spinnenfrau meine Hand entgegen, worauf sie mich an sich heran zog und mich doch tatsächlich drei Mal auf die Wangen küsste. Ich sass in einer Sackgasse und konnte nur noch meine Nase weitgehend abdrehen. Da ist das unermüdliche Geknalle des 1.Augusts ein Dreck dagegen. Ich will nicht, dass mich jemals wieder jemand küsst, den ich absolut nicht riechen kann! Irgendwie steht mir meine Höflichkeit immer wieder im Weg. Wie hätte ich mich retten können?

2nd, female und 2nd, male machen mit 3rd drei Tage Kernfamilienleben. Da auch der ganze Besuch schon vor einer Weile abgereist ist, verbringt 1st diese Zeit alleine. Alleine mit guten Büchern, vorgekochtem Essen, einem Fahrrad, genügend Geld und einem Notfallkoffer.

Das vergangene Jahr Die vergangenen Jahre waren streng für meine Mutter. Sie hat sich immer wieder sehnlichst ein paar freie Tage gewünscht. Nun hat sie sie! Drei Tage keinerlei Verpflichtungen. Doch was sagt sie mir vorhin am Telefon? Sie habe sich überlegt, doch nach hause zukommen. Weshalb? Weil sich ihr Vater mit 95 Jahren langsam von uns verabschiedet? Weil ich hochschwanger bin? Weil es in Frankreich noch heisser ist als hier? Weil sie von Daheim aus besser weiss, was in der Welt geschieht? Natürlich kann sie jederzeit in den TGV steigen, aber in dieser Unruhe hat sie sich ja wohl kaum erholt und Ferien gibts erst im Sommer 2007 wieder. Mamma mia! Endlich hat sie einmal richtig frei und jetzt kann sie das irgendwie nicht geniessen.

Immerhin suchen meine Schwester & Co. einen Weg, genügend Kraft fürs kommende Schuljahr zu tanken.

fragte ich gestern meinen Mann, den Hauswart. Schreiben sei halt nicht „sein Ding“, meinte er. Aber er würde erzählen, dass ihm „sein“ 20-stöckiger Block so leer vorkomme. Er könne all seine Arbeiten bis in den frühen Nachmittag erledigen und mich danach schon ins Freibad oder zu Grossvater begleiten. Die Müllberge häufen sich nicht, wie in anderen Zeiten, in der Waschküche gäbe es immer genügend freie Maschinen und es seien so viele Autos in den Ferien, dass niemand falsch parkieren müsse. Eigentlich hätte er genügend Zeit, den Rasen zu bewässern, aber die Stadtgärtnerei hat davon abgeraten. Nun trocknet das Gras ganz braun vor sich hin.

2nd2nd, male würde auch bloggen, dass er nun endlich wisse, dass die Schokolade von seiner Mutter sei. Haaaa, ich hatte recht! Vor mehreren Tagen lag in unserem Briefkasten ein Paket mit kleinen Toblerönchen; ohne Karte, ohne Absender, aber mit einem Hinweis: der Preis klebte immer noch mitten auf der Verpackung. Da vermutete ich natürlich jemanden dahinter, der keine Bildung in der Schweiz genossen hatte und dem das Lesen und Schreiben nicht so wichtig sind. Wie Commissario Brunettis Frau verdächtigte ich die naheliegendste Person und tippte auf meine Schweigemutter Schwiegermutter, die sich morgen auf den Weg in ihre Heimat macht und nicht da sein wird, wenn unser Bauchkindlein das Licht der Welt erblickt. Das ist ihr gerade recht, weil sie von ihren eigenen Kindern die Schnauze voll hat und sich nicht noch mit Enkelkindern beschäftigen will. Zum Glück haben wir unsere allerliebste Blogkfamilie!

Mit meinem dicken Bauch mag ich gar nicht mehr so schwimmen und hab deshalb gestern den halben Tag im Westen Berns im „Weierli“ am Schatten gelegen; während dessen fallen im Osten Bomben.

Der Moderator der Rundschau sagte gestern abend: „… und einmal mehr fürchtet sich die Welt vor einer Eskalation im Nahost.“ Ist denn die Situation noch nicht eskaliert oder noch zu wenig grausam? In der Sendung sprach auch der Gitarrenlehrer von 3rd. Seit vier Tagen erreicht dieser seine Mutter in der Heimat Libanon nicht mehr. Seine Träume, Hoffnungen und Pläne für den Libanon und jene vieler Landsmänner und -frauen werden nun zerstört. Aus dem dicken Bauch seiner Ud tönt traurige Musik.

Die Wurzeln des Nahostkonflikts liegen lange vor meiner eigenen Geburt zurück. Und wenn mann eine Waffe zu oberst auf die eigene Flagge druckt, scheint mann nie und nimmer bereit, das Ende des Nahostkonflikts zu erleben. Weil 1st dennoch in Israel gearbeitet, geliebt und gelebt hat, habe ich mir gewünscht, es einmal zu bereisen. Meine Mutter hat meine Bitte aber stets mit den Worten abgelehnt: „Wir werden nach Israel reisen, wenn der Krieg vorbei ist“. Sie selbst hat dann ihre Freunde Mitte der 90er-Jahre trotz der politischen Lage besucht. 2nd, female blieb mit mir zuhause und las täglich mit ernstem Gesicht die Nachrichten über in die Luft gesprengte Autobusse und tote und verletzte Zivilisten. Ich verstand dieses Geschehen damals nicht und könnte auch heute meinem Kind nicht erklären, weshalb junge Männer Steine werfen, anstatt die Schule zu besuchen oder im Bunker sitzen müssen, anstatt Prüfungen an der Universität ablegen zu können.

Ja, ich vermisse meine Familie, denn eigentlich wäre jetzt der Zeitpunkt, an ihren Tischgesprächen zu lauschen und teilzunehmen.

…und der beste Freund meines Mannes macht Party-Ferien auf Zypern…

PS.: Shalom Lila! Sobald „admin“ wieder zuhause ist, wird Letters from Rungholt angepasst. Alles erdenklich Gute!

Während meine Familie den Tag in Saintes-Maries de la Mer verbringt, die heilige Sarah besucht, für alle lieben Lebenden und Toten Kerzen mit guten Wünschen anzündet, vielleicht Stiere in der Arena bemitleidet, aufdringlichen Zigeunerinnen charmant aus dem Weg geht und marokkanisch zu Abend isst, machten mein Mann und ich einen „Kontrollgang“ durch ihre Wohnungen. Zuerst brachten wir Post und Hemden in die perfekt hinterlassene Blockwohnung meiner Schwester und ich suchte mir einige DVD’s meines Schwagers aus. Die ausgeliehenen Santons brachten wir in die ebenfalls perfekt hinterlassene Blockwohnung meiner Mutter und holten meine frisch gewaschenen und gebügelten Schwangerschafts-Shirts, den bereitgestellten Honig und eine Flasche Hollundersiroup ab. Mein Mann legte sich in dem gemütlichen Stübchen aufs Ohr und ich machte es mir auf dem tibetanischen Teppich bequem. Bei Mama ist es doch am schönsten! Leider wurde unsere Siesta durch ein Gerumpel vor dem Fenster unterbrochen und Dick und Doof stiegen vom Dach die Leiter herunter auf unseren Balkon. Hat es 1st doch vorausgesehen; die Dachdecker kamen von oben. Löten wollten sie, aber ihnen fehlte erneut das richtige Material. Ob sie es hinkriegen würden, das Loch bis Ende Monat wieder zu decken, fragte ich die zwei. Als keine eindeutige Antwort kam, liess ich die Store runter. Ab ins Freibad, damit wir auch etwas braun werden, obwohl wir heuer nicht in den Süden reisen.

Wie schön, wenn Frankreich Weltmeister geworden wäre, dann hätte der heutige Tag noch eine andere Bedeutung als die Erinnerung an den Sturm auf die Bastille. Ich trauere immer noch dem missglückten WM-Finale nach. 1st hat nun ihre 50.-, die sie auf die Franzosen gesetzt hat, verloren, aber die auf Italien setzende Freundin wird sie damit bestimmt zur Feier des Tages ins Grand Café de Paris einladen. Vielleicht kann sich meine Blogk-Familie sogar einbilden, das Feuerwerk heute Abend sei extra für sie; als Belohnung zu ihren Arbeitsverträgen, Gratisarbeiten, als Gratulation zu 3rd’s ausgezeichnetem Zeugnis oder als nachträgliche Glückwünsche zu 1st Geburtstag.

Die ganze Welt spricht davon und eben erhielt ich auch eine SMS von 1st aus der Camargue:

„Midi Libre.“ 13. 07. 06: Zizou: „Je m’excuse auprès des enfants et des éducateurs…“ Dieser Kopfstoss sei unentschuldbar, aber bereuen hiesse für ihn, Materazzis Worten Recht zu geben, „…et il n’avait pas raison!“

Ich bin gestern durch meine letzte Prüfung gefallen. Es war wohl doch ein bisschen viel mit umziehen, Ausbildungsabschluss, Prüfungen, Praktikum, Anzeige aufgeben, Fahrstunden, WM, Nachhilfeunterricht und dem ganzen Rest. Ich hatte meinen Kopf gestern gar nicht bei der Fallbesprechung und nun muss ich sie nächsten Februar wiederholen.

Zum Glück geht es meinem Grossvater mit jedem Beutel Blut, den er Tropfweise erhält, etwas besser. Meine Mutter hat ihm schon gesagt, er solle jetzt noch warten mit Sterben, damit er noch mein Bauchkindlein sehen wird.

Ausser meinem Mann und mir ist nun die Blogk-Familie in den Ferien. Endlich! Auch sie hatte ein strenges Jahr. Mein Grossvater mag 1st die Ferien auch gönnen, er spricht sogar von vielen zu strengen Jahren, von denen sie sich in den Winden Frankreichs, im warmen Sand und im Salzwasser erholen soll.

Die Winde des Südens sind voller Überraschungen – wie das Leben.
Au revoir!

Adieu!

Millionen solcher schwarz-weiss Fötis liegen in zerschlissenen Umschlägen und Schachteln, kleben in Poesiealben, längst abgelaufenen Pässen, vergessenen Bewerbungsschreiben und abgegriffenen Geldbeuteln. Wie viele Stunden hat man kichernd die Automaten belagert, gespannt auf den Fotostreifen wartend, der, noch feucht und nach faulen Eiern stinkend, aus den Schlitz in Aussenwand der Fotokabine ruckelte?
In ein paar Tagen werden die analogen Kabinen verschwunden sein. An ihrer Stelle wird dann digital fotografiert, zwar zum gleichen Preis und in Farbe, aber mit vier identischen Bildern. Möglich, dass sich die Wehmütigen aus der Schweiz bei Gelegenheit noch einmal hier auf den Drehstuhl setzten

Malve

Ich habe gehört, dass einer durch die Städte ziehe und an Strassenrändern Malvensamen fallen lasse. Man wisse nicht, ob das toleriert werden solle, da Malvenstängel eventuell den Beton sprengten, die Sicht der AutofahrerInnen hemmten, lästige Bienen und BlumenpflückerInnen anlockten oder Vandalen die alles niederträten, so dass das Strassenbord unordentlich aussähe.
Bei uns ist er auch vorbei gekommen, der Schlingel!

Meine Grossmutter ist Anfang dieses Jahres gestorben, jetzt stirbt mein Grossvater. Gestern vor 62 Jahren ist meine Mutter zur Welt gekommen. Heute Nacht hält sie Wache bei ihrem Vater. Ich wäre bei ihnen geblieben, aber sie will mich in meinem eigenen Bett wissen.

Wir integrieren unzählige Weisheiten von Grossvater in unseren eigenen Lebensweg. Heute Abend sprach er vom Zusammenhalt in den Familien und dass wir Enkelinnen doch bitte seine zwei Töchter trösten, sein Leben nehme nun ein Ende. Meine Tante sieht ihm das Sterben an und meine Schwester nennt es ein medizinisches Wunder, dass er mit seinem viel zu grossen Herzen überhaupt noch lebt. Am 11. August würde er 95 Jahre alt.

Mitternacht ist längst vorbei, aber ich bastle an einem Mobile. Ich halte es in Blau- und dezenten Grüntönen. Ähnliche Farben, wie die Kommode meiner Urgrossmutter, Grossvaters Schwiegermutter, die dem Hochzeitspaar einen sauren Braten serviert hat. In der Mitte des Mobiles wird ein glänzender Fisch hängen, rundherum Perlenketten mit selbst gesammelten Muscheln. Es soll mich an Südfrankreich erinnern, wohin ich dieses Jahr nicht fahre, da mein Bauchkindlein bald zur Welt kommt. Ich wünschte aber, meine Mutter reise nach dieser strengen Pflegezeit doch ans Meer. Wie dem auch sei, allez les vieux les bleus! Aber im Moment hupen noch die Italienfans durch die Strassen.

Mir scheint alles miteinander verbunden. Der Tod, ein neues Kindlein, unsere Berufe, das Meer, das Blinzeln von 3rd, 1st Bein, das Giessen der Pflanzen, die Tangas und Birkenstöcke meines Erzeugers, unser Rückgrat, der Blogk,… wie in meinem Mobile. Wenn ein Luftzug eine Perlenkette berührt, bewegt sich alles mehr oder weniger. Gerade hängt das Gebilde so und so, aber morgen sieht es schon etwas anders aus. On verra. Bonne nuit*

Letzten Freitag rief ich, ziemlich entnervt, den Dachdecker an. Seine Mannen hatten auf meinem Balkon ein neues Abwasserrohr wieder frei gelegt, da es undicht sei. Die Kontrolle daure 3-4 Tage. Das war im März.
Nun verlangte ich, dass diese Baugrube endlich von meinem Balkon verschwinde. Am Nachmittag tauchte Herr Wüthrich zusammen mit dem Spengler auf. Der Spengler, ein ausnehmend gut aussehender Mann mit grossen grauen Augen, hielt diverse Werkzeuge an die Brust gedrückt, von denen ihm immer wieder eines hinunter fiel. Man müsse einen Ballon in die Röhre einführen, diesen mit Wasser füllen und übers Wochenende sehen, ob es der Rentnerin in der darunter liegenden Wohnung auf den Kopf tropfe. Die beiden Männer werkelten vor sich hin. Dann brauchte der Spengler eine Fahrradpumpe. Ob ich so etwas … ? Nein, diese gehe nicht. Er brauche eine Altmodische mit Schläuchlein. „So etwas besitzt doch kein Mensch mehr. Ich jedenfalls habe die Schläuchleinpumpe vor zwei Jahren entsorgt.“ „Schade, sehr schade, nun muss ich meine holen,“ meint der Schöne traurig.
Als die beiden Fachmänner zur Tür hinaus waren, hörte ich es noch ein paar Mal im Treppenhaus poltern, wahrscheinlich die Pumpe mit Schläuchlein.
Heute früh kam der Spengler wieder, um seinen Versuch zu kontrollieren. Um 07:20 klingelte er die alte Nachbarin aus der unteren Wohnung an die Tür, um ihre Wände zu inspizieren. Alles trocken – prima. Ob ich eine dünne Stricknadel für ihn hätte, er müsse ein Löchlein in den Ballon stechen?
Er prüfte jede der sechzig angebotenen Stricknadeln, schüttelte nachdenklich den Kopf – alle zu dick. Musste er nun doch noch einen Draht in seinem Auto holen? Da, endlich, fand er das passende Nädelchen.
Nachdem er mir versprochen hatte, dass das Loch in kürzester Kürze …, verabschiedete er sich höflich, kam aber, wie Peter Falk in Columbo, gleich wieder, denn er hatte etwas vergessen.
Als ich mich endlich auf den Weg zur Arbeit machen konnte, rief jemand vom Parkplatz meinen Namen.
Es war der Spengler, der aus Versehen meinen Reserve-Wohnungsschlüssel eingesteckt hatte.

Seit einiger Zeit fährt ein israelischer Schweizer auf meiner Busstrecke. Er besucht einen Sprachkurs in der Stadt. Nein, ich bringe ihm unterwegs kein Deutsch bei. Er muss mich Ivrith-Wörter abfragen. Das tut er geduldig und gerne.
Letzthin nahmen wir die Satzzeichen durch. „Anführungszeichen“ wussten wir beide nicht. Natürlich habe ich gleich nachgeschlagen, um für die nächste gemeinsame Fahrt vorbereitet zu sein.
Bis zur Endstation Hauptbahnhof haben wir uns dann, weil die Welt ja klein ist, an gemeinsame Bekannte und Freunde erinnert und in Gedanken viele Grüsse und gute Wünsche auf die Hügeln von Ephraim und Menashe geschickt.

Da soll sich der Economist nur lustig machen über die Schweiz, die eine Mannschaft, die lediglich gegen zwei Schwächlinge wie Togo und Südkorea gewonnen hätte, wie Gewinner feiert. Ein Land in der Euphorie der Selbstüberschätzung…!

Also wir können uns über Selbstironie nicht beklagen. Heute zum Beispiel zeigt die NZZ am Sonntag eine Karikatur von Köbi Kuhn am Strand, wie er den kleinen Vogel (mit Schwimmhilfe) und den kleinen Cabanas (in viel zu grosser Fussballhose) lächelnd anweist, eine Sandburg zu bauen. Bei näherer Betrachtung erweist sich der Versuch als sandiger EM-Pokal.

Und der Witz, der seit einer Woche in jeder Schicht und jeder Sprache der Schweiz kursiert?

Saddam wird zum Tod verurteilt. Aber er hat wieder einmal Glück. Es schiessen Streller, Barnetta und Cabanas.

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