Aus erster Hand


Jeden Abend telefoniert Frau Stoll aus dem 11. Stock mit ihrer Tochter in der Innerschweiz. Nun ist die Neunzigjährige während des Gesprächs über das Telefonkabel gestolpert. (Kabellos kam für sie nie in Frage). Der Hausmeister, bereits im Pyjama, erhält von Frau Stolls Tochter einen Notruf. Eilig zieht er sich an. Für solche Fälle hat er einen Wohnungsschlüssel von den Angehörigen erhalten.
Er findet die Gestürzte ins Kabel verwickelt auf dem Boden vor dem Küchentisch.
Zuerst stellt er sich der Frau vor und sagt, dass er ihr jetzt helfen werde aufzustehen. „Ja, ja, Sie sind der mit den schönen Zähnen“, meint Frau Stoll und lässt sich stützen, während der Hausmeister am Handy die Tochter hinter den sieben Bergen beruhigt.
Eigentlich kam die alte Frau in die Küche, um etwas zu essen, aber es ist nichts da. „Mögen Sie Reis? Ich habe für meine Kinder welchen gekocht und hole Ihnen gerne etwas.“ Hurtig bringt der Hausmeister Reis und Gurkenscheibchen, setzt Wasser für Kaffee auf.
Frau Stoll fühlt sich wohl und erzählt trotz der späten Stunde munter von ihren Lieblingen, den Katzen. Alles in der Wohnung ist mit Katzenbildern geschmückt, natürlich auch der Lavabostöpsel. Auf dem Tischset ist eine Aarelandschaft mit grüner Wiese abgebildet und darauf ein winziger roter Punkt. Das sei ihr VW Golf, den man ihr weggenommen habe. Noch immer schmerzt die Trennung von ihrem geliebten Auto. So etwas verkraftet man nie mehr. „Sie müssen den Kaffee trinken, solange er noch warm ist,“ sagt der Hausmeister. Nein, ins Altersheim möchte Frau Stoll nicht, da sind lauter fremde Leute. „Aber ich bin doch auch fremd und nun reden Sie schon nach wenigen Minuten mit mir,“ gibt der Hausmeister zu bedenken, „Sie würden dort viele antreffen, die sich mit Katzen auskennen und Sie wären nicht mehr allein.“
Wer weiss, vielleicht kommt es einmal so weit, aber nicht jetzt, jetzt möchte Frau Stoll noch ein bisschen Musik hören von ihrem besonderen Liebling. Der Hausmeister hilft mit der CD, wünscht eine gute Nacht und verspricht, am Morgen wieder vorbei zu schauen.
Den nächsten Abend wird „Aeschbi“ übernehmen, bis dann wieder die Tochter aus dem Innern der Schweiz anreist, um sich um die Mutter zu kümmern.

Eine der unzähligen „Liebeserklärungen“ an ihr Quartier von der Facebook-Gruppe „Du bisch vo Bethlehem …
(im Moment 2243 Mitglieder):

Bethlehem by night (von Tamara und Noel, Musik: The Darque-Roads)

Er sitzt im „Höfli“ vor einem Glas Rotem, rote Rose und Ehrenurkunde hat er neben sich auf den Tisch gelegt. An der heutigen HV ist er für 45 Jahre Parteizugehörigkeit geehrt worden. Als Lokführer sei er jahrelang „das Kreuz“ gefahren: Romanshorn-Genf, Basel-Domodossola, sei dann in die oberen Etagen der Schweizerischen Bundesbahn aufgestiegen. „Weisst, ein Bürojob,“ meint Küre und nippt an seinem Glas. Für den heutigen Anlass habe er auf den Englischkurs der Pro Senectute verzichtet. Nein, er plane keine Amerikareise, er sei oft „drüben“. Dann erzählt er von seiner Tochter, die er besucht und die in der Nähe von New York lebt. Genauer genommen auf Long Island, noch genauer in den Hamptons. „Wow, eine Supergegend!“ sage ich und sehe vor mir weisse Strände und teure Star-Villen aus „Gala“. (Ist Küres Tochter vielleicht sogar ein Kindermädchen in einer Promifamily, geht es mir durch den Kopf).
Seine Tochter sei sehr lieb – Küre strahlt vor Stolz. Bei kühlem Wetter wärme Fränzi Vaters Pyjama im Tumbler an. Die Tischrunde ist völlig hingerissen von diesem originellen Liebesbeweis. Bitte, weiter erzählen! Die Tochter sei nicht nur sehr lieb, tut uns Küre den Gefallen, sie sei auch sehr schön! Der Mann hat unsere volle Aufmerksamkeit. Lieb und schön gepaart – ein Wunder! Nun wage ich endlich zu fragen, was Fränzi in dieser illustren Gegend so mache. „Sie modelt für Yves Saint Laurent die Pelzkollektion, dafür sind die ganz jungen Models nicht geeignet“, erklärt uns der Fachmann. Vor Kurzem sei sein Schwiegersohn zum Admiral der US Navy befördert worden. Wunderbar sei auch seine Enkelin, habe an ihrem Grossvater den Narren gefressen, sei talentiert und fleissig, bringe immer gute Noten nach Hause. In Amerika gehe halt kein Talent verloren. Stundenlang könnten wir Küre zuhören – ein stolzer, glücklicher Mann. Er müsse einfach nur gesünder essen, schimpfe seine Schwester, immer sitze er vor Rotem, Brot und Salami, damit müsse endlich Schluss sein.

Küre gibt mir noch die Adresse von Fränzis Model-Agentur. Die Frau ist wirklich schön: dunkle Chrüselihaare, strahlend blaue Augen – eine Venus von Bümpliz in den Hamptons.

Seit der HV gibt es eine stets wachsende Anzahl Männer, die ihren Schlafanzug im Tumbler vorgewärmt haben wollen – der Backlash ist programmiert.

Ein Plakat habe er aufgehängt, daneben einen rosa Büstenhalter und ein Wäschesäcklein. Immer und immer habe er demonstriert, wie sich die BH-Haken in der Wäschetrommel einhängen und so die Maschine blockieren – deshalb das Wäschesäcklein. Das gehe ärgerlicherweise besonders den Frauen, die erst in der Schweiz eine Waschmaschine kennen lernten, zu einem Ohr rein und zum andern raus.

Wie bei den Wäschewagen redet der Hausmeister hier an eine Wand. Natürlich steigt er auch in seiner Freizeit in die Waschküche, falls sich wieder etwas verhakt hat.

Im Block neben den Bahngeleisen, nicht weit von dem unseren entfernt, seien übers Wochenende alle Keller ausgeräumt worden. Den weissen Lieferwagen habe niemand verdächtig gefunden. Die Bewohner hätten angenommen, dass jemand umziehe. Es sei nur ein Schloss geknackt worden, dann hätten sich die Diebe durch alle Kellergatter hindurch gesägt und alles rübisundstübis entwendet: Autopneus, Wein, Sportartikel, Möbel und eine beträchtliche Menge an Goldschmuck und teuren Uhren, welche die ganz Schlauen in einem Kinderbadewännchen oder einem Sonnenschirm sicherer und erst noch billiger versteckt glaubten, als in einem Banksafe. „Ja, Gottfriedli, hat denn niemand das Sägen gehört?“ „Nein, sie haben immer nur gesägt, wenn ein Zug durchfuhr.“

Vom Zug kann man also sagen: „Was dem einen sin Uhl, ist dem andern sin Nachtigall.“

Besonders, wenn man Besuch habe, sei es unangenehm mit den neuen Nachbarn. Am schlimmsten, wenn die Gäste an Einfamilienhäuser oder bessere Quartiere gewöhnt seinen oder gar Vorurteile Berns Westen gegenüber hätten. Da liessen die Klischees grüssen, und man komme schon ein bisschen in den Erklärungsnotstand, wenn das benachbarte Paar sich heftig anbrülle, Türen zugeworfen würden und Möbeln und Geschirr holterdipolter rumflögen. Das Schlimmste seien die Schreie und das Weinen der Frau. Am Anfang sei man ja hingegangen und habe geklopft, um das Ärgste zu verhindern. Das habe aber nichts gebracht. Der Mann habe behauptet, bei ihnen sei alles ruhig, nur s e i n e jamaikanischen Nachbarn hätten sich wieder einmal um eine Frau gestritten.

Passiert das mir, tue ich so, als ob das normal wäre, erwähne kurz, dass das Paar es schwer habe, mache einige Andeutung zu diesem „Schwer“ und die Besucher sind zufrieden, denn nun haben sie endlich einmal Häusliche Gewalt direkt gehört.

Übrigens: Zum Einwandern aus einem nicht EU-Staat brauche es nur gute Ideen. Man leihe sich im Familienclan 1000 Euro, kaufe damit einen bulgarischen Pass und schon sei man – die Schweizer sind blöd – in der Schweiz. Der Cousin von Behar wird nächste Woche erwartet.

Als die reformierte Kirche Ende der achziger Jahre den Jugentreff schloss und den Beitrag an die Quartierbibliothek (Fr. 4000.-/Jahr) mit der Begründung aufkündigte, die Angebote würden ja hauptsächlich von „Nichtchristen“ genutzt, trat sie aus der Kirche aus. Der Pfarrer bat sie inständig, diesen Entschluss zu überdenken und sich wenigstens ein Türchen … Die Austrittsgründe möge sie doch bitte einem Ausschuss des Kirchgemeinderats darlegen. Sie unterschrieb das Austrittsformular bei der Kirchensekretärin Frau Freudiger, die ausserdienstlich ins Büro kam (der Gerechtigkeit halber muss geschrieben werden, dass auch ihr Pensum um 15% gekürzt worden war). Somit fiel das Türchen zu.
Das war vor 25 Jahren.

Da der Schnee anstatt auf der Erde im Sprunggelenk sich anhäuft, also kein festlicher Schneespaziergang, beschliesst sie, wieder einmal in die Kirche zu gehen. Die Auswahl der Events im Quartier sind vielfältig: „Kirche im Quartier“, „Familiengottesdienst mit anschliessendem Nachtessen“, „Festliche Mitternachtsmesse“, „Christnachtfeier“, „Gemeindeweihnacht“, „Weihnachtsgottesdienst mit oder ohne Abendmahl“. Sie wählt Familiengottesdienst „Mitsingweihnachten“ da sie gerne mitsingt, d.h. im Alter nun gerne mitbrummt. Sie weiss unzählige Strophen auswendig, aber leider werden die Lieder in der Kirche alle zu hoch angestimmt.

Zusammen mit zwei willigen Familienmitgliedern marschiert sie unter dröhnenden Glockenklängen (der moderne Turm ist viel zu niedrig), vorbei an den Reihenhäusern, deren Fenster festlich scheppern, zur Kirche. Rechaudkerzen in Konfigläsern weisen den Weg. Das Gotteshaus ist gut besetzt. An drei Rottannen (einheimisch, anspruchslos, preisgünstig) brennen die Kerzen. Keine Kugel verdirbt die Schlichtheit. Ausser dem Notebook auf dem Pult vorne im Schiff hat sich in den vergangenen Jahren nichts geändert.

Sogar der grosse Stern hängt noch an der Wand, in den Achzigern gepatchworkt von den Dienstagsfrauen der Kirche.
Man hat sie damals zu diesem geselligfrohen Sticheln Nähen auch eingeladen. Obwohl sie zu dieser Zeit mit der Nadel flink umgehen konnte und so manch altes Kleidungsstück in herzige Kinderkleidchen umnähte, hielt sie sich von diesen Dienstagsfrauen fern. Ihre Freundin Heidi hat das nicht getan, trat in die bereits eng zusammengesteppte Gruppe ein. Heidis Dienstagsstiche an den Sternenschnipseln wurden von der Oberdienstagsfrau jeden Montag aufgetrennt, weil zu wenig fein. Heidi verliess, völlig zerknittert und zerstochen die Frauengemeinschaft noch bevor „der Stern“ alle seine Zacken hatte.

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Halva – Eine weitere Geschichte, gesammelt von 1st, Mai 2002, erzählt von dem Mädchen L., das wir nach seiner fünfjährigen Flucht aus dem Irak in unsere Familie aufgenommen hatten.

Als ich in Griechenland in Veria im Gefängnis ankam, wollte ich Halva essen. Wir hatten sie in der Türkei gekauft und mit uns den ganzen mühsamen Weg geschleppt. Wir hatten sie noch dabei, als die griechischen Soldaten uns an der Grenze schnappten. Eigentlich wollten wir früh morgens mit einem Plastikboot zusammen mit 30 Leuten nach Griechenland fahren.
Ich bin froh, dass die Soldaten vorher gekommen sind, denn wir mussten eine Nacht lang still im kalten Wasser ausharren. Ich spürte meine Beine nicht mehr. Es sind schon viele Männer, Frauen und Kinder umgekommen, und die Fische haben sie gefressen. Wenn die Kurden nicht mehr flüchten, gibt es in Griechenland keine Fische mehr.
Im Gefängnis spürte ich also einen toten Hunger. Ich biss in die Halva, biss auf etwas Hartes – es war ein grosser Fingernagel von einem Mann.
Sie haben ihn extra reingetan.
Ich schwöre dir ….

Nach einem erfrischenden Bad im Weiher gibts anschliessend auf der Liegewiese nichts Spannenderes als die magrebinischen Familiengeschichten meiner Nachbarin.

Idris war arm, klein gewachsen, ausgesprochen genügsam, beinmager und fleissig. Am Rande des Marktplatzes hatte er einen winzigen Gewürzestand. Jeden Tag ass er sein Brot mit etwas Olivenöl. Beinahe noch ein Junge, wurde er mit dem schönen Mädchen Fatima verheiratet, das sich im Laufe der Jahre um die acht Kinder kümmerte, während Idris seinen Gewürzstand erweiterte, schliesslich den Gewürzhandel der Region unter sich hatte, den Marktplatz samt anderen Marktplätzen pachtete und gutes Geld mit den Standmieten machte. Bei Idris veränderte sich äusserlich nichts, er war immer noch mager, trug seine einfachen Kleider und ass Brot in Olivenöl getunkt. Betrat er aber die grösste Bank der Stadt, kam Direktor Zizzi, um seinen Kunden persönlich zu begrüssen. Für den Gewürzhändler lief alles bestens bis diese schändlichen Gerüchte in Umlauf kamen.

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Fasnacht 2012

(Posting im Auftrag von 2nd2nd, male. Wunderbar!)

Wenn ich durcheinander bin, kommt es oft vor, dass ich aufräume. Der Trick funktioniert seit meiner Kindheit: Äussere Ordnung verhilft zur Inneren. Heute abend waren die Büro-Billys an der Reihe. Dabei fand ich ein altes Dokument, welches aus irgendwelchem Grund bei mir archiviert blieb:

Der Aufsatz von Labinot zum Thema

Aussenraum – Innenraum

Geschrieben am 5. November 1999

„Ich denke so: Jetzt bin ich 9. Kl. und ich kenne die Deutsch Sprache nich gud, ich musst hir noch ein jahr bleiben und die Sprache gud lernen. Die Eltern mir sagen, du musst schule weiter gehen, gimnasium u.s.w. aber ich bin in Real schule un von hir kann man nicht schule weiter gehen. Ein jahr spöter ich musst wider nach Kosovo zurük, und schule weiter gehen in gimnasium 2 Kl. und ich dencke eine gute beruve zu haben z.b.s. Jurist, so dencken auch meine Eltern.

Zwei jahre früher ich bin in Kosovo gewesen, in meine Dorf (Drenovc) im Juni 1998 nachmitg die Serbische Armee gekomt und Drei Tage Krig gemacht mit UçK, und ich geschlofe in ein Keler, und mein Vater in Krig gewesen. Naher ich mit mein Bruder Ein Tag gelaufen nach Peja.“

„Sie können sich nicht vorstellen, wie eng wir durchmussten. Zu viert in einem Bett schlafen, erst mit 15 ein eigenes, sommers barfuss laufen, samstags Steine auflesen und jäten. Weils nichts kostete, bei den Pfadfindern mitmachen.“
Eigentlich war er schon als Kind ein Sammler, aber was der Bub vorne ins enge Armeleutewohnigli herein trug, warf seine Mutter hinten wieder hinaus. Wenn die Bereitermusik am Haus vorbei zog, war er zur Stelle. An ein eigenes Instrument war nicht zu denken. Der einzige Anzug, den ihm sein Vater unter Abwägen und Werweisen kaufen konnte, war der zur Konfirmation. Kurz darauf war’s dann auch die Trauerkleidung zu Vaters Begräbnis. Die Familie wurde noch ärmer, sollte sogar bevormundet werden. Ab nun war sein Motto: „Ich will!“, was bedeutete, weg aus dem Armeleutemief, weg von der endlosen Rappenspalterei, dem Verzichten und am Mundabsparen.

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Stopnichtrechtzeitig!!

(Pippilothek??? ISBN 978-3-7152-0620-2)

Die Heilpädagogin besucht die öffentliche Mediathek ihres Schulkreises, mit dem Ansinnen, sich eine Lehrerinnen-Bibliothekskarte ausstellen zu lassen. Auf dem Weg zur Theke nimmt sie ein Buch über tibetische Kinder, die über den Himalaya nach Indien flüchten vom Regal. Sie legt der Bibliothekarin ihren Wunsch nach einer Karte vor. „Ist das ein Buch für die Schule, welches Sie hier ausleihen möchten?“ „Nicht unbedingt, aber mein Wissen, wenn ich das Buch gelesen habe, wird sicher früher oder später in den Unterricht einfliessen.“ „Wenn das Buch nicht für die Schule ist, dürfen Sie es nicht mit der Lehrerinnen-Karte ausleihen, dann müssen Sie eine private Karte lösen.“ Ups! Auf eine zweite Karte wird in diesem Fall verzichtet.
Nun hat die vorwitzige Heilpädagogin noch einen weiteren Wunsch. Sie begleitet nächste Woche über 200 Kinder in ein Herbstlager in den Tessin. Da sämtliche Unterhaltungselektronik nicht erlaubt ist, plant die Lehrerin eine Bücher-Plauder-Treff-Ecke. Obwohl im Kollegium schon ausgiebig über ihr Vorhaben gespottet wurde, steht sie nun in der Mediathek, um für die 230 Kinder eine Kiste Bücher zusammenzustellen.
„An wie viele Bücher haben Sie denn gedacht?“, fragt die Bibliothekarin. „Ja, mindestens an hundert für so viele Kinder unterschiedlichen Alters.“ „Das darf ich nicht machen. Ich kann Ihnen höchstens vierzig geben.“ Die Bibliothekarin hat schliesslich Vorschriften zu befolgen.

(Die Mediathek gehört einer Gemeinde, in welcher vor einigen Tagen ein Kinderbuchfestival statt fand.)

„Ihnen muss ich es ja nicht sagen, dass Sie zu den Büchern Sorge tragen müssen,“ verabschiedet sich die Bibliothekarin.

Zu Hause packt die Heilpädagogin ihre eigenen Comics in eine Kiste.

aufunddavon

Blick-nach-vorn

Ich arbeite morgen noch einen Tag,
meine Schwester beginnt mit dem Beladen der Gefährte,
mein Schwager beendet seine Hausmeisterarbeit und übergibt
sie dem Stellvertreter. Meine Nichte und mein Neffe wählen Bücher aus
zum Mitnehmen. Mein Mann studiert in Übersee, mein Kind wäscht die letzte
Schmutzwäsche und packt seine Gitarre ein. Meine Mutter muss leider einen lieben
Menschen beerdigen, sie wird danach bestimmt noch in den Garten gehn und giessen.
So verabschiedet sich die Blogk-Familie für drei, vier Wochen in den Süden.
Wir wünschen allen eine gute Zeit mit Aus- und Weitblick. Merci beaucoup.

Als absolute Liebhaberin von Archiven werde ich heute von unserem Kartografen M.K. auf dasjenige der PTT aufmerksam gemacht.
Herzlichen Dank!

Hier eine Kostprobe:

Archivkönigin
Unter dieser Rubrik werden mehrmals pro Jahr einzelne Archivalien aus den Beständen des PTT-Archivs vorgestellt.

Pressemitteilung, 1918
Die Grippe (verlinkt von blogk)) hat zugeschlagen:
Im Jahre 1918 konnte der Telefondienst nicht mehr reibungslos erfolgen. Die Damen vom Amt waren krank und Gespräche über mehrere Zentralen konnten daher nicht mehr verbunden werden.
Man riet: mehr schreiben.

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Draussen vor der Wohnung ein Angsschrei. „Hast du das auch gehört?“ fragt Frau Hausmeister ihren Mann, der in der Küche sitzt. „Es wird ein Kind sein,“ meint dieser. Dann ein zweiter Schrei. Frau Hausmeister saust raus. Die Wohnungstür der Nachbarin ist geöffnet. Frau R. liegt auf dem Boden. Sie blutet stark aus Wunden am Kopf. Oh Schreck, was ist geschehen? Der Hausmeister eilt zu Hilfe. Die alte Frau habe Staub gesaugt und sei dabei von ihrer Katze attakiert worden. Das Tier ist fuchsteufelswild, verkriecht sich unters Bett und lässt sich lange nicht fangen. Der Tierarzt will die Katze nicht einschläfern. Sie sei kerngesund und noch nicht alt. Aber Frau R. kann nicht mehr. Das Leben mit einem solchen Tiger in der kleinen Wohnung sei ihr zu riskant. Sobald sie wieder etwas zu Kräften gekommen ist, räumt sie alles, was an ihre vierbeinige Mitbewohnerin erinnert, weg.
In der Waschküche gibt dieser Vorfall lange zu reden. Dabei ist das Mitleid ganz und gar nicht auf Frau R.s Seite. Die Katze sei viel zu oft allein gelassen worden, weil ihre Besitzerin auf der Schwatztour gewesen sei. Bei einem solch eintönigen Leben werde jede Katze verrückt.
Der Hausmeister hört sich die verschiedenen Meinungen an und kommt spät zum Mittagessen.

Jerusalem

Der Scherenschnitt symbolisiert den Jahreskreis. Im Mittelpunkt ist
Jerusalem, rings herum die Zeichen für die zwölf Monate, wie im „Zodiac“.
Nur ist hier jeder Monat einem der Stämme Israels zugeordnet und trägt
dessen Sinnbild.
Der Scherenschnitt ist schon seit Hunderten von Jahren eine beliebte
Technik in der jüdischen Volkskunst. Im Holocaust beinahe erloschen,
wird er in neuester Zeit in Israel zu neuer Blüte gebracht. Die meisten
Motive sind religiös. Diesen schönen Jahreskreis hat eine Haifaerin
geschaffen, die das Schneiden bei ihrem Schwiegervater, einem
Überlebenden der Schoah, gelernt hat.

Zum Heilig Abend hat mich dieser filigrane Gruss aus Israel erreicht.
Herzlichen Dank und Grüsse, liebe Vered, aus unserem verschneiten Bethlehem
CH-3027!

Mailaenderli2_2010 Mailaenderli_1

git’s Meiländerli-Teig.

Ganz früher hat Frau C. für den General mit der Augenklappe (selber Schuld, Spiegelung des Feldstecherglases und schnelle Reaktion eines feindlichen Schützen) geschwärmt, später noch für den polnischen Elektriker mit Schnurrbart und Friedensnobelpreis. Dann wars mit Schwärmen ziemlich Schluss.
Wie die Frauen so aus dem Häuschen geraten können wegen dieser Schwingerei ist ihr schleierhaft. Krass findet sie, dass Stätderinnen sich neuerdings mit Brunner Monika, Röthlisberger Brigitte, Blatter Katrin vorstellen und nicht mehr mit Monika Brunner, Brigitte Röthlisberger und Katrin Blatter. Familienname zuerst, wie bei den Schwingern, das sei eben urchig, und urchig sei hip. Obwohl d’Manne im Sägemehl Scheiche wie Eiche und einen Muniäcken hätten und man ihnen die Hemdsärmel bei der Hochzeit auftrennen müsse, damit die ganze Kraft Platz habe, zählten die Schwinger zu den Zärtlichen, welche das Sägemehl liebevoll von der Achsel des Gebodigten klöpferleten und ihnen tröstend über den Arm streichelten. Gewaltlos, domestiziert, die strengen Regeln befolgend, ohne Starallüren und Hinterhältigkeit und total volksnaaaaah. Und stehe dann endlich einer nach hartem Brienzern, Buren, Hüftern, Kurzen und Überspringen endlich gekrönt in der Turnhalle auf dem Podium, sei das einfach unbeschreiblich grossartig. Es schade gar nicht, im Gegenteil, wenn der „Mann wie sein Tal“ kaum ein Wort füre brösmele könne. Wenger Kilian (König Kilian I.) sagt nur: ja-eh-liebi-Lüt. So etwas habe frau schon lange schmerzlich vermisst, diese Bescheidenheit und Einfachheit. Frau C. kann sich nur wundern, traf sie doch einige dieser Schwärmerinnen in den siebziger Jahren regelmässig im Frauenbuchladen. Anscheinend ist der schwarze Muni Arnold (Königspreis) nicht ins Diemtigtal zum Fleckvieh gezogen. Er hätte nicht gepasst.
Frau C. wird kein Buch übers Schwingen schreiben. Wahrscheinlich auch deshalb nicht, weil sie einer Familie entstammt, wo der Esstisch unter erschwungenen Preisglocken und -treicheln mit bestickten Lederriemen stand und man andauernd über eine Sporttasche mit feuchter Schwingerwäsche stolperte.

In einigen Berner Schulen hat sich der Elternrat bereits für „Schwingen statt Peace-Maken“ eingesetzt.
Endlich muss doch Schluss sein mit der feminisierten Schule!

Frau C. wünscht König William Kilian I.
alles Gute und besonders eine liebe Frau, die ist, wie das Diemtigtal.

Die Tickets fürs abgesagte Konzert im Kultur Casino in Bern sind weiterhin gültig, nur müssen die Freunde und Fans noch etwas langer auf Lang Lang warten. Nämlich bis zum 26.06.2010. Der Popstar hat sich „eine Entzündung am rechten Zeigefinger zugezogen, die ihn zu einer ca. einwöchigen Pause zwingt “ – oh, oh.
Marwas chinesischer Physiotherapeut glaubt nicht an diese Gebresten. Er weist darauf hin, dass gegenwärtig in China Neujahr gefeiert wird. Solche Feierlichkeiten sind eine tiefe Goldgrube für einen Lang Lang. Europa im Februar kann da beim besten Willen nicht mithalten.

Bibliothek im Aufbau
Foto: La pharmacienne sans frontières

Das ist die Buchhandlung der südsudanesischen Hauptstadt Dschuba. Geschlossen ist sie nur sonntags. Sie bietet „school supplies“ und „office equipment“ an. Aber meist gibt es nur die Zeitungen und Zeitschriften, welche von den Mitarbeitern der Hilfsorganisationen nicht mehr gebraucht werden. Die besseren Strassen der Stadt sind mit Petflaschen belegt, eine sinnvolle Wiederverwertung und nützlich gegen Staub und Schlamm.
Bis vor einigen Wochen wusste ich nicht, dass es Dschuba (Juba) überhaupt gibt. Dann begegnete ich einer Apothekerin, welche ein Hilfsprojekt der Apotheker ohne Grenzen begleitet: der Hauch eines Tröpfchens auf einen heissen Stein, aber für zahlreiche Menschen zwischen Krankheit und Krieg, den es auf dem Papier seit 2005 nicht mehr gibt, ein Hoffnungsschimmer.
10 Hebammen auf 8 Mio Menschen und 1 Lehrer auf 1000 Kinder – so etwas können wir uns nicht vorstellen.
Aber jemand hat einen Bookshop eröffnet und die Tür mit leuchtendem Blau bemalt. Ein Hoffnungsschimmer?
Über Dschuba wird im TV längst nicht mehr berichtet, denn immer neue Länder, Menschen und deren Geschichte müssen uns anhand von noch grösseren Katastrophen erklärt werden.

Heute hätte ich das alte Brot in die Sammelstelle (für die Tiere des quartiereigenen Tierparks) bringen sollen. Ich liess auf dem Weg dahin den ehrbaren, vor Gezeiten genähten Sack aus der familiären Erbmasse urgrossmütterlicherseits kurz unbeobachtet stehen.

Als ich einen Moment später zurückkam, hatten sich drei Leute, eine ältere Frau und zwei sehr alte Männer, darum versammelt. Ich blieb in einiger Entfernung stehen und hörte, wie die beiden Männer rätselten, wer wohl diesen Sack hier stehen liesse und was sich darin befinde. „Das ist sicher eine Bombe!“ meinte die Frau todernst. Aber die Neugier der betagten Herren siegte über die Furcht vor dem hinterlistigen, feindlich gesinnten Nachbarn. Wie zwei kleine Schuljungen, die gerade einen Streich aushecken, schauten sie sich nach allen Seiten um. „Ich gehe dann mal“ meinte die Frau ängstlich, immer noch vermutend, in dem Sack befinde sich garantiert eine Bombe. Ich kam nicht auf die Idee, die beiden alten Leute aufzuklären, dass das meine Tasche sei. Da sie eine unglaubliche Euphorie an den Tag bzw. Sack legten, schien es mir, das sei mindestens die Attraktion des Tages für sie, wenn nicht gar der Woche. Da wollte ich ihnen diese Freude natürlich nicht nehmen. Endlich fasste sich der eine ein Herz und öffnete die Brottasche. „Das si ja Chrümi!“ rief er laut, „di ganzi Täsche vou Chrümi! “

„Aber wer lässt denn eine Tasche voll mit altem Brot hier einfach so liegen?!“ empörte sich der Andere. Ich, immer noch hinter den beiden stehend, fühlte mich irgendwie ertappt und ging mit schnellen Schritten an ihnen vorbei und raus aus dem Ladenzentrum. Ich sah sie durch die Schiebetüre noch lange über die uralte Tasche mit dem steinalten Brot reden, diskutieren und darüber philosopieren, woher es wohl stamme und was jetzt damit zu tun sei. Ich liess sie mit dem Behältnis alleine und ging nach Hause, wo ich erst erfuhr, dass dieser Sack wohl durch tausende Hände gegangen, aus einem Küchenschurz genäht war und Generationen überdauert hatte. Er ist bei diesen beiden Alten in besten Händen.

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