Von hier nach dort


Halva – Eine weitere Geschichte, gesammelt von 1st, Mai 2002, erzählt von dem Mädchen L., das wir nach seiner fünfjährigen Flucht aus dem Irak in unsere Familie aufgenommen hatten.

Als ich in Griechenland in Veria im Gefängnis ankam, wollte ich Halva essen. Wir hatten sie in der Türkei gekauft und mit uns den ganzen mühsamen Weg geschleppt. Wir hatten sie noch dabei, als die griechischen Soldaten uns an der Grenze schnappten. Eigentlich wollten wir früh morgens mit einem Plastikboot zusammen mit 30 Leuten nach Griechenland fahren.
Ich bin froh, dass die Soldaten vorher gekommen sind, denn wir mussten eine Nacht lang still im kalten Wasser ausharren. Ich spürte meine Beine nicht mehr. Es sind schon viele Männer, Frauen und Kinder umgekommen, und die Fische haben sie gefressen. Wenn die Kurden nicht mehr flüchten, gibt es in Griechenland keine Fische mehr.
Im Gefängnis spürte ich also einen toten Hunger. Ich biss in die Halva, biss auf etwas Hartes – es war ein grosser Fingernagel von einem Mann.
Sie haben ihn extra reingetan.
Ich schwöre dir ….

Wildnis

Der „Midi libre“ Ist wieder einmal ausverkauft, und so habe ich nicht die leiseste Ahnung, was hinter den Schilf-, Joanniskraut-, Distel- und Daturastauden an der Route de l’E. so alles läuft. Keine Resultate von regionalen Boule- und Stierspielen, keine Berichte über töpfernde Seniorengruppen, bogenschiessende Ferienkolonien, renovierte Schulbibliotheken, neu entdeckte Tropfsteinhöhlen, nichts – rien de tout.
Ausser meinem Bremsenstich in den linken Unterarm, grossflächig gerötet und hässlich geschwollen. Das blassbraun getigerte, giftige Bremsenvieh erwischte mich weit ab von jedem Pferdestall am Ufer einer seichten Bucht, wo einem die Fische zwischen den Beinen durch flitzen. Ich glaubte die blutgierige Säugerin seit langem ausgestorben. Dabei ist sie mit ihren Artgenossinnen nur über den Gotthard geflogen. Ich war so fasziniert, wieder einmal eine Bremse zu sehen, dass mein Klatsch zu spät kam. Nun fühle ich mich gestraft für Abertausende verjagte Bremsen, die ich als Kind mit einem Haselzweig von schwitzeden, nervösen Ackergäulen fernhielt, wenn diese darauf warten mussten, dass der Bindbaum endlich über dem Fuder lag und sie vor dem ersten Blitzschlag die Einfahrt hinauf in die Bühne traben durften.
Trotz abendlicher Technomusik, Internet und Spielcasino hält einem „die Natur“ hier fest im Griff. Die miauenden, glucksenden Möven, die lauten Grillen, der Sand, der Wind, der Pferdegeruch, die Hitze und die Mücken, die ganze Heerscharen von Forschern beschäftigen. Ohne diese „Wächter“ des Naturschutzgebietes wäre es aus mit frei lebenden Pferden, Flamingos und Stieren. Die Mischwasserseen wären trocken gelegt zu Golfplätzen geworden und die privaten Luxusvillen versperrten den Zugang zum Meer.
Meine Bremse lebt noch und wird mit zahllosen Nachkommen noch einige Strandbars aus der Bucht fern halten.

Brot, Speck und Wein

Brot, Speck und Wein am 15e

Während die Jungen den 14e Juillet ausschlafen, treffen sich die Alten zum camarguaisischen Frühstück auf dem Place des Gitans. Sie stellen Tische auf, laden einen Korb mit hundert Baguetten, Bleche mit Ententerrine und Pakete mit Speckscheiben aus dem angerosteten Citroen. Aus einer Kiste werden dürre Rebstöcke auf den Grill geschichtet. Emsig legen die Frauen Speckscheiben auf Bratgitter, während der Wein als Morgentrunk in die Becher plätschert. Der „Tätschmeister“ schlitzt gekonnt die Brotstangen auf, schneidet grosszügige Portionen, damit Pastete und Speck dazwischen geklemmt werden können. Isst jemand kein Fleisch? „Rien que päng“ geht nicht. Er bringt den nicht Fleischigen Käse. Nehmt Wein. Die Kirchenglocken bimmeln, die Alten stellen ihre Drahtesel, bejahrt wie die Besitzer, an die Stämme der Platanen, scherzen und lachen, wieder einmal ein Nationalfeiertag vorbei und sie sind noch munter, schwitzen nicht einmal trotz der aufsteigenden Mittagshize, trotz Wein, Speck und fetter Pastete.
Das angekündigte Dressurreiten fällt aus. Pferde und Reiterinnen wären munter, aber die Männer müssen noch ausschlafen.

Grande Roussataio

Beim Grande Roussataio am frühen Nachmittag werden sie wieder sicher im Sattel sitzen und zur Freude der Touristen die Herden der jungen Pferde, Stuten und Fohlen durch die Strassen des Städtchens führen.

Bald kommen die Fischer

Die Berichte, Zeugnisse, Giesskannen, Post- und Gartenschlüssel sind verteilt, Schul-, Geburtstags-, Matur-, Abschiedsfeste sind gefeiert, Kollegiumsreisen auch dieses Jahr überstanden, Wohnung aufgeräumt, Stellvertreter instruiert, Schuhe vor Haustür wie zufällig hingestellt, damit die Einbrecher meinen, es sei jemand zu Hause. (Meine neuen Nachbarn haben einen Wachhund. Wenn der anschlägt, schauen sie immer ins Treppenhaus). Jedes Jahr hoffe ich, dass „nicht noch etwas passiert“, das unsere Reise verzögert / erschwert. Und ich werde meistens nicht enttäuscht, besonders deshalb, weil „das Hindernis“ unvorhergesehen eintritt. Aber lassen wir das Jammern auf diesem Niveau, denn ein Teil der Blogk-Familie hat sich bereits durch den Reisberg durch gegessen und ist wohlbehalten auf dem Delta angekommen. Ich fahre morgen und werde …

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Zion National Park
(Foto: Gaya 3rd, male: Blick von Angel’s Landing in den Zion Canyon, Utah 19.04.13)

Genügt es, eine solche Aussicht zu haben, in einer Stadt mitten im Grünen zu wohnen, in der Nähe von blauen Seen, am Rande von kühlen Wäldern, Bächen und Flüssen? Ost und West – daheim das Best‘?
Nein, ab und zu muss man weit weg, um etwas völlig anderes kennen zu lernen, wie zum Beispiel diesen überwältigenden Zion Nationalpark. Obwohl davon bereits abertausende Fotos in Büchern, Alben und Kalendern existieren, steuert man begeistert noch ein paar Hundert eigene bei.
Mag einem zu Hause „Wandern“ eher gestohlen bleiben, hier angesichts der imposanten Buckel und Flühe kann man nicht widerstehen. Von den zahlreichen in verschiedenen Schwierigkeitsgraden wähle ich den sprunggelenkfreundlichen Kayenta-Trail, während es die Jungen in Richtung Angel’s Landing zieht.

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Gestellte Entführung

Foto 2nd2nd, male: Gestellte Entführung eines der letzten Wäschewagen

Immer wieder verschwinden in unserer Waschküche die fahrbaren blauen Wäschekörbe. Statt sie nur in der Waschküche und in den Trockenräumen zu benutzen, werden sie in die Wohnungen mitgenommen, was in einem Block ohne Schwellen und Treppen einfach ist. Das Fehlen dieser Körbe ist dann auch immer ein wichtiges Waschküchenthema und ein ewiger Grund zur Klage beim Hausmeister. Er ist natürlich schuld, dass solche Entführungen überhaupt statt finden können. Wäre er mehr in der Waschküche, auch Samstags, wos für die Körbe am Gefährlichsten ist, würden jetzt nicht wieder drei Stück fehlen. Eigentlich sollte er auch nach dem Nachtessen eine Korbschutzrunde drehen oder vor dem Frühstück. Immerhin ging der Hauswart heute auf die Suche, mehr, um die schäumenden Gemüter der Wäscherinnen zu beruhigen. Er läutete bei allen, die laut Terminliste gewaschen hatten, bevor die Zainen verschwanden – vergebens.
Der Hauswart hat zwei Fotos geknipst. Eins mit dem Wagen vor der Waschmaschine, das andere mit dem Wagen vor dem Lift. Ihm schwebte einen Moment lang ein Plakat für die Waschküche vor, auf welchem der Korb vor dem Lift mit einem schwarzen Kreuz durchgestrichen ist.
Als ich meine Hilfe anbot, meinte er: „Eigentlich sind mir die Wagen egal. Irgendwann werden sie wieder zurück kommen, denn sie werden ja überall erkannt. Ausserdem habe ich als Kind lange genug Kühe mit einem Stock gehütet. Waschkörbe mag ich keine hüten.“

Während den Sommerferien wird es wieder krass, da könnten alle zehn Körbe fehlen. Nach den Ferien wird sich die Schweizer Wäscherinnen-Minderheit beim Hauswart heftig beklagen über seinen laschen Stellvertreter, die verwilderten Waschküchensitten mit nicht eingehaltenen Waschplänen, nicht pünktlich geleerten Waschmaschinen und Trockenräumen, zurückgehaltenen Trockenraumschlüsseln und über die kosovarische Waschfrauen-Mehrheit, welche für drei Wochen die Herrschaft über die Waschküche an sich gerissen hätte und die einem den Verleider mache, im Block zu wohnen. Aber nun ist der Hauswart ja wieder da. Braungebrannt und erholt wird er die Wogen nach und nach glätten, obwohl er an der ganzen Misère auch ein bisschen Schuld hat, denn schliesslich ist er in die Ferien gefahren, statt in der Waschküche die Körbe, die Schlüssel und die Pläne zu hüten.

Meine ältere Tochter war längst ausgezogen. Ihre zu kleinen Doc Martens standen noch im Schuhschrank und wurden von mir mütterlichwehmütig jahrelang regelmässig abgestaubt. Irgendwann passten sie dann wieder jemandem. Bis vor einigen Tagen dachte ich nicht mehr an dieses Schuhwerk, welches anfangs der Achziger die urbane Jugend begeisterte. Ich nannte diese schwarzen gelb rahmengenähten Klötze „Troglodyten“, obwohl sie in Gösse 35 eigentlich herzig aussahen. Docs seien das Beste, gerade für Open Air Konzerte, liess ich ich mich belehren.
Nun schlendere ich, wie andere Touristen auch, durch Haight-Aspery, allerdings ohne die Hippy-Nachfahren mit Gitarren, Trommeln, Hunden, gewobenen Taschen, Skateboards, einige mit Bettelschildern für die Rückreise in ihre Heimat, zu fotografieren. Shops mit indischen Kleidern, tibetischen Gebetsfahnen, Gestricktem aus Lamawolle und hundert Sorten Räucherstäbchen riechen so wie vor fünfzig Jahren. In diesem Quartier gibts Läden mit Biogemüse und Biobrot und wer mag, kann sich auf kleinem Raum um die ganze Welt essen. Im Second Hand Shop „Wasteland“, schiebt man stundenlang Kleiderbügel, um eventuell auf ein exklusives Markenstück zu stossen. 2nd, female verlässt den Laden mit einem Paar Ferragamo-Pumps und einem handrollierten Seidenfoulard.
Total begeistert bin ich vom Dr. Martens Store – englisch eingerichtet mit schweren Ledersesseln auf geöltem Dielenboden – und darüber, dass mein Enkel in kurzer Zeit seine Wunsch-Schuhe findet. Auch in dieser Generation scheints noch das Beste für Open Air Konzerte in Schlamm und Gedränge zu sein. Seit meinem letzten Kontakt hat sich das Dr. Martens Sortiment unglaublich erweitert. Von „Troglodyten“ kann keine Rede mehr sein, gibt es die Schuhe doch in Lackleder jeglicher Farbe, genietet, geblümt, vergoldet, genoppt, aber immer gelb rahmengenäht.
Leuten, die sich schwer tun mit neuen Schuhen, empfehle ich diejenigen mit der lebenslangen Garantie!

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Gebogen
Beim Haare waschen kleben nie mehr nasse Duschvorhänge an den Ellenbogen

Hier fragt man nicht nach einer Toilette oder einem WC, diese Lokalitäten heissen „Restroom“ und sind, ob im Hyatt oder in einer Imbissbude an der Strasse, peinlich sauber. Man wird gebeten, es dem Personal zu melden, falls dieser Room irgendwelche attention brauche. Die unhygienische Klobürste gibt es nicht, da sich die Kloschüssel nach dem Spülen wieder zur Hälfte mit Wasser füllt. Über dem Lavabo steht in Englisch und Spanisch, dass es eine gesetzliche Vorschrift sei, Hände und Unterarme vor dem Kontakt mit Lebensmitteln gründlich zu waschen. Für den neuen Hotelgast wird das erste Blatt einer angefangenen Klopapierrolle zu einer Spitze gefaltet. Elizabeth im Best Western an der Prismo Beach macht aus dem ersten Blatt ein Täschchen und steckt ein anderes harmonikaartig gefaltet rein. (Foto folgt später.)
Gerade putzen drei Männer an Seilen hängend die Fenster im 21. Stockwerk, während zwei andere das Glasdach auf dem Gebäude gegenüber mit Bürsten an langen Stangen schrubben. Mühsam ist dem Mövenschiss auf den Balkonen, den Pools und Gartenwegen der Hotels an der Küste beizukommen. Mir scheint, dass diese Arbeiten hauptsächlich von Mexikanern gemacht werden.
Falls Sie einmal in der Gegend von Oxnard Hunger verspüren sollten, suchen Sie zwischen all den Sunkist-Verpackunsanlagen das A-Buger. Hier gibts die beste heisse Apfeltasche in einer Tüte, auf welche“Hot“ geschrieben wird, mit Extraservietten. Das Lokal wird hauptsächlich von den Arbeitern auf den riesigen Früche- und Gemüsefarmen besucht.
Alles ist blitzblank, und man wird mit dem Vornamen aufgerufen, wenn das Essen fertig ist. „Enjoy!“

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Die frühen Vögel an der Marina
Die Marina zu früher Sonntagmorgenstunde noch kühl und mit
wenig Prominenz

Man weiss es ja von den Filmen, was die Leute in Los Angeles am Sonntag so tun. Von meinem Balkon aus sehe ich, dass der beste Platz unter den Palmen am Strand schon von der Familie Brangelina besetzt ist. Die Kinder tollen im Wasser, fangen etwas. Whoopi Goldberg in grauem Schlabberpulli führt einen schwarzen Spitz an der Leine. Eben parken einige langbeinige Frauen in knappen Overalls ihren Wagen, packen Bretter und Paddel aus und staken an Brads Yacht vorbei dem Pazific zu. Ich meine, es ist Yangzom Brauen mit ihren Freundinnen. Ehrlich, ich hätte nicht gedacht, dass Rod Steiger mit seinem Pick-up den Strand desinfiziert. Bette Midler radelt auf einem Klappvelo vorbei, im Körbchen an der Lenkstange sitzen ihre Pudelchen Blacky und Whity. Einsam mit Ruckack und Safarishorts stapft Russell durch den Sand und verschwindet zwischen den Feuerbüschen. Ein fürsorglicher Papa zeigt seinen Töchtern, wie man den Florettseidenbaum im Hotelpark erklettert und tritt mit ihnen in die Blumenrabatten, damit sie die Calla besser berühren können. Der botanische Vater ist Mel Gibson, heute mit Hornbrille. Ich könnte noch lange von meinem Balkon aus dem Leben unter mir zusehen, aber es klopft. Eine herzige Krankenschwester mit Stift und Block fragt: „Duidtaus?“ Klar, Sie hätten gleich gewusst, dass die Frau Bestellungen für frische Handtücher aufnimmt, aber mir musste sie zuerst eines vor der Nase schwenken, und das so etwas von elegant, filmreif eben!

Viel Platz fürs Rad
Noch ist viel Platz für allerlei Räder an der Venice Beach.

Venice Beach, von meinem iPhone aus geschrieben

Schokolade, Meringue, Caramel, Rahm, Kokosmandelnougatsplitter

Da ich selbst auch keine schlanke Gerte bin, habe ich mir vorgenommen, nichts über die amerikanischen Übergrössen bei Menschen zu schreiben. (Andere haben das bereits getan. Z.B.: Altmann, Andreas: Im Land der Freien, Köln: DuMont, 2010)
Die Portionen in den Gaststätten an der Strasse sind riesig, er wird nicht „gschmürzelet“. Gebäck kann gut die Grösse eines Kinderkopfes erreichen. Obwohl auf einem Schildchen dann etwa „To share“ steht, wird selten geteilt. Es ist aber kein Problem, für die Heidelbeerglace in einer mittgrossen Platte zusätzliche Löffel zu bekommen. Auch das Wagenrad von Thunfischsandwich wird auf Wunsch schon in der Kücher zerteilt. Zur Sicherheit wird dann mindestens einmal nachgefragt, ob man wirklich trotz dieser Teilerei satt geworden sei. Getränke werden meist in Halbliterbechern oder -gläsern mit sehr viel Eis serviert, auch wenns draussen schneit und die Temperaturen unter Null sinken. Hier in Utah trinkt man mit Strohhalm aus richtigen altmodischen Einmachgläsern.
Ich bin vor allem begeistert von den Kartoffeln. Es gibt da die Sorte Idaho Red, die ist so etwas von fein. Wenn einem die Navajo-Frau eine fein geraffelte Rösti aus Idaho Red macht (das ist einheimisch und nicht etwa ein Sonderwunsch meinerseits), dazu zwei Spiegeleier sunny side up, da könnte man anschliessend in den Truck steigen und Meilen weit durch die Wüste fahren mit ein bisschen Terry Allen im Ohr.

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Restroom im Adobe
Der stille Ort im Lehmziegelhaus von Denise, Las Cruzes

Vor dem Klohäuschen (Restroom) an der I-10 verweilt man gerne. In den Rabatten blühen Petunien, rote Rosen, Yukkas und Rosmarinbüsche. Sogar die Glasscheiben der Infotafeln sind blitzblank. Gibt es hier wirklich noch die Todesstrafe, bei diesen freundlichen Menschen, die sich über unseren Besuch ehrlich freuen, Insidertipps geben, uns nie auf irgendwelche Bankenskandale ansprechen?
Bei El Paso verlassen wir Texas und sind in New Mexico. Im Dorf Mesilla suchen wir den Buchladen von Denise Chavez, einer Freundin von Verena in Marfa. Die steigenden Mieten – immer mehr Reiche ziehen auf den „kleinen Hügel“ – vertreiben die Alteingesessenen aus dem historischen Künstlerstädtchen. Joyce weiss nicht, ob sie ihr „Joyce’s Cafe“ halten kann oder deshalb auch weg ziehen muss, so wie Denise vor einigen Monaten mit ihrem Buchladen.
Wir finden die Buchhändlerin, Autorin und Theaterfrau im alten Teil von Las Cruces. Die Tür ihres Hauses in mexikanischem Stil steht offen. „Bitte, tretet ein, nur herein, ich bin am Schreiben, kommt nur, kommt!“ Die Schriftstellerin lädt uns ein, das ganze Haus anzuschauen, Kaffee und Saft zu trinken, natürlich in den Bücherregalen zu stöbern, die sich selbst in Küche und Bad befinden. An den Wänden hängen Werke ihres Mannes, des Fotografen Daniel Zolinsky. Denise freut sich sehr über unseren Besuch in ihrer „Casa Camino Real“, bedauert, dass wir nicht zum Border Book Festival bleiben können, das sie jedes Jahr in Las Cruces organisiert. Mit unglaublichem Teperament erzählt Denise von ihren neu entdeckten Talenten in Musik, Film, Literatur, Tanz und Theater. Alle Volksgruppen aus dem kulturellen Camino Real zwischen Mexiko und Santa Fe sollen sich am Festival einbringen können.

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Erklärung zum letzten Beitrag „Westwärts“, der einigen LeserInnen Rätsel aufgab:

Sonntag an der Galveston Bay, Texas
Sonntag an der Galveston Bay, Texas

Es ist schon einige Tage her, seit ich meine winterweissen Beine an der Galveston Bay sonnte, sie ein bisschen in Wellen aus dem Golf von Mexico schwadderte, mich dann in den warmen Sand setzte, wo die texanischen Mütter unter improvisierten Sonnensegeln aus Kühlboxen Essen verteilten, wovon auch die Möven etwas ab bekamen.
Und wo nächtigt frau nach dem Ausflug an den Strand? Am liebsten im Hyatt Regency Houston, im 20. Stockwerk mit Blick auf Wolkenkratzer, die sich in Wolkenkratzern spiegeln.
Schon bald gehts raus aus der geschäftigen sauber geputzten Stadt Richtung Weimar, wo die Zimtschnecken und Beerenkuchen noch elsässisch schmecken und die alt Eingesessenen nicht unbedingt begeistert sind, dass die Zuwanderer in ihre Käffer eine andere Hautfarbe haben als sie.
Nach einer Fahrt vorbei an vielen, vielen Viehzäunen, Fahnen und Kirchen kommen wir nach Castroville. Auch hier gibts noch Elsass.

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Chätschi heute

Kleines Mädchen liebt französische Kaugummiautomaten ebenso …

Chätschi vor 24 Jahren

… wie seine Mutter vor vierundzwanzig Jahren.

So nach und nach haben wir uns durch den Milchreisberg durchgefressen, durch Quartier-, Kita-, Gerburtstagsfeste, Diplom-, Graduatioins-, Abschlussfeiern, Schulolympiade, Zeugnisse schreiben, Zeugnisse verteilen, Kollegiumsessen, Kollegiumsausflug, Bräteln und Wandern mit Kollegium, Sportwoche im Sturm, verspätete Schulreisen, Gräber- und Gartenpflege, Arbeitsübergaben an StellvertreterInnen usw. Zwischendurch stürzte der Milchreistunnel wieder ein, aber nun ist der Durchstich bald soweit. Den Gummihammer für die Häringe des Sonnensegels haben wir heuer nicht vergessen. Er ist auf dem Delta weder zu kaufen, noch auszuleihen.
Nous vous souhaitons bonnes vacances!

Nun haben die letzten Mitglieder der Blogk-Familie das Quartier am westlichen Rand der Stadt verlassen.
Vierzig Jahre waren die drei Blöcke mit viel Béton brut nach Le Corbusier unser Zuhause. Meine Töchter und ich liebten die grosse, helle Wohnung auf dem Dach, verbrachten unzählige Sommertage auf dem Balkon, beobachteten Sonnenuntergänge, Feuerwerke, Regenbogen und Gewitter, stellten uns vor, wir stünden auf dem Deck eines Schiffes, wenn uns der Wind um die Ohren blies. Wir gärtnerten, zeichneten Blöcke, liessen Ostereier und Weihnachtguezli abkühlen.
Unser Haus war offen für Gäste aus nah und fern, besonders auch für die Kinder aus dem Quartier, für Pflegekinder (auch von nah und fern). Wir integrierten und wurden integriert, gaben Nachhilfestunden, lernten nette Nachbarinnen und Nachbarn und oft auch ihre Lebensgeschichten und das Essen aus anderen Ländern kennen. Wir lasen uns durch die Quartierbibliothek, töpferten im Keramikatelier, zogen in der Weihnachtszeit Kerzen und bastelten Laternen. Zusammen mit anderen Müttern und deren Kindern wanderten wir bei jedem Wetter dem nahen Bach entlang durch den Wald, liessen Schiffchen treiben, machten Feuer und verputzten Würste mit Kartoffel- und Bohnensalat.
Eine „gute Adresse“ war es nie, zu viele Ausländer, zu viele gewöhnliche Arbeiter. Regelmässig wurde das Quartier in den Medien schlecht gemacht, und immer wieder bekamen wir zu hören: „Ich könnte nie hier leben.“ Auch von „Küngeliställen“ und „Schlaf-Stadt“ war die Rede. Wollten Lehrer und Lehrerinnen jeder Stufe eine besonders nicht erstrebenswerte Wohnform zeigen, machten sie mit ihren Klassen einen Ausflug zu uns. Einige Jahre lang versuchten wir Beobachteten, diese Gäste eines andern zu belehren, erfolglos. (Der einzige aus meiner Bekanntschaft, der es wagte, in diese verrufene Ecke von Berns Westen zu ziehen, war mein Schwiegersohn 2nd, male, der seine Kindheit in einem EFH in der Agglomeration verbracht hatte.)

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Umzug-2nds-1

Mit dem Ärger darüber verblassen auch die Gefühle für die Heimat,
sagt Peter Bichsel sinngemäss.

Umzug-2nds-2

Wir ärgern uns am neuen Ort noch nicht und über den alten nicht mehr.
Es lebt sich ganz gut in der Schwebe.

sind rührend. Der vis-à-vis, der sich – benebelt vom Alkohol – vor unserer Tür aufbaute, so gut es eben ging und bekannte, es sei so, so schade, dass wir ausziehen, ich sei eine „so, so gueti Frou“. Die langjährig befreundete Makedonierin, die vorbeikam und sich gleich zweimal entschuldigte: „Für alle meine Fehler, die ich gemacht habe in diese ganze Zeit, wo wir wohnen zusammen.“ Und: „Dass ich bin krank und bin mit meine Enkel die ganze Zeit und kann nicht dir helfen mit Zügel.“ Und die Schweizer Nachbarn, die einerseits etwas ungehalten und andererseits auch verständnisvoll sind und immer wieder betonen, wie wichtig wir für den ganzen Block und den Quartierverein gewesen seien. Die siebenköpfige Familie aus dem 8. Stock, die sehr gerne unsere Wohnung übernähme und für dich ich deswegen der Verwaltung gschrieben hatte, die bedankte sich so überschwänglich, dass es mir peinlich war,. Ich fürchte, sie überschätzen meinen Einfluss enorm. (Und wenn die Verwaltung hier kompetent wäre, sähe vieles anders aus.)

Natürlich ahnen die Leute, dass wir auch wegen des Zustandes, in dem unsere Blöcke und Wohnungen sind, wegziehen. Aber darüber reden möchte ich mit ihnen nicht. Denn die meisten müssen ja hier bleiben, um ihre verschiedenen Heimaten, ihre versprengten Familien und deren teilweise grotesken Ansprüche mit ihrem Einkommen zu finanzieren. Ich sage deshalb allen, wir zögen zu der Verwandtschaft von 2nd, male. Das stimmt (zufällig, wir haben uns auf eine normal ausgeschriebene Wohnung beworben) und vor allem versteht das jeder hier gut.

Auch wenn ich nicht weit weg sein werde, werde ich die Leute von hier im Alltag vermissen. Mir ist die Nachbarschaft sehr wichtig und wie ich gestern gemerkt habe, auch 3rd, male. Wir sassen in der Quartierpizzeria und 3rd meite, nachdem er mit ein paar Alkis geplaudert hatte, dass er sich die neue Nachbarschaft schlecht vorstellen könne. Er kennt nur die Namen von den Einträgen im Waschküchenbuch, das ohnehin viel sauberer und ungebrauchter aussieht als unseres. 3rd ist hier aufgewachsen, er kennt x-silbige Familiennamen, spanische Trippelnamen und eine Menge „ics“ und „itis“. Es reut ihn ein wenig, nicht mehr zwischen den Welten zu wechseln, sondern im Schulalltag und Wohnalltag eine ähnliche mittelständische Umgebung zu haben. Mir geht es genau so.

Aber eigentlich wissen wir ja bloss, wie’s war mit den alten Nachbarn und nicht, wie’s wird mit den neuen.

Ima-Engel

Alles Gute und Schöne zum ersten Advent allerseits!

Der Familie Blogk wird diese Zeit Veränderungen bringen. Zum ersten Mal seit 20 Jahren wird ein Familienzweig das Hochhaus und diese Postleitzahl verlassen. 2nd, female, 2nd, male und 3rd, male werden umziehen. Seit 3rd vor zehn Jahren den Engel oben gemacht hat, wohnen wir auf einer Baustelle, unsere Umgebung ist ein Provisorium und täglich erleben wir, wie der Einsatz der Bewohner für ihr Quartier mindert – auch unserer eigener.

Man hört ja als sozial und politisch engagierter Mensch immer von anderen Menschen, die sich weniger aufregen, gesünder leben und ganz allgemein gelassener sind, dass man die Welt nicht ändern könne, nur sich selbst. Nun machen wir das.

Itz isch ds Sylvie o gange, het sech am Abe i ds Bett gleit u isch für gäng igschlafe. Will es ds Telefon vo Fründe nid het abgnoh, hei die am Huswart aglütet. Dä het de schliesslech d Polizei mit em Ma vom Schlüssudienscht la cho. Es het duuret, bis me d Tür het chönne uftue. Ds Sylvie het drum es Sicherheitsschloss la montiere. „Schad, hani nid no chönne ga Adieu säge“, het dr Huswart gseit, „es het halt alles dr polizeilech Wäg gno, die hei niemere me inegla. Schad, dass die Frou so schnäll isch gstorbe, si isch so ne Nätti gsi.“ „E bessere Tod cha me sech ömu nid wünsche,“ meint d Frou Huswart.
I ha ds Sylvie nid guet kennt. Vor zwöine Jahr het’s mer amene Feschtli ds Du atreit u gseit, i sölls doch einisch cho bsueche, äs würd sech fröie. I has versproche, has würklech im Sinn gha, gäng isch öppis drzwüsche cho. Drby hätte mer viel z rede gha, über Büecher, Kunst u Chouf u Louf z Bärn. I wirde ds Sylvie vermisse. Niemer isch meh wien äs, immer guet frisiert, mit emene wisse Blusli, drüber es hellblaus Jäggli u o am Wärchtig e schöne Guldschmuck – u obwohl e Bärnburgere – nie isch es von oben herab gsy.

Im vergangene Jahr sy es paar für gäng gange wo me vermisst.

Eines ist sicher, um unsere Feriendestination beneidet uns niemand in meinem Bekanntenkreis. Nie sauber gekämmt, kaum gebügelt, Sand zwischen den Zähnen und im Bett, kein Internet und kaum eine aktuelle ausländische Tageszeitung, zurückgeworfen auf das Lokalblatt „Midi Libre“. Dazu die Menschenmassen, meist Franzosen, nicht besonders höflich, dazwischen einige lange Holländer. Was mich nun schon mit Kindeskindern in diese Öde treibt, weiss ich nicht genau, bin ich doch weder Reiterin noch Flamenca. Die spanischen Stierkämpfe, welche hauptsächlich für die Touristen, immer häufiger in den Arenen des Deltas gezeigt werden, sind mir zuwider. Jeden Juli kommt der Moment, wo ich denke, dass ich das Packen diesmal nicht schaffe, dass es noch zuviel zu erledigen gibt und man sich bei diesem höllischen Strassenverkehr auch nicht auf die schönstbenannte Autobahn, Autoroute du soleil, begeben sollte, besser zu Hause im Garten auf die ersten Bohnen … und die Nektarinen sind im Orangen Riesen viel billiger als im Süden.
Je nu – Allez!

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„Ja, kaum jemand hat den Tod von Aldous Huxley mitbekommen“, meint Gerard, der Historiker und nimmt eines der eben gelieferten Bücher zur Hand. „Wann ist er denn gestorben?“ frage ich. „Am 22. November 1963.“

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