2005


Das ist unsere Zukunft.
Wenn wir nicht aufhören, hier zu sparen.
Wenn wir nicht aufhören, uns gegenseitig die Hucke vollzulügen.
Wenn wir nicht aufhören, so zu tun als würden sich die Probleme von allein lösen.

Ohne Zeit,
ohne Geld,
ohne brauchbare Volksschule,
dafür mit Lippenbekenntnissen.

„Me fat Bajram!“, alles Gute für das Fest nach dem Ramadan, wünscht heute mein Freund all den Leuten, die sich dabei betroffen fühlen, obwohl er selbst nur einen einzigen Tag gefastet hat. In Allahs Herrgotts Frühe radelte er in die Moschee, wo der Vorbeter die mehrheitlich männlichen und weissen Besucher daran erinnerte, dass Gott keinen Unterschied zwischen den Menschen mache. Vor ihm seien alle gleich, egal welcher Herkunft, Hautfarbe und Religion, nur das Herz müsse für den Frieden schlagen. Hände werden geschüttelt, Geschenke verschenkt, SMS verschickt, Besuche gemacht, Süssigkeiten aufgestellt, freie Halbtage bezogen, und es wird in der Welt herum telefoniert. Me fat Bajram!

Nur in Oberbalm merkt davon keiner was. Bisher kannte ich den Ort nur, weil das Postauto zu meinen Grosseltern dort wendet. Aber jetzt unterrichte ich den Winter über in dem für die wenigen SchülerInnen viel zu grossen Schulhaus . Ob unser Auto den Weg auch schaffen wird, wenn Schnee liegt? Der Weg wird auch für die Schule beschwerlich. Nächstes Jahr streicht der Schulinspektor wieder eine Klasse. Der betroffene Lehrer und Schulleiter, der 32 Jahre die Oberstufe unterrichtet hatte, versucht sich auf die neue Herausforderung zu freuen. Aber schlafen könne er nicht mehr. Gestern habe er sich zu Emil eingeladen. Er nehme sich vor, wenn er nachts nach nur vier Stunden Schlaf hellwach im Bett liege, an ihn zu denken. Auch 1st kann wegen ihrer misslichen Arbeitslage nicht schlafen. Die muslimischen Frauen haben heute Nacht gebacken.

Hüt bim Bös. Zwo auti Froue am Stock zu-n-enang:

„Ja, jetz sy si de dunger, die Bletter.“
„Da bini froh. De gseh-n- ändleche wider ir Orning vom Bös zu mim Baukoon. Es söu nume grad eso blybe. Es paar Tanne sy gnue Grüen.“

Heute an der Bussstation. Zwei alte Frauen am Stock zueinander:

„Ja, jetzt fallen die Blätter.“
„Da bin ich froh. Dann sehe ich endlich wieder vom Bus aus zu meinem Balkon. Es darf ruhig so bleiben. Ein paar Tannen reichen fürs Grün.“

EIN ETWAS GEDANKENLOSES Huhn behauptete, es spüre eine grosse Leere im Kopf, genau an der Stelle, wo sich gewöhnlich das Gehirn befinde. „Ich fürchte, dass ich kein Gehirn habe“, sagte das arme Huhn weinend, „denn wenn ich eins hätte, würde ich es doch spüren.“ Aber die anderen Hühner beruhigten es, indem sie ihm versicherten, auch sie spürten ihr Gehirn nicht.

Es bleiben 127 weitere Geschichten zu lesen. In dem Buch da ist jedes Huhn drin.

Als mein Grossvater Johann 1948 an Krebs starb, blieb die Uhr stehen. Grossmutter brachte sie im Laufe der Jahre mehrmals zum Uhrenmacher – vergebens: „Ds Zyt isch bliibe staa“. So hing die Uhr, inzwischen des krönenden Adlers beraubt, einfach stumm vor sich hin. Oft wurde sie gezügelt, an andere Wände gehängt und verlor dabei auch die gedrechselten Tropfen am Gehäuseboden.
Zweiundzwanzig Jahre später holte ich „ds Zyt“ in meine erste Stadtwohnung, gab dem Pendel einen sanften Schubs und – tick, tack … Der fehlende Adler wurde durch eine Hühnerfamilie aus Keramik ersetzt.
Seit über dreissig Jahren tickt die Uhr zuverlässig, wenn sie jede Woche aufgezogen wird. Zahlreiche Kinder haben an ihrem Zifferblatt nicht nur Zeit ablesen, sondern auch die römischen Zahlen gelernt.
Über Grossvaters Herkunft wissen wir nicht viel. Unehelich sei er gewesen, der Sohn einer Magd, die sich wahrscheinlich mit einem Wanderarbeiter aus dem Süden eingelassen habe. Woher kämen sonst die Hitzköpfe in unserer Familie?

Diesen Beitrag in Anbetracht des weltumspannenden Stolperns und Unterspülens.

EIN HUHN GERIET aus Versehen mit einem Fuss in die Mausefalle. Die Maus fiel in das Rinnsal der Dunggrube und wäre beinahe ertrunken. Das Schwein verschluckte eine Hühnerfeder und hustete bis zum Sonnenuntergang. Der Ochse brach sich ein Horn am Pfeiler des Vordachs. Die Katze versengte sich die Barthaare am Kaminfeuer. Der Hund drang in den Hühnerstall ein und frass alle Eier auf. Gegen Abend regnete es so stark, dass der Hühnerstall überschwemmt wurde. Was für ein Tag!

[Urheberrecht immer noch bei Luigi Malerba]

„UM PHILOSHOP ZU WERDEN“, sagte ein altes Huhn, das sich sehr weise dünkte, „ist es nicht nötig, an etwas zu denken, es genügt auch, an nichts zu denken.“ Es setzte sich in einen Winkel des Hühnerstalls und dachte an nichts. So und nicht anders sei es ein philosophisches Huhn geworden, erklärte es.

[aus: Luigi Malerba, Die nachdenklichen Hühner]

in dieser Nacht bekommt sie den Schlag in den Magen gegen 2:47. Nichts Ungewöhnliches eigentlich, nur eine Stunde früher, als in anderen Nächten.
Sie tappt in die Küche, schüttet die gekochten Quitten in ein Sieb und leert den Saft in die Pfanne zurück. Dann wägt sie Zucker ab, lässt während 1 Min. sprudelnd kochen, fügt den Rest des Zuckers und die Hagebutten von der wilden Rose auf dem Balkon bei. Erneutes Sprudeln, Schaum abschöpfen. Rasch füllt sie das rotklare Quittengelee in sechs Gläser ab. Die Quittenschnitze streicht sie durchs Sieb, süsst das Mus mit Rohrzucker und schüttet die Masse zum Trocknen auf eine Platte. Nun ordnet sie das schmutzige Geschirr in die Abwaschmaschine.
Draussen ist ist es immer noch dunkel. Über den beiden Lichterreihen des Hochhauses liegt der abnehmende Mond wie ein rasch hingeworfener i-Punkt.
Sie setzt sich an den Computer und klickt eine Site auf, die sie schon lange lesen wollte. Man hat sie ihr empfohlen. Sie sieht gleich, dass es für diese schlaflose Nacht das Passende ist. Viele Namen –
und dann aus der Erinnerung das Bild eines jungen Mannes mit roten Wangen und blondem Haar. Er steht auf einer Bühne in einem Schulhaussaal. In der Hand hält er stolz und etwas verlegen einen aus Kupfer getriebener Käsekessel, seine perfekte Arbeit aus dem Werkunterricht …
Ein weiteres Bild: Die Sonne scheint ins Wohnzimmer. Am Tisch sitzt die Mutter mit ihren zwei Töchtern. Alle drei weinen, denn eben ist dieser junge Mann unten an der Aare von einem Auto überfahren worden.
Das war vor zwanzig Jahren. Die Mutter ist sie selber.
In der Küche knacken die Deckel der Gelee-Gläser.

VOGLIAdiTERRA hat den Blogk-Beitrag „Zum Gränne“ so schön aus dem Berndeutschen ins Italienische übersetzt, dass uns sofort Malerba eingefallen ist. Unerreicht sind seine „nachdenklichen Hühner“, die einfach in jeden guten Haushalt gehören. Weil in Sachen Vogelgrippe auch sehr viel gerechnet wird, beginnen wir unsere kleine Serie mit:

EIN GELEHRTES Huhn wollte seinen Mithühnern das Zählen und Addieren beibringen. Es schrieb die Zahlen 1 bis 9 auf eine Wand des Hühnerstalls und erklärte, wenn man sie zusammentue, könne man noch grössere Zahlen bekommen. Um den anderen das Addieren beizubringen, schrieb es auf einen anderen Wand: 1+1 = 11; 2+2 = 22; 3+3 = 33 und so weiter bis 9+9 = 99. Die Hühner lernten die Additionen und fanden sie sehr zweckmässig.

Zur Saison der Fruchtfliegen:

1 dl Wasser in eine kleine Schale giessen
1 dl Essig dazu
1 „Sprutz“ Abwaschmittel dazu

Die Schale an den Ort mit dem grössten Befall stellen. Die Fruchtfliegen werden vom Essig angezogen. Ohne Wasser stinkt der aber zu sehr. Dank Abwaschmittel sammeln sich die Kadaver auf dem Schalenboden. Empfehlung: helle Schale nehmen, damit man besser zählen und also besser wetten kann.

… wird (unter anderem auch) die Newsmoderation des Schweizer Fernsehens.
Ab 5. Dezember sollen die ModeratorInnen in den Abendsendungen mittels eines Lifts passend vor die Grafiken gehoben oder gesenkt werden. Wir nähmen dann mehr von ihrer Persönlichkeit wahr. Auch Tastaturen zum ab und zu drauf Drücken würden auf dem Newsdesk genügend vorhanden sein. Stehende Moderation sei anspruchsvoller. Ein tolles Weihnachtsgeschenk für die TV-ZuschauerInnen!
(gelesen in meiner Kurzstrecken-Zeitung)

Meine Nachbarin, Frau F., hat immer Gutes getan ihr Leben lang. Das habe sie von ihrer Grossmutter im Glarnerland gelernt, als sie als kleines Mädchen bei ihr in den Ferien war. Gutes tun lohne sich, denn das komme immer auf einen zurück.
Ich tue Gutes dann, wenns mich im Moment freut, auf spätere Gegenleistungen verlasse ich mich lieber nicht.
Meine Vorgesetzte hat Bernerrosen gekauft. Sie poliert einen Apfel an ihrem neunen Pulli und gibt ihn mir:
„So etwas Gutes, diese Bernerrosen, da will man auch andere daran teilhaben lassen!“

Fast wie in alten Zeiten fliesst der Stadtbach wieder offen durch die Gassen. Besonders Gemeinderat Kurt Wasserfallen fürchtet, dass da bald einer ins Wasser reinfalle, falls man die Löcher nicht schliesse …

„Acht Hühner i-me-ne grosse Hof ha-ni-gha, bis geschter am Abe. ‚Wäge dene Achtne – schlöt die z’tod‘, seit ds Veterinäramt. I-me-ne chliine Stall igsperrt bis im Dezämber oder no lenger, das ha-n-i dene Vicher nid chönne zuemuete. Zäh Telefon ha-n-i gmacht, niemer het se wölle, si heigi sälber z’vil. D’Behörde machi kener Usnahme. Es Netz über-em Hof nützi nüt, die Zugvögel vo Russland schlüüfi düre. We me verwütscht wird, gits 20 Tuusig Stei Puess. Ha-n-e dr Gring abghoue, das het mi scho tuuret.
D’Mönschheit macht sich sälber kaputt. Die Traktoren verdichte das Züg, früecher isch das viel besser versickertet, es isch nid vo nüt die Wirbelstürm. D’Natur het gäng wider öppis umebbracht. Textilprodukt, Kunststoffzügs, Chleider vo de Chinese massehaft. Itz muess nume ds Volk so tumm si, u das Genzügs aanäh. Dä Bundesrat gheit eifach gäng wider um. Wo chunnt ächt das Verbot här wäge de Hüehner? Vo de Produzänte wo angschte um ihre Gwinn …“,

meint Schreiner R., der ein Kellertreppengeländer anbringt, damit Madame und ihr Fräulein nicht stürzen.

Im Becher meines Saison-Joghurts eröffnet sich mir nach jedem Löffel Zeile für Zeile des folgenden Textes:
„Erntefrische Waldfrüchte wie
Heidelbeeren, Himbeeren, Brom-
beeren und Erdbeeren sind ein
Genuss auf jeder Festtafel – leider
meist hart verdient. Wer findet die
Plätze im Wald, wo diese Speziali-
täten wachsen, wer hat Zeit und
Lust, sie zu pflücken, sich allenfalls
von den Stacheln der Brombeer-
sträucher die Kleider zerreissen
und die Haut zerstechen zu las-
sen? Wir nehmen Ihnen diese
Mühe ab und bereiten Ihnen aus
frischen Waldbeeren ein kulinari-
sches Vergnügen erster Güte.
Damit sie sich auf das Wesent-
liche konzentrieren können:
aufs Geniessen!“

Nicht alle im Hochhaus lassen sich diese Mühe des Sammelns abnehmen, streifen gerne selber durch Hecken, pflücken Waldbeeren und Hagebutten, schneiden Pilze, sammeln Hasel- und Baumnüsse – kennen eben die Plätze im Bremgartenwald. In ihrem Sammeleifer sieht man sie auch ab und zu auf einem Zwetschgen- oder Quittenbaum.

Ist weg vom Netz. Auf Antrag von AKdH – mehr stand leider nicht in der gestrigen „NZZ am Sonntag“. Und der Pnosblogger hat sich auch noch nicht gemeldet.

Mehr Licht!

Es ist vollbracht.
Das haben die Kids gut gemacht.

als Pächterstochter hatte ich das Privileg, in der Schule neben einem Mädchen zu sitzen, dessen Eltern einen grossen Bauernhof besassen. Der Onkel meiner Schulkollegin war Professor der Veterinärmedizin und machte oft einen Besuch auf dem Land. Dass wir beiden Mädchen uns auf seine im Stöckli hinterlassene Studentenbibliothek stürzten, rührte ihn. Die ärmliche Schulbibliothek gab nichts mehr her, und so nahmen wir uns die Bücher Schopenhauers und Ganghofers vor, die in der ehemaligen Studentenbude verstaubten. Manchmal schenkte uns der Professor das Kleingeld, welches er immer lose in der Hosentasche trug:
„Für uf Bärn“.
So kam ich dann doch noch zu den swissairblauen Schuhen. Später gabs auch eine passende Schulmappe dazu. Ob meine Mutter dafür Pilze verkaufte oder den Jägern für ein paar Franken im Keller einen kühlen Platz für das erlegte Rotwild gab, weiss ich nicht mehr.

Moderne Schreibweisen für Lokal- oder Flurnamen ergeben sich in Berns Westen von allein:
alt -> Bümpliz, neu -> Pumpelize
alt -> Gäbelbach, neu -> Gabelbacke
alt -> Bethlehem, neu -> Batlaham [a-æ]

Wie Bern seinen Namen von Priamos bekam und Bümpliz eigentlich Pompeji heisst, lesen Sie hier
*Wohin gehst du?

„Chic à la Wahnsinn“ fand ich diese Farbe – ein etwas stumpfes Blau mit einem Hauch Grau. Nichts wünschte ich mir mehr als ein Paar Ballerina-Schuhe in Swissairblau. Ein solches Schuhwerk war in den Hügeln der Voralpen 950 Meter über Meer völlig ungeeignet. Wir wohnten damals auf einem herunter gewirtschafteten Bauernhof in einer Gegend, wo Fuchs und Hase sich gute Nacht sagten, besassen weder Radio noch Tageszeitung und mit dem Bargeld stand es auch nicht zum Besten. Meine Mutter zerbrach sich den Kopf, wie sie mir diesen unsinnigen Wunsch erfüllen könnte. An einem Herbsttag fuhren wir beide in die Stadt. Mutter trug in ihrer Sonntagstasche (mit dem Monogramm JG ) ein Fuchsfell mit Seidenfutter. In Bern angekommen, steuerte sie zielsicher das eleganteste Pelzgeschäft in den Lauben an. Dort legte sie den Fuchs auf den Ladentisch. Was zu Hause so vornehm ausgesehen hatte, war hier auf dem blanken Holz inmitten all der Pelzmäntel, Jacken, Muffen und Hüten nur noch schäbig. Der Handel kam nicht zu Stande. Sehr höflich erklärte der Kürschner meiner Mutter, dass er keine Einzelfelle kaufe – leider. Unser Fuchs wurde wieder eingepackt.
Bis zu Abfahrt des Postautos schauten wir uns vor dem Kino „Gotthard“ die Filmbilder von „Sissi“ an und warfen dann noch kurz einen Blick ins Schaufenster mit den swissairblauen Schuhen. Fr. 15.- stand auf dem Preisschild.

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