Januar 2006


Seitdem die Leute unregelmässig arbeiten und ebenso schlafen, dürfe das Dreiklanghorn der Postautos nur noch in besonderen Fällen betätigt werden. In den neueren Wagen, die hauptsächlich in Stadtnähe eingesetzt werden, sei gar kein solches eingebaut.
Der Chauffeur des Kurses Köniz-Riggisberg empfiehlt mir deshalb, einmal die Bergstrecke auf den Gurnigel mit zu fahren. Da könne er dann das Horn in jeder Kurve erklingen lassen, übrigens nach Rossinis „Wilhelm Tell“. Gerade dieser Wagen besässe ein besonders schönes Horn. Allerdings habe es so seine Tücken. Es werde viel zu selten betätigt, die Membrane sei oft starken Temperaturschwankungen ausgesetzt und mehr als ein Gequitsche sei nicht heraus zu bekommen. Eine solche Hornerei, etwa vor Schulklassen oder Touristen, könne im schlimmsten Falle zu einem richtigen „Plämu“, zu einer Blamage für den Fahrer werden. Er verstehe ja nicht viel von Musik, sei nicht fähig, berühmte Kirchengeläute voneinander zu unterscheiden, aber so ein Posthorn müsse eben wohlklingen, wie das gute Geläute einer Kuhherde.
Wir fahren Richtung Oberbalm. Die Hühner scharren und flattern wieder im Freien, und vom Strassenrand, wo das Gras nicht Stein und Bein gefrieren kann, fliehen einige Rehe in langen Sprüngen dem Waldrand zu.

Zum 100. Geburtstag gratuliere ich dem Postauto Schweiz herzlich!

Seit drei Wochen arbeite ich wieder im „Herzen der Stadt“.
Nach langer Abwesenheit gewöhnen sich meine Füsse langsam an das Kopfsteinpflaster. Einige Tage stolperte ich ein bisschen durch die alten Gassen ohne nach rechts oder links zu „kucken“, (wie meine liebe Arbeitskollegin und Freundin Marva sagt). Aber nun habe ich den Blick wieder frei für vertraute Gesichter, grüsse hier, werde da angesprochen, bleibe auch ein Weilchen stehen, trotz der Kälte. Mir gefällt das. Ich treffe mich mit T. Besonders in der Mittagspause hält er nichts von solchen Plauder- und Grüssereien unter den Lauben. Gerne setzte ich mich mit ihm für einen Nussgipfel und Kaffee an den Ecktisch im „Titzi“. Hier ist es ein bisschen eng und düster, aber damit gehört das Tea Room, zusammen mit der Heiliggeist Kirche, über die Mittagszeit zu den ruhigsten Plätzen in der Stadt.
Zurück im Büro, ich recherchiere gerade in der IMDb, erzählt mir mein Arbeitskollege M. von der Bacon Number, von der ich noch nie etwas gehört hatte und die hier wirklich bestens erklärt wird. Kevin Bacon als Schauspieler ist mir auch nur ein vager Begriff. Übertragen auf unsere kleine Stadt, könnte das etwa so aussehen: Nehmen wir an, ich wäre die Null. Dann bekämen alle, die mich direkt kennen die Nummer 1. Wer mich über Personen mit der Nummer 1 kennt, erhält die 2. Ich denke, in Bern eignen sich alle BewohnerInnen als „Zentrum“, d.h., als Number 0 – und über eine 2 kommen wir nicht hinaus.

Springt dein Wagen auf unerklärliche Weise nicht mehr an? Ist seine Batterie plötzlich leer? Verliert er seltsamerweise Öl oder zittert sein Lenkrad? Wenn du dann noch Spuren auf der Motorhaube siehst, stammen die bestimmt von keiner Katze. Sondern von einem Marder. Die verspielten Nagetiere führen ein spannendes Leben. Wie kleine Kinder entdecken sie ihre Welt dadurch, dass sie alles in den Mund nehmen. Ein Motorraum ist für sie wie ein Spielplatz und auch ein warmes Versteck. Egal, ob in einem alten Polo aus zweiter Hand oder in einem roten BMW, wie ihn mein Freund hat. Den muss er jetzt schnellst möglich bestmöglichst reinigen, da sonst ein anderer Marder äusserst wütend werden könnte, falls der BMW in seinem Revier zu stehen käme. Olala, er kann die Duftsekrete seines Rivalen aus 50 km Entfernung riechen, vergisst alles andere und zerbeisst alles im markierten Gebiet der Konkurrenz, was ihm zwischen die Zähne kommt. Ich hab noch nie einen Marder zu Gesicht bekommen, höchstens ein schneller Schatten an der Wand. Aber sie scheuen die Stadt schon lange nicht mehr und leben unter uns. Unheimlich.

Die Zeit der Verzweiflung * Holz berühr * ist um! Langsam komm ich in die Phase des Lachens. Meine Schwiegerfamilie schafft es immer und immer wieder, Anschuldigungen gegen ihren Sohn, meinen zukünftigen Mann, zu machen. Das Neuste seit er Hausmeister ist: sie behaupten, dass ihre Post zuerst in seinem Hauswart-Briefkasten landet, er sie liest und sie anschliessend in ihren Briefkasten „weiterleitet“. Oder sie beschimpfen ihn, weil eine Nachbarin eine Dankeskarte an meine liebe Mutter in ihren Kasten geworfen hat. Das ist doch jetzt wirklich lächerlich? Es gibt doch im Block genügend Probleme, als dass man sie erfinden muss? Z.B. meine brasilianische Namensvetterin, die seit dem Dreikönigstag nicht mehr gesehen worden ist.

Im Januar werden in Bern zahlreiche betriebliche Weihnachtsessen nachgeholt. Wie schon im letzten Jahr, sitze ich eng placiert in einer italienischen Beiz, vor mir eine Pizza Vesuvo, die noch ein bisschen zu den Tischnachbarn hinüber lappt.
Das Gesprächsthema ist nicht der abwesende Direktor, nicht der Wal in der Themse, und auch nicht die heikle Lage in Kosovo nach Rugovas Tod.
Nein, es ist die Winterolympiade in Turin. Diese hatte ich völlig vergessen. Schnee sei keiner vorhanden, man müsse ihn täglich neu machen. Heute sei die Heizung in den Büros des olympischen Welcome-Centers ausgefallen, und es habe nur Notlicht gegeben. Die Bauarbeiten würden hauptsächlich von Malaien und Chinesen ausgeführt, denen ein ungesetzlich niedriger Lohn gezahlt werde. Der Kartenverkauf laufe, entgegen den Behauptungen in der Presse, hier nur harzig an. Die Italienerinnen und Italiener interessierten sich halt für nichts, das nicht mit Fussball (oder …) zu tun habe. Ausserdem könnten sich viele den Preis von 50 Euro für eine Eintrittskarte gar nicht leisten. Ein geschniegelter Maresciallo sei vorbei gekommen und habe dem Organisationskomitee in Italienisch einen Vortrag über Evakuierung gehalten. Übersetzungen zu den Sicherheitsmassnahmen fehlten zur Zeit. Dafür seien die Uniformen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fertig geworden: rot-beige mit passenden Wildlederschuhen. Bis zu Grösse 40 wurden diese im Süden und ab Grösse 41 im Norden der Stadt Turin angefertigt. Man müsse sparen und suche immer noch freiwillige Helferinnen und Helfer. Leider hätten diese oft keine Fremdsprachenkenntnisse, und es sei schwierig, sie in ihre Aufgaben einzuführen. Wenn man sich in der piemontesischen Nacht samt Windjacke unter die dünne Decke lege, beginne man zu zweifeln, dass aus dem Chaos noch etwas werde bis zum 10.02. Aber es sei bald Frühling dort unten und mit ihm werde sicher die olympische Stimmung einkehren. Die Mitarbeiterin aus dem Wallis lacht. Wären sie mit den Spielen zu uns gekommen. An Schnee mangelt es im Wallis nicht und für Stimmung hätte ein Profi Ogi schon gesorgt.

Himmel und Erde

Weil ich ja nicht nur die Tote, sondern auch den Lebenden besuchen wollte, bin ich vom Friedhof noch hinauf zu Grossvater. Die Tür war offen, alles glänzte, Feuer und Licht brannten – einfach einladend. Grossvater war frisch rasiert und gut angezogen. Er lag auf seiner Seite des Bettes wie eh und je und schlief. Ich liess ihn in Ruhe; er hat weissgott viel nachzuholen.

Auf der Heimfahrt in die Stadt hat mir Johnny Cash ein passendes Lied gesungen.

***

Lesenswerter Nachtrag: Kaltmamsell hat gestern ihre Oma beerdingt, Schnappschüsse aus deren Schubladen inklusive rückseitiges Gekritzel gescannt und gezwungenermassen einen Selbstversuch gemacht und mit ihren Neffen geschauspielert.

Die Hochnebeldecke in der vergangenen Woche ist schuld an der besonders abgasgeschwängerten Stadtluft. Beinahe täglich werden die Grenzwerte überschritten.
Während man in der Stadt besonders nachts hustet und Gästebetten zerwühlt, darf ich über dem Nebel saubere Landluft einatmen. Denn die Russpartikel der ungefilterten Dieselmotoren und Holzöfen können sich in der Höhe besser verteilen.
Trotzdem bleibe ich von Feinstaub ganz anderer Art nicht verschont. Wenn die weit verzweigte Familie sich nach vielen Jahren zu einem Begräbnis trifft, steigen Partikel von Missverständnissen, Meinungsverschiedenheiten, Enttäuschungen, Neid, und Egoismus auf. Das sei bei Hochzeiten nicht anders, meint meine Bekannte. Da passe man auch auf wie ein Häftlimacher, lege jedes Wort auf die Goldwaage, behandle die empfindlichen Gäste wie rohe Eier. Manchmal gelinge es einem trotz aller Mühe nicht, dass die Kirche oder die Moschee im Dorf bleibe. Ihr Mann jedenfalls habe sich auf unbestimmte Zeit zu seinen Verwandten in die Wüste Afrikas abgesetzt, denn er ertrage es nicht, dass seine Tochter, seit einigen Tagen eine muslimische Ehefrau, immer noch so vorlaut sei, ja, dem Vater sogar in aller Öffentlichkeit widerspreche, wie vor ihrer Heirat.

Ich habe meinen Schwager, den neuen Abwart im benachbarten Block, auf der Arbeit besucht. Er war von mehreren älteren Damen belagert und trug es mit Fassung. Nicht ohne auch die Kinder im Blick zu behalten, die gerade im Begriff waren, mit einem Riesenschneeball die Eingangshalle zu entern. Die gezielte Frage des neuen Abwarts an den Jungen, der sie unter dem Arm trug: „Wo willst du mit dem Schnee hin?“ tat ihre Wirkung sofort, und der Junge liess den Schnee draussen.

Eine lustige Witwe nutze diese Gelegenheit, mir ins Ohr zu flüstern:

Also man darf das ja nicht laut sagen, aber wenn die Beschäftigungslage nicht so schlecht wäre, hätten wir niiieee einen so jungen bekommen!

Und sie lachte glücklich.

(E-Mail von einer Freundin, deren Grossmutter im 2. Weltkrieg Zeugin der Erschiessung ihres Ehemannes wie vieler ihrer Verwandten geworden war.)

Liebe 2nd, herzliches Beileid von mir und Kinder an dir und deine ganze Familie. Es war sicher hart diese Abschid von geliebten Mensch, aber du schreibst mir das sie wirklich ruhig war in letzte Tage und das ist sehr beruhigend. So ging es auch meine Grossmuter, keine Ruhe, immer die Angst und schlislich wurde sie ruhig und stirb in Gnade. Sie war auch sehr gläublich und obwohl sie hart hätte ganzes leben wie auch meine Grossi, so ist Leben auch im Leiden sehr erfühlt und ohne Leiden merken wir einfach das uns doch etwas trägt durch ganzes Leben. Es wird auch für unsere Kinder nicht einfach, aber hauptsache bleibt man Mensch und hat liebe für die Menschen, dann kommt alles zürick.

Es ist einfach wünderschön wie ihr euch gekummert hatt die ganze Jahren und deine Mutter, aber ihr alle auch, das ist ein zeichen der ware Liebe, obwohl es nicht immer einfach ist. So konnte sie mit deinem Grossvater schön lange in irgend einem Altersheim landen, wie auch die meisten . Obwohl ich sie nicht kenne, habe ich trotzdem Gefühl das ich sie doch kenne und werde gleich eine Kerze anzunden für ihre Seele das Sie in Frieden mit Gott ewig lebt und Sein Licht bald sehe.

Von ganzem Herzen deine T.

Auf dem Leidzirkular war Grossmutters Lied, das im Original nicht Berndeutsch, sondern Solothurnisch ist.

S’ het daheim e Vogel gsunge
I dr Hoschtert vor em Huus
Ha ne wölle faa mit Hände
Bin ihm na, dür d’Hoschtert uus.

***

Bi du gly i d’Frömdi gange
Wo ne andre Vogel singt
I ha glost, ob us dr Heimat
Mir dr Wind es Liedli bringt.

***

Bi du wider hei zue gange
S’isch dr Vogel wo my zieht
Wott ne nümme faa mit Hände
Ghört i nume no sys Lied.

– Grosis Lied.

Den Lebenslauf begleiteten zwei Lieder der Jodlergruppe „Echo vor Gibelegg“, eines über Heimatlosigkeit und eines über den Sommer der vergangen ist und wiederkehren wird. So passend zum Leben meiner Grossmutter, deren Kindheit mit sieben Jahren durch Verdingung beendet wurde, dass sogar der Chor mitgeweint hat.

Nach dem Lebenslauf sangen wir alle: So nimm denn meine Hände, Strophe 1, 2 und 3.

Und nach dem (1st verhassten) „unser Vater“: Grosser Gott, wir loben dich, die Strophen 1, 2 und 10. Auf Pfarrers Frage, warum denn die 10. und nicht die 3. wie üblich, sagten wir, dass die 10. auch mal gesungen werden wolle, dänk:

Alle Tage wollen wir
dich und deinen Namen preisen
und zu allen Zeiten dir
Ehre, Lob und Dank erweisen.
Rett aus Sünden, rett aus Tod,
sei uns gnädig, Herre Gott.

Bevor wir die Kirche verliessen, sang die ganze Trauergemeinde vierstimmig (und falsch, wie meine Mutter meinte und meine Schwester bestritt,) den Kanon Vom Aufgang der Sonne.

Lebenslauf Johanna

Neues Email „aus schwersten zeiten von einem optimisten mit lebenserfahrung

„liebe c. und die familie

es tut uns sehr leid, diese traurige nachricht zu bekommen, und nehme unser ehrliches mitgefuehl. leider koennen wir nicht gegen das schicksal kaempfen, und alles ist oben schon vorgeschrieben. wir wissen was das bedeutet, weil die eltern von eva, meiner frau, sind hier in israel verstorben. leider gibt es nicht genug woerter um dich und deine familie zu troesten, und wir hoffen, dass das leben dir sein freundliches gesicht zeigen wird, und am ende alles von sich selbst in ordnung schaffen wird.
unsere lage werde ich in eine anderes brief erzaehlen.
zuerst musst du diesen schicksalsschlag ueberwinden . „kommt zeit kommt rat „.
meine frau schickt dir und deiner lieben familie ihre condulirung.
sei stark, das leben muss weiter gehen.

alles gute ,
und sollen wir nur gute sachen erleben

chaim, eva, anat“

Chaim hat mir die Erlaubnis gegeben, das Mail mit Namen zu veröffentlichen.

Nie mehr Mangel

Kein Nebel mehr.

Grossmutter lebte vom 30. August 1922 bis am 10. Januar 2006.
Ein Leben von Klarheit und ein ebensolcher Tod.

...am Vorabend seiner Demontage

Sobald das Postauto das schattige Tal hinter sich gelassen und den Hügelrücken erreicht hat, ist der Himmel blau und die Alpen- und Voralpenkette ragen gestochen scharf aus einem wattigen Nebelmeer. Die Bauernhäuser sehen warm und gemütlich aus. Auf den Feldern liegt Schnee. So stellt man sich die Heile Welt vor, wenn man hier nicht zu Hause ist.
Vorsichtig steige ich zusammen mit meiner Schwester aus dem Postauto, denn der ganze Platz ist vereist, auf den ersten Blick nicht sichtbar – Schwarzeis eben. Auswärtige erkennt man daran, dass sie zu Fuss durchs Dorf tappen, während die Einheimischen mit dem Auto, dem Töff, dem Traktor vor jede Türe fahren.
In Mutters Krankenstube steht ein Gerät auf Rädern. Die Spitex-Schwester habe den bestellten Vernebler gebracht. Er stehe auf dem dicken Tuch weil er undicht sei, überlaufe und tropfe, venebelt habe er nur sehr kurz. Sie habe der Kranken die Lippen mit dem Schwämmchen befeuchtet, raportiert die Nachtwächterin.
Donner und Doria, muss man denn immer uns die ramponierten Dinge vor die Nase stellen? Gibt es denn nichts, das einfach funktioniert, wenn man es braucht? Rosy macht sich ans Werk, während ich die Gebrauchsanweisung von „Kendall Ultraschallvernebler Aerodyne“ vorlese. Der Bakterienfilter ist nass geworden. Ganz klar, wenn das Überleitungssystem „Respiflo Un“ nicht steuerbar ist und die Klemmen nicht klemmen, läuft zu viel Wasser durch. Ich trockne das Vlies mit dem Haarföhn. Der Gebläseauslass ist auch nur mangelhaft beschriftet. Rosy schaut ins Rohr hinein um zu prüfen, auf welche Seite man den Knopf drehen muss. Aus dem Silikonschlauch, auch Patientenschlauch genannt, fällt nun ein sehr feiner Sprühnebel auf Mutters eingefallenes Gesicht. Dass es aus dem Schlauch auf die Bettdecke tropft, ist nicht ideal. Also noch einmal zum Gebläseauslass. Nun hört das Tropfen auf und Mutters Gesicht entspannt sich in der wohltuenden Feuchtigkeit.
Später kommt der Hausarzt. Er bringt seine kleine Tochter mit, die sich in der Küche auf den Arztkoffer setzt, während ihr Vater mit uns den nächsten Pflegeschritt bespricht. Obwohl meine Mutter kaum mehr sprechen kann, sagt sie, dass sie das Kind sehen möchte. Der Arzt hebt seine Tochter hoch und Mutter ist zufrieden. Der „Kedall“ spendet feuchten Nebel, Vater hütet das Feuer, Rosy dreht die Bratkartoffeln, ich hänge die Wäsche auf. Ein Duft nach Sauerrüben zieht durch das alte Holzhaus.
Am Abend lese ich Rinaas Eintrag

Mit dem serbisch-orthodoxen Weihnachtsfest geht heute die Feierzeit dieses Winters zu Ende. Und weil morgen Sonntag ist, haben die Quartiere des Westens entschieden, den Schmuck bis Montag zu lassen: Die Laternen, die Lichter an den Tannen und den Stern von Bethlehem.

Auch gibt es dieses Jahr die Entsorgung der Bäume gratis am 9. Januar, so dass eben auch die Orthodoxen, die hier nicht Tannen, sondern Geäst anderer Bäume schmücken, vom kostenlosen Angebot der Müllabfuhr profitieren können. So ist’s allen Recht getan.

Gefeiert werden im Herbst Gauri Puja und Deepavali von den Hinduisten, davon merken wir im Quartier nur wenig, denn die Feste sind oft ausserhalb der Stadt. Aber wir sehen schön geschmückte Menschen im Bus.

Meistens im November ist dann Id al-Fitr (je nach Nation auch Bayram, Ramadanfest – aber das ist irgendwie mehrmals), das ist hier fast wie Weihnachten. Es reisen viele Verwandte an und das Fest wird von aussen gesehen sehr ähnlich begangen. Viele Geschenke, gut gekleidete Männer und Frauen in fliessenden Röcken, aber auch Stressgespräche im Lift über fordernde Schwiegerväter.

Auf Dezember fällt Loy Krathong, ursprünglich ein hinduistisches Fest aber heute in Thailand auch ein offizieller buddhistischer Feiertag, der vielen hier wichtig ist. Auch Chanukka berührt den Dezember, aber ich kenne hier im Block nur eine jüdisch-christliche Familie, also realisiere ich das nicht so sehr.

Ich sage nicht, dass es immer eitel Freude ist, aber die Lichterfeste sind noch nie im Geringsten zu einem Problem geworden, im Gegenteil, irgend jemand feiert immer und irgend jemand arbeitet immer. Die Gemeinschaftsräume werden geteilt, alle sind guter Dinge.

Wenn die Feiern nicht auf Wochenenden fallen, haben wir im Kanton Bern eine Regelung, die erlaubt, dass Kinder 5 Halbtage in der Woche unbegründet der Schule fern bleiben können, wenn sie sich am Vortag abmelden. Jeder kommt so zu dem Fest seiner Kultur.

Ich halte das für die richtige Art mit unserem Menschen- und Lebensgemisch zurecht zu kommen. Ich wehre mich gegen die Welle, auf der die Radikalen reiten, weil das Zusammenleben nicht einfach ist, weil es Kraft und Mut braucht – und – am meisten von allem – Zeit. Ich wehre mich gegen ein Asyl- und ein Ausländergesetz, für die ich mich vor den Kindern bis in alle Ewigkeit werde schämen müssen.

Ich wünsche mir für das neue Jahr, dass nicht nur die aus den schöneren, geputzteren und freundlicheren Quartieren diese besorgniserregende Entwicklung abwenden helfen. Sondern dass auch wir hier als Berns Westen ein weniger feindliches Zusammenleben und Abstimmungsverhalten an den Tag legen.

Bald ist Newroz. Und die kurdischen Kinder werden über das Feuer springen und dem Winter den Garaus machen.

Ich war ganz überrascht ob diesen Unmengen von Leuten, die uns grüssen gekommen sind. Es kamen mehr als 130 Personen. Der Jüngste war zwei Jahre und der Älteste 80 Jahre alt. Ich habe 16 Jahre in diesem Block gewohnt und erst jetzt vielen MitbewohnerInnen die Hand geschüttelt. Einige Leute wohnen über 30 Jahren in diesem Block, der 1972 gebaut wurde, und waren noch nie im Gemeinschaftsraum. Wir waren die Ersten, die die Türe für alle aufgemacht haben. Die MieterInnen hatten grosse Freude und hiessen uns herzlich willkommen. Auch der Verwalter, der sich kurzfristig einladen liess, war begeistert von der Idee des Begrüssungsapéros, von den vielen Gästen und unserer gut durchdachten Organisation.

Die Begegnung war nicht nur für uns wichtig. Die BewohnerInnen unter sich haben die Gelegenheit auch genutzt, um sich Zeit für einander zu nehmen. Es wachten alte Erinnerungen auf und es wurden beinahe unglaubliche Geschichten erzählt.

Die Königskuchen waren ein wahnsinns Erfolg. Der Bäcker, 2nd male, und die Bäckerin, 2nd2nd female, bekamen unzählige Komplimente. Nächstes Jahr wollen sie noch mehr Kuchen backen.

Liebe Blogk-Familie, aller herzlichsten Dank für eure Hilfe!

Dreikoenigstag mit Hauswart

… kann vorbeikommen. Mein Mann hat angefangen. Als Hauswart im Block.

Die Ladenstrasse war vor dreissig Jahren unser ganzer Stolz. Kein anderes Quartier besass so etwas. Es gab einen Schuhmacher, eine Kleiderreinigung, einen tunesischen Laden, dessen Besitzer einem magrebinischen Spezialitäten besorgen konnte. Milch, Gemüse, Eier, Fleisch und Blumen brachten die Bauern aus der Umgebung in den Lebensmittelladen. Die Kioskfrau kannte alle Kinder, und die Apothekerin bereitete bei Bedarf Warzensalbe oder Läuseshampoo zu. Das Ganze war einem orientalischen Bazar nicht unähnlich. Abends kam dann der mürrische Hauswart von Block C mit seiner schweren Putzmaschine, spritzte Seifenlauge hektoliterweise, saugte sie mit dem Ungetüm wieder ein. Für eine Weile konnte man nur sehr vorsichtig und unter strengen Blicken passieren.
Die Ladenstrasse hat ihren Glanz längst verloren. Letzhin schloss auch der Kiosk. Ich vermisse die Frauen und Männer in ihren Regenmänteln, Pyjama- und Trainigshosen, die in der Frühe ihre Romanheftchen, Zeitungen und Zigaretten kaufen.
Das Putzen wird nun von einer Frau erledigt. Sie kommt immer vor acht am Morgen. Ich kenne sie nicht. Sie trägt einen langen Rock und ein Kopftuch und schaut niemanden an. Ich grüsse trotzdem. Bis jetzt putzte sie den Boden mit einem feuchten Wischer, aber heute schiebt sie das alte Ungetüm vor sich her, spritzt Seifenwasser und saugt es hinterher auf. Ich sehe, dass sie eigentlich noch ein Mädchen ist. Die Maschine ist viel zu schwer, dreht sich ein bisschen im Kreis. Trotzig schaut die junge Frau unter dem Kopftuch hervor, versucht das Ungetüm zu zügeln wie ein Pferd.
Ich kann mit gut vorstellen, dass sie das schafft und bald auch so streng schaut wie der alte König Hauswart.

So ein Kräutchen der besonderen Art, welches die Lebensgeister weckt, die Gedanken belebt, das Herz erwärmt und einen verzaubert ist das Buch von Irene Dische „Grossmama packt aus„. Ich lese jetzt noch die letzten 65 Seiten.
Gute Nacht – Laila tow – Bonne nuit!

Gerade ist mir „parat“ wieder eingefallen, ein Wort aus dem Lateinischen ins Berndeutsch gerutscht, das ich lange nicht mehr benutzt habe. In meiner Kindheit war es die Steigerung von „fertig“, vollste Aufmerksamkeit war angesagt. Kein Trödeln, die Schuhe gebunden, das Taschentuch sauber, Schnur und Messer im Sack.
Man war für den Tag, ja, fürs Leben gerüstet.
Ich bin sicher, ihr seid alle parat für den Start ins neue Jahr. Viel Glück!

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