2007


„Ist bei Ihnen eine blaue Zahnspange abgegeben worden?“ fragt das Mädchen die Verkäuferin am Salat-Buffet.
„Eine Zahnspange? Hast du sie hier verloren?“
„Nein, dort drüben auf der Treppe. Da hab ich etwas gegessen“ Das Mädchen zeigt hinaus in die Lauben, wo zahlreiche Hungrige ihre Brote verzehren.
Die Verkäuferin fragt ihre Kolleginnen, gibt dem verzweifelten Kind den Rat, doch noch beim Kundendiest zu fragen.
Als ich nach meinem Einkauf auf die Strasse trete, sitzt die Schülerin schluchzend auf der Treppe.
„Soll ich mitkommen zum Kundendienst?“ frage ich sie.
„Nein, meine Mutter hat gesagt, ich soll hier warten.“
„Hat sie wegen der Spange geschimpft?“
„Ja, ganz schrecklich.“
„Aber das ist doch nicht so schlimm. Du hättest ja verunglücken können. Ihr könnt es der Versicherung melden. Sei nicht mehr so traurig!“ versuche ich zu trösten.

Sonnseite

Im Dorf, in dem mein Vater lebt, bin ich heimatberechtigt. Nur durch Zufall, weil durch Heirat. Der Ort mit den Bauernhäusern, der Kirche, dem Friedhof, der Schmiede, der Post, der Landwirtschaftlichen Genossenschaft, dem Lebensmittelladen, dem alten und dem neuen Schulhaus, dem Viehschauplatz, dem Feuerweiher, der Webstube und der umwerfenden Aussicht auf Berge und See mit Rundblick vom Luzernischen übers Bernische zum Freiburgischen steht mir verbrieft als Heimat zu. Wie eine Klette hakt diese sich an mir fest, obwohl ich immer wieder versuche, sie los zu werden.
Keine Chance! In Gedanken kümmere ich mich um alles, was mich nichts angeht: um den gebrochenen Ast der Trauerweide, welcher herunter zu fallen droht, den nicht vorhandenen Fussgängerstreifen über die viel zu schnell befahrene Strasse nach Helgisried, das schräg hängende Christusbild in und das marode, kaum mehr begehbare Kopfsteinpflaster vor der Kirche, den dreckigen Dorfbrunnen, das verstaubte kleine Museum bei der Ruine, wo man das Gästebuch erneuern sollte usw.
Manchmal schreibe ich dem Gemeindepräsidenten ein Mail. So auch in der vergangenen Nacht, wo ich mich darüber beklagte, dass die Verkaufsstände vom Adventsmärit 2006 noch in der Gegend herum stehen.
(Er hat mir gleich geantwortet, hat veranlasst, dass subito weggeräumt wird.)
So lastet Heimat auf meinen Schultern und raubt mir manchmal den Schlaf.
Vergeht einmal ein Samstag, ohne dass ich im Dorfladen etwas einkaufe, fragt die
Inhaberin, ob alles in Ordnung sei, ob sie zu früh geschlossen hätte? Sie wolle sich nicht aufdrängen, hätte beinahe telefoniert. Sie öffne jederzeit, wenn wir etwas brauchten.

Kleinesmädchen haut in die Tasten:

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Die erste Brille bekam ich mit sieben Jahren. Ich sass hinten auf dem Gepäckträger und klammerte mich an die Schürze meiner Grossmutter, welche auf ihrem Rücktrittvelo flott der Stadt Burgdorf entgegen radelte. Das düstere Optikergeschäft mit den Glaskästen voller Brillen und der Doktor im weissen Mantel kamen mir vornehm vor. Zwischen den Wandschränken hingen in Gold gerahmte Fotos einer wunderschönen brillenlosen Frau, von der meine Grossmutter mir zuflüsterte, das sei die Schwester vom Tokter Della Casa. Was ich ihr nicht glaubte.
In Kinderbrillen gabs keine Auswahl, und so bekam ich eine mit runden Gläsern in einer braun gesprenkelten Fassung aus Bakelit. Bereits nach wenigen Tagen riss ich die braune Schicht ab. Darunter kam ein Draht zum Vorschein, eng gewickelt wie eine Sprungfeder.
Auf dem Schulweg musste ich einige Kinder mit dem Schirm verprügeln, weil sie es wagten, mir „Brüllengügger“ nachzurufen.
Ein paar unvergessene Brillen später brachten mich meine Eltern zu einem berühmten Professor. Ich habe keine Ahnung, wie die einfachen Pächtersleute zu diesem Arzt fanden, welcher dann mein Schielauge für ein geringes Honorar richtete.
Prof. Dr. Hans Goldmann verdanke ich zahlreiche brillenlose junge Jahre!
Für aparte Brillen habe ich eine Schwäche und hab mich nur einmal vertan. Da gab ich mein Erspartes aus für eine Brille mit rotgrüner Seide auf pakistanischem Wasserbüffelhorn – eine grauenhafte Création.
Ab gestern trage ich Bellinger – ein bisschen verrückt und doch schlicht.

Die Zeitungen, die die West-Quartiere entweder schönschreiben, verteufeln oder sie von Auswärtigen rezensieren lassen, sind unser Lieblingsquell der Ärgernisse. Aber was war heute? Vollstes Verständnis, ein Beitrag – nein, eine Metapher! – zu unserem Stellenwert in der schönen Unesco-Weltkulturerbe-Stadt und bei BernMobil, unserem Lieblings-ÖV:

Weniger Leistung kostet manchmal mehr. Das müssen derzeit die Bern-Mobil-Kunden aus Bern West und Holligen erfahren. Wegen des Umbaus des Berner Bahnhofplatzes ist die Endstation ihrer Buslinien 13 und 14 bis Dezember in die Seilerstrasse vorverlegt worden. «Bahnhof (City West)» heisst das Provisorium offiziell; «HB» druckt der Automat vor Ort vielversprechend auf Mehrfahrtenkarten und Billette. Es ist amüsant zu lernen, welche entlegenen Ecken im kleinen Bern noch zum Gebiet «Bahnhof» zählen. Weniger lustig ist der Stationsname, wird man sich seiner finanziellen Konsequenzen für die Fahrgäste gewahr. Doch der Reihe nach.

Fast schon gerührt (echt!) hat mich der Vergleich am Ende des Artikels. Andere Quartiere, andere Sitten:

Pendlern auf der Linie 17 nach Köniz Weiermatt bleibt das Wandeln in der Grauzone übrigens erspart. Sie haben doppelt Glück gehabt: Ihre provisorische Endstation liegt im bahnhofsnäheren Hirschengraben und kommt ohne den Namen «Bahnhof» aus. Wie schon immer bezahlen die 17er-Kunden für eine Fahrt an den Loryplatz Fr. 1.90.

2nd & 3rd male und ich haben uns neulich gefragt, weshalb man die neue, provisorische Station für unseren Bus vom Hauptbahnhof nach Hause – über dreihundert Meter lang – in regelmässigen Abständen immer wieder anschreibt? Mindestens sieben Tafeln pflastern unseren Weg zur entlegenen Hauptbushaltestelle und auf ihnen eine Masse Marketing-Singsang, der wunderbar an der Realität vorbeigeht und entsprechend wenig beachtet wird. Wir waren uns alle drei – die wir diesen Bus täglich benützen und Jahresabonnemente zu ansehnlichen Preisen besitzen – einig, dass ein Weltplakat im Zentrum ausreichend wäre:

An die Bewohner der westlichen Aussenquartiere: Bis auf weiters ist Ihre Bushaltestelle abgeschafft. Gehen Sie zu Fuss nach Hause. Irgendwo auf dem Heimweg werden Sie auf ein Provisorium treffen. Behalten Sie die Fahrausweise zum vollen Preis sowie Nastücher und Neoangin bereit. Eine Anpassung der Fahrpreise, ein geschützer Fussweg oder eine Überdachung ihrer provisorischen Haltestelle ist nicht vorgesehen. Besten Dank für die Kenntnisnahme.

Und wenn wir zu Hause aussteigen, überqueren wir ebenfalls ein Provisorium von Fussgängerstreifen, schlurfen durch den runtergespülten Baustellenmatsch zu einem Mauseloch Tunnel und können danach zwischen zwei weiteren Provisorien auswählen: Für den einen Block empfiehlt sich ein Abbiegen scharf rechts und der Gang durch einen ellenlangen Autotunnel, von dessen Strasse schmal mit einem Netzlein ein Fussgängerweglein abgetrennt ist. Die anderen gehen bitte scharf links über einen Platz, der mit Baubedarf überstellt ist… zwängen sich also durch und dann wieder rechts, eine angeschlagene Treppe runter und danach haben sie den Heimatblock zumindest im Visier.

Und wenn sie noch nicht gefallen oder überfahren sind, so leben sie noch heute (im Westen).

Brautstrauss

Darf ich Sie beschützen?
da sagtest du: Mein Herr, Sie sind trivial.
Als ich dich fragte:
Kann ich Ihnen nützen?
da sagtest du: Vielleicht ein anderes Mal.
Als ich dich bat:
Ein Kuss, mein Kind, zum Lohne!
da sagtest du: Mein Gott, was ist ein Kuss?
Als ich befahl:
Komm mit mir, wo ich wohne!
da sagtest du: Na, endlich ein Entschluss!

Das Gedicht von Erich Mühsam steht auf der Einladungskarte.

Ein Strauss für die Braut und viel Glück!
(2nd, female und 2nd, male heiraten morgen.)

Ein Regensonntag und Zeit fürs neue NZZ-Folio „Teheran“. Der Iran feiert heute den 27. Jahrestag der islamischen Revolution, lese ich, stöbere dann in meinen Archivschachteln und erinnere mich an den Sommer 1978:

In einer dichten Autoschlange kriechen wir unter die Smogdecke wie in einen grauen schwabbenden See, hinein in die Millionenstadt Teheran. Im Norden Berge auf deren höchsten Gipfeln Schnee liegt.
In der Nähe des Shahyad Towers treffen wir einige junge PerserInnen in chicen Sportwagen und in wochenendlicher Partystimmung. Klar kennen sie ein passendes Hotel für eine Familie. Sie werden uns lotsen – no problem. Und schon geht’s flott hupend und blinkend hinein ins unbeschreibliche Verkehrschaos. Wir durchqueren die elendesten Slums, wo die Menschen halbnackt in Autowracks leben und werden später vor einem kleinen Hotel, umgeben von schattigen Bäumen, verabschiedet. Hier wollen wir einige Tage bleiben, um unser Auto zu überholen und Briefe nach Hause zu schreiben.
Das Wasser des Hotelpools, aus 300 Metern Tiefe heraufgepumpt, erfrischt nicht nur die „ausgetrockneten“ TouristInnen sondern auch die Wohlhabenden aus der Stadt, die ihre Nachmittage hier verbringen. Ein holländischer Geschäftsmann, erzählt mir von seinen engen Verbindungen zum kaiserlichen Palast. Er handle mit Opium. Das könne ich ihm nicht glauben. O doch, meinte er. Noch etwas werde er mir verraten. Der Schah sei in der vergangenen Nacht in seinen privaten Gemächern angeschossen worden. Der Anschlag werde geheim gehalten, aber das sei der Anfang vom Ende des Pfauenthrons, und seine Geschäfte seien wohl bis auf weiteres dahin.
So etwas! In meinen Briefen erzähle ich diese Hiobsbotschaft brühwarm weiter.
Sie kommen alle geöffnet und mit schwarzen Zensurbalken in der Schweiz an.
Es ist Ende August 1978, und zu Hause ahnt noch kaum jemand etwas von einer islamischen Revolution im Iran.

Mit seinen Müllkontainern hinter verwitterten Kipptoren, der Glas- und Blechsammelstelle, einem ramponierten Fahrradständer und den verdreckten Betonblumenkübeln ist das „Ghüderhüsli“ (Kehrichthaus) in unseren Quartier nicht gerade der Vorzeigeort. Da sich hier auch die Parkplätze befinden, trifft man sich, wird abgeholt, packt den Zügelwagen ein und aus, liefert den Einkauf an, stapelt jede zweite Woche die alten Zeitungen für die Sammlung.
Wegen länger andauernden Umbauarbeiten sind in der vergangenen Woche die Apotheke, der Lebensmittelladen und das griechische Restaurant in Baracken neben das Kehrichthaus gezogen, an dessen Mauer nun auch die öffentliche Telefonkabine und die Briefkästen der Geschäfte zu finden sind.
Keinen scheints zu stören. Anstatt um eine Kirche versammeln wir urbanen Dorfleutchen uns halt zeitgemäss um ein Kehrichthaus.
Natürlich haben wir einem so wichtigen Platz schon lange einen angemessenen, vornehmen Namen gegeben:
„Al Khudhar“ wird er in meiner Familie genannt, nach dem berndeutschen Wort „Ghüder“ – klar?

„… und der Blogk ist tot.“ seufzt 1st mitten in der anstrengenden Arbeitswoche zwischen frisch gewickeltem Kleinmädchen und geschnetzeltem Lauch.

Die andere Blogk-Familie ist in den Bergen am Skifahren und ich vernachlässige den Blogk, weil ich für meine Prüfung lernen muss. Ausserdem schreibe ich nicht dafür, nur damit etwas hier steht -mit Ausnahme dieses Beitrages, der keinen anderen Sinn hat, als den Blogk in 1st’s Vorstellung wieder zum Leben zu erwecken.

Voilà, da sind wir wieder.

Die alten Angehörigen zu Hause zu betreuen, ist im Kanton Bern etwas vom finanziell Dümmsten, was man tun kann. Ihnen die vertraute Umgebung zu erhalten und hohe Eigenleistungen zu erbringen, geht ans Guttuch und an die Nerven. Fatal wird es, wenn die Pflegebedürftigen auf Fürsorgeleistungen in Form einer Hilflosenentschädigung angewiesen sind. Das ist u.a. der Fall, wenn die berufstätigen Kinder, meist die Töchter, nicht die gesamte Betreuung übernehmen können und Unterstützung durch Dritte brauchen. In der Abklärungszeit des Gesuchs, die oft mehr als ein Jahr dauert, schrumpft der letzte Rest des mühsam Ersparten hurtig dahin.
Vater befindet sich gerade in einer solchen „Testphase“, die nun schon den 13. Monat andauert. Um „Missbräuchen vorzubeugen“, wird also auch der 96jährige seh-, gehör- und gehbehinderte, Nieren und Herz insufiziente hochgradig blutarme Greis auf die Warteliste gesetzt. Könnten die Beeinträchtigungen in einem Jahr nicht wieder völlig verschwinden? Dann hätte man die Beiträge ja an einen Unwürdigen bezahlt. Werden diese dann einmal gesprochen, ist die Sorge nicht ausgestanden, denn es dauert wieder Monate, bis das Geld angewiesen wird.
Der alte Mann ist mit seinem guten Gedächtnis, der präzisen Ausdrucksweise, dem geraden Scheitel, den geschnittenen Nägeln und der sauberen Kleidung ohnehin ein unglaubwürdiger Aspirant auf diese Entschädigung, Arzt- und Spitalberichte hin oder her.
Vor einer Woche kam ein Beamter ins Haus, um den Fall vor Ort zu prüfen. Dass Vater nicht anwesend, weil im Spital war, tat der Kontolle keinen Abbruch. Er brauche dazu den Patienten nicht, meinte der kontrollierende Kantonsbeauftragte.
Auf der Gemeindeverwaltung, wo die ausgefüllten Gesuchsformulare, Berichte und Zeugnisse abgegeben werden müssen, rät die Beamtin, den Vater doch ins Heim zu geben, da dort die Beiträge zwar um vieles höher, aber ohne Verzögerung und problemlos fliessen würden!
Solches macht zornig und zeigt, dass Altern zu Hause immer mehr zum Luxus wird. Vater selber findet, es wäre jetzt besser, abzutreten, auch wenn er gerne noch ein bisschen die Urenkelkinder aufwachsen sähe.
Es ist bitter und unwürdig, dass sich alte Menschen und ihre betreuenden Angehörigen in der reichen Schweiz vorkommen müssen wie Bettler.

Es hat in einem Nachbarsblock gebrannt. Alle haben die Feuerwehr angerufen und zugeschaut. Ich konnte nichts machen, ausser den gesperrten Durchgang bei uns öffnen, damit der Schulbus durchfahren konnte, damit alle Kinder pünktlich von der Schule abgeholt und andere Termine eingehalten werden konnten.

Ein Feuerwehrmann hat gesagt, es sei niemand verbrannt; bis jetzt jedenfalls hätten sie keinen gefunden. Eine Nachbarin war so froh, gerade einkaufen und nicht im Haus gewesen zu sein. Ihr Sohn ist Polizist und eben jetzt hier im Einsatz.

Ein Mädchen hat so geweint. Sie wusste noch nicht, ob ihre eigene Wohnung auch betroffen ist und was mit der Mieterin über ihr passiert ist. Für die Feuerwehr war das bestimmt einer der schweisstreibendsten Einsätze. Man muss sich das mal vorstellen: mit einer 30 Kilo schweren Ausrüstung in den neunten Stock zu rennen. Denn im Brandfall darf nie ein Lift benutzt werden, von niemandem.

Meine Frau wollte schon lange Kamerafrau werden und hat natürlich den Brand gefilmt. Sie war die Einzige. Telebärn kauft ihr die Sequenzen vielleicht ab. Wen’s interessiert, der muss heute Abend um 18:00 Uhr die News schauen.

Zum Glück ist das nicht in unserem Block passiert. Sonst wäre ich sprachlos gewesen und hätte nicht gewusst, wo anfangen.

Bild folgt, an solchen Tagen ist man in Eile.

***

Nachtrag 16:23 Uhr:

Brand 2.2.2007

Seit Monaten bereiten die Lehrerinnen ihre Klassen auf den Umzug vor. Die Kinder konnten zuschauen, wie auf dem Feld M das neue moderne Holzhaus entstand, durften bei der Gestaltung der Räume und der Umgebung ihre Ideen einbringen. Architekt und Landschaftsgärtner nahmen sich viel Zeit, um auf die Wünsche und Vorschläge einzugehen und sie umzusetzen.
Am Freitag wird jedes Kind sein Sitzkissen und die Fasnachtsbastelarbeit nehmen um damit in den neuen Kindergarten umzuziehen. Schon lange reissen die Bagger und Presslufthämmer Strassen und Plätze auf, und bald wird auch der alte Kindergarten abgebrochen. Für einige Kinder ist das eine schreckliche Vorstellung: ihre „Pyramide“, ihr Heim, wird zerstört, dem Erdboden gleich gemacht. Sie schlafen schlecht und haben fürchterliche Träume, in welchen sie unter den Trümmern begraben werden. Zwar haben sie ihre Spielsachen selber in Schachteln verpackt, aber kann man alles in Sicherheit bringen, bevor das Dach einstürzt?
Eines der Kinder weint bitterlich: „Ich werde zerschnitten!“

Die nächsten Jahre verbringen wir auf und zwischen Bauplätzen und werden zwischendurch das Gefühl nicht los, zerschnitten zu werden.

In der Garage

Eine Multikultimischung äussert sich nicht nur in Sprachengewirr, unterschiedlichen Ansichten zur Nahrungsaufnahme und zu Ehebelangen, nein, auch in anderen Dingen ist ein friedliches Nebeneinander gefragt. Während Kleinsmädchen heute mit dem besten Freund des Vaters Offroader lackiert, muss es schon bald mit der Tante zur Offroaderbekämpfungs-Sitzung. Vielseitig wird sie auf jeden Fall, die Kleine.

Die zentrale Rolle auf allen drei ähnlichen SiegerInnen-Fotos hat das Wetter gespielt. Der erste Platz hat eine hauptsächlich graue Nebel-Aufnahme bekommen.

Ich habe falsch gedacht, dass FotografInnen gewinnen werden, die etwas Typisches von unserem Quartier eingefangen haben; etwas, das es nur bei uns gibt. Genügend verschiedene prächtige Fotos wurden eingesandt, um ein breiteres Spektrum an Blickwinkeln und Themen abzudecken: die Blöcke neben dem Wald, das Bauernhaus vor moderner Architektur, der Dorfbrunnen, das Miteinander von Stadt und Land, Menschen, unsere Bushaltestellen. Nein, roter Himmel und Nebel bekamen am meisten Punkte. Die Häuser und Kräne darauf hätten irgendwo stehen können.

Auch die Gestaltung der Plakate hat mich enttäuscht. Schräg und schlecht geklebte Fotos auf zum Teil gewelltem Papier hätten nicht akzeptiert werden dürfen. „Das haben halt Jugendliche gemacht.“ hiess es. Liegt die Verantwortung denn nicht bei den Projekt begleitenden Erwachsenen, zu instruieren, wie gerade geklebt wird? Nein, lieber schmiert man während dem Apéro noch ein bisschen Papierleim anstatt Fotokleber unter die Bilder. Wo bleibt da gegenüber den FotografInnen die Wertschätzung? Ausserdem hätte die Hochschule der Künste um die Ecke das Projekt bestimmt unterstützt und auch angemessene Bilderrahmen ausgeliehen.

Ich habe Leute zur Ausstellung mitgeschleppt und bin mir dessen reuig. Das Image von Berns Westen wird bestimmt durch Einzelne aufgepeppt, aber nicht durch diese unprofessionell durchgeführte Ausstellung.

Wer hätte gedacht, dass ein solches Schäumchen Schnee unseren Tagesablauf so stören könnte?
Während ich meine „Buffalos“ doch noch aus dem Schrank hole, erinnere ich mich an die strengen Winter meiner Kindheit. Die Rehe kamen nahe ans einsam gelegene Haus heran und frassen die Rinde der Obstbäume ab. Oft war die Haustüre zugeschneit. Die Eltern stiegen zum Fenster hinaus und schaufelten uns Kindern den Weg zur Strasse frei. In den Reifenspuren des Postautos stapften wir dann zur Schule. Unsere gefrorenen Hosenbeine tauten dort auf und eine kleine Pfütze bildete sich unter dem Stuhl.
Im Winter kam auch der Störenmetzger, der das Schwein schlachtete, während wir in der Schule waren. Am Abend gabs Bratwürste an Zwiebelschweize mit Kartoffelstock und Randensalat. Der Metzger ass auch mit und erhielt neben dem Lohn noch „z’Metzg“: Wurst und Fleisch.
An diese früheren Handwerker „auf der Stör“ habe ich lange nicht mehr gedacht. Ich glaubte, dass es sie nicht mehr gäbe. Aber anscheinend erlebt der „Stöer“ wieder eine erfreuliche Renaissance auch in weiteren Berufen.
In Bern gibt es bereits eine Störbibliothekarin, die sich zuerst an der Berufsbezeichnung etwas gestört hat, bis sie folgendes über diese Handwerker auf Wanderschaft las:
Sie gingen durch die Dörfer und störten den normalen Tagesablauf …“
Das Normale stören finde sie gut und im Gegensatz zu den alten Zeiten erhalte sie ihren Lohn regelmässig.

No Gas

Diese Information wird in allen zwanzig hier gesprochenen Sprachen verstanden.
Da hat es endlich jemanden auf der Verwaltung, der Modul I und II in Integrationsarbeit absolviert hat. Danke, Generation Praktikum!

Winter kann kommen

„Was, du hesch die Jagge gäng no nid fertig u dr Uschtig wott cho?“ stellt Vater etwas vorwurfsvoll fest, als ich die Strickarbeit zum x-ten Mal auf seinem Küchentisch ausbreite.
Meine Tochter könne sie ja für den nächsten Winter sparen, meine ich.
Vater: „Bis denn hei se de d’Schabe gfrässe!“
Gerade wird ein markanter Wintereinbruch gemeldet. So kommt mein verspätetes Weihnachtsgeschenk gerade zur rechten Zeit 😉

Ustig = Frühling
Schabe = Motte

Auf dem Treppenabsatz im zweiten Stock hat sich eine Frau vor dem Sturm zurückgezogen. Ihre Habseligkeiten liegen in rote Plastiksäcke gestopft vor ihr. Sie isst ein Brot und ermahnt mich, in meinem engen Rock ja nur kleine Schrittchen zu tun.
Die Leute suchen in den Lauben Schutz, und so fällt der schwere Topf mit der Thuyastaude von der Fensterbank über mir auf die Strasse, ohne jemanden zu erschlagen. Schade, dass er nicht den „Stadttraktor“ (Land Rover) getroffen habe, meint mein Bürokollege, der die Zugverbindungen online beobachtet – bis jetzt nur Unterbruch zwischen Bern und Schwarzenburg.
Wie ich die stürmische Nacht in meinem Horst überstanden und ob der Block nicht geschwankt hätte, werde ich heute mehrmals gefragt.
Dieser Kyrill tobte wie ein Wahnsinniger durch die Lüftungsrohre, stiess zornig gegen die Fenster und heulte schaurig weit über den 13. Stock hinaus – der Block, ein Schiff auf dem sturmgepeitschten Meer.
Mit solchem Stürmen sei nicht zu spassen, meint mein belesener Freund Gerard und erzählt, dass der Schriftsteller Ödön von Horváth den Nazis entkommen konnte, nicht aber dem auf die Champs-Élysées herab stürzenden tödlichen Ast.

Inzwischen ist draussen und im Lüftungsschacht wieder Ruhe eingekehrt, denn Kyrill zieht gegen Russland weiter – genau so, wie es uns die eidgenössischen Wetterfrösche gestern versprochen haben.

Im heutigen „Bund“ wurde nun, ein Tag nach der Gratiszeitung, der Kunstdünger am Lauberhorn auch erwähnt. Nichts da von 1,5 Tonnen, es gehe hier höchstens um 800-900 kg, weibelte der Rennchef. Der kantonale Gewässerschützler versicherte, er sei davon ausgegangen, dass in „vernünftigem Mass“ gedüngt würde. Eine Zeile später hat er von allem nichts gewusst, bis die Nachricht via TV in seine Stube einfiel.
Grosse Sorgen um Trinkwasser, Pflanzen- und Tierwelt scheint man sich nicht zu machen. An Milka-Schoggi, Heidi-, Raclette- und Fonduekäse, Bergbutter, Wildbrett und Mineralwasser mit zartem Ammoniumnitrat-Geschmack werden wir uns sicher schnell gewöhnen.

Von Bernmobil habe ich bereits im frühen Vormittag einen Anruf zu meiner Absenk-Beschwerde erhalten. Herr Müller, der zuständige Mann für Kundenzufriedenheit dankte mir für mein Engagement. Gleichzeitig machte er mir klar, dass die Druckbälge der Busse nicht so häufig strapaziert werden dürften, wie ich es verlange. Aus diesen Bälgen wird beim seitlichen Absenken des Wagens eine Menge Luft herausgepresst, welche beim Heben wieder eingefüllt werden muss – ein riesiger Energieverbrauch! Wird zu oft gepresst, könne es zu „hinkenden Fahrzeugen“ kommen, so Herr Müller. Will ich das? Lauter hinkende Busse in der Stadt?
Mein Mail werde in die Ausbildung der Fahrer einfliessen, denn es sei gut möglich, dass noch „nachsensibilisiert“ werden müsse, allerdings ohne den „Chauffeuren den Äcke zu putzen“. (Ich höre und sehe sie auf ihren Schulbänken stöhnen, lauter Druckbälge, die mich am liebsten zerquetschen würden.)
Dazu müsse ich verstehen, dass der Fahrer nicht mehr als zwei Türen im Auge behalten könne, und wer hinten aussteige, habe Pech gehabt. Er vertraue fest auf den gesunden Menschenverstand seiner Mannen. Auf Krücken, Blindenstöcke/-hunde und Rollatoren werde er die Kursteilnehmer „punktuell ansprechen“.
Niemals und in keinem Fall, das müsse er mir klipp und klar sagen, würden die Busse für Frauen mit Kinder- und Einkaufswagen abgesenkt.
„Das glaube ich ihnen sofort. Würden hauptsächlich Männer mit Kinder- und Einkaufswagen im Bus fahren, würden Sie absenken und die heiligen Druckbälge müssten Ihnen schnuppe sein“, unterbreche ich den Kundenbetreuer. „Das enttäuscht mich aber, dass Sie sowas sagen. Aber die Gedanken sind frei!“ grollt er.

Heute Abend, als alle Leute an der Endstation ausgestiegen waren und niemand da zum Einsteigen, machte der Bus ein langes „Pffffff“, legte sich majestätisch sanft seitlich in die Schräge hin zum Trottoir – hat er mich etwa ausgelacht?

Nicht, dass sie gerade Gold im Mund hätte, aber darin lässt sich so allerlei Krimskrams erledigen, wozu man während des Tages keine Zeit findet.
Heute früh habe ich die alten Zeitungen gebündelt und dabei festgestellt, dass im „Bund“ von gestern auf 12 von 36 Seiten über den Wintersport berichtet oder mit Schnee und Eis Werbung für Fenster und Autos gemacht wurde. Einen Artikel zum Einsatz von Chemikalien (Kunstdünger) am Lauberhorn konnte ich im diesem Blatt nicht finden. Angeblich wurden gegen 1,5 Tonnen Dünger in den Pistenschnee gemischt, damit dieser während des Rennens nicht dahin schmolz.
Endlich habe ich auch Bernmobil geschrieben. Seit Monaten ärgere ich mich darüber, dass die Busse bei den Haltestellen nicht abgesenkt werden. Das würde den Ein- und Ausstieg nicht nur für Leute mit Kinder- und Einkaufswagen, Krücken und Rollatoren erleichten. Aber dazu braucht es einen Knopfdruck vom Fahrer! Nachdem letzte Woche ein Blinder mit Hund und zwei Kindern beinahe aus dem Bus fiel, fragte ich den Fahrer, weshalb er das Fahrzeug nicht absenke und zuschauen könne, wie sich der Mann mit Anhang so abplage. Ich könne das Absenken jederzeit verlangen, meinte er. „Also soll ich mit dem Einkaufswagen durch den fahrenden Bus schwanken um das Absenken anzumelden?“ „Nein, nicht nötig, Sie machen von hinten nur so“, und er hob die Hand mit dem Daumen nach unten.
Ein anderer Fahrer versicherte mir, dass es keinesfalls Böswilligkeit sei, wenn er vor seiner Nase drei Frauen mit Babywagen, Kleinkindern und Grosstaschen aus dem Bus stolpern sehe. Es sei einfach nur Gedankenlosigkeit – jupi.
So, Morgenstund‘ beinahe vorbei. Noch einige Gymnasikübungen, um für das heutige Bus-Klettern gerüstet zu sein.
Fürs Knobelspiel, welches ich gerade in meiner Mailbox fand, reichts mir nicht mehr.

Nachtrag am Freitag, 26. Januar 2007

Und so sieht mein Thema „Absenken der Busse“ in der Gratiszeitung „21minuten“ aus, wenn der Journalist sich durch die Blogs gelesen hat

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