2006


.. denn hier hat uns einer gelesen. Und der Grenzwart, der bin ich.

Heute ging ich in den Denner-Quartierladen mit der festen Absicht, wieder einmal Zigaretten zu kaufen. Diese werden, geschützt vor Dieben, in einem Hängeregal über der Kasse aufbewahrt. Ich wog zuerst Trauben, Nektarinen und Gravensteiner ab, holte ein Gebinde Valser-Wasser, Winzerkäse, ein Stück Parmesan und ein Vollkornbrot. Vor mir an der Kasse war eine Frau im Rollstuhl. Sie verlangte 2 Päckli Parisienne mild. „Was, Fränzi, du rauchst wieder?“ wunderte sich die Kassiererin, während sie die Schachteln umständlich aus dem Regal über ihrem Kopf klaubte. „Nein, nein, die sind für meinen Mann“. „Da bin ich aber froh, dass du nicht rückfällig geworden bist!“
Sitzt die Frau etwa im Rollstuhl, weil sie zuviel rauchte? Ich schaue in meinen „gesunden“ Korb – und ich altes Huhn verzichte tätsächlich auf die Zigis.
Parisienne mild wäre auch meine Marke …

Nach 36 Stunden zuhause, unternahm ich mit meinem Töchterchen unseren ersten Blockspaziergang.

Zuerst klingelte ich bei unseren direkten NachbarInnen. Sie sollten als erste wissen, welches Hämpfchen Mensch sie weinen hören werden. Alle begrüssten sie freudig, sprachen mit hohen und melodiösen Stimmen, machten grosse Augen und versicherten uns, dass wir ganz bestimmt niemanden stören. Sie seinen sowieso bald in den Ferien. Letztes Jahr seien sie gerade von Ägypten abgereist, als es den Bombenanschlag gab und wegen dem Flüssigsprengstoff vermeiden sie das Fliegen sowieso. Deshalb verreisen sie „nur“ ins Tessin.

Mein nächstes Ziel war ein Besuch in der Waschküche. Frau Sch., eine treue Pflanzengiesserin für Ferienleute, empfing mich überglücklich zu den ersten zu gehören, die das Bebe sehen. Sogleich fragte sie nach meinen Schwiegereltern. Nein, niemand habe sich gemeldet. Frau Sch. bemerkte, ich sei halt kein „Moslem-Froueli“, woraufhin ich kurz erklärte, dass das Verhalten meiner Schwiegerfamilie nichts mit dem Islam zu tun habe. Dann fragte sie, ob ich die zwölf verschleierten Frauen mit den zwanzig Kindern auf dem Spielplatz gesehen hätte und was bloss aus unserem Block werde, wenn kaum mehr Schweizer da wohnen. Ja, ich hätte die Libanesinnen gesehen und ich fände es wichtig, dass sie draussen einen Platz gefunden hätten, um zusammen zu sitzen. Damit verabschiedete ich mich.

Danach wollte ich die Neugierde der uralten urschweizer Frau R., Mutter des ehemaligen Hauswarts, stillen. Bisher verhielt sie sich meinem eingebürgerten Mann gegenüber respektlos und böse. Anstatt ihr mit Wut entgegenzutreten, hoffe ich, sie mit bemitleidender Herzlichkeit erweichen zu können. Leider ist sie in den Ferien und eine andere uralte Urschweizerin öffnete mir die Tür. Diese verbringe drei Stunden täglich mit Frau R.’s Katze; ihr Mann sei vor einem Jahr gestorben; ob ich ihre Wohnung anschauen wolle.
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In den Lauben unter meinem Bürofenster, geschützt vom strömenden Regen, sitzen sechs japanische Touristen und essen ein Fondue. Sie machen das fachgerecht, haben schon ein Caquelon (Steinguttopf) geleert. Die Frau in der weissen Schürze bringt den vergnügten Gästen gerade Nachschub.
Die Zeit zwischen dem letzten und dem ersten Fondue der Saison wird immer kürzer.

Nach mehr als zwei Jahren erhielt Vater wieder einmal Besuch von „Bruder“ Hopf. Weil der Gottesmann nur eiskaltes Rivella trank, stellte mein Vater damals gleich eine Flasche für die nächste hopfsche Visite kalt. Monate vergingen, in welchen Vater die Flasche Rivella Blau vom grossen in den kleinen Kühlschrank umplaziert und schliesslich wegräumte. Nun war der „Bruder in Christo“ da, zusammen mit seiner schweigsamen Frau. Die beiden hatten inzwischen dem Rivella entsagt und baten um Hahnenwasser. Hopf, der früher Vertreter für Tierfutter war und am Sonntag in Vereinshäusern und Bauernstuben Bibelstunden abhielt, las auch am Küchentisch zwei Verse aus einer Bibel vor, die seit Jahren unter alten Zeitungen und Landwirtschaftkatalogen liegt. Nach der Lesung sprach Evangelist Hopf über den Siebten Himmel, die Ewige Heimat für „Brüder“, welche ein ganz besonders frommes und gottgefälliges Leben geführt hatten. Ergriffen zählte er Namen auf, verlor sich in Erinnerungen an diese Grossen und Guten, während seine Frau immer wieder auf die Uhr schaute und ihren Mann daran erinnerte, dass sie ja heute auch für den Schwager kochen müsse und die Zeit sowieso nur noch für Café complet reiche.

Inzwischen hat Vater, dem schon ein einziger Himmel ein Rätsel ist, über den Siebenten nachgedacht und ist zum Schluss gekommen, dass Hopf einst enttäuscht sein würde ob der geringen Zahl an „Chemberen“ (Bekannten) dort oben.

Seitdem 2nd2nd, male Hauswart im Grossen Block ist, dürften die Kinder auch am Sonntag auf den Spielplätzen spielen.
Nicht, dass sie sich solches Tun nach der langen Herrschaft des alten Hauswarts jetzt plötzlich erlaubten. Wie in all den vergangenen Jahren bleiben sonntags die Rasenplätze, Sandkästen, Schaukeln und Rutschbahnen meistens leer. Das „Kinderspielverbot“ greift immer noch, hat sich sogar auf den Fussballplatz des benachbarten Schulhauses ausgedehnt. Sonntags finden die fremden- und kinderfeindlichen PensionärInnen noch viel besser Zeit, von ihren Balkonen herab durch Pfeifen und Brüllen ihre Sonntagsruhe durchzusetzten.
So hat denn 2nd2nd, male vorgestern schon den zweiten Mahnbrief der Hausverwaltung erhalten. Es träfen jeden Tag Klagen über den „Sittenzerfall“ im Block ein. Der junge Mann wird morgen vom Verwalter persönlich zur Rede gestellt, denn „so könne es nicht weiter gehen“.
2nd2nd, male kennt jeden Winkel des Grossen Blocks, hat in den letzten Monaten vom Keller bis zum Dach alle, auch diejenigen in luftiger Höhe, gereinigt, ist freundlich, fleissig, hilfsbereit und jederzeit auf seinem Handy erreichbar. Einer seiner zwei „Nachteile“: er wird von den HausbewohnerInnen nicht gefürchtet.
Nun hat er hat eine Höllenwut im Bauch. Wir sehen es an seinem blassen unbeweglichen Gesicht. Wir versuchen, ihn auf das morgige Gespräch vorzubereiten.
Es kann gut sein, dass die junge Familie weiter ziehen muss. Dann wäre ein Experiment Integration in unserem Quartier an einer Gruppe missgünstiger Leute gescheitert, für die „Jugo“ kein Schimpfwort ist.

Grossmutters Korb
(Dein Bett bei der Grossmutter)

herzlich willkommen in unserer Familie. Ich hoffe, es wird dir bei uns gefallen!

… meinte meine Mutter immer, wenn wir über etwas klagten, das, verglichen mit dem Elend in der Welt, kaum ein Fliegendreck war.
Recht hatte sie.
Trotzdem habe ich anderthalb schlaflose Nächte und einen absolut nicht erholsamen Sonntag hinter mir. Alles nur wegen Fehler 678 – keine Verbindung ins Internet. Ich kroch unter den Schreibtisch, testete Anschlüsse, putzte bei dieser Gelegenheit den Staub unter den Gestellen weg, startete unzählige Male neu, steckte Kabel um, bat 2nd, male per SMS um Rat – es half alles nichts. Während der Regen an die Fenster schlug, machte ich mich entnervt ans Bügeln der restlichen Ferienwäsche, rauchte die Zigarette, die ich für „Notfälle“ aufgehoben hatte und verplemperte meine Zeit mit dem Schluss eines TV-Films, in welchem sich eine Pastorin in einen Restaurator namens Patrik verliebt, der eigentlich Paul heisst und einen weissen Schlittenhund besitzt.
Der „behobene“ Fehler 678 bleibt mir ein Rätsel.

Herr Wächter ruft mich an, um mir mitzuteilen, dass der bestellte Anschluss für mein Notebook wahrscheinlich schon funktioniere. Er hätte ihn gerne getestet, aber letzte Nacht sei ins Haus eingebrochen worden und alle Notebooks seien weg – gestohlen. Zum Glück stehe die Geburtstagskasse noch unangetastet an ihrem Platz, aber das Münz in den Getränkeautomaten sei fachgerecht entnommen worden. Die Diebe hätten die Büros ordentlich hinterlassen, ohne Kratzer, ohne Scherben. Gottseidank seien die Laboratorien verschont geblieben, blöd hätte das heraus kommen können!
Als abends noch regelmässig in den oberen Stockwerken geputzt wurde, sei nie etwas passiert, aber jetzt, wo man überall spare, müsse man sich über so etwas nicht wundern. Es sei eben nicht immer alles gespart, was danach aussehe.
Ich frage meine Freundin Marwa: „Wie bricht me so-n-e Outomat uf, ohni Spure z’hinderla?“
„Mi git ihm e feschte Schutt, de geits ganz eifach.“

�©cologique

Hier ein Aprikosen- oder Pfirsichstein, dort eine zerbrochene Muschel, ein zerquetschter Pingpongball, ein bröselnder Zuckerwürfel. Ich sortiere Wäsche und Erinnerungen an die Ferien. Im „Le Midi libre“ wurde man gebeten, Kleider und Schuhe nach jedem Aufenthalt am Strand gut auszuschütteln, damit nicht jedes Jahr Tausende Kilos Sand „abreisen“. Ich klopfe deshalb nur wenige Körnchen aus den Taschen.
In diesem Sommer verschwanden die Plastikbeutel aus dem „Super U“. Mehr als dreissig Jahren lang wurden sie gratis abgegeben und nach Gebrauch meist vom camarguesischen Wind „entsorgt“. Sie verfiengen sich dann in den naturgeschützten Pflanzen, schwammen auf Etangs und Kanälen.
Die Neuen kosteten 30 Cents. (Die Frau an der Kasse „signierte“ den Strichcode von Hand: bezahlt.)
Oft waren die Taschen ausverkauft. Ich glaube, dass nicht wenige unter Schweizer Weihnachtsbäumen und auf Geburtstagstischen landen werden. Denn die vorausplanende Schweizerin denkt in den Sommerferien bereits an Weihnachten 😉

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Juppi, meine Familie ist wieder zuhause!

Sobald alles ausgepackt und die Hängematte fürs nächste Jahr verräumt ist, veröffentlicht vielleicht auch 3rd eines seiner vielen Ferienerlebnisse für den Blogk. Aber die Erwachsenen stürzen sich bestimmt sofort wieder ins Arbeitsleben.

Mein Kopf ist fast nur noch bei meinem Bauchkindlein. Deshalb wird es für Blogk höchste Zeit, dass die Blogk-Familie wieder nach Hause kommt. Schliesslich schreiben wir übers Block-Leben und führen keinen Baby-Blog.

Also, eine kurze Szene, die sich gestern Abend vor dem Block abspielte, wo ich Bekanntschaft mit der aufdringlichsten Nachbarin gemacht habe, die mir bisher über den Weg gekrochen gelaufen ist. Diese kam rauchend daher als mein Mann, der Hauswart, gerade einem Geburtstagskind (2 J.) einen goldenen Zuckerstock geschenkt und angezündet hatte. Sie grüsste, duzte mich, fasste mir ungefragt an meinen kugelrunden Bauch und tat, als würde sie mich schon die längste Zeit kennen. Vor sieben Wochen hätte sie eine Fehlgeburt zur Welt gebracht. Aha. Die Frau stank nach Alkohol und Zigaretten und erinnerte mich an eine langbeinige Spinne. Ein weiterer Schritt zurück nützte nichts, sie kam immer näher und erzählte von ihrem besiegten Lymphdrüsenkrebs und der Muttermilch, die sie gezwungenermassen abpumpen und wegwerfen musste. Der Zuckerstock war längst ausgebrannt. Die Frau zündete sich eine neue Gauloise an und teilte mir mit, wie schrecklich das Leben und wie alleine sie hier sei. Ich flehte meinen Mann mit verdrehenden Augen um Hilfe, woraufhin er mich aufforderte, auch nach Hause zu kommen. Zum Abschied streckte ich der fremden Spinnenfrau meine Hand entgegen, worauf sie mich an sich heran zog und mich doch tatsächlich drei Mal auf die Wangen küsste. Ich sass in einer Sackgasse und konnte nur noch meine Nase weitgehend abdrehen. Da ist das unermüdliche Geknalle des 1.Augusts ein Dreck dagegen. Ich will nicht, dass mich jemals wieder jemand küsst, den ich absolut nicht riechen kann! Irgendwie steht mir meine Höflichkeit immer wieder im Weg. Wie hätte ich mich retten können?

Auf der Postkarte sind drei stolze Stiere, zwei Flamingos, durchs Wasser galoppierende Camargue-Pferde, ein Reisfeld und dürre Bäume zu sehen. Letzteres erinnert mich an das gestrige 10 vor 10, in dem ein Beitrag „Auch der Wald leidet in der Hitze“ gezeigt wurde.

Ich habe gehört, 3rd habe seine Kiste Bücher, die er für den ganzen Ferienmonat ausgewählt habe, schon lange gelesen. Es scheint, dass er nun Erwachsenenliteratur und die französische Zeitung liest. Er schreibt in seiner regelmässigen zusammengehängten Schrift:

Hallo 2nd2nd, female, hallo 2nd2nd, male
Bei uns in Frankreich ist es so heiss, dass in der Zeitung steht: Lundi: Chauffé, Mardi: Brûlé, Mercredi: Fondu! Aber es ist trotzdem schön, ich habe auf dem Camping schon viele Freunde.
Viele Grüsse 3rd
P.S.: Gib Bescheid, wenn das Kindlein schon früher kommt!

Darunter stehen 1000 Grüsse von 2nd, female mit einer strahlenden Sonne verziert.

2nd, female und 2nd, male machen mit 3rd drei Tage Kernfamilienleben. Da auch der ganze Besuch schon vor einer Weile abgereist ist, verbringt 1st diese Zeit alleine. Alleine mit guten Büchern, vorgekochtem Essen, einem Fahrrad, genügend Geld und einem Notfallkoffer.

Das vergangene Jahr Die vergangenen Jahre waren streng für meine Mutter. Sie hat sich immer wieder sehnlichst ein paar freie Tage gewünscht. Nun hat sie sie! Drei Tage keinerlei Verpflichtungen. Doch was sagt sie mir vorhin am Telefon? Sie habe sich überlegt, doch nach hause zukommen. Weshalb? Weil sich ihr Vater mit 95 Jahren langsam von uns verabschiedet? Weil ich hochschwanger bin? Weil es in Frankreich noch heisser ist als hier? Weil sie von Daheim aus besser weiss, was in der Welt geschieht? Natürlich kann sie jederzeit in den TGV steigen, aber in dieser Unruhe hat sie sich ja wohl kaum erholt und Ferien gibts erst im Sommer 2007 wieder. Mamma mia! Endlich hat sie einmal richtig frei und jetzt kann sie das irgendwie nicht geniessen.

Immerhin suchen meine Schwester & Co. einen Weg, genügend Kraft fürs kommende Schuljahr zu tanken.

fragte ich gestern meinen Mann, den Hauswart. Schreiben sei halt nicht „sein Ding“, meinte er. Aber er würde erzählen, dass ihm „sein“ 20-stöckiger Block so leer vorkomme. Er könne all seine Arbeiten bis in den frühen Nachmittag erledigen und mich danach schon ins Freibad oder zu Grossvater begleiten. Die Müllberge häufen sich nicht, wie in anderen Zeiten, in der Waschküche gäbe es immer genügend freie Maschinen und es seien so viele Autos in den Ferien, dass niemand falsch parkieren müsse. Eigentlich hätte er genügend Zeit, den Rasen zu bewässern, aber die Stadtgärtnerei hat davon abgeraten. Nun trocknet das Gras ganz braun vor sich hin.

2nd2nd, male würde auch bloggen, dass er nun endlich wisse, dass die Schokolade von seiner Mutter sei. Haaaa, ich hatte recht! Vor mehreren Tagen lag in unserem Briefkasten ein Paket mit kleinen Toblerönchen; ohne Karte, ohne Absender, aber mit einem Hinweis: der Preis klebte immer noch mitten auf der Verpackung. Da vermutete ich natürlich jemanden dahinter, der keine Bildung in der Schweiz genossen hatte und dem das Lesen und Schreiben nicht so wichtig sind. Wie Commissario Brunettis Frau verdächtigte ich die naheliegendste Person und tippte auf meine Schweigemutter Schwiegermutter, die sich morgen auf den Weg in ihre Heimat macht und nicht da sein wird, wenn unser Bauchkindlein das Licht der Welt erblickt. Das ist ihr gerade recht, weil sie von ihren eigenen Kindern die Schnauze voll hat und sich nicht noch mit Enkelkindern beschäftigen will. Zum Glück haben wir unsere allerliebste Blogkfamilie!

Mit meinem dicken Bauch mag ich gar nicht mehr so schwimmen und hab deshalb gestern den halben Tag im Westen Berns im „Weierli“ am Schatten gelegen; während dessen fallen im Osten Bomben.

Der Moderator der Rundschau sagte gestern abend: „… und einmal mehr fürchtet sich die Welt vor einer Eskalation im Nahost.“ Ist denn die Situation noch nicht eskaliert oder noch zu wenig grausam? In der Sendung sprach auch der Gitarrenlehrer von 3rd. Seit vier Tagen erreicht dieser seine Mutter in der Heimat Libanon nicht mehr. Seine Träume, Hoffnungen und Pläne für den Libanon und jene vieler Landsmänner und -frauen werden nun zerstört. Aus dem dicken Bauch seiner Ud tönt traurige Musik.

Die Wurzeln des Nahostkonflikts liegen lange vor meiner eigenen Geburt zurück. Und wenn mann eine Waffe zu oberst auf die eigene Flagge druckt, scheint mann nie und nimmer bereit, das Ende des Nahostkonflikts zu erleben. Weil 1st dennoch in Israel gearbeitet, geliebt und gelebt hat, habe ich mir gewünscht, es einmal zu bereisen. Meine Mutter hat meine Bitte aber stets mit den Worten abgelehnt: „Wir werden nach Israel reisen, wenn der Krieg vorbei ist“. Sie selbst hat dann ihre Freunde Mitte der 90er-Jahre trotz der politischen Lage besucht. 2nd, female blieb mit mir zuhause und las täglich mit ernstem Gesicht die Nachrichten über in die Luft gesprengte Autobusse und tote und verletzte Zivilisten. Ich verstand dieses Geschehen damals nicht und könnte auch heute meinem Kind nicht erklären, weshalb junge Männer Steine werfen, anstatt die Schule zu besuchen oder im Bunker sitzen müssen, anstatt Prüfungen an der Universität ablegen zu können.

Ja, ich vermisse meine Familie, denn eigentlich wäre jetzt der Zeitpunkt, an ihren Tischgesprächen zu lauschen und teilzunehmen.

…und der beste Freund meines Mannes macht Party-Ferien auf Zypern…

PS.: Shalom Lila! Sobald „admin“ wieder zuhause ist, wird Letters from Rungholt angepasst. Alles erdenklich Gute!

Während meine Familie den Tag in Saintes-Maries de la Mer verbringt, die heilige Sarah besucht, für alle lieben Lebenden und Toten Kerzen mit guten Wünschen anzündet, vielleicht Stiere in der Arena bemitleidet, aufdringlichen Zigeunerinnen charmant aus dem Weg geht und marokkanisch zu Abend isst, machten mein Mann und ich einen „Kontrollgang“ durch ihre Wohnungen. Zuerst brachten wir Post und Hemden in die perfekt hinterlassene Blockwohnung meiner Schwester und ich suchte mir einige DVD’s meines Schwagers aus. Die ausgeliehenen Santons brachten wir in die ebenfalls perfekt hinterlassene Blockwohnung meiner Mutter und holten meine frisch gewaschenen und gebügelten Schwangerschafts-Shirts, den bereitgestellten Honig und eine Flasche Hollundersiroup ab. Mein Mann legte sich in dem gemütlichen Stübchen aufs Ohr und ich machte es mir auf dem tibetanischen Teppich bequem. Bei Mama ist es doch am schönsten! Leider wurde unsere Siesta durch ein Gerumpel vor dem Fenster unterbrochen und Dick und Doof stiegen vom Dach die Leiter herunter auf unseren Balkon. Hat es 1st doch vorausgesehen; die Dachdecker kamen von oben. Löten wollten sie, aber ihnen fehlte erneut das richtige Material. Ob sie es hinkriegen würden, das Loch bis Ende Monat wieder zu decken, fragte ich die zwei. Als keine eindeutige Antwort kam, liess ich die Store runter. Ab ins Freibad, damit wir auch etwas braun werden, obwohl wir heuer nicht in den Süden reisen.

Wie schön, wenn Frankreich Weltmeister geworden wäre, dann hätte der heutige Tag noch eine andere Bedeutung als die Erinnerung an den Sturm auf die Bastille. Ich trauere immer noch dem missglückten WM-Finale nach. 1st hat nun ihre 50.-, die sie auf die Franzosen gesetzt hat, verloren, aber die auf Italien setzende Freundin wird sie damit bestimmt zur Feier des Tages ins Grand Café de Paris einladen. Vielleicht kann sich meine Blogk-Familie sogar einbilden, das Feuerwerk heute Abend sei extra für sie; als Belohnung zu ihren Arbeitsverträgen, Gratisarbeiten, als Gratulation zu 3rd’s ausgezeichnetem Zeugnis oder als nachträgliche Glückwünsche zu 1st Geburtstag.

Die ganze Welt spricht davon und eben erhielt ich auch eine SMS von 1st aus der Camargue:

„Midi Libre.“ 13. 07. 06: Zizou: „Je m’excuse auprès des enfants et des éducateurs…“ Dieser Kopfstoss sei unentschuldbar, aber bereuen hiesse für ihn, Materazzis Worten Recht zu geben, „…et il n’avait pas raison!“

Ich bin gestern durch meine letzte Prüfung gefallen. Es war wohl doch ein bisschen viel mit umziehen, Ausbildungsabschluss, Prüfungen, Praktikum, Anzeige aufgeben, Fahrstunden, WM, Nachhilfeunterricht und dem ganzen Rest. Ich hatte meinen Kopf gestern gar nicht bei der Fallbesprechung und nun muss ich sie nächsten Februar wiederholen.

Zum Glück geht es meinem Grossvater mit jedem Beutel Blut, den er Tropfweise erhält, etwas besser. Meine Mutter hat ihm schon gesagt, er solle jetzt noch warten mit Sterben, damit er noch mein Bauchkindlein sehen wird.

Ausser meinem Mann und mir ist nun die Blogk-Familie in den Ferien. Endlich! Auch sie hatte ein strenges Jahr. Mein Grossvater mag 1st die Ferien auch gönnen, er spricht sogar von vielen zu strengen Jahren, von denen sie sich in den Winden Frankreichs, im warmen Sand und im Salzwasser erholen soll.

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