Februar 2007


Als ich heute mit 3rd, male, Geschichte lernte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen! Der Stadt-Land-Graben zum Beispiel ist keine Neuerrungenschaft, sondern mindestens 526 Jahre alt. Die Eidgenossen hatten da gerade eine Glücksträhne und einige Schlachten gewonnen (zuletzt die bei Nancy, bei der Karl der Kühne dran glauben musste) und wurden darob eingebildet. Die Städter gingen Bündnisse mit anderen Städten – sogar im Elsass und Deutschland – ein, was die vom Land auf und zur Randale brachte. Der bestehende Bund der Eidgenossen war gefährdet und die Kriterien für die Aufnahme von Neuen streitig. Im letzten Augenblick gelang es dem einig Volk von Brüdern Verhandlungen anzuberaumen, die als Stanser Tagsatzung doch noch zum friedenssichernden Resultat führten. Allen Mitgliedern war es fortan verboten, untereinander und mit Auswärtigen Sonderbündnisse einzugehen (EU nein danke) oder weiterhin aufrechtzuerhalten, die Aussenpolitik musste im gemeinsamen Dialog (obligatorisches Referendum) gestaltet werden. Alle Sonderabkommen nach aussen mussten gemeinsam getragen werden (UNO-Beitritt der Schweiz bereits 2002).

Bei der Gelegenheit wurde auch der lesenswerte Sempacherbrief bestätigt und der Wille zur Einhaltung bekräftigt. Und weil man den nicht so gut online findet und wir ja heutzutage alle lebenslang lernen müssen, tippe ich ihn mal aus 3rds Schulheft ab:

1. Diese Abmachung gilt für Zürich, Luzern, Bern, Solothurn, Zug, Uri, Schwyz, Unterwalden und Glarus.
2. Im Krieg, bei Waffenstillstand oder in Friedenszeiten darf kein Eidgenosse einem anderen etwas stehlen.
3. Wenn wir gemeinsam in den Krieg ziehen, so soll keiner im Gefecht davonlaufen.
4. Wer stiehlt, soll bestraft werden, wenn zwei Zeugen ihn ertappt haben.
5. Ein verwundeter Krieger darf nicht bestohlen werden.
6. Es ist verboten zu plündern, bevor die Schlacht zu Ende ist. Erst wenn die Hauptleute es erlauben, darf geplündert werden. Das geraubte Gut muss verteilt werden. Jeder erhält ungefähr gleich viel.
7. Kapellen und Kirchen dürfen nicht geplündert oder angezündet werden. Nur wenn der Feind sich in einem Gotteshaus versteckt oder dorthin sein Gut geflüchtet hat, darf eine Kriche oder Kapelle angegriffen werden.
8. Frauen dürfen nicht geschlagen, gestochen oder „ungewöhnlich behandelt“ werden, es sei denn, sie verraten einen durch ihr Geschrei vor dem Feind, wehren sich oder fallen einen an.
9. Kein in Punkt 1 genannter Ort darf von sich aus Krieg anfangen. Kriege werden gemeinsam beschlossen.

Drita lebt in einem konservativen Dorf in Kosovo, dem Geburtsort meines Mannes. Sie ist seine jüngste Cousine väterlicherseits und als einzige noch ledig. Letztes Wochenende wurde sie verlobt. Sie wird im Laufe dieses Jahres heiraten und ab diesem Moment bei ihrem Ehemann wohnen. Sie ist dann verpflichtet, ihre Schwiegereltern und deren Haus bis in den Tod zu pflegen und mindestens einen Sohn zu gebären.

Ich hatte das Glück, Drita letzten Winter kennen zu lernen. In Kosovo lag sehr viel Schnee und wir sassen in den Ferien hauptsächlich um den Ofen herum. Auch im eingeschneiten Haus ist uns die Decke nicht auf den Kopf gefallen. Drita unterhielt uns mit ihren unzähligen Geschichten, Gedichten und Liedern. Drita bedeutet in Albanisch Licht. Ein passender Name, denn sie hat auch während dem täglichen Stromausfall stets Licht in die Stube gebracht. Sie hackte Holz, sprang übers Feuer, sammelte die letzten Kastanien, briet sie auf dem Ofen, führte uns ihre akrobatischen Kunststücke vor, machte den Handstand und konnte sogar den Spagat. Sie wusch ihrer alten Mutter die Füsse und massierte ihrem kranken Vater den Rücken. Sie wäre die perfekte Schauspielerin, in so viele Rollen konnte sie schlüpfen. Ihre Stimme war zum Verlieben. Besonders wenn sie ihren Neffen tröstete oder ihm Lesen, Schreiben und Rechnen beibrachte. Seine Kindergärtnerin wollte ihn direkt in die zweite Klasse bringen, aber Drita fand ihn als Fünfjährigen dann doch zu klein dafür.

Mein Mann und seine älteste Cousine sind sehr traurig, dass Drita nun „zur Frau wird“. Was hätte es nun für einen Sinn, in ihrem Heimatdorf Ferien zu machen, wenn sie nicht mehr da sei? Das Licht ist aus.

Endlich habe ich mich getraut, meine ehemalige Schülerin nach ihren beiden Kindern zu fragen. Warum ich mich Jahre zurück gehalten und von weitem so getan habe, als ob alles normal und in Ordnung wäre, weiss ich nicht.
Nun habe ich Aliva einmal ohne ihren Mann getroffen und die seltene Gelegenheit benutzt, um mich nach ihren Söhnen zu erkundigen, die vor acht Jahren von ihrem Vater entführt wurden. Auch wollte ich wissen, wie es eine Mutter aushält, so lange von den Kindern getrennt zu sein?
Es gehe den beiden gut im Nahen Osten. Sie besuchten in der Hauptstadt des Landes eine katholisch-französische Schule zusammen mit Diplomatenkindern. Das koste im Vergleich zu schweizerischen Privatschulen fast nichts. Sie habe hart gearbeitet, um ein Haus in einem besseren Quartier zu kaufen, damit die Buben zusammen mit Tanten und Grosseltern aus der Zweizimmerwohnung ausziehnen konnten. Im vergangenen Oktober habe sie einen Besuch gemacht, Kleider und Schulmaterial gebracht. Ihr Arabisch sei inzwischen viel besser geworden. Im Gegensatz zum Jüngeren verstehe der Ältere noch Schweizerdeutsch und vermisse die Mutter sehr. Der Kleine leide weniger. Er sei mit Markenartikeln aus der Schweiz zu trösten, gebe damit in der Schule an und lasse sich von der ganzen Verwandtschaft verwöhnen. Sie, Aliva, versuche, das Beste aus der Sache zu machen, beginne bald mit einer Zusatzausbildung. Lernen und Arbeiten sei das, was sie durch die Tage bringe.
Heute lebe sie wieder mit dem Mann zusammen, der vor acht Jahren ihre Kinder entführte. Er besitze nun die nötigen Papiere, um in der Schweiz zu bleiben und sie habe alles einigermassen unter Kontrolle.

„Ist bei Ihnen eine blaue Zahnspange abgegeben worden?“ fragt das Mädchen die Verkäuferin am Salat-Buffet.
„Eine Zahnspange? Hast du sie hier verloren?“
„Nein, dort drüben auf der Treppe. Da hab ich etwas gegessen“ Das Mädchen zeigt hinaus in die Lauben, wo zahlreiche Hungrige ihre Brote verzehren.
Die Verkäuferin fragt ihre Kolleginnen, gibt dem verzweifelten Kind den Rat, doch noch beim Kundendiest zu fragen.
Als ich nach meinem Einkauf auf die Strasse trete, sitzt die Schülerin schluchzend auf der Treppe.
„Soll ich mitkommen zum Kundendienst?“ frage ich sie.
„Nein, meine Mutter hat gesagt, ich soll hier warten.“
„Hat sie wegen der Spange geschimpft?“
„Ja, ganz schrecklich.“
„Aber das ist doch nicht so schlimm. Du hättest ja verunglücken können. Ihr könnt es der Versicherung melden. Sei nicht mehr so traurig!“ versuche ich zu trösten.

Sonnseite

Im Dorf, in dem mein Vater lebt, bin ich heimatberechtigt. Nur durch Zufall, weil durch Heirat. Der Ort mit den Bauernhäusern, der Kirche, dem Friedhof, der Schmiede, der Post, der Landwirtschaftlichen Genossenschaft, dem Lebensmittelladen, dem alten und dem neuen Schulhaus, dem Viehschauplatz, dem Feuerweiher, der Webstube und der umwerfenden Aussicht auf Berge und See mit Rundblick vom Luzernischen übers Bernische zum Freiburgischen steht mir verbrieft als Heimat zu. Wie eine Klette hakt diese sich an mir fest, obwohl ich immer wieder versuche, sie los zu werden.
Keine Chance! In Gedanken kümmere ich mich um alles, was mich nichts angeht: um den gebrochenen Ast der Trauerweide, welcher herunter zu fallen droht, den nicht vorhandenen Fussgängerstreifen über die viel zu schnell befahrene Strasse nach Helgisried, das schräg hängende Christusbild in und das marode, kaum mehr begehbare Kopfsteinpflaster vor der Kirche, den dreckigen Dorfbrunnen, das verstaubte kleine Museum bei der Ruine, wo man das Gästebuch erneuern sollte usw.
Manchmal schreibe ich dem Gemeindepräsidenten ein Mail. So auch in der vergangenen Nacht, wo ich mich darüber beklagte, dass die Verkaufsstände vom Adventsmärit 2006 noch in der Gegend herum stehen.
(Er hat mir gleich geantwortet, hat veranlasst, dass subito weggeräumt wird.)
So lastet Heimat auf meinen Schultern und raubt mir manchmal den Schlaf.
Vergeht einmal ein Samstag, ohne dass ich im Dorfladen etwas einkaufe, fragt die
Inhaberin, ob alles in Ordnung sei, ob sie zu früh geschlossen hätte? Sie wolle sich nicht aufdrängen, hätte beinahe telefoniert. Sie öffne jederzeit, wenn wir etwas brauchten.

Kleinesmädchen haut in die Tasten:

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Die erste Brille bekam ich mit sieben Jahren. Ich sass hinten auf dem Gepäckträger und klammerte mich an die Schürze meiner Grossmutter, welche auf ihrem Rücktrittvelo flott der Stadt Burgdorf entgegen radelte. Das düstere Optikergeschäft mit den Glaskästen voller Brillen und der Doktor im weissen Mantel kamen mir vornehm vor. Zwischen den Wandschränken hingen in Gold gerahmte Fotos einer wunderschönen brillenlosen Frau, von der meine Grossmutter mir zuflüsterte, das sei die Schwester vom Tokter Della Casa. Was ich ihr nicht glaubte.
In Kinderbrillen gabs keine Auswahl, und so bekam ich eine mit runden Gläsern in einer braun gesprenkelten Fassung aus Bakelit. Bereits nach wenigen Tagen riss ich die braune Schicht ab. Darunter kam ein Draht zum Vorschein, eng gewickelt wie eine Sprungfeder.
Auf dem Schulweg musste ich einige Kinder mit dem Schirm verprügeln, weil sie es wagten, mir „Brüllengügger“ nachzurufen.
Ein paar unvergessene Brillen später brachten mich meine Eltern zu einem berühmten Professor. Ich habe keine Ahnung, wie die einfachen Pächtersleute zu diesem Arzt fanden, welcher dann mein Schielauge für ein geringes Honorar richtete.
Prof. Dr. Hans Goldmann verdanke ich zahlreiche brillenlose junge Jahre!
Für aparte Brillen habe ich eine Schwäche und hab mich nur einmal vertan. Da gab ich mein Erspartes aus für eine Brille mit rotgrüner Seide auf pakistanischem Wasserbüffelhorn – eine grauenhafte Création.
Ab gestern trage ich Bellinger – ein bisschen verrückt und doch schlicht.

Die Zeitungen, die die West-Quartiere entweder schönschreiben, verteufeln oder sie von Auswärtigen rezensieren lassen, sind unser Lieblingsquell der Ärgernisse. Aber was war heute? Vollstes Verständnis, ein Beitrag – nein, eine Metapher! – zu unserem Stellenwert in der schönen Unesco-Weltkulturerbe-Stadt und bei BernMobil, unserem Lieblings-ÖV:

Weniger Leistung kostet manchmal mehr. Das müssen derzeit die Bern-Mobil-Kunden aus Bern West und Holligen erfahren. Wegen des Umbaus des Berner Bahnhofplatzes ist die Endstation ihrer Buslinien 13 und 14 bis Dezember in die Seilerstrasse vorverlegt worden. «Bahnhof (City West)» heisst das Provisorium offiziell; «HB» druckt der Automat vor Ort vielversprechend auf Mehrfahrtenkarten und Billette. Es ist amüsant zu lernen, welche entlegenen Ecken im kleinen Bern noch zum Gebiet «Bahnhof» zählen. Weniger lustig ist der Stationsname, wird man sich seiner finanziellen Konsequenzen für die Fahrgäste gewahr. Doch der Reihe nach.

Fast schon gerührt (echt!) hat mich der Vergleich am Ende des Artikels. Andere Quartiere, andere Sitten:

Pendlern auf der Linie 17 nach Köniz Weiermatt bleibt das Wandeln in der Grauzone übrigens erspart. Sie haben doppelt Glück gehabt: Ihre provisorische Endstation liegt im bahnhofsnäheren Hirschengraben und kommt ohne den Namen «Bahnhof» aus. Wie schon immer bezahlen die 17er-Kunden für eine Fahrt an den Loryplatz Fr. 1.90.

2nd & 3rd male und ich haben uns neulich gefragt, weshalb man die neue, provisorische Station für unseren Bus vom Hauptbahnhof nach Hause – über dreihundert Meter lang – in regelmässigen Abständen immer wieder anschreibt? Mindestens sieben Tafeln pflastern unseren Weg zur entlegenen Hauptbushaltestelle und auf ihnen eine Masse Marketing-Singsang, der wunderbar an der Realität vorbeigeht und entsprechend wenig beachtet wird. Wir waren uns alle drei – die wir diesen Bus täglich benützen und Jahresabonnemente zu ansehnlichen Preisen besitzen – einig, dass ein Weltplakat im Zentrum ausreichend wäre:

An die Bewohner der westlichen Aussenquartiere: Bis auf weiters ist Ihre Bushaltestelle abgeschafft. Gehen Sie zu Fuss nach Hause. Irgendwo auf dem Heimweg werden Sie auf ein Provisorium treffen. Behalten Sie die Fahrausweise zum vollen Preis sowie Nastücher und Neoangin bereit. Eine Anpassung der Fahrpreise, ein geschützer Fussweg oder eine Überdachung ihrer provisorischen Haltestelle ist nicht vorgesehen. Besten Dank für die Kenntnisnahme.

Und wenn wir zu Hause aussteigen, überqueren wir ebenfalls ein Provisorium von Fussgängerstreifen, schlurfen durch den runtergespülten Baustellenmatsch zu einem Mauseloch Tunnel und können danach zwischen zwei weiteren Provisorien auswählen: Für den einen Block empfiehlt sich ein Abbiegen scharf rechts und der Gang durch einen ellenlangen Autotunnel, von dessen Strasse schmal mit einem Netzlein ein Fussgängerweglein abgetrennt ist. Die anderen gehen bitte scharf links über einen Platz, der mit Baubedarf überstellt ist… zwängen sich also durch und dann wieder rechts, eine angeschlagene Treppe runter und danach haben sie den Heimatblock zumindest im Visier.

Und wenn sie noch nicht gefallen oder überfahren sind, so leben sie noch heute (im Westen).

Brautstrauss

Darf ich Sie beschützen?
da sagtest du: Mein Herr, Sie sind trivial.
Als ich dich fragte:
Kann ich Ihnen nützen?
da sagtest du: Vielleicht ein anderes Mal.
Als ich dich bat:
Ein Kuss, mein Kind, zum Lohne!
da sagtest du: Mein Gott, was ist ein Kuss?
Als ich befahl:
Komm mit mir, wo ich wohne!
da sagtest du: Na, endlich ein Entschluss!

Das Gedicht von Erich Mühsam steht auf der Einladungskarte.

Ein Strauss für die Braut und viel Glück!
(2nd, female und 2nd, male heiraten morgen.)

Ein Regensonntag und Zeit fürs neue NZZ-Folio „Teheran“. Der Iran feiert heute den 27. Jahrestag der islamischen Revolution, lese ich, stöbere dann in meinen Archivschachteln und erinnere mich an den Sommer 1978:

In einer dichten Autoschlange kriechen wir unter die Smogdecke wie in einen grauen schwabbenden See, hinein in die Millionenstadt Teheran. Im Norden Berge auf deren höchsten Gipfeln Schnee liegt.
In der Nähe des Shahyad Towers treffen wir einige junge PerserInnen in chicen Sportwagen und in wochenendlicher Partystimmung. Klar kennen sie ein passendes Hotel für eine Familie. Sie werden uns lotsen – no problem. Und schon geht’s flott hupend und blinkend hinein ins unbeschreibliche Verkehrschaos. Wir durchqueren die elendesten Slums, wo die Menschen halbnackt in Autowracks leben und werden später vor einem kleinen Hotel, umgeben von schattigen Bäumen, verabschiedet. Hier wollen wir einige Tage bleiben, um unser Auto zu überholen und Briefe nach Hause zu schreiben.
Das Wasser des Hotelpools, aus 300 Metern Tiefe heraufgepumpt, erfrischt nicht nur die „ausgetrockneten“ TouristInnen sondern auch die Wohlhabenden aus der Stadt, die ihre Nachmittage hier verbringen. Ein holländischer Geschäftsmann, erzählt mir von seinen engen Verbindungen zum kaiserlichen Palast. Er handle mit Opium. Das könne ich ihm nicht glauben. O doch, meinte er. Noch etwas werde er mir verraten. Der Schah sei in der vergangenen Nacht in seinen privaten Gemächern angeschossen worden. Der Anschlag werde geheim gehalten, aber das sei der Anfang vom Ende des Pfauenthrons, und seine Geschäfte seien wohl bis auf weiteres dahin.
So etwas! In meinen Briefen erzähle ich diese Hiobsbotschaft brühwarm weiter.
Sie kommen alle geöffnet und mit schwarzen Zensurbalken in der Schweiz an.
Es ist Ende August 1978, und zu Hause ahnt noch kaum jemand etwas von einer islamischen Revolution im Iran.

Mit seinen Müllkontainern hinter verwitterten Kipptoren, der Glas- und Blechsammelstelle, einem ramponierten Fahrradständer und den verdreckten Betonblumenkübeln ist das „Ghüderhüsli“ (Kehrichthaus) in unseren Quartier nicht gerade der Vorzeigeort. Da sich hier auch die Parkplätze befinden, trifft man sich, wird abgeholt, packt den Zügelwagen ein und aus, liefert den Einkauf an, stapelt jede zweite Woche die alten Zeitungen für die Sammlung.
Wegen länger andauernden Umbauarbeiten sind in der vergangenen Woche die Apotheke, der Lebensmittelladen und das griechische Restaurant in Baracken neben das Kehrichthaus gezogen, an dessen Mauer nun auch die öffentliche Telefonkabine und die Briefkästen der Geschäfte zu finden sind.
Keinen scheints zu stören. Anstatt um eine Kirche versammeln wir urbanen Dorfleutchen uns halt zeitgemäss um ein Kehrichthaus.
Natürlich haben wir einem so wichtigen Platz schon lange einen angemessenen, vornehmen Namen gegeben:
„Al Khudhar“ wird er in meiner Familie genannt, nach dem berndeutschen Wort „Ghüder“ – klar?

„… und der Blogk ist tot.“ seufzt 1st mitten in der anstrengenden Arbeitswoche zwischen frisch gewickeltem Kleinmädchen und geschnetzeltem Lauch.

Die andere Blogk-Familie ist in den Bergen am Skifahren und ich vernachlässige den Blogk, weil ich für meine Prüfung lernen muss. Ausserdem schreibe ich nicht dafür, nur damit etwas hier steht -mit Ausnahme dieses Beitrages, der keinen anderen Sinn hat, als den Blogk in 1st’s Vorstellung wieder zum Leben zu erwecken.

Voilà, da sind wir wieder.

Die alten Angehörigen zu Hause zu betreuen, ist im Kanton Bern etwas vom finanziell Dümmsten, was man tun kann. Ihnen die vertraute Umgebung zu erhalten und hohe Eigenleistungen zu erbringen, geht ans Guttuch und an die Nerven. Fatal wird es, wenn die Pflegebedürftigen auf Fürsorgeleistungen in Form einer Hilflosenentschädigung angewiesen sind. Das ist u.a. der Fall, wenn die berufstätigen Kinder, meist die Töchter, nicht die gesamte Betreuung übernehmen können und Unterstützung durch Dritte brauchen. In der Abklärungszeit des Gesuchs, die oft mehr als ein Jahr dauert, schrumpft der letzte Rest des mühsam Ersparten hurtig dahin.
Vater befindet sich gerade in einer solchen „Testphase“, die nun schon den 13. Monat andauert. Um „Missbräuchen vorzubeugen“, wird also auch der 96jährige seh-, gehör- und gehbehinderte, Nieren und Herz insufiziente hochgradig blutarme Greis auf die Warteliste gesetzt. Könnten die Beeinträchtigungen in einem Jahr nicht wieder völlig verschwinden? Dann hätte man die Beiträge ja an einen Unwürdigen bezahlt. Werden diese dann einmal gesprochen, ist die Sorge nicht ausgestanden, denn es dauert wieder Monate, bis das Geld angewiesen wird.
Der alte Mann ist mit seinem guten Gedächtnis, der präzisen Ausdrucksweise, dem geraden Scheitel, den geschnittenen Nägeln und der sauberen Kleidung ohnehin ein unglaubwürdiger Aspirant auf diese Entschädigung, Arzt- und Spitalberichte hin oder her.
Vor einer Woche kam ein Beamter ins Haus, um den Fall vor Ort zu prüfen. Dass Vater nicht anwesend, weil im Spital war, tat der Kontolle keinen Abbruch. Er brauche dazu den Patienten nicht, meinte der kontrollierende Kantonsbeauftragte.
Auf der Gemeindeverwaltung, wo die ausgefüllten Gesuchsformulare, Berichte und Zeugnisse abgegeben werden müssen, rät die Beamtin, den Vater doch ins Heim zu geben, da dort die Beiträge zwar um vieles höher, aber ohne Verzögerung und problemlos fliessen würden!
Solches macht zornig und zeigt, dass Altern zu Hause immer mehr zum Luxus wird. Vater selber findet, es wäre jetzt besser, abzutreten, auch wenn er gerne noch ein bisschen die Urenkelkinder aufwachsen sähe.
Es ist bitter und unwürdig, dass sich alte Menschen und ihre betreuenden Angehörigen in der reichen Schweiz vorkommen müssen wie Bettler.

Es hat in einem Nachbarsblock gebrannt. Alle haben die Feuerwehr angerufen und zugeschaut. Ich konnte nichts machen, ausser den gesperrten Durchgang bei uns öffnen, damit der Schulbus durchfahren konnte, damit alle Kinder pünktlich von der Schule abgeholt und andere Termine eingehalten werden konnten.

Ein Feuerwehrmann hat gesagt, es sei niemand verbrannt; bis jetzt jedenfalls hätten sie keinen gefunden. Eine Nachbarin war so froh, gerade einkaufen und nicht im Haus gewesen zu sein. Ihr Sohn ist Polizist und eben jetzt hier im Einsatz.

Ein Mädchen hat so geweint. Sie wusste noch nicht, ob ihre eigene Wohnung auch betroffen ist und was mit der Mieterin über ihr passiert ist. Für die Feuerwehr war das bestimmt einer der schweisstreibendsten Einsätze. Man muss sich das mal vorstellen: mit einer 30 Kilo schweren Ausrüstung in den neunten Stock zu rennen. Denn im Brandfall darf nie ein Lift benutzt werden, von niemandem.

Meine Frau wollte schon lange Kamerafrau werden und hat natürlich den Brand gefilmt. Sie war die Einzige. Telebärn kauft ihr die Sequenzen vielleicht ab. Wen’s interessiert, der muss heute Abend um 18:00 Uhr die News schauen.

Zum Glück ist das nicht in unserem Block passiert. Sonst wäre ich sprachlos gewesen und hätte nicht gewusst, wo anfangen.

Bild folgt, an solchen Tagen ist man in Eile.

***

Nachtrag 16:23 Uhr:

Brand 2.2.2007