Mein Lieblingswort seit vierundvierzig Jahren teile ich mit dem mir unbekannten Etgar Keret (*1967). Es ist das jiddische und auch im Ivrith benutzte Wort „Balagan“. Steht bei mir alles aufgetürmt in Gängen, Zimmern und auf Tischen, muss ich diesem Zustand nur den liebevollen Namen „Balagan“ geben. Ich sehe dann einen Besen „Balai“ und einen Garten „Gan“ vor mir und das Chaos ist bereits gebändigt. Falsch zu denken, man würde nach drei Stunden etwas von meiner Aufräumerei sehen, denn ich habe für jedes fremde Auge unzugängliche Ecken geputzt. Die Reisetaschen im hintersten Kämmerli sind nun abgestaubt, die Wollknäuel der Farbe nach sortiert und mit einem Sandelholzherz gegen Motten versorgt. Das Putzmittel fürs Bad ist nachgefüllt und die Musikdose von Kleinesmädchen geleimt. Auch der Filter zuoberst im Dampfabzug der Küche ist ausgewechselt. In einer Schuhschachtel treffe ich auf alte Musikkassetten, muss ein bisschen probieren, bis ich einige davon abspielen kann: Mercury/Caballé Barcelona – laut. Dann „Andorra“ als Hörspiel und zwischen Tom Paxton, Nama Hendel und Franz Hohler „Der Unfall von Kehrsatz“ in drei Teilen. Also auch in der Schachtel herrscht ein grosser Balagan.
Zum Verzweifeln, gäbe es mein Lieblingswort nicht.

(Der französische „balai“ und der hebräische „gan“ ist meine persönliche Kombination. Das Wort „Balagan“ komme ursprünglich aus dem Russischen.)

… ohne Lippenstift, man weiss niiii!“ ermahnt mich meine kroatische Kollegin und hält mir ihr schickes Spiegelchen unter die Nase. „Du kannst niiii wissen wem begegnest du heute noch, vielleicht ein ehemalige Freund oder noch schliiimmer eine Freundin und sie wird dich fragen:´Bist du krank?´“
Zwar ist es in der Gasse schon finster und die Beleuchtung im Bus lässt auch die Geschminkten blass aussehen, aber ich krame trotzdem in meiner prallen Tasche nach dem Lippenstift. Man weiss wirklich nie …

Dorfkern Schneebesen Schneebesen2 Pflaumenbaum

Heute müssen wir uns den Weg zum Haus selber bahnen, aber Vater hat ja dazu die geeigneten Besen und Schaufeln hinterlassen. Sogar Kleinesmädchen stochert und kratzt mit dem roten Kinderschäufelchen eifrig im Schnee.
Wir haben uns gegen die Sperrmüllmulde für ein langsames Räumen der elterlichen Wohnung entschieden. Es ist unser letzter Winter im alten Haus.

Er habe sich mit der Eisbahn vor dem Bundeshaus einen Bubentraum erfüllt, gestand er letzten Dezember den Medien. Ja, klar, meinten die Meckerer, als Stadtpräsident könne man ein solches Träumli schon verwirklichen, obwohl es sicher noch wichtigere Geschäfte gäbe, als diese „Schlöfbahn“. Ausserdem werde das Eis als Leistungsausweis für eine Wiederwahl im Herbst nicht ausreichen. Zuerst teilte ich diese Bedenken, änderte aber dann nach „einem Augenschein vor Ort“ meine Meinung. Alt und Jung auf den Schlittschuhen vor dem Bundeshaus, alle mit zufriedenen Gesichtern, die Baracke für Tee, Kafi und Nussgipfel daneben voll besetzt und die Verleiherin von Schlittschuhen eifrig am Werk, das ist ein Leistungsausweis, den kein Präsident rund um die Welt aufweisen kann.
Ich wähle ihn wieder;-)
Die Bahn bleibt noch bis und mit Sonntag geöffnet.

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Gebrauchsdesign

Die elterliche Wohnung zu räumen ist schmerzlich, weil endgültig. Der „Nachlass“ kann aber auch überraschen und erheitern. So wie diese drei alten Einkaufskörbe der Migros. Sie sind nicht nur Familien-, sondern auch ein Teil schweizerischer Wirtschaftsgeschichte.
Zu einer der grössten Sünden, die man in meiner Kindheit auf dem Land begehen konnte, gehörte das Einkaufen bei der Migros. Das war in den Augen der Dörfler so verwerflich, wie der Besuch von Versammlungen des Evangelischen Brüdervereins. Meine Familie tat beides und hatte, als wir in den Fünfzigern in die Hügel des Langen Berges zogen, einen schweren Stand. Dem Brüderverein gingen wir schon vor vielen Jahren verloren, beim Orangen Riesen kaufen wir noch heute ein. Die beiden Onkel Hans und Werner arbeiteten nach dem Zweiten Weltkrieg als Verkaufswagenfahrer für die noch junge Genossenschaft. Das war in diesen Jahren ein abenteuerlicher Beruf, so richtig gemacht für wilde Burschen. Der Widerstand gegen die fahrenden Läden war gross und Hans und Werner erzählten uns Kindern, wie sie von Bauern mit Heugabeln und Sensen davon gejagt wurden, wie man ihnen den Standplatz verbarrikadierte und sie verspottete und beschimpfte.
Vater und Mutter blieben bis zu ihrem Tod Genossenschafter der Migros. Ihren Anteilschein von 10.- Franken können wir einsenden und es werden uns die 10 Franken zurück erstattet.

Die Körbe:
1. Kleiner Drahtkorb mit Leder überzogenem Henkel aus dem Jahr 1948. 2. Drahtkorb gespritzt in den Firmenfarben mit Kunststotff überzogenem Henkel, stapelbar, sechziger Jahre! 3. Plastikkorb, Verbindungshaken aus Draht, achziger Jahre. Heute

In diesem Jahr ist der Ausverkauf wesentlich einfacher geworden. Nicht, dass das Gschtungg aus Gassen und Geschäften verschwunden wäre – Gottbehütenein – aber immerhin lassen sich die Rabatte einfacher ausrechnen. 50% geht der Kundschaft besser vom Kopf als 30, 70, 15%. Es kann ja auch sein, dass man am liebsten dort einkauft, wo 50% nachgelassen werden, wie bei den gepolsterten BHs, den Weihnachtsservietten und den Eiernudeln im Sechserpack.
Also, mich störts nicht, stösst mich auch nicht in Depression, wenn die StadtbernerInnen beim Einkaufen heftig durchmischt werden mit denen aus Freiburg, Biel, Aarberg, Burgdorf, Neuchâtel, Thun und Trubschachen. (Solche, die gerne unter sich bleiben, gibt es hier in der Mutzenstadt halt auch).
Im Tram fällt sie mir schon auf, die weisshaarige Dame in rosa Mantel mit rosa Pelzkragen, ein zartes Wintervögelchen unter uns Krähen. Als ich in den 14er umsteige, setzt sie sich mit zwei prallgefüllten Platiktaschen neben mich. Sie fahre nur bis Lory, wolle ihren Hund bei der Tochter abholen und dann weiter nach Thun, wo sie seit der Pension ihres Mannes wohne, wohnen müsse. Ab und zu überkomme sie aber das Reissen, so richtig einzukaufen. Das könne sie nur in Bern, wo sie zwanzig Jahre gewohnt habe. Der Mann finde zwar, sie besitze mehr als genug, brauche eigentlich nichts mehr. Aber eben, den Männern könne man nie klar machen, dass Frauen immer etwas brauchen. Sie hat ihm eine Gulaschsuppe hinterlassen. Er muss nur den Herd anmachen. Sie traut ihm zu, neben dem Gulaschsuppenpfänni zu verhungern, weil er sich zu schade ist, den Schalter zu drehen. Er gehört halt noch zur alten Garde und bei dieser werden nur die Männer pensioniert.
Bei Lory schwingt die Heimwehbernerin ihre Taschen geübt vom Sitz, stöckelt auf Silberabsätzchen zur Tür. Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass sie neben den zwei Riesentaschen auch noch den Hund samt diversen Zugverspätungen Richtung Oberland managt.

Letztes Säcklein

Nach dem dritten Säcklein wusste Kleinesmädchen wies funktioniert und freute sich jeweils ungemein auf ihren Adventskalender, den sie von ihrer Tézja (Tante) bekommen hatte. Aufstehen, wickeln, frühstücken und danach rannte sie ab zum Kalender. War das Säcklein ausgewählt, setzte sich Kleinesmädchen immer in dieselbe Sofaecke, begann, das Schnürchen ab zu zerren und das Geschenklein heraus zu schütteln. Heute öffnete sie ihr letztes Säcklein. Morgen werden wir sie wohl mit ihren „hundert“ Weihnachtsgeschenken, die sie heute bekommt, ablenken müssen.
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Johanna und Jakob

Umgeben von der Familie und lieben Freunden hat nun auch Vater
heute diese Erde verlassen – in aller Frühe, wie er über
neunzig Jahre lang sein Tagwerk begonnen hatte.

Seit dem letzten Beitrag sehe ich mein Zuhause tatsächlich mit anderen kritischeren Augen.
Ich spaziere mit Kleinesmädchen am Rande des Quartiers vor dem historischen Bauerngut. Auf der Bank nahe der alten Eichen, unter welchen Napoleon vor 210 Jahren Rast gehalten hatte, sitzen zwei junge Männer und kiffen. Aus dem etwas ramponierten Herrenhaus tritt der Dichter, der das alte Gemäuer seit Jahren bewohnt. Wie immer schwarz gewandet, beugt er sich über die Buchsumrandung des Berner Lustgartens und – spuckt einen scharfen Strahl in die Beete.
Mir ist sofort klar: spucken kann er um vieles besser als schreiben. Seinem geschriebenen Wort fehlt der Speuz.
Kleinesmädchen kümmert das nicht. Es lacht, beinlet elephantenbeschuht den Hang hinunter und verliert dabei die gesammelten Eicheln in seinen Fäustchen.

Warum gibt es so viele Männer, die sich nicht genieren, den öffentlichen Raum mit Spucke zu bekleckern?

Woran erkennt man die hoffnungslos Dummen hier in Bern West? Daran, dass sie immer noch Hoffnung haben. Besonders dann, wenn sich ein hochkarätiges Team von Journalisten, Schriftstellern und Fotografen zusammentut, um eine Festschrift zum 50. Jahr Hochhausssiedlung zu gestalten, beginnt bei einigen noch nicht ganz toten Ureinwohnern dieses Fünkchen zu glühen.
Nachdem ich schon mehrmals auf das neue Buch angesprochen wurde, werfe ich mich im regen Abendverkauf auf das gelbe Ledersofa in der Buchhandlung und blättere durch. Eine völlig fremde Welt, die meine Heimat seit 35 Jahren sein soll, tut sich mir auf. Die Herausgeber hatten aus den vielen hundert Familien wirklich die exotischsten und vielköpfigsten ausgesucht. Bei mir kommt die Frage auf, ob die Menschen vielleicht bernwestmässigbunt arrangiert und speziell fürs Foto drapiert wurden. Meine hübsche Nachbarin, ohne sie würde hier die Quartierarbeit gar nichts laufen, steht z.B. melancholischen Blicks zwischen zwei Betonpfeilern, auf dem Bild völlig isoliert und aus ihrem Tätigkeitsfeld gerissen. Die Hauswarte treten als Pajasse und Anhängsel ihrer Putzutensilien auf, und klar darf der Muslim auf dem Gebetsteppich nicht fehlen. Für spiessige Wohnzimmer mit schönen Möbeln, Lampen, Bildern, Büchergestellen, Spielzeugen, Arbeitstischen wird kein Platz verschwendet, sonst könnte das Klischee Schaden …
Sicher werden mir einige Leute das Buch zu Weihnachten schenken, weils so gut zu mir passt und wie für mich gemacht. Dann lese ich auch die Texte der fast ausnahmslos ortsfremden Autoren.
Das Ansichtsexemplar klappe ich wieder zu und lege es zurück auf den Ausstellungstisch. Dann werfe ich den Schal um den Hals, hänge die Tasche um, schnappe meinen Einkauf (Stichsäge, Sparlampe, Saft). Beim Hinausgehen lacht mich der 5. Band „Die Katze des Rabbiners“ an. Da kann ich nicht widerstehen.

Es soll mir ja niemand sagen, ich sei wie die Leute aus New Bern, North Carolina. Die wurden von einem Schweizer fotografiert und hatten, bevor sie hier in Old Bern gefüttert, getränkt, getröstet, spazierengeführt und eines anderen belehrt wurden, keine Freude an den Bildern von ihrer Stadt.

Natürlich erfüllen wir Vater jeden Wunsch. Es Schlückli Wiisse oder Glüür, e murbi Bire mit gälbe Bäckli, es wysses Ggaffi oder, zu unserer Erheiterung, ein Ogi-Ei.
Vor mehr als zehn Jahren machte sich der damalige Bundesrat Adolf Ogi, Vorsteher des Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartements, Gedanken zum Strom sparen. Als praktischer Berner Oberländer aus bescheidenen Verhältnissen zeigte er den Hausfrauen, wie beim Eier kochen Energie gespart werden kann. Ehrlich gesagt, ich hielt das damals für einen Witz, besonders auch deshalb, weil BR Ogi gesagt haben soll, man könne nach seiner Methode mehrere Eier gleichzeitig kochen.
Item – Nun wollte Vater ein Ogi-Ei. Nach sechs Versuchen mussten wir feststellen, dass neben der Pflege eines Schwerkranken das Kochen von Ogi-Eiern unmöglich ist – sie brauchen zu viel Aufmerksamkeit!
Die beste Anleitung habe ich hier gefunden. Der Prophet hats ja im eigenen Vaterland oft schwer. Ausserhalb der Schweiz ist das Ogi-Ei nicht vergessen, und ich bin sicher, dass in zahlreichen hochherrschaftlichen Küchen rund um die Welt stromsparend Eier gekocht werden. Denn neben Kofi Annan und Madeleine Albright gab es unzählige politische Grössen, die nach einer Wanderung über die Chempen um Kandersteg ein geschwelltes Ei aus der Pfanne ihres urchigen Gastgebers zu schätzen wussten.

Es ist ihm zum Weinen nicht Recht, dass er gepflegt werden muss wie ein kleines Kind. Aber es ist schön, umgeben zu sein von „den Iigeten“, der eigenen Familie. Da versteht man ihn, weiss wovon er spricht, obwohl das Sprechen schwer fällt. Er erzählt der Pflegetochter von den Schmerzen und der Hilflosigkeit, die sein Pflegesohn Heinz erleiden musste und die er jetzt so gut verstehen kann.
Vater träumt sehr viel, taucht ab in andere Welten, wo Pferde übermütig im Schnee umhertoben, verfolgt von einem kleinen Jungen der einen Hütestock in der Hand hält. Die Leute wollen, dass der Bub rauskommt aus der Hofstatt. Aber Vater will ihn laufen lassen, den Pferden hinterher.
Auch der Habk, der Habicht, ist manchmal da und zieht seine Kreise.
Wahrscheinlich ist der Winter für Menschen, die ihr ganzes Leben lang eng mit der Natur verbunden waren, die passende Jahreszeit, um von ihr Abschied zu nehmen.

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Im vergangenen Mai standen eines Tages zwei Geranien (in Orlando-Rot) vor meinem Bürofenster im ersten Stock. Der Wirt vom Erdgeschoss teilte mir mit, das sei seine eiserne Reserve. Falls „die Chaoten“ mal durch die Lauben zögen und seine Pflanzen auf der Terrasse zerstörten, hätte er dann doch noch geranienmässig passenden Nachschub. Natürlich würde er die beiden auf der Ersatzbank regelmässig giessen, wenn ich nur den sicheren Platz …
Als Hasserin von privatem Grünzeug in Büros hätte ich nein sagen sollen.
Zuerst klappte es mit dem Giessen. Aber als ich nach den Sommerferien wieder zur Arbeit kam, waren die Geranien ledrig braun, staken trocken in ihren verzinkten Blechtöpfen und wurden, als ich sie auf ein Lebenszeichen untersuchte, gerade von einem jungen Chinesen fotografiert. Die altehrwürdige Sandsteinfassade, das vergoldete Fenstergeländer aus Schmiedeeisen und ich kamen auch drauf.
Die Chaoten blieben aus. Sogar diejenigen vom 6. Oktober liessen die Blumenkisten in Ruhe. Die einst siechende eiserne Reserve wird schon längst von mir regelmässig gegossen und von dürren Blättern und Blüten befreit.
Die Trockenzeit sieht man ihnen nicht mehr an und bei weiterer Zuwendung meinerseits werden die Geranien sowohl den Zibelemärit als auch die Weihnachtbeleuchtung in voller Frische erleben.

Knoepfe

Auf welchen Umwegen diese Knöpfe vor vielen Jahren in die „Nähtrucke“ meiner Mutter kamen, weiss ich nicht. Es ist gut möglich, dass sie aus dem Fachgeschäft in der Mollardgasse stammen, in welchem sich heute eine Schokoladenmanufaktur befindet, die solche Knöpfe aus feinster Schokolade herstellt.

Letzthin ist mir ein Blusenknopf auf die Strasse gefallen und durch das Absperrgitter zum Bauplatz gerollt. Eine Nachbarin mit Einkaufswagen bückte sich, suchte sich im Abfall am Strassenrand eine Plastikleiste und half mir, den Entronnenen durch die Maschen auf unsere Seite zu bugsieren.
Ausnahmsweise sah ich im Zusammenhang mit der verdreckten Strasse einmal das halb volle Glas.
Trotzdem habe ich gestern den Obersten der Stadtreinigung, Herrn Hummel angerufen, um ihm mitzuteilen, dass bei uns im Quartier schon seit drei Wochen die Strasse nicht gereinigt wurde. Herr Hummel war aufgebracht und sprach mir laut ins Ohr. Er wolle mit mir in fünf Minuten eine Ortsbesichtigung machen, denn es hätte keinen Sinn, wenn wir einander die Lampe füllten und nicht von derselben Strasse sprächen. Ausserdem seien die Reinigungsanstrengungen seiner- und seiner Mannen seits gesteigert worden. Das sei sein politischer Auftrag, das lärm- und schmutzgeplagte Quartier am Rande einer Grossbaustelle ganz besonders zu bedienen. Er wurde immer lauter und meinte, dass ich nicht verlangen könne, dass ein einsamer Zigarettenstummel irgendwo draussen in der Geröllhalde oder eine Handvoll Kastanien unter einem Baum vom Reinigungspersonal entdeckt und entsorgt werden.
Er bekomme jeden Tag hundert solche Anrufe!
Wir einigten uns darauf, dass jemand aus dem Quartier mit ihm eine Ortsbesichtigung und ihn auf die neuralgischen Stellen aufmerksam macht.
Am Abend, als ich nach Hause kam, war das Strässchen geputzt.
Danke, Herr Hummel, Sie wussten also die ganze Zeit, worüber ich sprach.

„Hüt isch nid Samichlousetag, gäu nid, nid Chlousetag?“ fragt der Mann aus dem Wohnheim die Frau auf dem Sitz ihm gegenüber.
„I möcht itz mit mire Fründin rede, bittee, u nid mit öich übere Samichlous“, weist ihn die Frau zurecht.
„Wei mer lieber über ds Spital rede?“
„Neeei!“
„De gani, u suech-n-i öpper, wo wott übere Samichlous rede.“
Der Mann steht auf und setzt sich auf einen anderen Platz.
„Dr Esu het Angscht vor em Hung. Dr Hung het Chraue, dr Esu nid.“
„Aber dr Samichlous“, meint einer der Fahrgäste.
„Dr Esu cha o biise, nid nume dr Hung.“
Weiterer Fahrgast: „Ja, är biisst dr Samichlous.“
„Dr Samichlous macht mer nüt mit dr Ruete, tuet mi nid houe.“
Dritter Fahrgast: „Aber är hout drmit dr Hung.“
Vierter Fahrgast: „U ou dr Esu.“ Und genervt zu dem Mann aus dem Wohnheim: „U di chrauet-er mit sine Chraue.“
„Aber hüt no nid,“ meint dieser zuversichtlich, „hüt isch no nid Samichlousetag.“

Blick zurueck

Seit einigen Wochen lebt Albert im Pflegeheim, nicht allzu weit weg von seinem früheren Zuhause. Einen weiteren Winter hätte der 92jährige allein im alten Bauernhaus nicht geschafft. Schon wegen der anstrengenden Heizerei. Ausserdem hatten die von ihm heiss geliebten und verwöhnten Katzen längst die Herrschaft über seinen bescheidenen Haushalt übernommen, frassen ihm Teller und Pfannen leer und hatten sogar gelernt, die Milch aus dem Beutel zu trinken, wenn ein Strohalm drin steckte.
Albert gehört schon seit Jahren zu den Samstags-Gästen meines Vaters. Nachdem ich ihm vor Jahren die alten Fotos geordnet hatte, schauen wir sie immer wieder zusammen an. Er sei froh, dass ich alles geordnet und angeschrieben hätte. Es wäre sonst sicher verloren gegangen, meint er. Albert nimmt seine Brille aus der Chuttebuese, um das Foto, welches man beim Abbruch seines Bienenhauses gefunden hatte, genau zu betrachten. Es zeigt seinen Onkel Fritz, die Grosseltern Christian und Maria und rechts aussen seine junge schöne Mutter in einer weissen Bluse vor dem Bauernhaus.
Zwei Bilder trägt Albert immer bei sich: eine Ansicht seines kleinen Dorfes aus den dreissiger Jahren und dasjenige einer Theatergruppe, aufgenommen vor dem „Bären“. In der vordersten Reihe sitzt Marie, die Frau seines Herzens.
Hätte er sie doch damals vor siebzig Jahren nur angesprochen, als sie auf einer Reise nach Goppenstein im gleichen Abteil sass. Seine Kameraden hatten ihn noch ermuntert, aber ihm sei das zu „stotzig“ gekommen und wieder habe er, wie eigentlich immer in seinem Leben, eine gute Gelegenheit verpasst.
Dass das Brillenglas zersprungen ist, stört ihn nicht, er hat das Gefühl, jetzt sogar besser zu sehen.

Ich gehe mit einer Tasche voller Blumenzwiebeln und einigen Schaufeln in den Kindergarten, stelle die Zwiebeln, die Werkzeuge und mich im „Kreisli“ vor.
„Bist du die Blumenfee?“ fragt mich ein Junge in Juve-Shirt. Wer sich alt, ungeliebt, nutzlos und/oder zu dick fühlt, sollte wirklich einmal ein Ämtli in einem Kindergarten übernehmen, denke ich. Trotz der eiskalten Bise wird es ein munteres Pflanzen rund ums neue Holzhaus. Bald wissen vierzig Kinder, was bei den Zwiebeln unten und oben ist, wie man die Schaufel hinstellt, damit sie nicht umfällt, wie das Pflanzloch mit Erde aufgefüllt und mit der Grasscholle zugedeckt wird. Anschliessend entstehen die prächtigsten Zeichnungen von bunten Blumen, so dass ich nur hoffen kann, die Mäuse finden im kommenden Winter etwas anderes zu fressen, als unsere 272 Blumenzwiebeln.
Nun haben nicht nur die Kinder, sondern auch die Krokus-, Schnee-, Märzen- und Aprilglockenzwiebeln einen neuen Ort zum weiter Wachsen gefunden.

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Ich frage eine Freundin, die eben eine Stelle in einem Bundesamt angetreten hat, wie ihr der neue Arbeitsplatz gefalle.
„Es ist der erste in meinem Leben mit Damentoiletten im Überfluss.“


(Karte: Judith Bärtschi)

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