Aus erster Hand


Ja, ihr Sohn, ihr eigener Sohn, hat ihr 1’800.—Fr. gestohlen, welche sie von der Bank geholt hatte gerade kurz bevor sie damit zum Einzahlen auf die Post wollte. Viel hat sie erwartet, vieles erlebt, aber das! Das hätte sie nie gedacht. Also sie redet nur noch das Nötigste mit ihm, er ist ja schon länger weg, in Grosshöchstetten. Und sein jüngerer Bruder, der redet auch nur noch das Nötigste mit ihm. Auch er, er hätte das nie von seinem Bruder gedacht, dass er dazu im Stande ist. Sie hat mit allen telefoniert, denen sie nun nichts einzahlen konnte. Also auch mit der swisscom, bevor die noch das Telefon abstellt, die wollen jetzt eine Lösung suchen und melden, ob sie noch Zeit gewähren können. Sie braucht dieses Geld zurück, aber sofort, sonst schlägt sie noch drein. Sie spürt sich schon nicht mehr und der Sohn hat ja einen Beistand, diese grosshöchstetter Schlampe! Zu der ist sie schon vorbeigegangen und was hat sie gesagt? Ja, sie werde ganz nett mit dem Sohn reden, sie müsse ja beide Seiten hören und passiert ist halt passiert. Diese himmeltraurige Kuh, diese…! Sie kann nicht mehr schlafen, ihr Portemonnaie ist leer, ja, schau nur, es ist nichts mehr drin, jetzt gibt es nichts mehr zu holen für den Sohn, der seine eigene Mutter beklaut. Sie wird ihr ganzen Leben lang, bis ans Ende, ja, bis dann wird sie immer 1’800.—Fr. im Verzug sein, wenn dieses Geld nicht zurückkommt. Das, das hätte sie nie von ihm gedacht, sie hat ja gewusst, dass er schwierig ist und an der Fasnacht hat sie ihn von Weitem gesehen, sein Arm war im Gips, der hat das Geld doch für eine Grossanschaffung gebraucht, das ist doch gar nicht mehr da. Aber das, das hätte er ihr nicht antun müssen.

[Ich hatte der Frau schon Anfang Monat Ess- und Alltagswaren ageboten – ich gebe nur Naturalien, kein Geld, alle im Block wissen das. Aber sie will nur reden.]

… „etwas Salziges“ ist jeweils schnell angekreuzt auf der Anmeldung zum Elternabend. Und dann? Uff.

Etwas Salziges

An ihrem 60. Geburtstag entschloss sich meine Nachbarin, den Vater ihrer vier Kinder zu heiraten. Die beiden, sie Schweizerin, er Marokkaner, liessen sich vor Jahren, als das vierte Kind unterwegs war, in der Schweiz zivil trauen.
Nun sollte die Ehe auch nach marokkanischem Recht geschlossen werden. Das Problem waren aber die drei ausserehelichen Kinder vor der Heirat nach schweizerischem Recht. Ein marokkanisches Gericht musste abklären, ob es sich hier wirklich um die leiblichen Nachkommen des Bräutigams handelte.
Zum Glück kannte der Kindsvater einen, der einen kannte, welcher der Freund des zuständigen Richters war. Es kostete ein paar feine Essen und das nötige Vaterschaftspapier konnte unterzeichnet werden. Die Trauungen im deutschsprachigen Raum finden in Düsseldorf statt. Das Brautpaar stellte sich also eine Stunde zu früh vor die marokkanische Botschaft, schaffte es, im Gedränge den 3. Platz zu halten und wurde ohne Zwischenfälle getraut.
Erst heute hat sich meine Nachbarin das marokkanische Familienbüchlein etwas genauer angesehen.
Darin gibt es Platz für vier Frauen und sechzehn Kinder!
„I ha eifach e Lachchrampf übercho,“ sagte sie mir.

In meinem Familienbüchlein, ausgestellt vom Zivilstandsamt Kanton Bern, ist Platz für zehn Standesänderungen (Tod, Scheidung, Heirat) und acht Kinder. Für weitere Kinder können auf dem Amt Zusatzblätter angefordert werden. Der einzige Unterschied zu Marokko: Die Formulare sind gratis. Die Beamten müssen nicht unbedingt zum Essen eingeladen werden.

Heute sprechen wir über Seuchen in vergangenen Zeiten.
Vater erinnert sich, wie er als Achtjähriger am Fenster stand und zuschaute, wie man mit zwei Pferden die toten Kühe den Graben hinunter zur Sammelstelle schleppte, wo die Kadaver zum Verbrennen abgeholt wurden. Es war der Maul- und Klauenseuchezug 1919-1924.
Als dann im Jahre 1938 die Seuche wieder ausbrach, traf es Wältis Gödu in der Buchen besonders hart. In seinem Stall standen 60-70 Stück der besten Jungtiere, Kühe, sie hatten zum ersten Mal gekalbt, bekamen hohes Fieber und starben innerhalb kürzester Zeit an einem Herzschlag. Gödu war ausser sich vor Verzweiflung. Er nahm ein grosses Messer zur Hand und hieb den toten Kühen den Kopf ab. Dann schleppte er die Kadaver mit einem Pferd aus dem Stall auf den Hausplatz und wartete darauf, dass man sie zum Verbrennen abholte.
Im „Neuhaus“, dem elterlichen Hof meines Vaters, hatte man grosses Gfehl (Glück). Das Vieh blieb von der Seuche verschont. Zusammen mit den Nachbarn Maurer Fridu und Kühni Wernu machte sich Vater auf, denen auf der Buchen zu helfen. Die jungen Männer, beraten vom „Kantönler“, (dem Kantonstierarzt), waren entschlossen, „durchzuseuchen“. Auf der Buchen sollte nicht mehr geschlachtet werden. Man fing an, die Kühe zu pflegen. Diese lagen auf dem Boden, die haarfreien Stellen ums Maul und an den Klauen voller hässlicher Blasen, Schrunden und klebrigem Schaum. Man salbte und badete, versuchte, die geschwächten fiebrigen Tiere zu tränken. Es dauerte bis zu sechs Wochen, bis diese anfingen, sich zu erholen. Natürlich erbrachten sie nie mehr die gleiche Leistung wie vor der Seuche. Es gab auch einige Kühe, die es nicht schafften, aber der Hof wurde vor dem grössten Unglück bewahrt.

In diesen schrecklichen Jahren 1938-1939 konnte sich auch die ärmste Familien eine Fleischmalzeit leisten, kostete doch das Kilo nur einen Batzen – 10 Rappen. So sah man die Arbeiter abends nach Hause gehen, ein Räf (Traggestell) auf dem Rücken, voll bepackt mit Rindfleisch und Knochen, so dass die Äste der Bäume die aufgetürmte Last streiften.

2006: Die Hüher sind (wieder) eingesperrt, es ist Jagdsaison für die Krähen, die Rehe sind abgeknallt, weil sich jemand über ihr Äsen in Hofnähe beschwerte. Nur die Katzen kümmern sich nicht um die gefrorene Erde und hocken auf der Lauer.

So sah die längenbergische Fauna heute Morgen folgendermassen aus:
9 Katzen
5 Saatkrähen
4 Pferde
1 Kuh in einem Transporter

Albatros
Grosser Vogel
Meere
über den Wellen
nur zur Balz an Land
nur 1 Ei
Junge 13°
278 Tage

Schlangen
Mamba ganz giftig
Afrikanische Baumschlange
Puffottern
Kobras
Albino-Kornnattern
Kreuzotter
Aspisviper

geschrieben von meiner Mutter auf die Rückseite eines Blattes mit Kirchenliedern. Als Kleinbäuerin in den Nebenhögern des Längenbergs kümmerte sie sich ein Leben lang um Schweine, Hühner, Katzen und Hunde.

Rehe an verschneiten Waldrändern sind selten geworden. Als ich ein Kind war, kamen sie in kalten Wintern oft bis an unser Haus heran und knabberten an der Rinde der Obstbäume. Wir beobachteten die scheuen Tiere durch die vereisten Fenster.
In den vergangenen Wochen suchten sich einige Rehe ihr kärgliches Futter an einem Wald- und Strassenrand auf dem Längenberg. Gestern fuhr ich wieder diese Strecke. Die Rehe waren verschwunden. Zwei Jäger hatten ihr Auto am Waldrand geparkt und zogen mit ihren Flinten in die Hügel. Wahrscheinlich gab es „Reklamationen aus der (landwirtschaftlichen) Bevölkerung“. Denn nur so kann ich mir erklären, dass sich die Weidmänner ausserhalb der Jagdsaison auf der Pirsch befanden.
(In dieser Gegend bewahrt man die alten Wolfsnetze in der Kirche auf!)

Hier noch eine Geschichte aus erster Hand:
Vor vielen Jahren nahm ein junger Bauer, dem es in den „Högern und Chrächen“ am Längenberg zu eng geworden war, neben Frau, Kind und Kuhglocken auch eine Katze mit über den grossen Teich. Der Existenzkampf in der Fremde auf einer Farm war hart, das jahrelange Sitzen auf einem mächtigen Traktor zerrte an den Kräften.
Dieser Sohn der Region braucht nun dringend einen Heimaturlaub. Die alte Katze lebt nicht mehr. Aber ihre Urenkelin soll zurück zu ihren längenbergischen Wurzeln reisen dürfen. So wird die Katze in einem Körbchen oben auf das Gepäck gestellt und in einem kanadischen Flughafen Richtung Schweiz verladen. Bei der Kontrolle des Gepäckraumes ist der Käfig leer. Wo ist das Tier? Nach langem Suchen findet man es zerquetscht zwischen den Gepäckstücken. Mit Verspätung kann das Flugzeug abfliegen, allerdings ohne die Heimaturlauber. Es gilt, den Kadaver zu entsorgen, die entsprechenden Formalitäten zu erledigen und einen neuen Flug zu buchen.

So wie ich gehört habe, ist die Zahl der auswanderungswilligen Katzen auf dem Berg sehr zurückgegangen.

Seitdem Frau V. neue Nachbarn bekommen hat, nehmen ihre Depressionen täglich zu. Von morgens bis abends hört sie nur das Bumbum der Kinder in der Wohnung über ihr. Sie dreht die Musik lauter und klingelt bei der Nachbarin, um endlich ein bisschen Ruhe zu bekommen. Bis jetzt hat das nichts gebracht. Im Gegenteil, die Angeschuldigte verwirft dann die eine Hand, an der zweiten ist ihr die Zigarette angewachsen. Extra nimmt sie dann noch andere Mütter mit Kindern in die Wohnung. Diese toben umher, besonders jetzt, wos draussen kalt ist und Sportferien sind, während die Weiber Kaffee trinken und über Frau V. schnöden. Frau V. weiss, dass „die italienische Bastardin“ Probleme mit ihrem Mann hat. Die „Sossial“ bezahlt alles. Auch die Einzimmerwohnung des ausgezogenen Ehemannes. Der ist aber heimlich wieder zur Familie zurück gekehrt und hat die Wohnung hinter dem Rücken der „Sossial“ an einen Freund vermietet. Frau V. denkt ans Umziehen, will aber das wärmere Wetter und den Schulbeginn noch abwarten.
Oder sollte sie doch besser den Hauswart bitten, einmal zu ihr zu kommen, damit er Zeuge des unerträglichen Lärms werde.
Aber eigentlich fühlt sich Frau V. nach dem „Gespräch“ mit mir wieder viel besser. Ihr Handy klingelt. Sie umarmt mich überschwänglich, küsst mich – *** – und eilt auf den Bus, während ich nach einem langen Arbeitstag einer ruhigen Wohnung zu strebe.

Seitdem die Leute unregelmässig arbeiten und ebenso schlafen, dürfe das Dreiklanghorn der Postautos nur noch in besonderen Fällen betätigt werden. In den neueren Wagen, die hauptsächlich in Stadtnähe eingesetzt werden, sei gar kein solches eingebaut.
Der Chauffeur des Kurses Köniz-Riggisberg empfiehlt mir deshalb, einmal die Bergstrecke auf den Gurnigel mit zu fahren. Da könne er dann das Horn in jeder Kurve erklingen lassen, übrigens nach Rossinis „Wilhelm Tell“. Gerade dieser Wagen besässe ein besonders schönes Horn. Allerdings habe es so seine Tücken. Es werde viel zu selten betätigt, die Membrane sei oft starken Temperaturschwankungen ausgesetzt und mehr als ein Gequitsche sei nicht heraus zu bekommen. Eine solche Hornerei, etwa vor Schulklassen oder Touristen, könne im schlimmsten Falle zu einem richtigen „Plämu“, zu einer Blamage für den Fahrer werden. Er verstehe ja nicht viel von Musik, sei nicht fähig, berühmte Kirchengeläute voneinander zu unterscheiden, aber so ein Posthorn müsse eben wohlklingen, wie das gute Geläute einer Kuhherde.
Wir fahren Richtung Oberbalm. Die Hühner scharren und flattern wieder im Freien, und vom Strassenrand, wo das Gras nicht Stein und Bein gefrieren kann, fliehen einige Rehe in langen Sprüngen dem Waldrand zu.

Zum 100. Geburtstag gratuliere ich dem Postauto Schweiz herzlich!

Im Januar werden in Bern zahlreiche betriebliche Weihnachtsessen nachgeholt. Wie schon im letzten Jahr, sitze ich eng placiert in einer italienischen Beiz, vor mir eine Pizza Vesuvo, die noch ein bisschen zu den Tischnachbarn hinüber lappt.
Das Gesprächsthema ist nicht der abwesende Direktor, nicht der Wal in der Themse, und auch nicht die heikle Lage in Kosovo nach Rugovas Tod.
Nein, es ist die Winterolympiade in Turin. Diese hatte ich völlig vergessen. Schnee sei keiner vorhanden, man müsse ihn täglich neu machen. Heute sei die Heizung in den Büros des olympischen Welcome-Centers ausgefallen, und es habe nur Notlicht gegeben. Die Bauarbeiten würden hauptsächlich von Malaien und Chinesen ausgeführt, denen ein ungesetzlich niedriger Lohn gezahlt werde. Der Kartenverkauf laufe, entgegen den Behauptungen in der Presse, hier nur harzig an. Die Italienerinnen und Italiener interessierten sich halt für nichts, das nicht mit Fussball (oder …) zu tun habe. Ausserdem könnten sich viele den Preis von 50 Euro für eine Eintrittskarte gar nicht leisten. Ein geschniegelter Maresciallo sei vorbei gekommen und habe dem Organisationskomitee in Italienisch einen Vortrag über Evakuierung gehalten. Übersetzungen zu den Sicherheitsmassnahmen fehlten zur Zeit. Dafür seien die Uniformen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fertig geworden: rot-beige mit passenden Wildlederschuhen. Bis zu Grösse 40 wurden diese im Süden und ab Grösse 41 im Norden der Stadt Turin angefertigt. Man müsse sparen und suche immer noch freiwillige Helferinnen und Helfer. Leider hätten diese oft keine Fremdsprachenkenntnisse, und es sei schwierig, sie in ihre Aufgaben einzuführen. Wenn man sich in der piemontesischen Nacht samt Windjacke unter die dünne Decke lege, beginne man zu zweifeln, dass aus dem Chaos noch etwas werde bis zum 10.02. Aber es sei bald Frühling dort unten und mit ihm werde sicher die olympische Stimmung einkehren. Die Mitarbeiterin aus dem Wallis lacht. Wären sie mit den Spielen zu uns gekommen. An Schnee mangelt es im Wallis nicht und für Stimmung hätte ein Profi Ogi schon gesorgt.

(E-Mail von einer Freundin, deren Grossmutter im 2. Weltkrieg Zeugin der Erschiessung ihres Ehemannes wie vieler ihrer Verwandten geworden war.)

Liebe 2nd, herzliches Beileid von mir und Kinder an dir und deine ganze Familie. Es war sicher hart diese Abschid von geliebten Mensch, aber du schreibst mir das sie wirklich ruhig war in letzte Tage und das ist sehr beruhigend. So ging es auch meine Grossmuter, keine Ruhe, immer die Angst und schlislich wurde sie ruhig und stirb in Gnade. Sie war auch sehr gläublich und obwohl sie hart hätte ganzes leben wie auch meine Grossi, so ist Leben auch im Leiden sehr erfühlt und ohne Leiden merken wir einfach das uns doch etwas trägt durch ganzes Leben. Es wird auch für unsere Kinder nicht einfach, aber hauptsache bleibt man Mensch und hat liebe für die Menschen, dann kommt alles zürick.

Es ist einfach wünderschön wie ihr euch gekummert hatt die ganze Jahren und deine Mutter, aber ihr alle auch, das ist ein zeichen der ware Liebe, obwohl es nicht immer einfach ist. So konnte sie mit deinem Grossvater schön lange in irgend einem Altersheim landen, wie auch die meisten . Obwohl ich sie nicht kenne, habe ich trotzdem Gefühl das ich sie doch kenne und werde gleich eine Kerze anzunden für ihre Seele das Sie in Frieden mit Gott ewig lebt und Sein Licht bald sehe.

Von ganzem Herzen deine T.

Neues Email „aus schwersten zeiten von einem optimisten mit lebenserfahrung

„liebe c. und die familie

es tut uns sehr leid, diese traurige nachricht zu bekommen, und nehme unser ehrliches mitgefuehl. leider koennen wir nicht gegen das schicksal kaempfen, und alles ist oben schon vorgeschrieben. wir wissen was das bedeutet, weil die eltern von eva, meiner frau, sind hier in israel verstorben. leider gibt es nicht genug woerter um dich und deine familie zu troesten, und wir hoffen, dass das leben dir sein freundliches gesicht zeigen wird, und am ende alles von sich selbst in ordnung schaffen wird.
unsere lage werde ich in eine anderes brief erzaehlen.
zuerst musst du diesen schicksalsschlag ueberwinden . „kommt zeit kommt rat „.
meine frau schickt dir und deiner lieben familie ihre condulirung.
sei stark, das leben muss weiter gehen.

alles gute ,
und sollen wir nur gute sachen erleben

chaim, eva, anat“

Chaim hat mir die Erlaubnis gegeben, das Mail mit Namen zu veröffentlichen.

Spitzbuben Johannisbeer

Spitzbuben Quitte

Der Puderzucker schneit erst unmittelbar vor dem Verzehr darüber. Wer in Bethlehems Nähe ist, darf klingeln und probieren. Wir wünschen allen ein schönes Weihnachtsfest, mit viel Bescherung und wenig Streitereien.

Mailänderli auf dem Tisch
Mailänderli auf dem Balkon
Mailänderli auf dem Balkonstuhl

Während der edle Ausspruch dieses Jahr bei Familie Blogk nicht oft gestimmt hat, so stimmt er aber jetzt. 1st hat eine Stelle gefunden und zwar die, die sie haben wollte.

Sie schrieb SMS an alle, Familie und Freunde:

Liebe Daumendrücker/innen! Habe die Stelle [im gleichen Unternehmen] erhalten und Frau Personalchefin hat mich in eine höhere Lohnklasse versetzt.

Und Mail an mich:

Liebe Tochter

Ich habe den Vertrag erhalten, und man ist im Haus sehr erstaunt, dass es so fix ging! An der heutigen Sitzung stand mein Name powerpointed an der Wand. Alle gratulierten mir, einige küssten und umarmten mich – erstaunlich. Inzwischen haben auch andere bei Frau X. [frühere Chefin] den Austritt gegeben, wenigstens intern weiss man das zu berichten. Ich bin noch ein bisschen verwirrt.

Habe deinem Sohn vorgeschlagen, morgen für den Sternmarsch die neunen langen Unterhosen und die braven Schuhe zu sezten. Natürlich nur einer der Vorschläge, wie du sie ihm, so sagt er, auch ab und zu machst.

Ima

Sie sei vorgestern Abend zusammengebrochen, erzählt mir mein Vater am Telefon, als ich mich nach Mutter erkundige. Mutter mag nichts mehr essen, auch kaum mehr trinken. Vater, der im 95sten geht, hat weder die Nachbarn alarmiert, noch den roten Alarmknopf auf seiner Spezialuhr gedrückt. Um seine Frau nicht zu verletzen, schlang er ihr ein weiches Tuch um die Brust und richtete sie damit nach und nach auf, ihr immer Zeit lassend, sich in jeder Stellung zu erholen, eben „süüferli“, sanft, wie er mir erklärte. So konnte er sie ganz allein zu Bett bringen.
Vater hält jeden Tag das über hundert Jahre alte Holzhaus warm, damit Mutter nicht friert, denn sie mag keine Strümpfe mehr anziehen und Jacken schon gar nicht. Heute hat Vater Blut- und Leberwürste mit Rotkraut gekocht, auch süüferli, wies Kraut und Wurst gern haben. Wer weiss, vielleicht mag Müeti auch ein bisschen davon „meisele“ (sehr wenig essen, wie eine Meise)?
Sonst versuche er es zum Zvieri noch einmal.

Heute Morgen im überfüllten Bus:
Mann mit Baskenmütze: „Wie gehts deiner Ex-Ex-Ex?“
Mann mit Cowboyhut: „Zum Glück höre ich nichts von ihr.“
Baskenmütze: „Hast du nun wenigstens deine Sachen bekommen?“
Cowboyhut: „Am 31. Januar wird alles auseinander gefädelt, das dauert halt.“
Baske: „Ja, Zeit zum Sterben hätte man bis dahin.“
Cowboy: „Recht hastdu.“
Baske: „Und die Aquarien, hast die noch?“
Cowboy: „Nur noch eines, das andere hat sie mitgenommen, die Täsche.“
Baske: „Ist so eine überhaupt fähig, zu den Tierli zu schauen?“
Coboy: „Sie hat das Aquarium mit den Dummen mitgenommen.“

Frau K. fragt immer, ob noch frei sei, wenn sie sich im Bus neben jemanden setzt. Besonders auf der Line 14 hat sie schon die Erfahrung gemacht, dass Leute meinen, sie könnten zwei Plätze belegen. In Berns Westen gäbe es nicht wenige, die sogar glaubten, ein Anrecht auf einen Stammplatz zu haben.
Frau K. streckt Beine und beide Krücken zufrieden von sich und fängt gleich an, mir die Leidensgeschichte mit ihren Knien zu erzählen. Die erste Operation durch eine Chirurgin war „ein fertiger Pfusch“. Zum Glück hörte sie dann von einem Mechaniker, der Chirurg geworden war und nun die besten Kniegelenke weit und breit einsetzt.
Dr. W. brachte die Pfuscharbeit seiner Kollegin wieder prima in Ordnung. Frau K. liess vertrauensvoll auch das zweite Knie operieren Der doppelte Erfolg überzeugte ihren Gatten. Auch Herr K. „holte sich bei Dr. W. ein neues Knie“.
Diese Knie-Operationen verbindet das Ehepaar in ihrer Beziehung. Auf keinen Fall wollen sie es machen wie der Bruder von Herrn K., der mit 73 Jahren von seiner Frau verlassen wurde, nachdem er ihr die Autofahrstunden bezahlt und ein Auto gekauft hatte.

Das Dingdong der Klingel weckt sie um 02:14 aus einem leichten Schlaf. Jemand unten an der Haustür? Etwas Schlimmes passiert? „Hallo“ – keine Antwort. Der Lift hängt ruhig in seinen Seilen. Um 2:25 schnurrt die Klingel an ihrer Wohnungstür im 13. Stock. Sie schaut durch den Türspion, der ja nicht das neueste Modell ist und öffnet die Tür, welche sie für die Nacht abzuschliessen vergass. Draussen steht ein Mann mit einer umwerfenden Alkoholfahne. Er ist daran, seine angelaufenen Brillengläser zu putzen. Die Tasche sei ihm eben von einem Herrn an einer der unteren Türen abgenommen worden. „Da läuten Sie am besten beim Hauswart“, meint sie und macht die Tür wieder zu. Auf dem Weg ins Bett hört sie aus den Tiefen des Treppenhauses ein etwas verzweifeltes „Wo ist denn dieser Hauswart?“
Klar, der weiss das auch nüchtern nicht, der ist nicht von hier, denkt sie, schläft wieder ein und träumt, ihre Zehen seien mit rotem Klebeband eingebunden …

Frau T. serviert seit ihrem 18. Lebensjahr. Das sei ihre Welt, aber nach fast dreissig Jahren will ihr Rücken nicht mehr, schwere Getränkekisten, beladene Tabletts – unmöglich. Die Verhandlung mit der Invalidenversicherung zieht sich hin. Ab und zu ruft sie dort an, obwohl die zuständige Beamtin alles andere als freundlich ist. Frau T. leidet unter Atemnot, hat Magenprobleme, seitdem sie zusammen mit ihrer Tochter von knapp 2000 Franken im Monat leben muss.
Es war ein Glücksfall, dass sie im Quartiercafé eine Stelle bekam. Als Fachfrau wurden ihr 43 Stunden à 10 Franken fürs Einarbeiten berechnet. „Wo ist da die Gerechtigkeit?“ fragt sie sich. In ihrem Leben hat sie doch schon ganz andere Läden geschmissen als dieses Café. Aber eben, in ihrer Situation musste sie noch dankbar sein, dass sie überhaupt etwas bekam. Trotz allem versucht Frau T. freundlich zu sein. Freundlichkeit ist im Service beinahe alles.
Die Kasse stimmt immer. Nur gestern fiel ihr ein Fünfzigrappenstück unter die Theke. Sie konnte es einfach nicht mehr finden.
„Da kam“, erzählt sie mir strahlend, „euer Töchteli, nahm fünfzig Rappen aus dem Geldbeutel und gab sie mir. Ich wollte das Geld nicht nehmen, aber ds Töchteli liess es einfach liegen.“

Esthers Beitrag hat mich an eine Begebenheit hier im Blogk erinnert. Ich war mir sicher, die längst gebloggt zu haben, das scheint aber nicht der Fall zu sein.

Also, aus erster Hand, wenn auch nicht mehr ganz 1:1.

Mazedonische Mutter: Mein Sohn heiratet! Er braucht Wohnung, gibst du Referenzen?
Ich: Wen heiratet er denn? Kenne ich sie?
MM: Nein, sie ist Mazedonierin. Sehr schöne Frau.
Ich: Aber dein Sohn B. ist doch Schweizer! Er ist hier geboren. Warum heiratet er eine Frau aus Mazedonien, die er nicht kennt?
MM: Doch, er kennt sie bizeli. Sie ist von Thurgau. Auch Schweiz geboren.
Ich: Aha, dann halt. Ja, B. kann mich wieder als Referenz angeben (wie bei der Einbürgerung).
MM: Nein nicht schreiben, du musst anrufen zu Verwaltung.
Ich: Hä? Weshalb? Die rufen mich an.
MM: Wir brauchen Wohnung hier, diese Eingang.
Ich: Das geht nicht, man macht es seit einer Weile nicht mehr. Ich kann auch nicht unter oder über meiner Mutter einziehen.
MM: Aber es muss sein und diese Frau von Verwaltung hat versprochen. Aber passiert nichts!
Ich: Sie hat es versprochen, weil sie kein Theater will, aber B. wird keine Wohnung in diesem Hauseingang bekommen. Höchstens in diesem Block.
MM: Aber Braut wird Monate bei mir alles lernen.
Ich: Das kann sie auch, wenn sie fünf Hauseingänge laufen muss dafür.
MM: Nein! Sie wird in goldenen Kleidern sein und mit Hochzeit-Schminke.
Ich: Dann geht sie halt so, es sind ja nur wenige Schritte.
MM: Sie werden sie lachen!
Ich: Das ist schon möglich. Viele, die sehr traditionell leben, werden ausgelacht. Ich muss auch lachen über meinen Onkel in Kanada, der Fahnen schwingt. Es ändert nichts daran, dass sie ihre Wohnung nicht in eurem Eingang bekommen werden.
MM: Die Frau Verwaltung tut lügen!
Ich: Ja, stimmt.
MM: Und du hilfst mit!
Ich: Nein, ich finde es falsch, dass die euch anlügt. Aber ich finde es richtig, dass nicht Familien hier die Regeln machen, sondern die Verwaltung. Ich bin sicher, deine Schwiegertochter findet eine Möglichkeit, diese hundert Meter zu gehen.
MM: Ich verstehe es nicht. Ihr kennt nicht, was wert ist.

***

Nachtrag: Inzwischen ist die Schwiegertochter da, geht mit Tellern und Töpfen hin und her. Das bedeutet zweimal zwei Stockwerke Lift und achzig Schritte zu gehen. Sie tut es ohne Goldkleider, aber mit glänzendem Haar und immer vorzüglich geschminkt. Sie lernt das Kochen ganz schnell, erzählt die Mazedonische Mutter mir. Denn wenn ein Kind da ist, dann kann sie diese Pendlerei nicht mehr machen. Dann muss sie wirklich einfach in der Wohnung bleiben können. Meine Frage, wie sie das aushalte, als hier aufgewachsene, erwachsene Frau mit Schweizer Pass, beantwortet mir niemand mehr.

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