Alles oder nichts


Mit Bleistift

Heute habe ich Bleistifte im Überfluss.
Das war nicht immer so. Bevor ich in die Schule kam, durfte ich ab und zu mit dem Zimmermannsbleistift meines Vaters etwas auf ein Stück Holz oder Packpapier zeichnen. Bunt- und Bleistifte sah ich am ersten Schultag, als uns Fräulein Schneider eine rote Caran d’Ache-Schachtel mit dem kostbaren Inhalt verteilte. (Ich erinnere mich nicht, dass eines der zahlreichen Nachbarskinder schon im Vorschulalter eine Farbschachtel besessen hätte.)
Die Freude daran währte allerdings nicht lange. Mein kleiner Bruder kaute die bunten Stifte von oben her alle ab. Mutter versuchte – wie immer – die Katastrophe in den Griff zu bekommen, schnitt mit einem scharfen Messer das zerbissene Stück weg. Zurück blieben mickrige Stumpen, die ich in ein Blechröhrchen als Verlängerung stecken musste, damit ich noch zeichnen konnte.

Täglich gibt es etwas zu notieren. Es ist einfach ein Vergnügen, mit einem sauber gespitzten Stift auf ein weisses Blatt zu schreiben – kreuz und quer, wenn’s sein muss. Was ich aufschreibe?
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Hausberg mit Wolken

(Samstagmorgen aus meinem Fenster: Gurten und Ulmizberg unter Wolken, 09:26)

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Hüt am Morge früeh het’s bi mir i dr Chuchi nach Louch, Chnoblech u Tomate gschmöckt, wil i e Sosse ha über gha. Wahrschiinlech het mi dä Gruch vo Chrütter u das süüferlige Chöcherle nach so langer Zyt a d’Dworah erinneret. Nid d’Dworah mit de rote Haar, nei, die angeri us Russland, wo eigentlech gäng am Choche isch gsi. Tagsüber isch si i dr Schuelchuchi am Herd gstange u ab de Viere am Namittag het si deheime öppis bröselet: Toscht, herti Eier, es Schnitzeli vom Truthahn, u o dr Chueche (Ugah) u d Chrömi (Ugioth) hei nie dörfe fähle. Am beschte isch ihri Suppe gsi, heiss, würzig, mit hällgälbe Hüehnerfettouge. Uf em grosse Herd i dr Schuelchuchi het’s gäng e Suppe imene Pfänni gha, wo vor sech häre bblöderlet het. Dr Aasturm uf die „hindl zup“ het sech i Gränze ghalte u o ig ha mi zersch müesse a die Hüehnerfüess, wo so suber mit gälblech glänzige Chlaue drinn si gschwumme, müesse gwane.
D’Quarkchüeche vo dr Dworah si eifach e Troum gsy, mit Vanille u Wiibeeri. D’Schüelrinne u d’Schüeler hei chum möge warte, bis die riisige Bläch us em Ofe si cho u hei sech de üf das Dessär gstürzt.
D’Dworah isch bi de Lüt nid unbedingt beliebt gsy. Si isch ungloublech gwungerig gsy u het sech i alles igmischt. Das wär ja no gange. Das hei angeri o gmacht. Ufgregt hei sech vil Lüt, dass si jede Tag Anke, Frücht, Eier, Fleisch u Rollmöps us dr Gmeinschaftschuchi * hei treit het, o we d’Schäft scho voll si gsy vo Ässware. Mängisch het si ihrer Nachbare gfragt, göb si öppis i ihre Chüehlschrank dörf stelle, will si bi sich ke Platz me het gha.
„Dr Chrieg u z’Lager si verby! We das die Frou doch ändlech würd begriiffe. Si cha doch drü Mal im Tag mit ihrem Ma im Spyssaal ässe,“ hei sech d’Dorfbewohner gnärvet.
I gseh die Frou vor mir, e Babuschka mit Schöibe u Chopftuech. Hie zupft oder schnit si öppis ab, packt e Bitz vo öppisem i ne Serviette, leit öppis i nes Tällerli, stosst es paar Orangsche i d’Jaggetäsche. Ihrer Backe si rund, will si grad öppis us Platzmangu dert het müesse deponiere.

( * Gemeinschaftsküche im Kibbuz)

Wolkengesicht

(Bild 2: Wolkengesicht, 15:02)

Wenn Ende November die Blumenzwiebeln zum halben Preis verkauft werden, werde ich schwach. Mag es draussen frieren, regnen, stürmen, hageln, sicher verlasse ich den Laden nicht ohne ein paar dieser porösen Täschchen mit dem meist unansehnlichen, knolligen Inhalt.
Gestern, es war kalt und sehr nass, kaufte ich beim Orangen Riesen zwei Packungen Zwiebeln von schneeweissen Aprilglocken (20 Stück für Fr. 4.90). Nachdem ich an der Kasse meinen Wochenendeinkauf bezahlt hatte, kam die Verkäuferin vom Blumenstand zu mir und schenkte mir noch eine Packung. Es sei die letzte und sie wolle diese heute nicht mehr hämpfele (in die Hand nehmen).
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Gratis

(Blick von meinem Balkon nach Westen, 21.11.2017, 17:24)

Noch hätte ich mein „cadeau d’une valeur de Fr. 49.-, Père Noël musical et Anima, pas encore réclamé, teilt mir M. Chaumont, Directeur de la Clientèle eines Versandhauses für Textiles mit. Auch weitere Gratisgeschenke, wie die weiche Kuscheldecke mit Ärmeln, die edel bedruckte Haube für warme Pellkartoffeln, den singenden Nussknacker, die LED-Echtwachskerzen und die hitzeunempfinlichen Silikonhandschuhe, nicht zu vergessen der versilberte Henkel, mit welchem im Restaurant die Handtasche am Tisch befestigt wird, habe ich noch nicht reclamé. (Dabei wurde mir doch mitgeteilt, dass es die Gratisgeschenke nur gibt, solange der Vorrat reicht).

Mein Telefon klingelt – eine vielstellige Nummer. Ich mache mich bereit für einen gemütlichen Schwatz mit meiner Freundin, welche die Wintermonate in einem 3000 km entfernten Dorf in Nordafrika verbringt.
Eigentlich wäre es an der Zeit, dass die Königin von Arokko ihre langen, roten Haare altershalber endlich hochstecken würde, ömel bei so etwas, wie der Übergabe einer Medaille an einen Krebsforscher, meint meine Nachbarin. Der junge Kronprinz sei zu bedauern. Stundenlang müsse er bei den unterschiedlichsten Zeremonien bewegungslos neben seinem Vater ausharren. Das sei doch kein Leben für ein Kind.
Nicht, dass mich diese Royals besonders interessierten, aber Frau Nachbarin erzählt so mitfühlend und interessant. Da können Gala und Glückspost und die ganze Regenbogenpresse einpacken.
Es knackt seltsam in der Leitung. (Sagt man noch „Leitung“ bei dieser Whatsapp-Telefonie, die mir vorkommt wie ein Schlund, der unser Gespräch einsaugt, um es blubbernd und zischend zu verdauen und irgendwo wieder raus zu würgen?)
Meine Freundin macht sich abhörtechnisch keine Sorgen. Sie ist froh, dass auch die arokkanischen Telefonkabinen abgeschafft werden und sie nun viel bequemer und, wenigstens auf den ersten Blick, gratis in die Schweiz telefonieren kann.
Also sprechen wir noch ein bisschen weiter über Königs. Gestern habe der Monarch die Gläubigen dazu aufgerufen, beim Freitagsgebet um den langersehnten, bitternötigen Regen zu bitten. „Warum gerade jetzt den Allmächtigen damit behelligen?“ fragt sich meine ferne Gesprächspartnerin, „an Wasser mangelt es dem Land doch seit Jahren.“ Der Himmel sei grau bewölkt und bei solchem Wetter erhöre Allah logischerweise solche Gebete äbe viel schneller, spöttelt sie.
(Knackediknack an meinem Ohr).

Ärgerlich sei, dass es mit dem Wasser in ihrem Haus im Dorf immer noch nicht klappe. Wohl tröpfle es morgens ein bisschen aus dem Hahn, aber das sei dann schon alles. Man könne froh sein, keinen Durchfall zu haben. Man müsse sich damit abfinden, dass hier im Land nichts auf Anhieb und meist überhaupt nicht klappe. Das Einzige, welches zuverlässig in Stand gehalten werde, seien die Moscheen. Scharen von Freiwilligen, spenden, schrubben, wischen, bewachen, flicken unermüdlich.

(Knack-knack, knaack).

Am anderen Ende der Leitung ruft der Mann meiner Freundin zum Essen. Er hat ein Tajine parat – Adieu. (Knack)

Draussen beginnt es zu nieseln.
Hat irgendein Beauftragter des Allmächtigen die falsche Regentaste gedrückt?
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Schnee ist angesagt

Jedes zweite Jahr im Oktober werden in der Stadt Bern die schönsten Grabmäler prämiert.
Die Gräber meiner Eltern im Dorf würden nie einen Preis bekommen. Dafür sind sie zu un-ordentlich. Auf ihnen wuchern Minze, Thymian, Bohnenkraut, Rosmarin und Lavendel. Kaum hat man die Büschel etwas in Form gebracht, schiessen sie wieder respektlos ins Kraut. Ein Gutes hat dieser Wildwuchs auf kleinstem Raum: Er wird von unzähligen Bienen besucht.
Nun ist es wieder höchste Zeit für die Winterabdeckung, denn zu den Allerletzten, die abräumen, sollte man nicht gehören. In der nahen Baumschule kaufe ich frische Weisstannäste – Chrisescht.
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für einen nasskalten Regentag:

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Herstnachmittag

Rosalina toupiert ein wenig an Frau Binz‘ Hinterkopf, kämmt die Deckhaare luftig darüber – fertig. Frau Binz ist 91, wohnt noch „selbständig“. Um acht Uhr früh kommt sie im Coiffeursalon vorbei, setzt sich ein „Momäntli“ hin zum Plaudern und trippelt dann mit frischer Frisur zufrieden zum Lebensmittelladen. Ich glaube, sie muss für diese tägliche Verschönerung nichts bezahlen.
Rosalina hängt eine leuchtend rote Sternlampe ins Schaufenster, stellt ein verschnörkeltes Tischchen mit Pflegeprodukten darunter. Für Geschäfte höchste Zeit, weihnächtlich zu dekorieren. Lebkuchen gäbe es ja schon seit August.
Heute wäscht mir Nina die Haare – zum letzten Mal, denn Ende Jahr geht sie in Pension. (Das Geschäft weiss sie bei ihrer Cousine Rosalina in guten Händen.)
Nina schneidet mir seit vielen Jahren die Haare. Nach kurzer Versuchsphase fand ich zusammen mit ihr meine Frisur: asymmetrisch, Scheitel rechts und Haare kurz über dem Ohr, links von hinten Mitte schräg nach vorne länger, hinten in die Spitze – Hauptsache: immer gleich. Etwas Schaum, dann trocknen mit Fön und Bürste – fertig.
Für die Regenbogenpresse hat es auch heute nicht gereicht, so bleibt das Familiengeheimnis der von und zu Guttenbergs für mich Geheimnis.
Es gibt einfach Sachen, die müssten sich für mich nie ändern, wie u.a. die Frisur, meine schwarzen T-Shirts oder meine Coiffeuse.
Ich werde Nina und die Erzählungen aus ihrem Dorf in der Nähe von Neapel vermissen. Dort ist es heute sonnig und 20° warm …

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… das Laub vom Baum
und gibt es den Winden zu eigen.
Die führen es fort im weiten Raum,
weit fort von den trauernden Zweigen.

Die stehen jetzt da mit kahlem Haupt:
Wer hat uns beraubt, wer hat uns entlaubt?
Wo sind die Blätter, die lieben, geblieben?

Doch die, vom wirbelnden Winde getrieben,
haben längst vergessen, wo sie gesessen.

(Rudolf Löwenstein, 1819-1891)

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Herbstmorgen

(Blick aus dem Schlafzimmerfenster 05.10.17, 09:43)

(Hängen gebliebener WMDEDGT? – und Vollmond-Beitrag):

Ich wälzte mich auf Finis Couch hin und her und versuche in den „Alles-wird-gut“-Modus zu schalten, aber es funktioniert nicht. Ich liege lange wach, und als ich endlich eingeschlafen bin, träume ich von zweitausend enthaupteten Nerzen….

Das bin natürlich nicht ich, sondern Torti, frühere Umweltaktivistin und Ich-Erzählerin in „Das wissen wir schon“.
Heute stehe ich spät auf und will einmal fast nichts tun, nehme ich mir vor.
Eigentlich ist das für mich nur eine Art Entschuldigung, weil ich sowieso nichts tun mag. Seitdem die Kleinkrähen ausgeflogen sind, bin ich schlapp und antriebslos. Endlich hätte ich nun viel Zeit, wie die meisten Rentnerinnen und Rentner, die ich kenne, aber ich nutze sie nur schlecht. Schaue mittelmässige, alte Filme, lese ein bisschen, putze ein Fenster, bügle meine Shirts, koche Sugo –
und warte auf eine Nachricht aus diesem kleinen Nest im kosovarischen, gebirgigen Hinterland, wo meine Enkelkinder ihre Verwandten besuchen.

Nach dem ordnenden Rundgang durch die Wohnung lege ich mich auf mein frisch ganz in Grün bezogenes Bett in die Sonne und stelle mir vor, es wäre die grüne Wiese …
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Kein Klingeln an der Tür, weder Comics noch Bücher auf dem Sofa, keine Legos, Schulhefte, Turnsachen, Schuhe, Jacken, Fussbälle auf und unter Tischen und Bänken, keine Roller, Fahrräder oder Kinderwagen vor der Wohnungstür, Kissen, Teppiche und Decken faltenlos, niemand, der hungrig zum Zvieri kommt – sie sind ausgeflogen, die Kleinkrähen in die Herbstferien mit ihren Eltern.

Das sei doch gut, meinen meine Bekannten, da könne ich mich so richtig erholen. Ganz unrecht haben sie nicht, obwohl dieses „Zeit haben“ etwas geübt werden muss. Ich ärgere mich z.B. über die lange Wartezeit auf der Post. Alle Schalter sind zäh besetzt. Eine Tochter zeigt ihrer Mutter, wie sie Geld abheben kann, aber zuerst muss der Zettel mit dem Sicherheitscode in der Handtasche gefunden werden. Eine Familie will Geld nach Ghana schicken. Es scheint ein Ausweis zu fehlen. Jemand lässt sich die neuen Briefmarken zeigen, ist auf der Suche nach „etwas Besonderem“.
Ich habe Nr. 404 gezogen. Jetzt ist 392 dran.
Heute habe ich doch Zeit zum Warten!
Nachdem ich alle Titel der Bücher im Gestell gelesen und ein Rätselheft für meine Nachbarin ausgesucht habe, blinkt endlich meine Nummer auf.
Im Laden neben der Post kaufe ich 2 Bauernbrote und 1 Ragusa.
„Macht 10.05. Haben Sie 5 Rappen?“
„Nein, leider nicht. Wer hat heute noch 5 Rappen? Ich gebe Ihnen 10, dann habe ich 5 fürs nächste Mal.“
Als ich meine Brote einpacke, spricht mich ein älterer Mann an: „Sie haben keine Fünfräppler? Hier nehmen Sie ein paar von mir.“ Er schenkt mir eine Handvoll Fünfer.
Das Rätselheft und ein Brot bringe ich meiner Nachbarin.
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Ball 3

Im Gebäckkasten liegen noch zwei Donuts mit weisser Schokoladenglasur und rosa Zuckerperlen. Draussen auf der Terrasse werden Tische und Stühle zusammengeklappt. Die Sonnenschirme sind abgebaut. Ich bestelle im Restaurant die letzte Tasse Milchkaffee der Saison. In einem Glas sind kleine Mustertuben Sonnenmilch einer teuren Marke aufgestellt. Ich solle doch zwei nehmen, meint die freundliche Frau an der Kafeemaschine, schliesslich brauche man ja auch im Winter einen Sonnenschutz. Sich ein bisschen Sonne im Stadt-Winter vorzustellen ist schön.
Das Wasser ist 16° warm, was ich nach der kühlen Nacht nicht erwartet hätte. Noch einmal stelle ich mich unter die Dusche und tauche dann ein in den geliebten Badeweiher, in welchem ausser mir niemand mehr schwimmt. Eigentlich bin ich schon beim Anbaden immer ein bisschen wehmütig, wenn ich an das Ende des Sommers denke.
Auch in diesem Jahr fehlten einige Alteingesessene. Der Mann mit der Beinprothese komme nicht mehr, berichteten seine Kollegen bereits im Mai. Seitdem er im Seniorenheim wohne, gehe es ihm nicht mehr so gut – psychisch. Er sehe sein „Vermögeli“ halt rapid schmelzen und das sei schwer für ihn. Käthi und Walter haben die Umkleidekabine an ihre Tochter weiter gegeben. Sie sind in eine Alterswohnung mit Lift gezogen. Sommer für Sommer sassen sie mit dicken Büchern auf der Terasse des Schimmbades.
Obwohl einem die Alten fehlen, Nachwuchs ist zahlreich vorhanden – GsD.
Auch heute suche ich, wie jedes Jahr, nach einem Sujet zu meinem letzten Badetag. Ja, ich dürfe ihn fotografieren, sagt mein Enkel, der den freien Platz ums Bassin geniesst, aber der Ball müsse auf den Bildern immer in der Luft sein.
Also:
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Es dämmerte bereits und nieselte nur noch, als sie das Haus erreichte. Das Wasser des Sees schlug gegen das Ufer, und die Nachtigallen sangen ihr letztes Lied. Die Grasmücken und die Rohrsänger waren schon aufgewacht, und in der Ferne wieherte ein Pferd. Damals wusste sie es nicht, aber diese Gräusche würden sie ein Leben lang begleiten. Jenseits von diesem Ort und dieser Zeit würden sie in ihre Träume und Albträume eindringen und sie an das erinnern, was sie getan hatte…

Das bin natürlich nicht ich, sondern Alice Edevane aus dem „Seehaus“.

Ich stehe erst gegen acht Uhr auf. (Um 03:04 Uhr hat mein Telefon geklingelt, o Schreck!! Ein Anruf aus Tonga. Ich habe nicht abgehoben.)
Das Wetter weiss noch nicht so recht, was es will, aber Apps versprechen Sonne gegen Mittag. Vor dem Anziehen beantworte ich ein paar Nachrichten auf dem Handy, räume auf, lüfte die Wohnung und bündle die gelesenen Zeitungen. Erst jetzt finde ich auf meinem Nachttisch das Zettelchen meiner Enkelin mit Herz und I love you, darauf liegt eine rosa Flamingofeder. So lieb, dieses Kind!
Heute kann ich wieder einmal meine Haare richtig kämmen, nachdem ich mich seit Wochen mit feuchten Strähnen abfinden musste.
Bevor ich Kaffeewasser aufsetze, widme ich mich den Geranien auf dem Balkon, die farblich immer noch nicht zusammenpassen, aber in Gemeinschaft mit Efeu und Rosmarin doch ganz passabel aussehen. Gerade habe ich gelesen, dass einer seinen Basilikum jeden Tag streichelt. Das tue ich den Geranien nicht an, breche nur Verblühtes weg, gebe ab und zu ein bisschen Dünger und giesse regelmässig.
Der Glockenturm spielt das „Munotsglöckelein“ und die Schulkinder rennen in die grosse Pause.
Zum späten Frühstück öffne ich ein Glas Konfi vom letzten Jahr, Mirabellen aus Frankreich, ein bisschen säuerlich. In diesem Sommer habe ich zu den Mirabellen Aprikosen genommen. Das gab eine sehr feine Konfitüre.

Inzwischen ist der Himmel blau. Eigentlich könnte ich zum Schwimmen gehen. Die Wohnung sagt nein, ich müsse Staub saugen und den Badezimmerboden feucht aufziehen. Ich sage nein und lese mich durch die liegen gebliebenen Zeitungen: Sommer vorbei, erste Nikolauslebkuchen in einigen Geschäften, Interview mit dem Hassprediger von Nidau, Berichte über die Abstimmungsvorlagen für den 24. September, Unwetter …

Um 14 Uhr gehe ich in den Garten. Nach den Regentagen gibt es viel zu tun. Ich säe Nüsslersalat und Winterspinat, jäte, schneide trockene Zweige zurück, hacke ein bisschen und esse ein paar Karotten, wische mit dem Reisigbesen die ersten Herbstblätter zusammen. Mit Feder- und Rosenkohl, dazu Spinat und Nüssler sollte auch im Winter etwas Grünes auf den Tisch kommen.
Im „Schwick“ (im Nu) vergehen die Stunden zwischen den Beeten. Eigentlich ist man ja nie fertig, aber wenn nach dem Jäten und Giessen alles wieder ordentlich aussieht, ist man sehr zufrieden und kann’s nicht lassen, einige Fotos zu machen.

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Das Traktätli liegt zwischen meinen Zeitungen. Das Titelbild dieser evangelischen Schrift zeigt eine lockere Reihe junger, weisser Männer in Flip-Flops, Bermudas und T-Shirts. Sie gehen ein wenig gebeugt, als suchten sie etwas im Gras, auf ein modernes weisses Gebäude zu. Ist das ihr Himmel? Der Text nimmt keinen Bezug auf das Bild. Gutes tun und gut werden reiche nicht, um in den Himmel zu kommen, dazu brauche es die Wiedergeburt, steht auf der Rückseite.
Ups, dieses Schriftchen wirft mich in meine Kindheit zurück, als ich Sonntag für Sonntag die nachmittäglichen Laienpredigten in Bauernstuben und Vereinshäusern des Evangelischen Brüdervereins über mich ergehen lassen musste.
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Etiketten

An einem heissen Tag ist ihr Inhalt nicht zu verachten, aber ihre Etiketten bleiben auch an Regentagen cool.

Als es im Frühling wieder einmal so beissend kalt war, hatte ich mir vorgenommen, an Hochsommertagen, sollten sie dieses Jahr dann kommem, nicht in das Hitzeklagelied einzustimmen.
In den letzten Nächten schlief man allerdings am abgekühltesten zwischen vier und sechs Uhr, deshalb stehe ich auch heute erst gegen sieben auf. In der ganzen Wohnung verteilt warten Taschen, Schachteln, Mitbringsel aus dem Delta, ungelesene Post. Nach einem kurzen Abstecher ins Badezimmer, wo ich mich schnell für den Tag zurecht mache und eine Maschine Schwarzes fein in Gang setze, beschliesse ich, allen herumliegenden Kram in Ruhe zu lassen und schwimmen zu gehen. Ein sehr knappes Gling an der Tür. Ich schliesse auf. Meine jüngste Enkelin auf dem Arm ihrer noch etwas verschlafenen Mutter streckt mir ein Joghurt „Ogu“ unter die Nase. Klar, dürfen sie herein kommen, damit der Rest der Familie noch ein bisschen schlafen kann.
Auf dem Balkon trinke ich Kaffee mit meiner Tochter, während Kleinstmädchen Ogu mit Brombeeren isst und anschliessend mit den Enten, die im Giesswasserbecken schwimmen, spielt. Später gibt es noch einen wilden Ritt auf dem Schaukelpferd, wobei die Reiterin mit der Zunge den Gang eines Pferdes nachmacht. (In den Ferien konnte sie sich nicht satt sehen an den Pferden und Ponys in der Camargue).
Inzwischen ist in der Wohnung vier Stockwerke unter mir der Rest der Familie aufgewacht. Grossesmädchen und ich gehen schwimmen, während S. (2nd2nd, female), den Einklauf übernimmt.
Heute Abend kommt die Blogk-Familie zum Grillen in den Garten.

Beeren 1 Beeren 2

Urgrossvaters Himbeerstauden tragen wieder feine Früchte.

Frise

(Zeichnung: 2nd3rd, male)

Auf dem Schulweg treffen meine Enkelin und ich zwei Jungen aus der Oberstufe.

Ich: „Tschou zäme! Naïm, hesch e nöii Frise (Frisur)?“
Naïm: „Ja, warum?“
Ich, bewundernd: „Nid schlächt.“
Naïm: „Merci!“
Ich zur Enkelin: „Dä heisst doch Naïm, oder?“
Enkelin: „Ja, Naïm Bello Safi, gloube-n-i.“
Ich: „Villicht ender Naïm Ben Tissafi?“
Enkelin: „Cha si, das wär‘ zu schön gewesen.“

Die Geburtenrate im letzten Jahr ist angestiegen, während die Sterberate gesunken ist. (Es gab leider im vergangenen Jahr keine Epidemien und eine nur schwache Grippewelle).
Auch der Brustpunkt ist wieder bei unzähligen Frauen gesunken. Das erfahre ich Zweitleserin in Brigitte Woman Heft 6/2017 „Weiblich rund und schön“. Hier gibt es eine Adresse für Schnittmuster, welche diesem Umstand Rechnung tragen. Darauf hätte ich nun wirklich ohne Brigittes Hilfe kommen können, aber besonders im Juni habe ich für so etwas einfach keine Zeit. Hier sei noch hurtig eine weitere Alterserscheinung vermerkt: Ich habe nur noch zwei Hände im Gegensatz zu früher, als ich mit dreien mindestens eine zu wenig hatte. Dieses Handicap ist mir erst heute klar geworden, als ich im Garten feststellte, dass ich die Schneckenkörner (für die 3. Hand) an der Tramhaltestelle vergessen hatte. Die Schnecken zermalmten vor Freude das zarte Rüblikraut.
Schon wieder komme ich, endlich mal wieder bei meinem Blog, vom Hundertsten ins Tausendste.

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Um 3 Uhr morgens höre ich vor meinem Fenster eine Frau nach ‚William, William‘ rufen, wieder und wieder, in einem rauen, theatralischen Flüstern. Warum genau sie flüstert, ist mir schleierhaft, denn ihr Hämmern an Williams Haustür könnte Tote erwecken. Danach gebe ich den Versuch zu schlafen auf, gehe nach unten, schleiche mich auf Zehenspitzen an dem schlummernden Habicht vorbei, setze mich draussen auf einen umgedrehten Blumentopf und rauche eine Zigarette. Der Himmel ist tiefschwarz und sternenklar, …

Das bin natürlich nicht ich, sondern Helen Macdonald, u.a. Lyrikerin und Falknerin in „H wie Habicht“.

Ich erwache etwas nach sechs Uhr. Wie jeden Morgen seit 22 Jahren gilt ein erster Kontrollblick meinem rechten Fussgelenk. Was kann ich heute von ihm erwarten? Fuss durchstrecken, Zehen bewegen, aufstehen, Gelenk bewegen. Dann etwas „Pferdesalbe“ einmassieren. Der grüne Gelee heisst in der Schweiz „Sportbalsam“. „Die Leute sollen nicht glauben, darin würden Pferde verarbeitet“, erklärte mir die Apothekerin. Einen Moment lang riecht es stark nach Kampfer und Menthol. Auch Rosmarin und Arnika sollen darin enthalten sein.
Pfingstmontag ist bei mir ein praktischer „Aufschiebetag“: PostZeitungenWäscheSchuheGartenFenster …
Das Wetter ist bewölkt. Soll ich ein paar Runden schwimmen gehen? Seit Mitte Mai (bei 15,5°) bin ich in „meinem“ Hausbad angebadet.. Einige der Alten sind leider nicht mehr (noch nicht?) gekommen. Hermann mit dem Kunststoffbein, Käthi und Susann fehlen.
Auch Stammgast Aschi konnte die neue Saison nur kurz geniessen. In seiner Todesanzeige Ende Mai stand: Auf seiner geliebten Schwimmrunde hat sein Herz aufgehört zu schlagen.
Leider musste ich bis jetzt auf die Begleitung meiner Nachbarin verzichten. Sie hat Herzprobleme und muss sich im Moment schonen. Zahlreiche Vormittage verbrachten wir schwimmend und plaudernd im Wasser, tranken anschliessend eine Schale (Milchkaffee) auf der Terrasse und fuhren mit dem „Bössli“ (Bus Nr. 27) heim.

Eigentlich kommen Gratis-Gesundheitsmagazine bei mir ungelesen ins Altpapier, aber heute blättere ich doch im TopPharm-Ratgeber. Die ganze Woche hindurch erzählten mir die Leute über Krankheiten, sei es über die eigenen oder diejenigen von Angehörigen: Herzoperationen, Spitalkäfer, Aneurysmen, Alzheimer, Schulterbruch, künstliche Hüftgelenke, Knieprobleme, Magersucht, Grauer Star …
Das Ratgeber-Thema sind die Ferien: Schwitzen, Sonnenbräune, Fuss- und Venenpflege, Infektionen, Sicherheit im Wasser, Leberentzündung und ein Less-Sugar-Tortenrezept. Ich lese alles, hauptsächlich wegen der Enkelkinder. Anschliessend schlucke ich drei Kapseln Schwarzkümmelöl – nützt’s nüt, so schad’s nüt. (Die alten Ägypter schwörten darauf und Haddsch Boras hat das Wunderöl natürlich auch im Sortiment.). Abends trinke ich als Tee-Hasserin jetzt regelmässig einen Säuren-Basen-Kräutertee.

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Erstes Bad im Weierli

… seit heute auch in der Schweiz angebadet bei 15, 5°.

Im kalten Meer waren wir schon im April.

Meer im April

Neue Kundin

(Eine zukünftige Elch-Kundin?)

Die Postfinance hat wieder einmal aus unbekannten Gründen einen elektronischen Zusammenbruch, was in der Warteschlange vor der Kasse einige Unruhe verursacht. Hat man eine zweite Karte, um den sperrigen Einkauf im Elchhaus zu bezahlen? Es klappt, weil an diesem Vormittag meist noch Grossmütter mit diversen Kreditkarten die zahlreichen Mütter begleiten. Hoch aufgetürmte Waren in Einkaufswagen, prall gefüllte Elchtaschen, Lampen, Zimmerpflanzen, Korbstühle, Möbelteile in Kartons, Wickelkinder und ihre Taschen, all die lebhaften und hungrigen Fins, Svens, Robins, Lenas und Claras werden von diesen Frauen in Schach gehalten. Bevor alles ins Auto gepackt wird, gibt’s beim Ausgang noch Klo, Wickeltisch, Saft, Kaffee und Bratwurst. Der Elch hat an alles gedacht.
Nach dem Rundgang durchs Haus brauche auch ich eine Bratwurst. Die musikalische Dauerberieselung wird zum Glück nicht bis hierhin geleitet. Eine chinesische Mutter ist daran, ihre beiden Kinder und meine Enkelin vor einer Elchwerbung zu fotografieren: meili, meili. Heisst ihre Tochter Meili oder sind die Kinder meili?
Gerade beisse ich die heisse Wurst an, als ich auch schon mit Namen gegrüsst werde. Ich hasse es, angesprochen zu werden, wenn ich einen vollen Mund habe. Würg, würg. Es ist ein Ehepaar aus meiner Heimatgemeinde auf dem Langen Berg. Sie seien seit Jahren wieder einmal im Elchhaus, führen da eigentlich nie hin. Aber nun, da sie ihr Stöckli renovierten, seien sie auf der Suche nach Vorhängen und Ideen. Da sind sie völlig richtig. Allerdings kann ich ihnen gleich sagen, dass sie hier keine Wanne für ihren geplanten Seerosenteich finden werden. (Ich sage ihnen, wo.)
Sie essen auch Bratwurst.
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