Alles oder nichts


Wir sind – wenn ich so sagen darf – bekennende Einfamilienhäuserhasser. Die Zerstückelung der Landschaft, die Pendlerei, die Agrarwirtschaft, die Welternährung und natürlich die notwendige Abgrenzung eines jeden Blockbewohners, der (noch) kein Eigenheim (gebaut) hat.

Aber so ganz hemmungslos können wir uns dem Hass nicht hingeben, zu viele nette Arbeitskolleginnen und -kollegen wohnen in einem „Eäffhaa“ oder stehen kurz vor dem Bezug eines solchen. Unsere Mittagsarbeitsgespräche kreisen um Gummidichtungen, Plättlifarben, Gärtnerlaunen, Handwerkerbetrug, kilometerlange Leitungen, fragwürdige Holzbeläge, dringende Doppelgaragen und billige Fensterfassungen aus dem Deutschen.

Und die Adressen in den putzigen Vororten ohne Jugendgewalt und Junkies heissen nach Bäumen, Blumen oder Singvögeln, merken Sie sich das. Leider wird weitergebaut, wenn die schon ausgegangen sind und dann steht unverhofft, nach all den Föhren, Birken, Ahörnern, Linden, Eichen und Eschen ein Thujaweg im zerklüfteten Lande, weil wo’s keine Bäume mehr gibt, die gute alte Hecke herhalten muss.

Und ich prophezeie hier und heute, dass bald auch den Singvögel die Luft wegbleibt und man sich ans Federvieh heranpirschen muss. Hühnermatte, Entenhubel, Gänseweg. Und die farbigen Blüten werden ebenso ausgehen, das sehe ich an der Überstrapazierung des schmucklosen Nelkenweges. Stechpalmen und Schleierkraut sind die Zukunft und danach muss es mit Gemüse weitergehen. Der benachbarte Bauer wird aus seiner Hochstammhoschtert ins Einfamilienhausadress-Consulting getrieben.

Schon wieder zwei Parzellen frei.

Stolze Hausbesitzerin

Eines Tages beobachtete ich einen Schreiner in der Werkstatt Tscharnergut, der an einer Puppenstube arbeitete. Der kleine Brunnen gefiel mir besonders. Weil ich Holz liebe und ich gerne etwas für Kleinmädchen bauen wollte, sammelte ich von da an Ideen zur Konstruktion einer Puppenstube.

Zu Weihnachten erhielt ich von 1st ein Buch, wie man sich vorbereitet, was es für Zubehör gibt und das sogar einen Bauplan beinhaltet. Ich konnte x Nächte nicht schlafen, weil mir das Haus im Kopf herumgeisterte und ich so viele Ideen hatte. Also erarbeitete ich einen eigenen Plan und kaufte Holz. Das Benutzen der Werkstatt und der Maschinen fand ich sehr teuer. Ein Puppenhaus zu kaufen, wäre mir finanziell etwas aufs Gleiche gekommen.

Schlussendlich kam das Haus ganz anders als geplant, viel schlichter, ohne Schiebetüren und Fensterchen. Einfach so, dass Kleinesmädchen freie Hand zum Spielen hat. Endlich ist es fertig. Alle Leute, die in die Werkstatt kamen, waren begeistert und erzählten ihre eigenen Puppenhaus-Geschichten. Aber niemand korrigierte mich oder sagte: „Ich hätte das anders und dieses so…“ Das Puppenhaus scheint vollkommen. Gestern nahm ich es nach Hause. Nach der ersten Begeisterung wollte meine kritische Frau schon das Dach rot anmalen. „Ja, das machen wir. Der Grundriss steht. Jetzt kann die Einrichtung beginnen.“

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Wo zum Heimatland, geht nur all dieses Münz hin? 90 Mio Stück reichten letztes Jahr nicht aus, um den „Münzhunger“ in der Schweiz zu stillen. Hat man mich angelogen? Kann man Geld doch essen? Gibt es irgendwo irgendwelche Burgergelage, bei welchen an Stelle von Bärentatzen und Elchrippen gebackene Fünfliber aufgetischt werden? So viel kann das doch nicht ausmachen, wenn ich die Fünfzigrappenstücke sammle, meine Nachbarin die Zweifränkler mit den Geburtsjahren ihrer Familienmitglieder, der Nachbar die Fünffränkler, die er nicht via Zigis verpafft und die Kaffeekassen in den paar tausend Büros in unserem kleinen Land regelmässig nachgefüllt werden – mit Namensliste und Datum, bitte.
Heuer werden vorsichtshalber 155 Mio Münzen geprägt. Fürs Euro-08-Klo sollen alle ausgerüstet sein, das garantiert die Swissmint. Kupfer- und Nickelpreise seien hoch, was die Münzen verteure, aber bei keiner überstiegen die Materialkosten den Nennwert, beruhig der Geschäftsführer der Münzprägeanstalt.
Bei „Swissmint“ denke ich immer an einen Garten überwachsen mit Pfefferminzstauden. Geld, das von dort kommt, stinkt einfach nicht.

D’Manderindli si würklech nümm guet. D’Schnitze hei trocheni Hut u si ganz iitätscht, dr Saft isch furt. Drfür choschtet ds Kilo nume no zwöi nünzg.
Dr Gaffee vo dr Beckerei isch o nume no gfärbts Wasser imene gäng chliinere Bächer, aber wider es Zwänzgi tüürer als im Dezämber. E Dtechu druuf überchunsch o nume, we de chasch bewiise, dass d’mindeschtens e Viertustung i dr Cheuti ungerwägs bisch. Bim Gwafför isch es o nümm so suber, sit dr Suun ds Gschäft vo dr Mueter het übernoo. Es si no Haarschüble vo dr vordere Chundin am Bode u näbe eim steit e Chübu, wo die Gwaffösene iri dräckige Tüechli dri schmeisse. Mi muess säuber säge, we dr Föhn zheiss iigsteut isch u eim dr Äcke verbrönnt.
Si frage nümme: „Isch es rächt?“
Hüt am Morge isch es doch so iischig gsi, aber si hei nume spärlech gschplitteret. Mi het richtegi Verränkige müesse mache, das me mit em Schueh het es Schteindli gfunge. Das isch doch am fautsche-n-Ort gschpart, oder öppe nid?

In diesem Jahr ist der Ausverkauf wesentlich einfacher geworden. Nicht, dass das Gschtungg aus Gassen und Geschäften verschwunden wäre – Gottbehütenein – aber immerhin lassen sich die Rabatte einfacher ausrechnen. 50% geht der Kundschaft besser vom Kopf als 30, 70, 15%. Es kann ja auch sein, dass man am liebsten dort einkauft, wo 50% nachgelassen werden, wie bei den gepolsterten BHs, den Weihnachtsservietten und den Eiernudeln im Sechserpack.
Also, mich störts nicht, stösst mich auch nicht in Depression, wenn die StadtbernerInnen beim Einkaufen heftig durchmischt werden mit denen aus Freiburg, Biel, Aarberg, Burgdorf, Neuchâtel, Thun und Trubschachen. (Solche, die gerne unter sich bleiben, gibt es hier in der Mutzenstadt halt auch).
Im Tram fällt sie mir schon auf, die weisshaarige Dame in rosa Mantel mit rosa Pelzkragen, ein zartes Wintervögelchen unter uns Krähen. Als ich in den 14er umsteige, setzt sie sich mit zwei prallgefüllten Platiktaschen neben mich. Sie fahre nur bis Lory, wolle ihren Hund bei der Tochter abholen und dann weiter nach Thun, wo sie seit der Pension ihres Mannes wohne, wohnen müsse. Ab und zu überkomme sie aber das Reissen, so richtig einzukaufen. Das könne sie nur in Bern, wo sie zwanzig Jahre gewohnt habe. Der Mann finde zwar, sie besitze mehr als genug, brauche eigentlich nichts mehr. Aber eben, den Männern könne man nie klar machen, dass Frauen immer etwas brauchen. Sie hat ihm eine Gulaschsuppe hinterlassen. Er muss nur den Herd anmachen. Sie traut ihm zu, neben dem Gulaschsuppenpfänni zu verhungern, weil er sich zu schade ist, den Schalter zu drehen. Er gehört halt noch zur alten Garde und bei dieser werden nur die Männer pensioniert.
Bei Lory schwingt die Heimwehbernerin ihre Taschen geübt vom Sitz, stöckelt auf Silberabsätzchen zur Tür. Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass sie neben den zwei Riesentaschen auch noch den Hund samt diversen Zugverspätungen Richtung Oberland managt.

Info vor dem Lift:
Wilde Deponi wird Strafrechtlich vervolgt.
Info aus der Gratiszeitung:
Nicht verkaufte Tannenbäume werden von den Rehen, Elchen, Ziegen und Steinböcken im Tierpark Dählhölzili mit Genuss gefressen.
Info vom Reisebüro:
Wenn Sie jetzt buchen, können Sie sieben Nächte für 1399.- in Kenia verbringen, inkl. Kurzsafari.

StUB Ladenstrasse Krokus Hochzeitsvorhang
Feuerlilien Regenbogen Auf der Duene Am Meer
Aergernis Buchmesse Vaters Besen Licht ins Quartier

… und allen Blogk-Leserinnen und -lesern viel Gutes und Schönes für 2008!

„Hoffentlich kannst du dich zwischen Weihnachten und Neujahr ein bisschen entspannen“, wünschen mir viele liebe Menschen. Das tue ich, indem ich mich unter den Weihnachtsbaum lege. Es ist beruhigend, in das regelmässig ausladende Astwerk hinauf zu sehen, die Kugeln, Engel, Glocken und Zimtstängel von unten zu betrachten und den feinen Tannenduft einzuatmen. Ich prüfe dann auch den Wasserstand im Baumhalter. Heute habe ich darunter den Ferrari F50 von Kleinesmädchen gefunden und kam mir dann in dieser Rückenlage ein bisschen vor wie ein Automechaniker.

Seitdem mein Nachbar pensioniert ist, hat er Zeit, jeden einzelnen Verbundstein auf seinem Balkon zweimal im Jahr zu schrubben. Nun befindet er sich in der Endphase und er hofft, bis zu Weihnachten mit der Arbeit fertig zu werden. Um den Termin einzuhalten, ist er auch nachts am Werken. Im Moment bearbeitet er eine dunkle Ecke, und das Einpassen der sauberen Steine muss quasi blindlings geschehen. Wenn er einen Stein fallen lässt, schreckt man aus dem Schlaf, hört aber anschliessend das beruhigende Kratzen seiner Scheuerbürste. Die Augen fallen einem wieder zu – der Block steht noch und wird erst noch gepflegt – Blockkultur.

Während des Jahres bleibt mein Quartier pressemässig ziemlich vergessen. Es kann sein, dass wir in einer Statistik zu Jugendarbeitslosigkeit/Sozialhilfe auftauchen oder die Webcam von Westside erfasst uns in ihrem Auge am Rande. Auch wenn Mister Libeskind einfliegt, um bei der Geburt seines ersten Einkaufszentrums kurz dabei zu sein, kommt der Block meistens mit aufs Bild.
Meine Arbeitskolleginnen und -kollegen nehmen in der Kaffeepause die Zeitung zur Hand und sagen: „Merci schön, da möchte ich nicht wohnen.“
Wenn ich dann mit der Bleistiftspitze auf den 13. Stock zeige, schauen sie mich ungläubig an.
Alles wird schlagartig anders in der Adventszeit. Man möchte in der Zeitung etwas Weihnächtliches bringen, das einem kurz das Herz erwärmt, etwas über Leute, die sich vertragen und welche trotz ihrer „fremden Kulturen“ die christlichen Feiertage so gestalten, dass eben das „Fremdeandere“ darin Platz hat. Beliebt bei den Zeitungsleuten sind Muslime, die Weihnachten feiern, sogar bei den Vorbereitungen zum Fest tatkräftig mithelfen wie den Stern über der Bäckerei aufzuhängen, den besten Weihnachtsbaum in der ganzen Stadt zu suchen, am Morgen früh aufzustehen, weil das Kind ungeduldig vor dem Adventstörchen wartet.
Der kluge Journalist macht sich früh im Dezember auf die Socken, um mit den Bewohnerinnen und Bewohnern im Quartier Kontakt aufzunehmen. Er zeigt nicht, dass er in Eile ist, hört sich auch Geschichten an, die er im Moment nicht braucht und schreibt dann etwas, das für alle verständlich ist.
Es gibt aber auch solche, die versuchen, kurz vor dem Fest „passende“ Familien zu finden, die sich zur persönlichen Gestaltung des Christfestes interviewen lassen (mit Foto). Der Erfolg ist gleich null, niemand will etwas sagen, auch die freundlichen Tamilien nicht.
Als mein Handy mit einer unbekannten Nummer klingelt und sich eine Frau in Hochdeutsch vorstellt, denke ich an eine Lotto-Gesellschft in Frankfurt. Zuerst frage ich nach, wie die Anruferin zu meiner Nummer kommt. Aha, das ist die Journalistin, welche mich besuchen möchte. Ich bin ihre letzte Hoffnung. Ja, sie darf kommen. Allerdings wird meine Familie um diese Tageszeit nur klein sein, da alle berufstätig sind, aber zur grossen Erleichterung der Zeitungsfrau sind wir ein bisschen gemischt, dank meinem Schwiegersohn mit den kosovarischen Wurzeln.

Wir holen Grossvaters letzte Zwiebeln von der Büni

Grossvaters letzte Zweibeln

und verteilen sie in der Familie.

Grossvaters letzte Zwiebeln verteilen

Ein jeder nimmt, was er braucht.

Der Präsident der SVP-Fraktion der eidgenössischen Räte, heute früh ungesund gelb im Gesicht, macht uns, dank seines Versprechers kein X für ein U vor: Zukunft wird Zukampft sein! Viel Glück der neuen Bundesrätin!

Sie fällt ganz locker zu Boden und hätte eigentlich auf dem regennassen Asphalt liegen bleiben mögen. Ein Mitarbeiter von Bernmobil fasst sie am Arm und hilft ihr auf die wackeligen Beine. „Gehts? Sind Sie verletzt? Haben Sie Schmerzen? Möchten Sie sich setzen?“ Die Frau dankt dem Mann in der orangen Jacke, schüttelt ihren linken Arm, dann auch den rechten, an welchem eine schwere Tasche hängt. Sie geht über den Platz, biegt ab in die Gasse und steigt, noch ein bisschen unsicher, die Treppe zu ihrem Büro hinauf. Dort sortiert sie die liegen gebliebene Arbeit der vergangenen Woche nach Prioritäten. Sie startet den Computer. Während sich die Programme entpacken, packt sie ihrerseits die Geranien und trägt diese in den Keller des Wirts.
Ihr scheint, als sei sie Jahre weg gewesen und sie ist erstaunt, dass ihr die Arbeit so leicht von der Hand geht.
Den Abend verbringt sie mit Freunden in einem schummrig beleuchteten Ristorante. Ein Kaminfeuer brennt, welches wie in alten Zeiten nur vorne wärmt und den Rücken kalt lässt. Die Kellnerin weist den Weg zum Tisch und warnt: „Achtung, Stufen, es sind vier!“ Zum Glück, denn in dieser Finsternuss wäre die Frau ohne Warnung bestimmt die Stufen hinunter ins historische Kutschenremise gefallen.
Nun wird ein schöner Wein geöffnet. Bis die Seezunge auf dem Lauchbett serviert wird, erzählt ihr ein Freund den Film von der ägyptischen Polizeikappelle, die unfreiwillig in einem israelischen Kaff strandet – Bikur hatizmoret – wunderbar!
Sie trinkt noch ein Glas Wein und wartet darauf, dass Zorro sich endlich am Kronleuchter durch den Saal schwingt und mit dem Degen den venezianischen Vorhang oder die Ölgemälde – ZZZZ – aufschlitzt.
Endlich ist auch die Seezunge auf ihrem Bett und in Begleitung von Ofenkartöffelchen da – vorne warm und hinten kalt.
Gegen Mitternacht begleiten fürsorgliche Freunde sie ein Stück im Bus. In einer scharfen Kurve rutscht sie vom Sitz zu Boden – ganz locker – und könnte dort einschlafen. Das erlauben die Begleiter nicht. Sie muss sich wieder hinsetzen und am Griff, der in der Buswand eingelassen ist, festhalten.
„Leat, leat“, ermahnt sie sich auf dem Heimweg durch den düsteren Tunnel hin zu ihrem Block, den israelischen Film noch im Kopf.
Zu Hause angekommen, packt sie die Tasche aus und weiss, das Leben geht weiter, denn wozu hätte sie sonst die 13 Paar schwarzen Strümpfe und die drei neuen Bücher gekauft?

Seit dem letzten Beitrag sehe ich mein Zuhause tatsächlich mit anderen kritischeren Augen.
Ich spaziere mit Kleinesmädchen am Rande des Quartiers vor dem historischen Bauerngut. Auf der Bank nahe der alten Eichen, unter welchen Napoleon vor 210 Jahren Rast gehalten hatte, sitzen zwei junge Männer und kiffen. Aus dem etwas ramponierten Herrenhaus tritt der Dichter, der das alte Gemäuer seit Jahren bewohnt. Wie immer schwarz gewandet, beugt er sich über die Buchsumrandung des Berner Lustgartens und – spuckt einen scharfen Strahl in die Beete.
Mir ist sofort klar: spucken kann er um vieles besser als schreiben. Seinem geschriebenen Wort fehlt der Speuz.
Kleinesmädchen kümmert das nicht. Es lacht, beinlet elephantenbeschuht den Hang hinunter und verliert dabei die gesammelten Eicheln in seinen Fäustchen.

Warum gibt es so viele Männer, die sich nicht genieren, den öffentlichen Raum mit Spucke zu bekleckern?

Woran erkennt man die hoffnungslos Dummen hier in Bern West? Daran, dass sie immer noch Hoffnung haben. Besonders dann, wenn sich ein hochkarätiges Team von Journalisten, Schriftstellern und Fotografen zusammentut, um eine Festschrift zum 50. Jahr Hochhausssiedlung zu gestalten, beginnt bei einigen noch nicht ganz toten Ureinwohnern dieses Fünkchen zu glühen.
Nachdem ich schon mehrmals auf das neue Buch angesprochen wurde, werfe ich mich im regen Abendverkauf auf das gelbe Ledersofa in der Buchhandlung und blättere durch. Eine völlig fremde Welt, die meine Heimat seit 35 Jahren sein soll, tut sich mir auf. Die Herausgeber hatten aus den vielen hundert Familien wirklich die exotischsten und vielköpfigsten ausgesucht. Bei mir kommt die Frage auf, ob die Menschen vielleicht bernwestmässigbunt arrangiert und speziell fürs Foto drapiert wurden. Meine hübsche Nachbarin, ohne sie würde hier die Quartierarbeit gar nichts laufen, steht z.B. melancholischen Blicks zwischen zwei Betonpfeilern, auf dem Bild völlig isoliert und aus ihrem Tätigkeitsfeld gerissen. Die Hauswarte treten als Pajasse und Anhängsel ihrer Putzutensilien auf, und klar darf der Muslim auf dem Gebetsteppich nicht fehlen. Für spiessige Wohnzimmer mit schönen Möbeln, Lampen, Bildern, Büchergestellen, Spielzeugen, Arbeitstischen wird kein Platz verschwendet, sonst könnte das Klischee Schaden …
Sicher werden mir einige Leute das Buch zu Weihnachten schenken, weils so gut zu mir passt und wie für mich gemacht. Dann lese ich auch die Texte der fast ausnahmslos ortsfremden Autoren.
Das Ansichtsexemplar klappe ich wieder zu und lege es zurück auf den Ausstellungstisch. Dann werfe ich den Schal um den Hals, hänge die Tasche um, schnappe meinen Einkauf (Stichsäge, Sparlampe, Saft). Beim Hinausgehen lacht mich der 5. Band „Die Katze des Rabbiners“ an. Da kann ich nicht widerstehen.

Es soll mir ja niemand sagen, ich sei wie die Leute aus New Bern, North Carolina. Die wurden von einem Schweizer fotografiert und hatten, bevor sie hier in Old Bern gefüttert, getränkt, getröstet, spazierengeführt und eines anderen belehrt wurden, keine Freude an den Bildern von ihrer Stadt.

Natürlich erfüllen wir Vater jeden Wunsch. Es Schlückli Wiisse oder Glüür, e murbi Bire mit gälbe Bäckli, es wysses Ggaffi oder, zu unserer Erheiterung, ein Ogi-Ei.
Vor mehr als zehn Jahren machte sich der damalige Bundesrat Adolf Ogi, Vorsteher des Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartements, Gedanken zum Strom sparen. Als praktischer Berner Oberländer aus bescheidenen Verhältnissen zeigte er den Hausfrauen, wie beim Eier kochen Energie gespart werden kann. Ehrlich gesagt, ich hielt das damals für einen Witz, besonders auch deshalb, weil BR Ogi gesagt haben soll, man könne nach seiner Methode mehrere Eier gleichzeitig kochen.
Item – Nun wollte Vater ein Ogi-Ei. Nach sechs Versuchen mussten wir feststellen, dass neben der Pflege eines Schwerkranken das Kochen von Ogi-Eiern unmöglich ist – sie brauchen zu viel Aufmerksamkeit!
Die beste Anleitung habe ich hier gefunden. Der Prophet hats ja im eigenen Vaterland oft schwer. Ausserhalb der Schweiz ist das Ogi-Ei nicht vergessen, und ich bin sicher, dass in zahlreichen hochherrschaftlichen Küchen rund um die Welt stromsparend Eier gekocht werden. Denn neben Kofi Annan und Madeleine Albright gab es unzählige politische Grössen, die nach einer Wanderung über die Chempen um Kandersteg ein geschwelltes Ei aus der Pfanne ihres urchigen Gastgebers zu schätzen wussten.

Es ist ihm zum Weinen nicht Recht, dass er gepflegt werden muss wie ein kleines Kind. Aber es ist schön, umgeben zu sein von „den Iigeten“, der eigenen Familie. Da versteht man ihn, weiss wovon er spricht, obwohl das Sprechen schwer fällt. Er erzählt der Pflegetochter von den Schmerzen und der Hilflosigkeit, die sein Pflegesohn Heinz erleiden musste und die er jetzt so gut verstehen kann.
Vater träumt sehr viel, taucht ab in andere Welten, wo Pferde übermütig im Schnee umhertoben, verfolgt von einem kleinen Jungen der einen Hütestock in der Hand hält. Die Leute wollen, dass der Bub rauskommt aus der Hofstatt. Aber Vater will ihn laufen lassen, den Pferden hinterher.
Auch der Habk, der Habicht, ist manchmal da und zieht seine Kreise.
Wahrscheinlich ist der Winter für Menschen, die ihr ganzes Leben lang eng mit der Natur verbunden waren, die passende Jahreszeit, um von ihr Abschied zu nehmen.

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Im vergangenen Mai standen eines Tages zwei Geranien (in Orlando-Rot) vor meinem Bürofenster im ersten Stock. Der Wirt vom Erdgeschoss teilte mir mit, das sei seine eiserne Reserve. Falls „die Chaoten“ mal durch die Lauben zögen und seine Pflanzen auf der Terrasse zerstörten, hätte er dann doch noch geranienmässig passenden Nachschub. Natürlich würde er die beiden auf der Ersatzbank regelmässig giessen, wenn ich nur den sicheren Platz …
Als Hasserin von privatem Grünzeug in Büros hätte ich nein sagen sollen.
Zuerst klappte es mit dem Giessen. Aber als ich nach den Sommerferien wieder zur Arbeit kam, waren die Geranien ledrig braun, staken trocken in ihren verzinkten Blechtöpfen und wurden, als ich sie auf ein Lebenszeichen untersuchte, gerade von einem jungen Chinesen fotografiert. Die altehrwürdige Sandsteinfassade, das vergoldete Fenstergeländer aus Schmiedeeisen und ich kamen auch drauf.
Die Chaoten blieben aus. Sogar diejenigen vom 6. Oktober liessen die Blumenkisten in Ruhe. Die einst siechende eiserne Reserve wird schon längst von mir regelmässig gegossen und von dürren Blättern und Blüten befreit.
Die Trockenzeit sieht man ihnen nicht mehr an und bei weiterer Zuwendung meinerseits werden die Geranien sowohl den Zibelemärit als auch die Weihnachtbeleuchtung in voller Frische erleben.

Knoepfe

Auf welchen Umwegen diese Knöpfe vor vielen Jahren in die „Nähtrucke“ meiner Mutter kamen, weiss ich nicht. Es ist gut möglich, dass sie aus dem Fachgeschäft in der Mollardgasse stammen, in welchem sich heute eine Schokoladenmanufaktur befindet, die solche Knöpfe aus feinster Schokolade herstellt.

Je dunkler, desto genauer weiss ich, was die im Block vis à vis so machen. Und umgekehrt wissen die vis à vis was ich so tu. Allerdings sehe ich denen durch die grossen Fensterfronten direkt in die Stuben und auf die Bildschirme, die jetzt Screens heissen und zu den Objekten gehören, die sicher die letzten zehn Jahre das grösste Wachstum erfahren haben. Doch auch die haushälterischen Aktivitäten lassen sich über den Balkon und die Fensterfront gut beobachten, und weil die auf den Winter hin zunehmen, lasse ich mich jeweils anstecken und mache mir zumindest stundenweise vor, ich hätte es im Griff.

Das Praktische dabei ist, dass ich bei achthundert Nachbarn immer ein Vorbild finde, welches gerade zu meiner momentanen Stimmung passt. Was allerdings nicht bedeutet, dass sich jeder als solches eignet. Nacktes Rauchen auf dem novemberlichen Balkon meide ich beispielsweise genauso wie das Abtauen der Kühltruhe ebenda. Auch exzessive Geranienpflege bis weit in den Herbst erschient mir nicht nachahmenswert, ganauso wenig wie das abwechselnde Aushängen von Vogelkäfigen im Viertelstundentakt.

Das Putzen des Taubendrecks, das Auschütteln der Teppiche und das Einwintern der mediterranen Balkonpflanzen – das ist hingegen sehr anregend.

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